If you are lucky enough to be Irish, then you are lucky enough.
Das irische Qintett Beloga scheint hier keine Ausnahme zu bilden und vermischt traditionelle Folklore mit bunten Stilelementen.
"the most exciting traditional band to emerge from Ireland this century."
(wall street journal)Es gibt wundersame und eigenartige Zufälle, die sich im Leben Einzelner ereignen und die Menschen unabhängig von Altersunterschied, Distanz und Vorgeschichte zusammenbringen. Horizonte werden erweitert, Vorurteile aus dem Weg geräumt, diskutiert, erprobt, verworfen. Und plötzlich gibt es eine neue Idee, eine Gemeinsamkeit, in der sich jeder neu erfinden und verwirklichen kann. Und wenn diese Idee Musik ist, dann birgt das kleine Wörtchen Zufallsprodukt eine wunderschöne zweite Konnotation, ein Hintertürchen zur Chance etwas zu erschaffen, was Tanzbeine, Ohren und Herzen erfreut. Und die Welt ist um eine Band und Duzende von neuen Tönen reicher.
"The Incident" ist das neue und dritte Studioalbum der jungen irischen Band Beoga, die in den letzten Jahren weit über die Landes- und Genregrenzen hinaus für Furore sorgte und Publikum wie Presse begeistert hinterließ. Mit zwei Buttonaccordeons, Piano, Bodhrán, Gitarre, Fiddle und Gesang warten die fünf Iren eigentlich mit einem relativ typischen Instrumentarium für den Irish Folk auf, behalten sich jedoch vor, die Grenzen der uralten Traditionen aufzusprengen und sich mit jugendlichem Eifer auf ins Neuland zu machen, in dem sich Jigs und Reels mühelos mit Anleihen aus Jazz, Soul oder Tango kombinieren lassen, und wo alteingesessenes zur Spielwiese für die innovativen Geistesblitze und unkonventionellen Stileigenheiten fünf höchst individueller Musiker wird. Hier treffen verschiedenste Begabungen und Talente im Musizieren, wie in der Komposition und den Arrangements der Tunes und Songs zusammen und lancieren gemeinsam ein vollkommen ausgewogenes, rundes Bild einer homogenen Gruppe, in der keiner dem anderen nachsteht. Jedem aufmerksamen Musikhörer wird es aufgefallen sein, dass oftmals ein oder zwei Köpfe das musikalische Geschick einer Formation bestimmen und ihr Charakter, Ausstrahlung verleihen. Beoga vereinen scheinbar mühelos fünf höchst eigensinnige und kreative Köpfe, die grade durch ihre unterschiedlichen und nebenbei auch herrlich charmanten Persönlichkeiten gewinnen und ihre Differenzen in einen eigenen Duktus, einen höchst speziellen Ton verwandeln. Tragflächen für dieses Phänomen existieren vielerlei, sei es die Besetzung zweier unglaublich spielfertigen Akkordeons, die Bühnenpräsenz und rauchigen Stimmfarbe der Sängerin Niamh Dunne, der progressive Topend - Stil des Trommlers Eamon Murray oder der groovende, beinahe kongenialen agierende Pianist Liam Bradley, der scheinbar im Hintergrund für die so typischen und brillant getimten Verlagerungen von Taktschwerpunkten sorgt. Ihr Repertoire bezieht das Quintett aus den Eigenkompositionen der Akkordeonisten Sean Og Graham (der auch einen soliden Gitarristen abgibt) und Damien McKee, sowie aus bereits existierenden, traditionellen Schätzchen, die in der Bearbeitung der Band durch ständige De- und Konstruktion neue Reize gewinnen. Überhaupt vermitteln die Tunes und Songs ein erstaunlich feines musikalisches Feeling für Spannungsbögen und Stimmigkeit. So zügellos und fröhlich Beoga in erstaunlicher Präzision und kaum verfolgbaren Tempi in Sets wie Antics, The Incident rattern und fetzen, so wehmütig und tief empfunden sind Songs wie Mary Danced With Soldies oder das abschließende The Best Is Yet To Come.
Kleines und hitverdächtiges Extra ist die Kollaboration mit dem lokalen Indie- Musiker Joe Echo für den Song On The Way, ein Titel, der wiederum ganz andere Impulse der Band offenbart und sich dennoch problemlos in das Gesamtbild des Albums einfügt. Bei Beoga passt einfach alles zusammen und ist doch voll an Reibungen und Spannung, hier ist alles echt und unverfälscht, die Tunes, die Spielfreude, die Musiker.
Und die, die kann man nur im simpelsten und schönsten Sinne das nennen, was sie sich selber als Prädikat und Namen auferlegt haben, das gälische Wort für: Lebendig! Beoga!
foto: beoga
beoga
"the incident"
compass records, 2009 cd
beoga
Beoga [The Incident]
Killed By 9V Batteries [Escape Plans Make It Hard To Wait For Success]
Vom Studio zurück in den Proberaum – Killed By 9V Batteries gehen den Weg zurück und lärmen bedingungslos vor sich hin. Dabei klingen sie nicht so, als ob sie vor der Stereoanlage Zuhörer vermuten würden, obwohl sie es verdient hätten.
Das Jahr 2008 war ein trauriges für Menschen, deren Verbundenheit mit Indiemusik aus dem deutschsprachigen Raum sich in der Verehrung ihrer Entstehungsorte manifestiert. Zunächst schloss im Juli 2008 das Hamburger Soundgarden-Studio, wo Bands wie Blumfeld oder Tocotronic ihre ersten Platten aufgenommen hatten. Nur wenige Wochen später verkündete Mario Thaler, dass sich das von ihm betriebene Uphon-Studio – Entstehungsort des Notwistschen Meisterwerks Neon Golden – in der heutigen Zeit nicht mehr rentiere und deshalb das Zeitliche segnen werde. Das Epitaph hierzu wurde bezeichnenderweise von Polarkreis 18 eingespielt, die mit dem Ergebnis der letzten Uphon-Aufnahmen im Herbst die deutschen Charts stürmten. Die Ära der Tonstudios ist für Bands und Künstler mit begrenzten finanziellen Möglichkeiten offensichtlich vorbei, da das Homerecording dank der Entwicklungen auf dem Computermarkt in den letzten Jahren zu einer günstigen Alternative geworden ist.
Diese Digitalisierung der eigenen vier Wände machen sich auch die Österreicher von Killed By 9V Batteries zunutze. Ihr selbstbetiteltes Debütalbum nahmen sie noch in einem Tonstudio in Berlin auf, für den Nachfolger begaben sie sich zurück in ihren Heimatort, ein Nest namens Weiz in der steiermärkischen Provinz. Das Trio nahm sich einen zweiten Gitarristen hinzu und spielte "Escape Plans Make It Hard To Wait For Success" im eigenen Proberaum ein. Der Klangqualität tat dies keinen Abbruch, auch wenn ein dreckiger Sound der Musik ebenso gut zu Gesicht stünde wie die glatt produzierte Oberfläche. Denn Killed By 9V Batteries hauen von Beginn an ordentlich auf die Kacke: Der Opener I Was Caught By Some Popular Lines wird von einem Gitarren-Feedback förmlich herbeigezerrt und entwickelt sich nach dem Einzählen ohne große Umstände zu einem druckvoll lärmenden Song, der nach zwei Minuten plötzlich ins Nichts zerfällt und als im Hintergrund rauschendes Präludium den nächsten Song ankündigt. Force Him To Rule His Own World ist einer von zwei Songs, die aus dem typisch noisigen Soundgewand der Batteries herausstechen. Deren sanfter Folkpop klingt fast wie bei den Labelkollegen von A Life, A Song, A Cigarette und die brüchige Stimme von Sänger Wolfgang Möstl erinnert plötzlich an Conor Oberst.
Doch sobald die Mundharmonika verstummt ist, drehen Killed By 9V Batteries die Verstärker wieder auf, denn am liebsten produzieren sie offensichtlich Lärm. Ihr Noise-Rock klingt dabei mehr nach 1989 als nach 2009 und könnte vom Zeitgeist kaum weiter entfernt sein. Als Referenzen ließen sich neben My Bloody Valentine, Fugazi und Chokebore sicher noch eine ganze Reihe anderer Bands nennen, welche die Hochzeit ihres Schaffens vor 15 bis 20 Jahren hatten. So verkündet auch der Promotext, dass diese Musik nicht als „Lifestyle-Gadget für Peergroups und Myspace-Freundeslisten“ diene, stattdessen soll offensichtlich auf Authentizität gepocht werden. Diese zugegebenermaßen banale Wahrhaftigkeit kann die Band tatsächlich für sich in Anspruch nehmen, denn dieses Album klingt genau so, wie es vermutlich intendiert war: Im Proberaum wird ein krachiger Song an den anderen gereiht und das Aufnahmeband läuft durch, während sich ein Teil der Stücke zum Ende hin in belanglosem Geklimper verliert. Dies ist zugleich die größte Schwäche des Albums: Das festgehaltene Proberaum-Gefühl lässt die Spannung zwischen den Stücken immer wieder rapide absinken, die Zwischenspiele wirken fast ein wenig wie Fremdkörper zwischen den energiegeladenen Songs und das Gesamtwerk verliert an Kompaktheit. Dabei liefern die Österreicher praktisch ausnahmslos großartige Stücke ab. Sie beherrschen nicht nur ihre Instrumente, sondern haben auch die notwendige Portion Wut im Bauch, mit der dem Hörer vor allem verzerrte Gitarren und verschwurbelte Texte entgegengeschleudert werden. Zum besseren Textverständnis müsste man wohl in den Kopf des Sängers hineinschauen können, doch die vielleicht wichtigste Zeile des Albums versteht man auch ohne viel Interpretationskraft.
(Whatever People Say I Am, I Am)
Killed By 9V Batteries degradieren ihre Musik zum reinen Selbstzweck, die adoleszente Wut braucht kein Objekt, an dem es sich ausrichtet. Sie ist einfach da, wird aus den Instrumenten herausgeprügelt und ins Mikrofon hineingeschrieen. Der Gesang überschlägt sich dabei immer wieder, als ob der Stimmbruch nicht schon ein paar Jahre in der Vergangenheit läge. Killed By 9V Batteries sind eine hervorragende Band, deren Musik so typisch jugendlich-emotional wirkt wie sie gleichzeitig keinen Adressaten zu haben scheint. Sie brauchen kein Studio, um einen fetten Sound zu produzieren, sondern retten das Gefühl von Spontaneität und Natürlichkeit ihrer Songs auf den Tonträger hinüber, ohne dass die Arrangements einen besonders ausgefeilten oder bemühten Eindruck machen. Bei vielen Bands ist diese Schludrigkeit – der Mangel an ausgearbeiteten und stimmigen Songs – eine Schwäche, bei Killed By 9V Batteries wird sie zur Stärke.
foto: florian wieser
"escape plans make it hard to wait for success"
siluh records, 2009 cd / lp
killed by 9v batteries
Trouble Books [The United Colors Of Trouble Books]
Der französische Schriftsteller Jean de la Bruyère lehnt zwar die Beurteilung eines Menschen und dessen Charakters mittels des ersten Eindrucks ab, schlägt diese Methode jedoch als adäquat für Kunstwerke vor. Einen solch unreflektierten, rohen und direkten Blick möchte ich auf das vorliegende Album wagen und eine Besprechung zum simultanen Kommentar werden lassen.
"i let those men send you up into space, the only place colder than the motherland."
(strelka)Das knistern einer Wunderkerze und das knirschen von frischem Schnee unter den Füßen eröffnen das Album, bevor verschiedene Holzbläser einsetzen und von einem so rhythmischen wie spärlichem Schlagzeug begleitet werden. Eine ruhige, entspannte, warme Atmosphäre entwickelt sich, während sich langsam Glockenspiel und elektronische Störgeräusche einfinden. Dann kommt der Moment, der eine gute Eröffnung manchmal zu Nichte macht: Das Einsätzen der Stimme. In diesem Fall sind es sogar zwei, ein Herr - Keith Freund - und eine im Hintergrund akzentuierende Dame - Linda Lejowski - die ein wenig an Architectures of Helsinki minus das verrückt euphorische Moment erinnern und ganz hervorragend die Stimmung aufgreifen.
Alles ergießt sich in einen akustischen Fluss von mäanderndem Rauschen ohne dass ich bemerke, mich längst im zweiten Stück zu befinden. Als von „smoke alarms and cheap electronics“ die Rede ist – und man diese vielleicht sogar im Hintergrund hört – unternimmt eine akustische Gitarre den don-quijote'schen Versuch das gewaltige Wabern zu strukturieren, versiegt jedoch wieder, bis das Klirren von nach Glas klingender Stabspiele ertönt und letztlich das ungreifbare Wabern versiegt.
Night Of The Pelican Street Sweaper ist schließlich auch das erste Stück, welches sich einer erkennbaren Songstruktur zu bedienen scheint, sich aber gleichzeitig wundersam an das bisherige Gesamtbild anschmiegt. Die beiden Stimmen begleiten mich weiter durch ein seltsam verrücktes (in beiderlei Sinne) akustisches, labyrinthartiges Arrangement: trotz der verschiedensten Abzweigungen und vermeintlichen Umwege befinde ich mich ganz deutlich noch immer auf dem selben Boden. Das Wabern, das Pluckern, das Rauschen, nichts dieser beruhigenden und herrlich unaufgeregten Klänge verschwindet jemals ganz. Auch wenn jeder neue Song aus der Ruhe heraus entsteht, weiß ich mich doch sofort irgendwie zu Hause. Irgendwo in diesem mit kindlichen Strichen und Wasserfarben gemalten Haus auf dem Cover.
Shaky Science, das vierte Stück macht hier keine Ausnahme, auch wenn sich jetzt herzerweichende Bläser in das Ensemble einreihen und die wohlige Stimmung nur noch mehr unterstreichen. Wie phantasievolle Intermezzi unterbrechen verschiedene Instrumente, Gesangslinien, Pausen oder Störgeräusche – wie jetzt gerade ein bedrohliches, wie ein Orkan am Horizont aufkommendes Brausen, das im letzten Moment doch ohne etwas zu verwüsten an mir vorüber zieht – eben dieses Grundwabern, dass mich vom ersten Moment an begleitet hat.
So assoziativ wie die Musik und meine unbeholfenen Versuche diese simultan in Schrift zu übersetzen, sind auch die Geschichten die Trouble Books erzählen: „We are like submarines underneath the ice and even if we had the teeth of narwhales we'd be fucked“, heißt es in On And On Submerged Ark, und kurz darauf ertönen völlig harmonisch Laute, die an 60er Jahre B-Movie Laserpistolen erinnern, ohne irgendwie zu stören. Ein bewundernswertes Gespür für das Unerwartete. Dieses ganze Zusammenspiel von scheinbar Unvereinbarem tritt immer mehr als prominentestes Merkmal hervor. Ähnlich der Moldy Peaches Duette tritt auch hier der Gesang seltsam versetzt, liebevoll unausgereift und stets knapp verfehlt nebeneinander; immer singen Freund und Lejowski zwar gemeinsam, aber nie zusammen.
For All Our Dead Freinds verstört – obwohl so unerwartet im Konzept erscheint es gar nicht – über Minuten hinweg mit einer stark verzerrten, basslastigen Rückkopplung. Vielleicht sollte man das metaphorisch betrachten. Mit beliebig angeschlagenen, scheppernden Becken wird die Musik scheinbar – um im Bilde zu bleiben – wiederbelebt: „If we push back the sad any longer, the drummer will be too drunk to play“. Zu einer minimalistischen Basslinie und der Wärme einer Slide Guitar gesellt sich die quirlige Stimme einer singenden Säge sowie eine melancholische Streicherharmonie. Das passt so wundervoll zusammen, dass das abrupte Ende des Stückes beinahe traurig stimmt.
Mit Schritten auf einem Kiesweg und den pulsierend angeschlagenen und elektronisch manipulierten Tönen eines Glockenspiels eröffnet Abandoned Greenhouse und empfängt mich dann mit den weit geöffneten Armen eindrucksvoll optimistischer Bläser, die sich als wesentlich trauriger Erweisen als sie anfangs schienen. Es ist nur ein kurzes Gastspiel und die immer hektischer werdenden Schritte erzeugen ein Bild von Ungewissheit und Unbehagen.
Ähnlich ungewiss einlässt mich "The Unided Colors Of Trouble Books" kurz darauf, auch wenn die letzten Zeilen merkwürdig hoffnungsvoll klingen: „I can't explain why, but it feels like heaven to me. I can't explain why, but I wake up happy.“ Vielleicht ist es genau das, was über das unkonkrete Wabern und die Vielzahl der eingesetzten Elemente transportiert wurde und am Ende zurückbleibt: das Unerklärliche in seiner dramaturgischen Dichte. Aber eben nicht im verstörenden, beängstigenden Sinne, sondern ganz im Gegenteil: „I can't explain why, but I wake up happy.“ Schön gesagt.
foto: bergen
"the united colors of trouble books"
own records, 2009 cd
trouble books
Selig [Und Endlich Unendlich]
Für einen kurzen Augenblick waren sie Mitte der 1990er Jahre der Nabel des deutschsprachigen Alternativrocks. Nun melden sich Selig nach zwölf Jahren Abstinenz unerwartet mit einem Comeback-Album zurück.
Erinnern Sie sich noch an die Anfänge des deutschsprachigen Alternativrocks? - Hier eine kleine Geschichtsstunde: Wir schreiben das Jahr 1994. Nirvana mischen die Rockwelt ordentlich auf und das erste Mal reagieren internationale Modelabel punktgenau auf den Zeitgeist, um mit bunt karierten Baumwollhemden und zerschlissenen Jeanshosen den musikalischen Hype optisch zu untermauern. Der Seattle-Sound hält Einzug in deutsche Eiche-Rustikal-Wohnzimmer und kündigt den bald darauf folgenden Boom des Indie-Slackertums an, dass dann Protagonisten wie Die Sterne und Blumfeld pflegen werden. Gleichzeitig erliegt der hiesig Popmarkt einer kurzen Phase der Irritation, zumal im Grunge-Gegenprogramm hektische Techno-Mucke läuft, die heute verschämt unter dem Begriff Eurodance bekannt ist und seinerzeit von „Dancefloor-Acts“ wie DJ Bobo, 2Unlimited und Culture Beat stolz angeführt wurde. Daneben gibt es dann natürlich noch etablierte Pop-Helden wie die Toten Hosen, Westernhagen und natürlich Die Ärzte. Was der Indie-Gymnasiast zu jener Zeit jedoch schmerzhaft vermisst, ist das deutschsprachige Pendant zu Kurt Cobain und Kollegen - bis schließlich Selig um die Ecke kommen und diese Lücke über Nacht schließen.
Selig versprühen nicht nur auf den ersten Blick absoluten Anti-Schwiegersohn-Charme. Mit einer Ästhetik aus damals aktuellem Grunge, Siebzigerrock, permanenter Lungenentzündung, Psychedelic, einem Hauch RAF und enorm viel Pathos, setzen sie laut und grell auf Avantgarde und schlagen damit ordentlich über die Stränge. Aber genau jene explosive Mischung ist es, die für einen kurzen Moment die deutschsprachige Popwelt in Atem hält und den Puls der Zeit vorgibt. Mit dem charismatischen Jan Plewka schien nun endlich auch ein Sänger gefunden, der nicht nur wie selbstverständlich deutschsprachige Texte verfasste, sondern diese auch ohne jeglichen Ansatz von Peinlichkeit und frei von Ironie intonierte. Das schlägt natürlich ein wie eine Bombe. Wenn Ich Wollte, Sie Hat Geschrien und natürlich Ohne Dich sorgen für den richtigen Soundtrack im Sommer `94. Nur ein Jahr später veröffentlichen Selig ihren zweiten Langspieler "Hier". Textlich driftet Plewka noch mehr in esoterische Marihuanalyrics ab, während Christian Neander versucht, seiner Gitarre immer noch dunklere und härtere Riffs zu entlocken. Es folgen die erste ausverkaufte Headliner-Hallentour, zahlreiche Festival-Auftritte, Interviewtermine am laufenden Band und insgesamt 14 Videodrehs. Nach nur drei Jahren ist die Band am Zenith seiner künstlerischen Schaffenskraft angelangt - und auch am Ende seiner Kräfte. Das Arbeitspensum ist so enorm, dass der grelle Rockzirkus Selig daran langsam aber sicher zu zerbrechen droht.
(Jan Plewka, resümierend über sein Leben als 90er-Jahre Rockstar)
Im Winter '96 spielen Selig den Soundtrack zum Til Schweiger-Film "Knockin' on Heaven's Door" ein. Für die rein instrumentalen Score-Tracks verwendet die Band allerdings das Pseudonym Digital Elvis & Zero. Warum weiß niemand so genau. Um Abstand von sich selbst zu gewinnen, begibt die Band sich im darauf folgenden Sommer nach New York, um dort das dritte Album "Blender" aufzunehmen. Erstmals wagt man elektronische Klangexperimente und tüftelt länger an den Sounds als bisher. Mit Erfolg. Im Vergleich zu den beiden Frühwerken klingt "Blender" selbst heute noch zeitgemäß produziert. Doch die Spannungen innerhalb der Band nehmen immer größere Dimensionen an. Besonders zwischen Plewka und Neander kracht es nun regelmäßig. Ende des Jahres verlässt Plewka schließlich samt Frau und Kind das Land gen Schweden und mit seiner Flucht wird auch das Ende der Band eingeleitet. Ein Großteil der Selig-Jünger zwängt sich fortan in viel zu enge Trainingsjacken und lässt sich Scheitelfrisuren wachsen, um ab sofort den Klängen der Hamburger Schule zu lauschen. Allen voran: Tocotronic.
Die Ex-Mitglieder von Selig hingegen versuchen nun ihre Solo-Karrieren anzutreiben, was mal mehr, mal weniger erfolgreich gelingt: Gitarrist Neander schreibt unter anderem die Boybands Echt und Cinema Bizarre in die Charts, während seine eigene Band KungFu nicht wirklich was reißen kann. Jan Plewka steht und fällt mit seiner rauchigen Ausnahmestimme. Während sein janusköpfiges Soloalbum "Zuhause, Da War Ich Schon" (2002) großartige Songs abwirft, schießen seine Bandversuche "TempEau" (2006) und "Zinoba" (2005) populärgeschmackstechnisch komplett am Ziel vorbei.
Und nun, zwölf Jahre nach "Blender", entsteigen Selig urplötzlich wie Phoenix der Asche und veröffentlichen mit "Und Endlich Unendlich" ihr viertes Studiowerk, das nahtlos an seine Vorgänger anknüpft. Ob der Band damit eine musikalische Renaissance gelingt, ist fraglich, denn herausgekommen ist ein Anachronismus an Platte, welche komplett am Zeitgeist vorbei rockt. Funktionieren könnte das Ganze trotzdem. Dafür sorgen die kompositorische Weiterentwicklung, die neuerliche Melodieverliebtheit und nicht zuletzt die Refrainfixierung, die bei früheren Selig-Aufnahmen immer ein wenig vernachlässigt wurde. Die erste Vorab-Single „Schau Schau“ ist ein wahrer Bastard an Song, ein Ohrwurm, der einem den ganzen Tag über verfolgt, hört man ihn im Frühstücksradio. An ihr kann sich das Album erhobenen Hauptes messen lassen, denn viel schwächer klingen die restlichen Songs auf "Und Endlich Unendlich" auch nicht. Da war er wieder, der Pathos.
foto: universal
"und endlich unendlich"
vertigo / universal, 2009 cd, cd+dvd
selig
Damon Lindelof, J. J. Abrams, Jeffrey Lieber [Lost]
Die Wahrheit ist nirgendwo da draußen.
Als popkulturell gebildeter Mensch sollte man einen Oceanic Airlines Flug stets dankend ablehnen, denn seit 1996 verhieß dies nie etwas gutes. Doch dieser eine spezielle Flug sticht in der Geschichte der Fluggesellschaft ganz besonders hervor.
(mega lotto jackpot gewinnzahlen)Bereits als der Absturz des Oceanic Airlines Passagierflugzeug auf dem Flug 815 von Sydney nach Los Angeles am 22. September 2004 das erste Mal gezeigt wurde, war nichts mehr in Ordnung. Weder für die 48 Überlebenden des Fluges, noch für uns Zuschauer.
Noch bevor die unter Schock stehenden Überlebenden die letzten notdürftigen erste Hilfe Maßnahmen durchgeführt haben und sich das kleine Stück Strand erschließen können, auf welches sie aus heiterem Himmel mit dem Vorderteil der Maschine gestürzt sind, ereignen sich mysteriöse Geschehnisse die dazu beitragen, dass das allgemeine Konzept von Wirklichkeit unliebsam überstrapziert wird.
Die episodische, durch Rückblenden durchzogene Form der Serie erlaubt es immer mehr Teile in das seltsame Puzzle Lost einzufügen und genau hier beginnt das Verwirrspiel mit unseren eignen Erwartungen. Ganz wie die zahlreichen Seriencharaktere begeben wir uns ständig auf die Suche nach der Wahrheit und reflektieren dabei in den wenigsten Fällen, welche Probleme wir uns damit einhandelt.
In einem weit verbreiteten und dem Common sense entliehenen Ansatz, betrachten wir Wahrheit im Sinne der Korrespondenztheorie: wir vergleichen, einfach ausgedrückt, unsere Gedanken Vorstellungen, Annahmen oder Theorien mit der Wirklichkeit; sind Gedanken und Wirklichkeit deckungsgleich, sprechen wir davon, dass diese wahr sind. Stimmen sie nicht überein, sind sie eben nicht wahr. Um nicht in metaphysische Verlegenheit zu geraten, lassen wir das Problem, wie diese Übereinstimmung aussehen soll, etwa ob die "Form" der Wirklichkeit mit der "Form" unserer Gedanken korrespondieren soll, beiseite. Es ergibt sich jedoch noch eine weitere, nicht zu vernachlässigende Problematik: gibt es tatsächlich eine feststehende Welt der Wirklichkeit, die unabhängig von der Welt unserer Erfahrung existiert und mit der wir unsere Eindrücke vergleichen können? Ohne dies beantworten zu müssen können wir annehmen, dass, sollte eine solche Welt existieren, wir auch diese durch die selbe Brille betrachten würden, deren Gläser durch unsere individuellen und kulturellen Erfahrungen geschliffen wurden. Kurz: was wir als wahr annehmen hängt stets von unserer Perspektive ab und es scheint keine einzunehmende Position außerhalb unserer Überzeugungen zu geben, von der aus wir die Möglichkeit haben eine Übereinstimmung überprüfen zu können. Vielleicht sind wir gerade deshalb stets versucht alles uns nur mögliche zu unternehmen, um Widersprüche in die Kohärenz unserer Wahrheitskonzeption zu integrieren.
Gerade vor diesem Hintergrund scheint Lost das erkenntnistheoretische Dilemma exemplarisch zu beleuchten: Betrachten wir zunächst Jack Shepard, von dem wir als Zuschauer – gleichwohl wie von den anderen Charakteren - mit großer Wahrscheinlichkeit weitaus weniger wissen als wir annehmen. Er vertraut offensichtlich auf ein rationelles, naturwissenschaftliches Konzept von Wahrheit, was vielleicht kaum verwunderlich ist, wissen wir doch, dass er Mediziner ist. Immer wieder ist Jack darin bestrebt, alle auftauchenden Ereignisse und Ungereimtheiten mit naturwissenschaftlichen Methoden und logischen Schlüssen zu erklären und sieht sich dazu genötigt, seine Überzeugungen vor einem Zusammenbruch aufgrund unvereinbarer Widersprüche – wie dem leeren Sarg seines Vaters auf der Insel – zu schützen.; etwa mittels Verdrängung. John Lock hingegen, als eine Shepard entgegengesetzt stehende Hauptfigur der Serie, vertritt eine weitaus spirituellere Wahrheitskonzeption, doch auch mittels dieser gelingt es ihm nie ganz die bizarren Ereignisse kohärent erfassen zu können. Immer wieder finden wir ihn zerrissen und verzweifelt, wenn er über eine lange Zeit hinweg fest daran glaubte, "die Insel" endlich verstanden zu haben und dann doch mit Widersprüchen konfrontiert wird.
Dennoch sind diese, hier exemplarisch aufgegriffen Figuren nicht auf jeweils eine Perspektive fixiert. Lost entwickelt seine Charaktere in Schüben zu runden, sehr komplexen Figuren, die nicht nur immer wieder in der Lage sind ihre Leidensgenossen, sondern auch uns als Zuschauer zu überraschen. Als ein gutes Beispiel lassen sich hier neben Jack und Lock sicherlich Charlie Pace, Locks Protegé, der zwischen der Rolle des hedonistischen Rockstars und der aufopferungsvollen Familienfigur hin und her wechselt, oder der charismatische Weltenbummler Desmond David Hume und seiner an Alan Moores Figur des Dr. Manhattan erinnernden simultanen Wahrnehmung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufführen. (Eine ausführliche Betrachtung der philosphischen Namensverweise leistete die Spex bereits in der Ausgabe 314.)
Die persönliche und uns oft gar nicht so bewusste Haltung gegenüber dessen was wir als Wahrheit akzeptieren, spielt bei der Partizipation eine nicht zu unterschätzende Rolle. Je nach Sichtweise – und in deren Verankerung spielen vermutlich unzählige gesellschaftliche, psychologische, kulturelle und andere Aspekte eine Rolle – gehen die einzelnen Charaktere unterschiedlich mit den undurchsichtigen Ereignissen um. Und immer wieder spielt Lost auch mit der Beziehung zwischen dem Zuschauer und eben diesen Charakteren und jenen Ereignissen auf der Insel im Nirgendwo des Pazifik; nur wenn wir uns unsere eigenen Konzeptionen deutlich machen, können wir uns davor schützen nicht selbst in die Falle unserer eigenen Erwartungen zu tappen. Denn durch die Struktur der Serie wähnen wir uns zusehens in Gewissheit bezüglich verschiedenster Vorkommnisse, investierten immer wieder Gedanken und Schlüsse die für uns schlichtweg wahr sind, jedoch nur so lange, bis wir (wiedereinmal) einsehen müssen, dass sie nur unter einem bestimmten Blickwinkel als wahr aufzufassen sind. Ändert sich die Perspektive, so ändert sich die Zuschreibung. Auf diese Weise scheinen wir selbst von der Insel gefangen zu sein.
Durch diese Komplexität entfaltet sich eine polyphone Erzählstruktur in der keine Position die Oberhand gewinnt, sondern als sich widersprechende Perspektiven gleichberechtigt existieren. Die mysteriöse Zahlenreihe ist ein gutes Beispiel hierfür. Ich plädiere dafür zu sagen, dass eben dieser Widerstreit einen großen Teil der Wirkung der Serie ausmacht. Da keine auktoriale Position zu beziehen ist, befindet man sich beim Betrachten im gleichen Dilemma wie in der eingangs erwähnten Korrespondenztheorie; es gibt auch hier keine einzunehmende Position außerhalb unserer auf die Serie bezogenen Überzeugungen, von welcher aus wir die Möglichkeit hätten, etwaige Übereinstimmungen überprüfen zu können. Erst mit einer solchen Perspektive ließe sich das Bestreben von Jack oder Lock (oder uns) als ironisches Verkennen der Wahrheit entlarven. Denn schließlich entzieht die Polyphonie dem Konzept der Ironie schlichtweg den Boden. Und genau hier ergibt sich auch die Fehlerhaftigkeit der Puzzle-Analogie: bei einem Puzzle weiß man immer, dass am Ende alle Teile in einem zwar unbekannten, aber dennoch bestimmten Bild münden werden. Im Konzept der Polyphonie hingegen ist es bereits fraglich, ob sich die einzelnen Teile überhaupt miteinander verbinden lassen.
Doch hierin könnte letztlich das Dilemma der Serie selbst liegen, dass diese nämlich nur im Status nascendi, im Moment des Entstehens, der Gegenwärtigkeit funktionieren kann. Mit einer am Ende alles erklärenden, geschlossenen Erzählung würde dies polyphone Struktur aufgelöst – in beiderlei Sinne des Wortes - und auf eine simplifizierende Eindeutigkeit reduziert werden. Auf der anderen Seite lesen sich zahllose Beiträge in Blogs dahingehend, dass nichts anderes als eine eindeutige Auflösung am Ende der sechsten Staffel in Frage kommen darf.
foto: buena vista
damon lindelof, j. j. abrams, jeffrey lieber
"lost"
2004-2010
Bergen [Gegenteil von Stadt]
Sven Regeners Kinder im Geiste bitten zum Tanz: eine wundervolle Dame und sechs junge Herren spielen rumpelig-warmen Folkpop mit knarzenden Gitarren und launigen Trompeten.
"mal’ mir auf ein blatt mit grauschwarzen kästchen das gegenteil von stadt."
(gegenteil von stadt)Mit diesen fast schüchtern anmutenden Worten eröffnet Mario Cetti, Sänger und Kopf des Dresdner Künstlerkollektivs bergen, das erste Stück auf "Gegenteil von Stadt" - und schon befindet man sich inmitten jenes sonderbaren Kosmoses, dessen unendliche Weiten aus Akkordeon, Trompete und Melodika bestehen. Unweigerlich wie unbewusst beginnt der Rezensent bei den ersten Zeilen darüber zu sinnieren, was man Cettis Mal-Aufforderung nun alles entgegensetzen könnte. Gegenteil von Stadt? Hm. Wiesen und Wälder? Ruhe und Ödnis? Und wie soll vor allem letzteres visualisiert werden? Überhaupt: Sonderbar. Mit diesem kleinen Wort lässt sich das Debütalbum von bergen kurz und bündig beschreiben. In einer Zeit, in der mitunter der Eindruck entsteht, dass die Nennung des Produzentennamens bei einer CD-Produktion bald wichtiger ist, als die Nennung des Künstlers, besinnen sich bergen auf naiven, nostalgisch-harmonieseligen, ja fast schon konservativen Folkpop und wissen dabei schrullige Geschichten zu erzählen, wie sie nur das Leben schreiben kann.
Herrlich rumpelnde Folkpop-Perlen im Viervierteltakt
"Gegenteil von Stadt" klingt in seiner Gesamtheit weich und warmherzig, streichelt der gescholtenen Seele immer an den richtigen Stellen durchs lange Haupthaar ohne auch nur den Hauch einer Gegenleistung zu erwarten. Mit anderen Worten, "Gegenteil von Stadt" ist ein von vorne bis hinten liebevoll und feinsinnig arrangiertes Songwriteralbum mit klaren, transparenten Songstrukturen, wie man sie sonst nur von skandinavischen Bands wie Ai Phoenix oder The Concretes kennt. Der herrlich rumpelnde Klangteppich, bestehend aus Gitarre, Schlagzeug, Trompete, Melodika und/oder Akkordeon, trägt den stoischen Flüstergesang Cettis und verbreitet sympathischen Dilettantismus: Leicht schiefe Klaviernoten hier und da sowie Sven Regener-artige Trompeteneinlagen sorgen für den nötigen Charme und Flair. Apropos Sven Regener: Ich wage zu behaupten, wären Element of Crime 20 Jahre jünger, sie würden klingen wie bergen – ungestüm, rumpelnd und kompromisslos romantisch.
Leicht sonderbar scheint auch die siebenköpfige Formation selbst zu sein. Denn entgegen der ersten Vermutung haben sich bergen nicht nach der verregneten norwegischen Künstlermetropole benannt, die u.a. Musiker wie Erlend Øye und seine Kings of Convenience hervorgebracht hat, sondern – man höre und staune - nach einem Ort im oberbayerischen Chiemgau! Die Frage nach dem Warum kann hier wahrscheinlich nur die Band alleine beantworten. Sonderbar ist auch die Tatsache, dass dieses Debütalbum um ein Haar nie erschienen wäre. Denn die Mitglieder sind allesamt Teil des emsig sächsischen Musiker- und Kreativenkollektivs Kumpels and Friends und spielen gleichzeitig in bemerkenswerten Dresdner Bands wie The Gentle Lurch oder Garda, welche im Herbst vergangenen Jahres ihr fantastisches Debüt gaben. Und da in jeder dieser Bands geprobt, aufgenommen, gemischt und getourt werden wollte, musste "Gegenteil von Stadt" erst mal hinten anstehen. Glücklicherweise haben Songs dieses Karats kein Haltbarkeitsdatum! Entstanden ist das Debütalbum dann – wie auch die Alben der beiden Schwestern-Bands – ohne Zeitnot, von den Musikern selbst aufgenommen im gemeinschaftlichen Übungsraum in Dresden. Nur zum Mischen und Mastern gab man das Album schließlich in professionelle Hände.
"Gegenteil von Stadt" ist kein Fast-Food-Alben, das man mal eben "so nebenbei" hören und begreifen kann. Man muss sich darauf einlassen können und sich die erforderliche Zeit nehmen, um in die unterschwelligen Songs hineinzufinden, um die abstrakte Privatsprache Cettis entschlüsseln zu können. Zeit, die man aber dringend investieren sollte, denn es gibt viel zu entdecken in diesem kleinen Folkpop-Kosmos, inmitten von traurigen Frauen in Bädern und Kinder bringenden Störchen der Kleinstadt. Mit Verlaub, ich bin begeistert!
foto: bergen
"gegenteil von stadt"
k+f records, 2009
bergen
Old Splendifolia [...Swaying Boldly Afar...]
Wenn ein deutsches Musikprojekt unter einem japanischen Label in Asien ihr Debutwerk veröffentlicht erweckt das Aufsehen. Jetzt ist das fragil schöne Werk von Old Splendifolia auch in Europa veröffentlicht und verlangt nach gewittrigen Sommernächten.
"pleased to meet you, pleased to meet you too."
(dela cameo)Old Splendifolia, das alte Prachtblatt, das sind Jana Plewa von Kats Kosm und Frank Schültge Blumm, der bisher als F.S. Blumm musikalisch umherstreifte. Sie fanden zusammen als Herr Blumm Worte und eine Stimme für seine bisher instrumentalen Stücke suchte. Er hörte Kats Kosm und mochte was er da hörte. So machte er sich auf die Suche und fand schließlich Jana Plewa und die beiden begannen aus ihren bereits eigenwilligen musikalischen Handschriften eine neue zu formen, die nicht weniger eigenwillig klingt. Und die sich gut auf ein altes Prachtblatt schreiben lässt.
Nach dem Abschleifen einiger Ecken und dem Hinzufügen von neuen, entstand ihr Erstlingswerk „...Swaying Boldly Afar...“. 15 Fragmente, die 41 Minuten um einen herumspielen und die gar nicht recht auseinander zu halten sind. Nicht weil sie alle so gleich klingen, sondern weil sie alle verwoben sind und sich erst nach mehrfachem Hören auch zu eigenständigen Songs entwickeln. Das Verwobene bleibt trotzdem. Und das soll es auch. Die Idee hinter dem Album sei auch, so Jana Plewka, dass es wie eine kleine Reise ist. Von einem Ort zum anderen, von einer Geschichte zu einer anderen. Und am Ende erhascht man vielleicht einen kleinen Einblick in eine schöne Welt, die aber auch nicht frei von Problemen ist. Und das nicht nur textlich, sondern auch musikalisch. Im Vordergrund meist die Gitarre, aber daneben noch zahlreiche andere Klangspiele.
So stehen die Liedgedichte da. Zerbrechlich warm, auch stark, eindringlich und süß, und mit einer in sich rhythmischen Ruhe, die einem die Vorstellung in den Kopf brennt, bei einem Sommergewitter nachts bei geöffnetem Fenster da zu liegen und das Prachtblatt in den Gehörgang flüstern zu lassen. Oder zu anderen besonderen Gelegenheiten, wo nur die Musik und die Ruhe anwesend sind. Und man selbst.
Ein zweites Album ist bereits in Arbeit und erscheint vielleicht noch dieses Jahr. Man darf darauf gespannt sein. Aber erstmal sollte man sich vielleicht das nächste Konzert im "Schokoladen" in Berlin am 26. März ansehen. Und natürlich die CD hören.
Für die Leser, die musikalische Vergleiche zur Einordnung mögen: CocoRosie, aber in akustisch und ohne soviel elektronischen Krach, Psapp und auch ein wenig wie Emiliana Torrini.
foto:
"...swaying boldly afar..."
plop records, 2009
old splendifolia
Shaun Tan [Ein Neues Land]
Fünf Wörter braucht es um eine epochale Geschichte zu erzählen, welche als ein universelles Idealbild eines Miteinanders in einer globalisierten Welt gelten könnte. Der australische Illustrator Shaun Tan weiß, wie man solche Geschichten erzählt.
(shaun tan)Am unliebsamsten sind mir meistens die Comics mit der Unterzeile "Ohne Worte!" Hier ist Pragmatismus gefordert, welcher mit den Bildern einhergeht. Meistens prangt dieses selbsterklärende Hinweisschildchen auf Panels in Lokalzeitungen, welche lediglich ein kurzes Lächeln erzeugen sollen. "Klar", denkt man sich, "diesen Witz habe ich verstanden"! Ohne Spruchbläschen und Gehirn geht es dann weiter zur nächsten Seite. Doch dass das Attribut "Ohne Worte!" für weit mehr stehen kann als für ein lapidares Bilderrätsel, beweist der Illustrator Shaun Tan, der mit seiner Graphic Novel "Ein Neues Land" (Original: "The Arrival"), eine surreale Flüchtlingsgeschichte nacherzählt, welche mit einem Minimum an Text auskommt und trotzdem alles zu sagen vermag.
Im Grunde genommen lassen sich die Wörter, die Tan für seine großformatige Graphic Novel benutzt, an einer Hand abzählen. Sie befinden sich direkt am Anfang, noch bevor man in die Geschichte hineingezogen wird. Zwei für seinen Namen und drei für den Titel. Macht insgesamt fünf Wörter, die eine Story von epischen Ausmaßen erzählen. Nicht ganz so pragmatisch verfährt er, wenn es um die zahlreichen, oft gemäldeartigen Illustrationen in dem 128-seitigen Hardcover geht. Insgesamt vier Jahre soll der in Melbourne lebende Illustrator an den einzelnen Skizzen, Figuren und Panels gesessen haben. In diesen vier Jahren hat sich Tan nicht nur Inspiration bei seinem Vater geholt, der ebenso als Emigrant nach Australien gekommen ist, sondern er hat auch ein Auge auf die großen Flüchtlingserzählungen "The Immigrants" (von Wendy Lowenstein und Morag Loh) und "Tales from a Suitcase" (von Will Davies und Andrea Dal Bosco) geworfen, die nicht nur exemplarisch für Abschied und Neuanfang stehen, sondern auch Episoden aus dem Leben eines jeden Emigranten einfangen. Da wären die Fremdheitserfahrungen, die sich in Sprache, Kultur, Kleidung und Architektur der "neuen Welt" manifestieren. Und außerdem die wandelbaren kulturellen Identitäten, die sich durch den Umstand der Emigration aus den geprägten Strukturen lösen.Ein Blick ins Familienalbum
Ähnlich symbolisch verfährt Tan, der mit "Ein Neues Land" ein verwandtes Szenario einfängt. Der Protagonist, ein junger Vater mit europäischen Wurzeln, verlässt Haus und Hof, um ein besseres Leben für sich und seine Familie in einem fernen Land zu ermöglichen. Mit dem Versprechen, am anderen Ende des Ozeans nach einem festen Job und einem sicheren zuhause für seine Familie zu suchen, betritt er ein Schiff, das ihn in eine fremde Metropole führt, die in jeglicher Hinsicht als eigenartig einzustufen ist. Als Einwanderer registriert, betritt er den fremden Boden, der in naher Zukunft seine Heimat werden wird. Er sieht surreale Bauten, die sich wie amorphe Monumente in der ganzen Stadt wiederfinden. Er erblickt Luftschiffe, fliegende Ballon-Taxen, Dampfmaschinen und Zeitungsjungen, die das aktuelle Tagesgeschehen in Runenform verkaufen. Mit Unsicherheit versucht er sich in den Straßen der Stadt nach einer Bleibe zu erkundigen und stolpert über die Unverständlichkeit der fremden Sprache. Mit sicherer Hand erklärt er seinen Gesprächspartnern sein Anliegen und findet schnell eine Familie, die ihn aufnimmt und schließlich auch einen Job, der ihn zu eigenem Vermögen kommen lässt. In der Zwischenzeit hat er bereits einen Begleiter in Form eines ihm fremden Tieres gefunden, welches nicht mehr von seiner Seite zu weichen scheint. Doch eines lässt ihn weiterhin verzweifeln: seine Familie ist immer noch weit entfernt. Ihm fehlt Frau und Kind, die er so schnell wie möglich wiedersehen möchte.
Doch das Wiedersehen wird noch auf sich warten lassen müssen. Ein zentraler Topos in "Ein Neues Land" ist die Ankunft des Protagonisten im Hafen der fremden Stadt. Dicht gedrängt steht dieser mit vielen anderen auf dem Bug des Schiffes und späht in die Ferne. Die erste Kunde vom Festland bringen zahlreiche Vögel, die das Schiff überfliegen und sofort drängen sich die Reisenden an die Reling, um den Hafen als Erste/r einsehen zu können. In der Ferne erblicken sie zwei monumentale Statuen, die sich einander die Hände reichen - ein symbolhafter Gestus, der nicht nur zur Begrüßung der Neuankömmlinge dient, sondern vor allem ein moralisches Wertebild aufrechterhalten möchte. Viele der nachfolgenden Panels - das einfahrende Schiff im Hafen, die Wartehalle, die Registrierung - basieren auf Originalfotos aus der Sammlung des Ellis Island Immigration Museums, dass, im Hafen vor New York, im 18. und 19. Jahrhundert der Hauptanlaufpunkt für Flüchtlingsschiffe aus Europa und Afrika war.
Home Sweet Home
Tan ist ein Meister des allegorischen Erzählens. Wie ein universelles Sinnbild für die Fremdheitserfahrungen eines jeden Auswanderers wirkt "Ein Neues Land" wie eine Postkarte oder ein Schnappschuss aus einer anderen Welt, mit der man am Anfang nichts anzufangen weiß. Auf dem Vorsatz prangen viele namenlose Portraits von Menschen, die das gleiche Schicksal mit dem Protagonisten zu teilen scheinen. Aufbruchsstimmung und Ungewissheit umfängt die Mienen der vielen Namenlosen. Ehe man sich versieht beginnt man den Portraits eine eigene Biografie zuzuordnen und aufgrund von Kleidung und Erscheinung Rückschlüsse auf die Personen zu ziehen. Doch weit gefehlt: durch das langsame Enthüllen der fremden Eigenarten wird der Leser mit dem Protagonisten auf eine Stufe gestellt. Das Selbst und das Andere scheinen zu verschmelzen und schlagen somit eine Brücke zu der eigenen Fremdheit, die nicht nur negativ konnotiert ist, sondern zum subjektiven Empfinden des Selbst dazu gehört.
Der Protagonist, der nach einem zuhause für seine Familie sucht, findet sich genauso wenig in der unbekannten Welt zurecht wie der Leser, dem die surrealen Straßenzüge der namenlosen Stadt ebenso vor den Kopf stoßen wie den Charakteren. Alles muss man zweimal anstarren, bevor man hinter dessen wahre Bedeutung gelangt. Jenes schafft Verständnis und Akzeptanz und lässt zuletzt die Fremdheit zu einem Miteinander werden. Man entdeckt Eigenheiten, die sich wie vertraute interkulturelle Muster von der einen in die andere Welt übertragen lassen. Und außerdem menschliche Wesenszüge, die auch ohne Worte sagen, dass man stets willkommen ist.
fotos: shauntan.net, carlsen
shaun tan
"ein neues land"
(the arrival)
carlsen 2008
shaun tan
shaun tans neuestes projekt
ClickClickDecker [Den Umständen Entsprechend]
Melancholischer Befindlichkeits-Indie-Pop, der es sich irgendwo zwischen Kettcar und Tomte gemütlich gemacht hat – leider kommt das Ganze fünf Jahre zu spät.
Es gibt Alben, die sind so belanglos und schlecht, dass man sie bei Veröffentlichung am liebsten überhören und an einem vorüber ziehen lassen möchte, dies aber Dank medialer Überpräsenz nicht kann. Dann gibt es solche, in die man sich auf Anhieb verliebt und die man vor Verzückung rauf und runter hört, egal ob medial überpräsent oder nicht. Alben, die mit jedem weiteren hören wachsen und dem Hörer enormen Spaß bereiten. Irgendwo dazwischen gibt es dann noch dieses kleine Sammelbecken an Alben, die man im ersten Moment nicht wirklich zuordnen kann und die einen erst mal irritiert zurücklassen. "Den Umständen Entsprechend" von ClickClickDecker ist eine davon.
Erst die gute Nachricht: Der gebürtige Berliner und seit geraumer Zeit Wahl-Hamburger Kevin Hamann alias ClickClickDecker ist in seiner musikalischen Schaffenskraft mindestens so produktiv wie schizophren. Während er vor kurzem noch gemeinsam mit Norman Kolodziej (besser bekannt als Der Tante Renate) ravige Electro-Clubhits unter dem holprigen Pseudonym Bratze abfeuerte und damit auf den hiesigen Dancefloors für ordentlich Furore sorgte, heult er sich nun wieder als ClickClickDecker mit deutscher Befindlichkeitsprosa aus, wie man sie seit Jahren aus Hamburg und Berlin kennt. Dagegen ist an und für sich auch nichts einzuwenden, nur: "Den Umständen Entsprechend" klingt – und man muss es an dieser Stelle leider deutlich sagen – stilistisch in seiner Gesamtheit wie ein mittelmäßiger Abklatsch der bisherigen Kettcar-Alben, von denen das letzte aber bekanntermaßen auch nicht mehr sonderlich zu überzeugen wusste. Die wiebusch’eske Darbietung Hamanns berührt den Hörer zwar streckenweise inhaltlich wie musikalisch, beeindruckt ihn jedoch zu keiner Zeit. Zu sehr lässt die Produktion Originalität vermissen und zu satt hat man sich an derlei Akkordfolgen in den vergangenen Jahren einfach gehört, als dass sich beim Hören auch nur ein winziges Aha!-Erlebnis einstellen könnte.
„Weggehen bedeutet nicht unbedingt irgendwo anders dann anzukommen…“
(Kevin Hamann alias ClickClickDecker)
Wie schon die beiden Vorgänger, hat Hamann auch sein drittes Album komplett auf seinem Laptop im heimischen Schlafzimmer (=O-Ton Presseinformationsblatt; Warum eigentlich nicht im Wohnzimmer? Weil Hamann in einer Ein-Zimmer-Wohnung lebt?) (vor-) produziert. Unzufrieden mit dem eigenen Werk (schließlich will man sich ja weiterentwickeln) fasste er aber kurzerhand den Entschluss, sich ins Tonstudio von Station 17 zu begeben, um mit echten Instrumenten und einer Hand voll Gastmusikern (u.a. Tobias Bade und Torben Leske von The Sea) das Album Spur für Spur organisch neu einzuspielen. Ganz auf sein elektronisches Gefrickel konnte Hamann dann aber doch nicht verzichten. So sorgen der ein oder andere Loop und die knisternden Laptop-Beats, die sich im Hintergrund sanft mit echten Drums vermischen, dann doch noch für den gewissen Electro-Flair in der Produktion. Musikalisch dominiert wird das Album aber von Hamanns (bewusst?) schiefem Gesang und der guten alten Akustikgitarre, die in fast jedem Stück ein kleines Stelldichein gibt. Vom Ansatz her ist das auch alles ganz toll und wunderbar, nur bedauerlicherweise fehlen der Scheibe gänzlich die alles entscheidenden Hook-Lines, wie man sie beim Original – also den Kettcar- und Tomte-Aufnahmen – an jeder Ecke findet. Dafür wird der Wohlfühlfaktor ganz groß geschrieben, sofern man sich als Hörer auf das Gesamtwerk einlässt und die Scheibe von vorne bis hinten am Stück durchhört. Aber ist letzten Endes nicht gar das gute Gefühl wichtiger, als die Tatsache, ein halbes Dutzend Smash-Hits auf ein und demselben Langspieler versammelt zu haben? Manchmal vielleicht schon.
Kann ich dieses Album nun also uneingeschränkt anpreisen? Nein, denn für Befindlichkeitsprosa fühlt sich der Rezensent mittlerweile ein kleinwenig zu alt. Aber wer die letzte deutsche Indie-Welle vor gut fünf Jahren verpasst hat (aus welchen Gründen auch immer) oder vom typischen Kettcar-Sound gar nicht genug bekommen kann, dem sei diese Platte hiermit wärmstens empfohlen.
foto: torben iversen
clickclickdecker
"den umständen entsprechend"
audiolith 2009 cd
clickclickdecker
Situation Leclerq [Glåxø]
Mit ihrem späten Debutalbum "Glåxø" liefern Situation Leclerq endlich den Beweis dafür, dass die Jahre, die seit der Bandgründung 2003 verstrichen, nicht vergeudet waren. Heraus kommt eine kleine in Pappe eingepackte Platte für die Disko.
"you better stand, you better talk, you better move when the sun keeps shining."
(freaks)Die meiste Musik ist "nur" Musik für ganz bestimmte Momente. Das ist auch gut so - zu Uzi & Ari fährt man durch die Nacht, bei Kimya Dawson summt man mit und zu den Fotos stimmt man sich auf den Abend ein. Situation Leclerq sind auch nur für ganz bestimmte Situationen da, der Name spricht hier also für sich. Leider beschränken sich diese Situationen auf die wenigen Minuten oder Stunden, die man vor oder besser gemeinsam mit der Band auf der Bühne verbringt. Situation Leclerq bedeuten Gehüpfe - und entgegen des ersten Eindrucks auf sehr hohem Niveau.
Von The Rapture über Hot Chip bis hin zu Whitest Boy Alive, The Notwist und The Postal Service lässt sich alles wiedererkennen. Situation Leclerq ordnen sich selbst irgendwo zwischen Indie, Electronica und New Wave ein. Die Vergangenheit als Emo- und Indie-Band "Byron" ist zwar kaum noch zu spüren, aber ein kleiner Rest ist geblieben; schließlich wollte die ursprüngliche Besetzung nicht ganz von vorn anfangen, sondern lediglich ein paar Käfige sprengen, die die Emomusik so mit sich brachte. Das haben sie geschafft. Glåxø ist ein gelungenes Musikexperiment, möglichst viele Stile, Zitate und Synthezier zu mischen. Jetzt dominieren schmatzende Akkorde, pfeifende Töne, springende Beats und vibrierende Bässe. Sie reisen mit dem Tanzenden durch die 80er und die 90er bis heute. Situation Leclerq sind zeit- und grenzenlos.
Live blühen die vier jungen Männer (Shaun Hermel, Nils Nordmann, Robert Witoschek und Sascha Cammarota) zu den Stars der deutschen Indieszene auf, mit ihrer Hilfe knattern und wackeln ganze Wände, die Massen schreien, hüpfen, drehen sich, und das am besten neben den teuersten Boxen. Da wird es garantiert nicht langweilig. Die Band trat nicht umsonst mit Gruppen wie Zoot Woman, 2raumwohnung, Tocotronic, MIA, Ratatat, Seachange und Whitest Boy Alive auf, zur Zeit geht es durch ganz Deutschland bis nach Luxemburg. Kein Wunder, dass Songs wie "Shiny Boots" jedem Clubbesucher schon einmal im Ohr hingen. Nur schade, dass tanzbare Musik tiefgründigere Lyrics gleich auszuschließen scheint, denn Situation Leclerq geben auf Myspace selbst zu, dass die Texte im Hintergrund stehen.
Einige Differenzen zwischen den Mitgliedern, verschiedene Identitätskrisen und Trennungen sind die Gründe, weshalb Situation Leclerq erst fünf Jahre auftraten und so dies und das schrieben, bevor sie ein richtiges Album produzierten. Ein Demotape in bemerkenswert gutem Artwork war der Preis für den ersten Platz beim Lado-Nachwuchswettbewerb und erschien zwar bereits 2006, zum Release kam es aber leider nicht. Deshalb haben Situation Leclerq diesen selbst in die Hand genommen. Sie wussten außerdem: Wenn wir nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort spielen, lässt das Label nicht mehr lange auf sich warten. Und so war es. Das Label Alison Records nahm sich den Hannoveranern an - und kann sich glücklich schätzen. Bisher fielen die (eher spärlichen) Kritiken sehr gut aus, und auch die intro schrieb: "Eigentlich wusste man es ja immer schon: Hannover hat doch ein bisschen mehr zu bieten als die gleichnamige Industriemesse, Klaus Meine und eine Expo-Brache".
Derjenige, der sich von Situation Leclerq jedoch auch zu Hause mehr erhofft, wird enttäuscht werden. Die Band ist trotz allen Lobes eine kleine Vereinigung von Menschen, die DJs sind und bleiben werden. Das hört man beim Hören, weshalb einem daheim schnell die Lust vergeht. Da muss dann eben doch wieder was anderes her.
Das besonders Gute ist, dass Situation Leclerq selbiges auch sehr wohl wissen und provozieren: Irgendwann werden sie in Paradiesvogelkostümen auftreten, um zur Abwechslung Klischees zu erfüllen, sagten sie in einem Interview mit Crazewire.de. Außerdem kamen mit der Promo-CD liebevoll geklebter Glitzerstaub, Goldkügelchen und viele bunte Sterne, wie sie bereits das Demo berühmt machten. Die werden aus meinem Teppich noch Jahre nicht weggehen. Deswegen ist Situation Leclerq jetzt doch nicht nur im Club, sondern irgendwie auch bei mir zu Haus daheim.
Tanzempfehlungen: "B.O.O.K.S." und "Homevideo".
foto: alsion records
situation leclerq
"glåxø"
alison 2009 cd
situation leclerq