Final Fantasy [He Poos Clouds] / Damien Dempsey [Sing All Our Cares Away]

Dualismus?
Zwei gänzlich unterschiedliche Solisten im Fokus: der Kanadier Owen Pallett mit seinem (wörtlich) fantastischen Arrangements und dem gegenüber das gesellschaftskritische Folk Erbe des Iren Damien Dempsey.


"now they drive you from the cities, to make room for all the yuppies."
(damien dempsey, ghost of overdose)


Setzt man sich häufig genug mit aktueller Popmusik auseinander - und mit dem Begriff Popmusik möchte ich hier all Jenes einschließen, was bei den Stichwort Rock-Pop-Zirkus nicht bei drei auf dem Baum ist – verzweifelt man recht schnell bei dem Versuch sie irgendwie beurteilen zu wollen. Das kann man ja auch getrost den Musik Journalisten überlassen, um sich dann anschließend über deren seltsam verschrobenen Output zu echauffieren. Mit Recht. Aber wo finden sich eigentlich die Merkmale anhand welchen man die Veröffentlichungen beurteilen kann? Ein Kriterium mag eine hohe ästhetische Qualität sein, womit wir uns schon wieder im Auge bzw. generell sinnlichen Empfinden des Betrachters tummeln. Innovation, überzeitliche Relevanz und auch nach mehrfachem Rezipieren für den Einzelnen reizvoll zu sein, sind Aspekte, welche man sich im Allgemeinen in der Literatur zur Beurteilung heranzieht. Spätestens im Bereich der Zeitlosigkeit sieht sich manche Veröffentlichung direkt mit einem Album wie "Rubber Soul" von den Beatles konfrontiert, um es schließlich in einen imaginären Kanon zu schaffen. Im Bereich der musikalischen sowie textlichen Innovation und auch im Bezug auf die Nachhaltigkeit arbeiten sich gerade zwei gänzlich unterschiedliche Musiker im – im weitesten Sinne – Singer/Songwriter Umfeld ab.

Der junge Violinist Owen Pallett aus Toronto ist einerseits für die wunderbaren Streicherarrangements der kanadischen Arcade Fire (u.a.) verantwortlich, andererseits veröffentlicht er der Tage sein zweites Solo Album unter dem Namen Final Fantasy. Benannt nach der epischen Computer bzw. Konsolen Spiel Serie agierte Pallett auf seinem Debüt tatsächlich auch live noch Solo, spielte mit seiner Violine via Loops und Samples in Echtzeit zu sich selbst. Auf "He Poos Clouds" hat er sein Talent als Arrangeur genutzt, um die ausladenden Stücke mit Hilfe eines ganzen Kammermusikorchesters umzusetzen. Er bewegt sich dabei so selbstverständlich und grazil im Pop, obgleich er dabei dessen instrumentale Charakteristika gänzlich hinter sich lässt; die Streicher dienen nicht bloß als füllender Hintergrund vor welchem sich Gitarren und Bass austoben dürfen, sondern ersetzen diese gänzlich. Wer Innovation zeigt, sieht sich selbstverständlich mit der Trägheit der Massen konfrontiert, das weiß auch der smarte Mittzwanziger und erklärt bereits im ersten Stück Arctic Circle "Your Rock ‚n’ Roll has gone away". Immer wieder wechseln Tempi und Stimmung der allesamt für Gesang und Streichquartett komponierten zehn Stücke. Mal scheint sein oft zaghafter Gesang das einzig Konstante zu sein, ein anderes Mal führt er hektische Zwiegespräche unter dem vermeintlich harmonischen Gesang eines Kinderchores (This Lamb Sells Condos) oder wird von fremden Stimmen aus dem Hintergrund angeschrieen (Many Lives -> 49 MP). Selbst innerhalb der Songs integriert er eine breite Palette stilistischer Sphären; verwirrt, verstört, lässt liebliche Melodien in einem Spannungsfeld mit disharmonischen, an Bernard Herrmans berühmtes Psycho Thema erinnernde Ausuferungen laufen (->) und überrascht dann mit eingängigen, gut gelaunten Perkussion Rhythmen zum Kopfnicken (Song Song Song).

Dennoch handelt es sich bei "He Poos Clouds" um ein Konzeptalbum, welches sich thematisch in einer ganz anderen Welt bewegt; Dungeons & Dragons. Er habe sich inhaltlich mit den acht Schulen der Magie dieses populären Rollenspiels auseinandergesetzt. Wer es tatsächlich wissen möchte, dies sind (in der Reihenfolge wie sie auf dem Album neben "Intro" und "Outro" bedacht werden): Abjuration, Illusion, Conjuration, Necromancy, Enchantment, Divination, Evocation und Transmutation. Dem Fantasyaffinen ginge es jedoch mehr um die anthropologische Betrachtung, um den Umgang der Spieler mit ihrem unterbewussten Selbst, kanalisiert durch das systematische Regelwerk des Rollenspiels. Okay. Was sehr nach Freud klingen mag ist zu großen Teilen psychoanalytische Vermutung, wenngleich so spannend wie verwirrend. Den Song über Necromancy (->) habe der bekennende Atheist über seinen Paten geschrieben, der nach einer sehr schweren Krankheit auf der Intensivstation mit Morphium behandelt wurde. "Es war eine unglaubliche Erfahrung mit ansehen zu müssen, wie er ständig zwischen Leben und Tod wandelte. Immer wieder gewann und verlor er das Bewusstsein, als würde man ihn in das Nichts tauchen und wieder herausziehen. It’s just like necromacy, you know?"

Dieses, sich aus sich selbst heraus generierte Spannungsfeld, abgründig und verzückt, fantastisch und rücksichtslos, arrangiert mit disharmonischen, zeitgenössischen Kompositionen und harmonischen Popelementen scheint das Mark der Stücke zu bilden. "He Poos Clouds" ist verkopfter, affektierter und prätentiöser Pop nahe der Perfektion. Als ein Album, nach dessen Genuss Niemand mehr jemals Gedanken an Selbstmord haben solle, versteht er sein ambitioniertes zweites Werk im Übrigen laut dem Pressetext ebenfalls.

"Sing All Our Cares Away" klingt dem Titel nach diesem Anspruch durchaus ebenbürtig, auch wenn sich der zweite Musiker ganz im Gegensatz zu Palletts mystifizierter und artifizieller Welt im Hier und Jetzt bewegt; wobei dieses Hier das gegenwärtige Irland darstellt. Nicht nur physisch setzt der ehemalige Boxer Damien Dempsey einen starken Kontrast zu dem eher schmächtigen Violinisten. Mit seiner Schiebermütze blickt er dem Betrachter vom Rand des Covers in die Augen, mürrisch wie ein Bully, aber doch verschmitzt. Vom Großstadtleben erzählt er in seinen vornehmlich mit Akustikgitarre unterlegten Stücken, provokant und politisch, humorvoll und treffsicher beobachtend. Vertritt Mike Skinner die Beliebigkeit der gehobenen Mittelklasse, dann repräsentiert Dempsey den verzweifelten Optimismus des Proletariats. "I am an angry man; I vent it when I can. On the bag, not the skag" (It’s All Good). Der irische Akzent unterstreicht dabei nur seine Attitüde, verleiht seinen Beobachtungen die nötige Authentizität, verleugnet nicht seine Wurzeln. Wenn er etwa über den Celtic Tiger singt, den längst wieder stagnierenden wirtschaftlichen Aufschwung im Irland der 90er Jahre, der die Kluft zwischen arm und reich nur ausdehnte. "Now they say the Celtic Tiger in my home town / Brings jewels and crowns, picks you up off the ground / But the Celtic Tiger does two things / It brings good luck or it eats you up for its supper."

Die Poesie der Arbeiterklasse, Geschichten aus dem Leben derer, die nicht vom Glück verfolgt werden es aber trotzdem suchen. Seine Sprache ist dabei so ruppig und plakativ wie nötig, mal pöbelnd, mal romantisch und "mit dem klaren Auge für die, die in der zweite und dritten Reihe stehen" (Pressetext). Oder wie Morrissey über ihn sagte: "Ihn singen zu hören, bedeutet die Größe seiner erstaunlichen Stimme und seines Herzens zu erkennen. Seine Lieder sind ehrlich und seine Stimme ist die beste und traurigste seiner Generation." Tatsächlich ist Dempseys Stimme das wesentliche Merkmal seiner Stücke, ganz gleich ob diese semi-akustisch oder mit einer ganzen Band arrangiert sind. Sie und sein nüchterner Blick auf die Dinge um ihn herum sind es, die ihn von anderen jungen Herren mit Gitarre abheben. "Sing All Our Cares Away" ist dabei in gewisser Weise eine Kompilation, eine Auswahl der bislang nur als Import erhältlichen ersten beiden Platten des Dubliners, zusammengestellt von dem jungen Augsburger Label Lamm Records, die mit ihrer ersten Veröffentlichung ein gutes Händchen bewiesen haben.

Final Fantasy und Damien Dempsey. Kammerorchester und Akustikgitarre. Falsett und Barriton. Psychoanalyse und Arbeiterromantik. Wer am Ende mehr Sterne bekommt, sollen doch andere entscheiden.
foto: david nemeroff / jill furmanovsky

final fantasy
"he poos clouds"
tomlab 2006 cd / lp
final fantasy

damien dempsey
"sing all our cares away"
lamm records 2006 cd
damien dempsey