The Soundtrack Of Our Lives [Communion]

Das sechste Album der Schweden kommt als Doppel-CD mit gelecktem Wellness-Pärchen auf dem Cover daher. Kann man seinen Fans soviel zumuten? TSOOL können und reihen eine Perle an die andere. Ein unbeabsichtigtes best-of Album.

"here we are floating again."
(songs of the ocean)


Ja, sie treiben wieder, fließen wieder. Eigentlich stünde die Veröffentlichung des Nachfolgers der 2004 erschienenen Origins Vol. 1 an. Vol. 2 liegt auch schon in der Schublade, aber warum nicht ein episches Hymnenwerk dazwischen schieben. “This was the easiest, most natural thing we’ve ever recorded,” sagt Sänger Ebbot Lundberg. “It really felt like the album created itself, like we had a dream of what the album was supposed to be and then the album became that.” Und genau so hört es sich auch an. Als hätten sie gar nichts anderes machen können. Und weil schlicht zu viele Stücke für ein einfaches Album da waren, wurde ein Doppel-Album daraus. Das fordert den Hörer heraus, natürlich, aber es lohnt sich dran zu bleiben. Es geht um eine Auseinandersetzung mit der Realität, hinter der die Botschaft steht, die schlechten Dinge nicht fortzusetzen. Aber es darf auch einfach die Musik genossen werden. Denn laut The Soundtrack Of Our Lives selbst, ist die Platte das Positivste, was sie je gemacht haben.

Gleich der Opener der ersten CD Babel On lässt Großes erwarten und entpuppt sich als erste Perle der langen Kette. Der rasselig-erdige Rhythmus schleppt sich scheinbar endlos dahin, nimmt aber stetig an Fahrt auf und spätestens beim Gesang von Lundberg wähnt man sich zurückgesetzt in Papas Plattenschrank (sofern man denn alt genug ist und jener nicht eben Schlager vorzog in den 60ern und 70ern). Oder man sieht sich in einem dieser alten Filme jener Zeit mit diesen bestimmten Farben und Stimmungen. Mit Joint in der Hand. Die Assoziation bleibt dann auch nicht aus. Egal ob man je geraucht hat oder nicht.

Diese Stimmung ändert sich nie wirklich. Zwei CDs, 24 Stücke lang. Es fliegen einem gewohnt rockig preschende Gitarren-Perlen um die Ohren wie Thrill Me, Mensa’s Marauders oder RA 88. Dann wird es auch mal swingender mit der Tuschkapellen-Perle Pictures of Youth oder der Tanz-Pop-Perle und gleichzeitigen Single Flipside. Aber es gibt auch die ruhigeren Perlen mit sehr feinem Glanz wie das schöne Without Warning oder Lifeline. Eines der besten Stücke jedoch ist zweifellos das Meisterwerk Second Life Replay. Man möchte ausblenden, dass es um Selbstmordattentäter geht, denn die Musik entwickelt sich so unglaublich gut, dass man eigentlich nur hören will. Wie sich aus scheinbarer Ruhe Dramatik entwickelt, wie das Cembalo den Mittelteil bestreitet bevor der Chor mit der betörenden Melodie anfängt und schließlich das finale Geschrei losgeht. Großartig!

Insgesamt gibt es kein Stück, das wirklich langweilt oder nicht wenigstens einen Teil in sich hat, der besonders gefällt. Überhaupt scheint es eine Qualität von TSOOL zu sein, dass fast jedes Stück Momente hat, Melodien, Riffs, besondere Drehungen, was auch immer, über die man sich freuen kann beim Hören, die auffallen. Es passiert immer etwas, nichts bleibt stehen. Auch ein Gefälle zwischen den beiden CDs fällt nicht auf. Beide bieten eine gute Bandbreite und die Perlen sind ausgewogen verteilt.

Die musikalischen Einflüsse sind eindeutig. Das ist nicht neu. Man kann viele alte Rockgrößen durchhören. Aber auch neuere Musik. Fast jedes Stück erinnert durch bestimmte Stellen an irgendetwas anderes. Aber es stört nicht. Vielleicht sogar im Gegenteil. Es freut durchzuhören, was TSOOL nun mal gut finden, woran sie sich orientieren und was sie dann daraus machen. Sie wollen bewusst zeitlos klingen, ohne zu wiederholen, und schaffen das besser als viele ihrer Mitspieler. Sie wirken wie die perfekte Reinkarnation mit eigenem Charakter und "Communion" bildet da keine Ausnahme.

Und das Cover? Man kann es als bissigen Geniestreich sehen oder als fürchterlich hässlich. Der Auftrag an den Gestalter war etwas zum Thema ‚Besser Leben’ zu konstruieren und die Absurdität dessen kommt im Cover doch perfekt rüber. „These people represent the alienation. The living dead.“ Dem ist nichts hinzufügen.

Das Album als Ganzes ist in jedem Fall ein Geniestreich und verdient es in Ruhe gehört zu werden. Denn wirkliche Perlen brauchen ihre Zeit.
foto: Fredrik Wennerlund


the soundtrack of our lives
"communion"
haldern pop recordings, 2009 2cd
the soundtrack of our lives

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Guy Delisle [Aufzeichnungen Aus Birma]

Was wissen wir eigentlich über Birma? Wie lebt es sich dort? Schon der Name des Staates, über den in Europa nur Schreckensmeldungen von quasi-diktatorischen Armeegenerälen kursieren, gibt Anlass zum Nachdenken. Heißt das jetzt Birma, Burma oder Myanmar?

"au weia, ist das schlecht! heutzutage würden die so einen mist nicht mehr veröffentlichen. halt's maul. ich mach, was ich will."
(guy delisle)

Na klar. Myanmar, auch Birma oder Burma genannt, ist ein Vielvölkerstaat in Südostasien und grenzt an Thailand, Laos, der Volksrepublik China, Indien und Bangladesh. Das liegt doch auf der Hand. Ebenso der Fakt, dass das Land seit 1962 unter einer Militärjunta steht und sein Staatsoberhaupt Than Shwe sich auch gerne mal als Vorsitzender des Staatsrates für Frieden und Entwicklung bezeichnet, was im politisch korrekten Wortlaut so viel heißt wie Diktator. Birma hat auch eine Friedensnobelpreisträgerin zu vermelden, namentlich Aung San Suu Kyi. Sun Kyi informiert die Weltöffentlichkeit seit Mitte der 1970er Jahre über die politische Lage in Birma.

Erwähnenswert sei dies in zweifacher Hinsicht. Suu Kyi eröffnet mit der National League for Democracy (NLD) ab 1988 einen demokratischen Gegenpol zum totalitären Regime des Landes. Schnell wird ihr Anerkennung in der birmanischen Bevölkerung zuteil. Ihr Einsatz für ein unabhängiges und demokratisches Birma überzeugt letztlich auch das Komitee des Friedensnobelpreises. Doch die Biografie der Suu Kyi ist auch eine schmerzhafte. Seit 1990 steht die ikonische Friedensnobelpreisträgerin unter Hausarrest, welcher von Zeit zu Zeit aufgehoben und wieder eingesetzt wird. Jüngst auch wieder im Mai 2009, als ein US-Amerikaner sich Zutritt zu ihrem Anwesen in Rangun verschafft. Wegen Missachtung der Hausarrestbestimmungen wird ihr seitdem der Prozess gemacht und das nur wenige Wochen vor Auslaufen ihres Hausarrestes. Es folgten Protestmärsche in Europa, Nordamerika und Australien, doch die unbestimmte Zukunft der Suu Kyi wird damit nicht verändert.

Über Birma reden heißt die Welt einteilen. In ein Gut und Böse, in ein Wir und Die. Condolezza Rice beispielsweise prägt während ihrer Amtszeit als Außenministerin der Bush-Regierung das Schlagwort der "Vorposten der Tyrannei". Diese Klassifizierung wendet sich in erster Linie gegen korrupte und despotische Systeme wie Iran, Kuba und eben auch Myanmar. Mit welcher Absicht Rice dies tut, muss man letztlich differenziert bewerten. Doch letztlich ändert dieses Werteurteil nichts an der Tatsache, dass das Wissen um Birma – wenn man von den politischen und sozialen Gegebenheiten absieht – noch recht unzureichend ist. Dies führt uns zurück zu unserer ersten Frage: Wie lebt es sich in Birma?

Der franco-kanadische Comizeichner Guy Delisle versucht diese Frage in seinem aktuellen Comic "Aufzeichnungen Aus Birma" auf 262 Seiten zu beantworten. In zahlreichen, lakonisch-bebilderten Panels zeichnet Delisle ein Alltagsgemälde der birmanischen Kultur, dass er am eigenen Leib erlebt hat. "Chroniques Birmanes", so der Originaltitel des Werks, entstand während eines 14-monatigen Aufenthalts in der birmanischen Stadt Rangun und ist die Fortführung einer Reihe von immanent-politischen Comics (siehe "Shenzhen" und "Pjöngjang" via Reprodukt) über das Leben in autoritären Regimes in Asien.

Fingerzeig und Kulturpoetik

Doch das Werk, des 1966 in Quebec geborenen, Franco-Kanadiers mit amtlichem Wohnsitz im französischen Montpellier lässt sich nicht nur auf figurative Fingerzeige beschränken. Neben seinen politischen Comics bietet Delisle eine breite Palette an Themen und Stilmitteln, die er eloquent und fassettenreich einzusetzen weis. Auf der Erzählebene arbeitet Delisle häufig mit alltäglichen Begebenheiten, die detailliert und oft auch sehr subtil ausgefüllt werden. Damit nimmt er seinen Charakteren zwar häufig ihre ikonografisch-überhöhte Stellung, dennoch führt er sie zurück zu ihren Ausgangspunkten: dem "wirklichen" Leben, welches sich wie eine große schicksalsträchtige Blaupause über alles andere legt und erst einmal bewältigt werden muss. Verwunderlich ist daher auch nicht, dass dadurch einige sehr witzige Begebenheiten erzählt werden können, die im ersten Augenblick zwar ziemlich banal erscheinen, aber im zweiten Anlauf von einem tiefer greifenden Verständnis der geschilderten Situationen begleitet werden.

"Aufzeichnungen Aus Birma" beginnt daher nicht etwa mit einem Exkurs über die politische und gesellschaftliche Lage in Myanmar, sondern mit einem zappenden Protagonisten, der sich – nicht ganz kommunikativ – mit seiner Frau Nadège über die Abreisevorbereitungen unterhält. Nadège arbeitet bei Médecins Sans Frontières und wird in unregelmäßigen Abständen in Krisen- und Kriegsgebiete versetzt, um dort medizinische und aufklärerische Hilfe zu leisten und Krankenschwestern und Hebammen zu rekrutieren und auszubilden. Diesmal wird es also nach Birma gehen. Erst nachdem der stressige Umzug überstanden ist, beginnt Delisle allmählich kleine Schnipsel der birmanischen Kultur mit in das Erzählgeschehen einzuweben.

Teils autobiografisch, teils fiktiv eröffnet Guy Delisle danach in weiteren Episoden einen kulturpoetischen, hauptsächlich mit Anekdoten über den Alltag gespickten, Dialog über Birma, in dem sich das Nachdenken über Land und Leute in gewissem Maße über die unbewussten stillen Dinge des Lebens erschließt. Von den pragmatischen Zensurmethoden der staatlichen Autoritäten bis hin zum exotischen Blick in das zuerst fremde Supermarktregal in Rangun, Delisle schichtet Banalitäten auf politische Unheimlichkeiten und entwirft dadurch ein vielschichtiges gesellschaftliches Abbild von Myanmar.


guy delisle
"aufzeichnungen aus birma"
reprodukt 2009

empfehlung:
pjöngjang
shenzhen

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We vs. Death [A Black House, A Coloured Home]

We vs. Death.
"The name is 10 years old, and became a sound more than a name with a meaning. It was intented as an ironic slogan." Soviel sagt die Band selbst zu ihrem geheimnisvollen Namen und präsentiert nun ihr zweites Album.

"now you are the sun!"
(the sun)


In den heutigen Tagen des allgegenwärtig angepriesenen Musicdownloads fällt eine Veröffentlichung immer dann besonders ins Auge, wenn sie in ihrer Variante als "physisches Produkt" - eine Bezeichnung die gegenwärtig in vielen Pressemitteilungen voller stolz Erwähnung findet - neben dem eigentlichen Tonträger in seiner bewährten, durchsichtigen Platsikhülle, weitaus mehr bietet, als ein schlichtes Cover. „Wir denken einfach, dass ein Jewelcase heute einfach nicht mehr genügt“, erklärt mir Wouter Kors, Gitarrist der Niederländer We Vs. Death. „Warum sollte irgendjemand seine Musik in einer hässlichen Hülle verpacken nur weil das der Standard ist? Wir lieben Platten und wir lieben das dazugehörige Art(work) und deshalb stecken wir gern Mühe in unsere Alben.“ Diese Mühe, die bei ihrem Debüt Album "We Too Are Concerned / We Are Too Concerned" neben dem Faltcover aus einem Poster und einer Video-DVD bestand, stellt sich bei "A Black House, A Coloured Home" als eine Reihe von Postkarten und einem 24-seitigen Katalog im DinA 5 Format mit Zeichnungen, Fotografien und Bildern verschiedener Raum-Installationen heraus. „Der Großteil unseres Artworks stammt von unserem langjährigen Freund Roel Dalhuisen. Er weiß genau was wir versuchen umzusetzen, weshalb wir ihm meist eine Carte blanche geben.

Das gegenwärtige Artwork unterscheidet sich stark von dem Vorgänger. Was dort dunkel und distanziert in einem unbekannten Draußen stattfand, scheint hier in bunten Skizzen und mit dem Betrachter kommunizierenden Installationen aufzugehen, hat sich das Darußen einen konkreten Raum gesucht, ohne sich dabei tatsächlich irgendwie verorten zu lassen. Dalhuisens Fotografien und Installationen treffen auf abstrakte, urban anmutende Zeichungen. „Wir baten Sander Polderman das Artwork zu entwerfen und er entwickelte dieses wunderschöne, abstrakte, bunte Zeug. Wir stellten uns 'A Black House, A Coloured Home' anders als das letzte Album vor, expressiver, roher, weniger sicher und eindeutig und dachten dass er diesem Gedanken gerecht würde. Es war eine Zusammenarbeit bei der alle beteiligten viel und gründlich diskutiert haben.

Das urbane Moment stellte die Band schon im Debüt heraus in dem in den begleitenden Videos endlose Fahrten durch Metropolen nicht von ungefähr kamen. Wie der mäandernde Soundtrack zu den nächtlichen Reisen, in denen die Scheinwerfer wie Spuren auf einer verwaschenen Landkarte wirken, erschien die Musik des Quintetts. Das hat sich auf dem neuen Album nicht maßgeblich verändert, und doch scheint vieles neu und ungewohnt.

Nachdem man sich 2006 vollständig im postrockschen Schweigen verlor, machen We Vs. Death plötzlich den Mund auf. Selbstverständlich entfalten sich die dieben Stücke immer noch in einer unberechenbaren Langsamkeit, tritt immer noch der erlösende Klang der Trompete zwischen teilweise nervösen, teilweise sehr nüchternen Gitarren hervor. Neben den „noisy and more quiet songs“ sei man vermutlich dennoch am ehesten von „some distinct singing“ überrascht, erklärt die Band selbst. Doch so überraschend der Gesang für den Zuhörer ist, so wenig umstürzlerisch und programmatisch erscheint der Umstand für die Band selbst. „We Vs. Death war nie ein vollständig durchdachtes Konzept. Als wir die Band gründeten gab es hin und wieder Gesang, dann verschwand er plötzlich. Im Augenblick erscheint es uns als etwas, dass wir gern machen würden und er ermöglicht es uns unseren Songs – zumindest aus unserer Sicht – eine neue Nuance zu verleihen“, erklärt Wouter. Sowohl die Sprache der Texte als auch der Titel sollen den Songs einen Raum geben, in dem sie sich konkretisieren können. „It draws a cricle around the music.“ Jener Raum, der sich aus dem gesamten Werk, dem Klang, dem Artwork, der Verpackung ergibt.

Dennoch verlangt Sprache einen ganz besonderen Augenmerk vom Zuhörer ab. Es ist nicht leicht Textzeilen lediglich als musikalische Schattierung, als zusätzliches Klangmuster zu erachten, ohne sie entschlüsseln zu wollen, ihnen einen Sinn abzuringen. Jedenfalls solange man sich einer lebendigen Sprache bedient und nicht auf Laute im Stile des Hopelandish zurückgreift. Collection Of Stones erscheint in dieser Hinsicht wie der Klagegesang einer Moderne die sich ihrer Probleme und dessen Auswirkungen bewusst wird und bleibt dabei dennoch undeutlich genug, um nicht als agitieren, als tatsächliche Kritik verstanden zu werden. „Wir sind nicht daran interessiert klare Statements in irgendeiner Hinsicht zu machen. Politik wird weniger in unseren Texten als vielmehr in der Art und Weise wie wir arbeiten deutlich: wir buchen all unsere Konzerte selbst, wir gestalten unsere Aufnahmen selbstständig, wir achten in der Art auf unsere Arbeit, wie wir es für richtig halten.

Dennoch lässt sich eben dieses Schwermütige, Wehklagende Moment im Gesang, besonders dann, wenn die ganze Band in dieses mit einstimmt, nicht von der Hand weisen und vielleicht ist dies auch der schwächste Aspekt eines ansonsten gelungenen Albums: Wenn der Gesang lediglich als eine Facette unter vielen den Klang bereichern soll, dann ist er wann immer er in seinem vollentfaltetem Pathos auftritt zu dominant, und bindet die ansonsten vielschichtigen Stimmungen und Qualitäten der Stücke an sich. "Hätten sie besser mal den Mund gehalten" ist an dieser Stelle natürlich eine Floskel die sich anbietet, aber selbstverständlich ist sie nicht so gemeint.
foto: zankyo records



we vs. death
"a black house, a coloured home"
beep! beep! 2009 cd
we vs. death
roel dalhuisen
sander polderman

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Trailhead [The Road To Salamanca]

Trailhead erzählt über das Reisen und die Liebe, den Weg, den man dabei geht und verpackt alles in eingängige Melodien, die Teil des eigenen Weges werden.


"i think i walk a while with you."
(road to salamanca)


Beim Hören der Platte fühlt man sich wie vom Sonnenuntergang beschienen. Schon bei den ersten Akkorden könnte man meinen, die rote Ballsonne wärmt den Bauch und das Herz und ob es einem liegt oder nicht, pfeift oder summt man plötzlich vor sich hin. Das kann man mögen oder nicht. Aber wem es gefällt, der ist hier gut aufgehoben. Und geht die Straße nach Salamanca mit. Sie ist staubig und führt über viele Umwege und Verirrungen, aber man ist gut gewappnet mit festem Schuhwerk, der Wasserflasche im Rucksack und der Musik im Ohr. Und so läuft man los, findet ein wenig sehnsüchtige Ruhe nach dem, wie einfach schön einst doch vieles war (Plastic Beads). Aber nicht zu lange aufhalten. Der Weg ist noch lang. Es geht weiter in forscheren Schritten, zum hüpfenden Schlagzeug, mit einer freundliche Wegbegleitung neben sich. Und auch wenn sie wieder verschwindet, bleibt die Liebe trotzdem im Kopf. Sie ist immer irgendwie da. Das kann stören oder freuen. Aber man darf es auch einfach so hinnehmen. Denn nichts ist für ewig. Aber heute kann ewig sein (Won’t Be The One).

Mit dieser Weisheit kreuzt ein Pilgerpfad den eigenen Weg. Es ist Zeit für eine kurze Rast und eine Begegnung mit denen, die suchen und finden wollen. Die Gitarre spielt ruhig und die Stimme wird es auch (Walking The Camino). Andächtig wird klar, dass es weiter gehen muss. Lässig trottet man dahin. Die fussfreundlichen Wanderschuhe getauscht gegen ausgetretene Stiefel, vorbei an der unerreichbaren Oase (Speed Of Sound) und hin zum Meer. Die Wellen umspülen die geschundenen Beine. Das Klavier spielt sein Lied dazu und lässt alles für einen Moment fließen (Waves). Die Gedanken rauschen und kreisen um Vergangenes, um Orte und natürlich um die Liebe,ums Begehren und Zerfließen. Der Weg gerät aus den Augen und es fällt schwer weiter zu gehen.

Aber dann verlässt man das Meer und läuft und läuft. Die Wasserflasche ist leer, der Kopf auch, die Füße haben Blasen, aber die Musik führt weiter. Mal leise mal schneller und dann plötzlich liegt Salamanca vor einem. Gleißend in der Abendsonne. Aber ist man nun wirklich angekommen? Das entscheidet man wohl besser erst am nächsten Morgen. Vielleicht war ja auch alles nur ein Traum und man sitzt längst im Flugzeug zurück. Dahin wo man hergekommen ist. Denn so wirklich halten kann einen das, was man so lange ersehnte, dann doch nicht (Morning Light).

Beeinflusst durch jahrelanges Herumreisen, und die Suche nach dem, was im Leben hält, legt Trailhead eine Platte vor, die mal Folk, mal Singer/Songwriter und auch Country ist. Sie zeichnet Bilder von Landschaften, Begegnungen und Sehnsüchten. Die Melodien sind groß durch ihre Einfachheit, der warme Gesang ist gespickt von schöner harmonischer Mehrstimmigkeit. Es gibt viel Gitarre, manchmal Band und manchmal auch ein Klavier. Alles ist in sich stimmig arrangiert und glänzt durch wunderbar unaufdringliche Eingängigkeit. Manchmal braucht es eben nicht mehr als eine gute Melodie und Stimme und die passenden Instrumente.

Hinter Trailhead steckt der Liederschreiber Tobias Panwitz, wohnhaft in Berlin, der mal solo, mal mit Band und Gastmusikern seine Musik spielt. Er war lange auf der Suche nach dem, was ihn vor der Langeweile des Konstanten bewahrt und übrig blieb die Musik. Orientiert an Größen wie Tom Petty oder Neil Young geht er seither seinen musikalischen Weg und hat nun mit "The Road to Salamanca" ein Kleinod erschaffen, dass in der ganzen aufgeregten Musiklandschaft zur Ruhe einlädt und sich auf das Wesentliche konzentriert.

Und wer, wie ich, nicht spontan einzuordnen weiß, wo die Straße nach Salamanca zu finden ist, der kann die Gelegenheit nutzen und mal wieder den alten Weltatlas aus Schulzeiten hervorkramen und in Erinnerungen schwelgend abdriften und gucken, wohin einen der eigene Weg einst schon führte oder wohin er noch mal führen soll. Wo Salamanca liegt, weiß man dann auch. Und vielleicht hat man auch eine Melodie im Ohr.
foto:


trailhead
"the road to Salamanca"
cannery row records, 2009 cd
trailhead

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Sportfreunde Stiller [MTV Unplugged In New York]

Mit einer gewissen unbekümmerten Kauzigkeit trat das bayerische Trio 1996 das erste Mal auf eine Bühne. Über eine Dekade später liefern die drei Herren mit einer unplugged Aufnahme im (Dativ!) New York der Bavaria Filmstudios eine Art Best-Of Platte ab, die nicht viel an Kommentar verlangt.


"wenn man so will, bist du meine chill-out area"
(ein kompliment)

















Ach du Scheisse.





















foto: universal


sportfreunde stiller
"mtv unplugged in new york"
vertigo, 2009 cd, 2cd
sportfreunde stiller

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3 Kurze [Madeleine Peyroux, Melody Gardot, Eleni Mandell]

In einem kleinen Café bei einer Tasse heißem Milchkaffee treffe ich nacheinander auf drei US-amerikanische Damen, die genau jene Musik spielen, die für die Stimmung an einem solchen Ort vermutlich die trefflichste ist; Sanfter Jazz, vielfältig instrumentiert, zurückhaltend, attraktiv und vor allem äußerst charmant.

"my baby dreams when he's awake - my baby laughs when he's asleep."
(right side, eleni mandell)


Die erste der drei jungen Damen die ich treffe ist die aus Georgia stammende Madeleine Peyroux. Sie scheint ein wenig unnahbar, niemals gelangt ein direkter Augenkontakt, ohne dass die Mittdreißigerin unsicher wäre oder Blicken ausweicht, bleibt sie doch ungreifbar. Vielleicht versucht man sie deshalb mit den allgegenwärtigen Billie Holliday Vergleichen einzufangen, die, so muss man nach den ersten Takten jedes ihrer Alben gestehen, sich nicht als grober Unfug abtun lassen. Vielleicht verzichtet Mrs. Peyroux deshalb auch, um sich weiter zu emanzipieren, in "Bare Bones" auf die ansonsten viel gelobten Coverversionen und Interpretation die ihre vier vorherigen Alben stets bereicherten. Doch auch ohne diese bleibt hier erneut alles in jener Schwebe einer verspielten Leichtigkeit, die neben ihrer bezaubernden Stimme durch Hammond Orgel, Slide Guitar und Bläsern verstärkt wird. Inhaltlich muss man jedoch anfügen, sind die Stücke doch eher belanglos wenn sich "you do" auf "get blue" reimt oder man sie romantisch verklärt von Homeless Happiness singen hört und sich dabei in Nostalgie der Kindertage verliert. Aber das sei ihr ruhig gegönnt.

Überhaupt nicht schüchtern und zurückhaltend im Auftreten hingegen ist die zehn Jahre jüngere Melody Gardot, deren Sex-And-The-City affines Erscheinen sich schnell vieler Blicke gewahr sein kann. Vielleicht ist dies auch eine Gegenreaktion auf ihre eigene Vergangenheit, in der sie als 19 jährige von einem Jeep überfahren wurde und nach einer langwierigen Therapie noch immer physische Behinderungen davon trägt; ein Gehstock um ihre Balance zu halten und getönte Brillengläser um ihrer Lichtempfindlichkeit zu entgegnen sind vermutlich die auffälligsten äußerlichen Merkmale dieses Umstandes. Neben ihrer beeindruckenden Stimme selbstverständlich, die einen vom ersten Ton ihres neuen Albums "My One And Only Thrill" nachhaltig verzaubert. Die neben Klavier, Bass und Schlagzeug mit zahlreichen Streichern und Bläsern perfekte Orchestrierung der elf allesamt von ihr selbst geschriebenen Stücke – sieht man selbstverständlich von der großartigen Interpration des von Harold Arlen geschriebenen Somewhere Over The Rainbow am Ende des Albums ab – verstehen es zwar die Atmosphäre eines Wiener Kaffeehauses an einem Sonntagnachmittag hervorzubringen, doch letztlich ist es immer Gardots warme Stimme, die einen vertäumt und glücklich seufzen lässt. Mit Verve und Raffinesse lässt die junge Sängerin schon jetzt ihre gefeierte Labelkollegin Diana Krall blass und eintönig aussehen.

Die dritte Dame, deren Bekanntschaft ich bei einer Tasse Kaffee mache ist die „unkalifornischste Kalifornierin“ und gleichzeitig „perhaps best unsigned artist in the business“, wie ich mich im Vorfeld informieren konnte. Eleni Mandell erscheint zeitlos im Sinne von Kim Gordon und ist die einzige der drei Chanteuses, die neben dem Gesang auch an der Gitarre brilliert. Selbst wenn Elemente des Jazz auch hier offenkundig sind, ist sie eher im Folk und Country verwurzelt und weiß diese Momente klug zu verbinden. Das bezaubernde Stück Right Side etwa, dass spätestens mit dem Einsetzen der Trompete jeden von seinem Potential überzeugen sollte, das leicht melancholische It Wasn't The Time (It Was The Color) oder das verträumt glamuröse Tiny Waist erlauben es Mandells Namen ohne einen Bruch entstehen zu lassen mit denen der beiden vorherigen Damen zu nennen. Die 15 Stücke auf "Artificial Fire", ihrem bereits siebten Album, variieren mit verschiedensten Jazzkomponenten auch wenn sie deutlich rauer und druckvoller als bei Peyroux und Gardot ausfallen und eher die (E-)Gitarre als das Klavier zu Wort kommen lassen. Die Ausnahmen bilden auf dem Album den Rahmen, so sind vor allem das Titelstück als Opener und die abschließende und überraschend schräge Folk-Punk-Rock-Nummer Cracked wenn man so möchte die enfants terrible dieses Albums.

Ein Lächeln hinterlässt letztlich jede der drei Damen auf meinen Lippen, bevor ich austrinke, bezahle und in den Sonntagnachmittag gehe.
foto: melody gardot, verve


madeleine peyroux
"bare bones"
decca, 2009 cd
madeleine peyroux






melody gardot
"my one and only thrill"
verve, 2009 cd
melody gardot






eleni mandell
"artificial fire"
make my day records, 2009 cd
eleni mandell

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Sarah Kuttner [Mängelexemplar]

Karo ist 27 Jahre alt, versinkt im Arbeitslosen- und Liebeskummertief und steht schon direkt vor ihrem nächsten Tief: einer ordentlichen Depression in jungen Jahren. Aktuelles Tabuthema, behandelt von Quasselstrippe Sarah Kuttner und die Frage: Muss das sein?


"ich bin keiner von diesen trend-psychos. ich bin the real shit."
(karo hermann)


Die Moderatorin Sarah Kuttner hat ein Buch geschrieben. Nachdem in "Das oblatendünne Eis des halben Zweidrittelwissens" (2006) und dessem nahtlos anknüpfenden Nachfolger "Die anstrengende Daueranwesenheit der Gegenwart" (2007) eine Auswahl ihrer Kolumnen für die SZ und den Musikexpress zusammengestellt wurden, legt sie nun ihren ersten vollständigen Roman vor. Mit "Mängelexemplar" hat sich die junge Moderatorin dem allseits bekannten, aber selten behandelten Tabuthema Depression gewidmet.

Ihre Hauptfigur Karo Hermann befindet sich im ersten Kapitel des Buches bei ihrem sogenannten „Popstarpsychiater“ in Behandlung und erzählt ihm chronologisch wie alles vor einem Jahr begann: Was der Grund für die Notwendigkeit eines Psychiaters ist und wie es überhaupt soweit mit ihr kommen konnte. Und schon hier frage ich mich, ob es wirklich so neu und erschreckend ist, dass auch junge Menschen unter Depressionen leiden können. Oder ob ich zu sehr an der direkten Quelle sitze, um mich nicht zu wundern, dass sich so manches junge Leben heutzutage verloren fühlt.

Sarah Kuttner rechtfertigt ihre Themenwahl in einem Interview mit der „Märkischen Allgemeinen“, dass in ihrem Freundeskreis das Thema groß und wichtig wurde und sie sich damit konfrontiert gefühlt habe. Also, Pluspunkt für Kuttner: sie hat sich dem Thema Depression aus persönlicher Motivation heraus angenähert und es in einem Roman versucht aufzuarbeiten. Minuspunkt: man bekommt allerdings den Eindruck als läge dennoch das Interesse nicht an dem Thema „junger Mensch mit Depression und wie damit umgehen“, sondern „Ich schreibe doch noch einen Roman und nach der Roche-Sexwelle wäre Depression ein gutes Tabuthema. Frag ich mal meine Freunde wie sich sowas anfühlt.

Im Groben geht es, wie schon erwähnt, um die junge Karo Hermann, keine 30 Jahre alt und neben ihrer Hassliebschaft mit Bald-Exfreund Philipp ist sie eine arbeitslose Eventplanerin. Dass ihr zwei Konstanten im Leben nun fehlen ist für Karo mehr als sie ertragen kann. Sie bricht zusammen. Dank ihrem betont unschwulen besten Freund Nelson, der selbst eine Bilderbuchbeziehung mit seiner überaus toleranten und anspruchslosen Freundin Katrin führt, hat Karo immerhin einen verlässlichen Freund gefunden, der immer und überall für sie da ist. So wie es sein sollte! Zeitweise wird Karo bewusst, dass sie nicht nur Nelson und professionelle Hilfe benötigt, sondern auch die Liebe ihrer Eltern. Besonders ihre Mutter steht fürsorglich hinter Karo und deren Depression, zumal sie dasselbe wie ihre Tochter auch schon erlebt hat. Panikanfälle, Angst vor der Angst, körperliche sowie psychische Zusammenbrüche, das Gefühl es ginge nicht mehr weiter und zurück schon gar nicht.

Dank Kuttners bestechend ironischem Schreibstil, der keinen Spruch, sei er noch so schlecht, auslässt, wird die Ernsthaftigkeit dieses Themas leider nur oberflächlich angekratzt und Tiefgang fehlt an allen Ecken. Der Leser wird mit platten Attitüden überhäuft, die Karo als eine junge Frau charakterisieren sollen, die sich nicht eingestehen möchte und kann, dass sie psychische Probleme hat und sich lieber mit einer aufgesetzten Lässig- und Schnelligkeit durch alle Lebenslagen zu schlagen versucht. Allerdings bewirkt diese Herangehensweise, dass sich die Autorin zusehens in Witzeleien verliert und der Charakter von Karo somit schwer zu fassen ist.

Wäre ich nicht so ungeduldig, könnte ich vermutlich springreiten, singen und sehr belesen sein. You can get it if you really want. Ich wante vermutlich nicht really genug. Auf der anderen Seite wante ich zumindest genug, um ordentlich unzufrieden zu sein, es nicht zu getten.“, ist ein Paradebeispiel für Kuttners Stil im Schreiben. Und was sie mit der sogenannten „Karmapolizei“ ständig hat, verstehe ich auch nicht: „[...] mein persönlicher Karmapolizist hebt seinen Verkehrsregelstab und sagt: 'Nanana, Frau Herrmann! Überstürzen Sie nichts!' Entschuldigung, Officer! Natürlich haben Sie recht.

Stilistisch bedient sich Kuttner immer wieder an Personifikationen, die wiederum weniger für Qualität als für Quantität stehen. „Ich packe die Saugnapfhandtuchhalter aus und bringe sie ins Bad. Die Handtücher sollen sich freuen bitte. Aber ich kann ihre Reaktion nicht abwarten, ich habe das Gefühl, wahnsinnig zu werden.“ Hier dient die Personifikation der Überleitung zu Karos akut psychischem Zustand, aber erneut: Muss das sein? Das sind sinnlose Sätze, die sich lässig anhören sollen und klingen, als seien sie von einer zwölfjährigen geschrieben worden. Nach der Trennung von Philipp, die „das stinkende Fass Karo zum Überlaufen gebracht hat“, versucht die Hauptfigur auf ihr Innerstes zu hören: „Mein Kopf, mein Herz und ich legen, während Philipp inzwischen über neue innerstädtische Flächen zum Besprühen sinniert, Wut und Trauer auf meine Emo-Waage. Wut wiegt einiges mehr. Darf es noch ein bisschen mehr sein? Warum nicht.

Sarah Kuttner ist wie Helge Schneider. Beim Zusehen und Zuhören ist man begeistert, aber Geschriebenes verliert einfach am gewohnten und geschätzten Humor. Und bei „Mängelexemplar“ verliert es streckenweise auch an Geist. Möglicherweise ist Sarah Kuttner ein so viel mehr optimistischer Mensch, der das Leben leichter zu nehmen versteht, als ich es tue. Deshalb gibt sie ihrer depressiven Hauptfigur vielleicht diese dann doch sehr verkrampfte Witzigkeit mit auf dem Weg, aber für meinen Geschmack passt das Buch hinten und vorne einfach nicht zusammen. Ich bewundere die Autorin, dass sie sich solch ein komplexes Thema für einen Roman ausgesucht hat, aber ich hätte einfach mehr erwartet. Zumindest weniger dieser platten Sprüche und dafür mehr Ernsthaftigkeit im Umgang mit dem Thema. Schließlich ist es nicht nur ein komplexes sondern auch ein sensibles, dass weitaus mehr Menschen beschäftigt, als man es sich immer noch vorstellt. Kuttners Hauptfigur fühlt sich sichtlich überrumpelt von ihrer Depression, gibt mir allerdings im Nachhinein eher den Eindruck, als hätte die Autorin schlicht und einfach nicht genug Ahnung und Empfinden gehabt, um dem Leser Tiefgang in diesem Thema bieten zu können. Vielleicht ist dies auch die Begründung zu Kuttners Aussage „Ich hatte keine Botschaft im Kopf, als ich geschrieben habe“. Wenn sie damit zufrieden ihr Buch veröffentlichen und verkaufen lassen kann, in Ordnung. Nur merkt man es dem Buch leider an, dass sie keine Botschaft hatte. Außer vielleicht der, dass irgendwo immer noch ein Spruch reinpasst. Für mich leider zu viel des Guten (oder auch des Schlechten).
foto:



sarah kuttner
"mängelexemplar"
s.fischer 2009
sarah kuttner
interview in der märkischen allgemeinen

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Hjaltalín [Sleepdrunk Seasons]

Popmusik wird nicht dafür gemacht, dass man sich daran stößt. Was aber, wenn trotz großer Sympathie für neun umjubelte Isländer, des Aufgebots eines halben Kammerorchesters und einer Mischung aus Unbeschwertheit und Melancholie das Gefühl bleibt, dass irgendetwas fehlt?


"all the king's men and all the king's horses couldn't help you find your way
why are you chasing a lie when you know you should be choosing faith
you spend all you time checking if you have new messages on myspace.
"
(traffic music)


Mit dem Kennenlernen von Musik verhält es sich wie mit dem Kennenlernen von Menschen. Manchmal tut man sich schwer mit dem Warmwerden, braucht mehrere Anläufe, kann aber erahnen, dass da etwas Großes wartet, wenn man nur die nötige Geduld aufbringt. Und probiert es so lange immer wieder, bis der Knoten platzt und man nicht mehr genug kriegen kann. Genauso funkt es manchmal sofort. Es reicht, das Album einzulegen und auf Anhieb, ohne Anlaufzeit, ist man mittendrin in dieser Geschichte. Manchmal allerdings geht es auch zu schnell. Wie gerne würde man es mehr mögen, aber völlig unerwartet stellt sich die Erkenntnis ein, dass die Zuneigung nicht mehr tiefer gehen kann, dass da nichts mehr kommen, dass es bei sporadischen Begegnungen bleiben wird.

"Sleepdrunk Seasons", das Debutalbum von Hjaltalín, ist so ein Fall, obwohl die neun Isländer eigentlich alles richtig gemacht haben.

Da hat sich eine dieser wundersamen Formationen gebildet, die einen Blick über den üblichen Gitarre-Schlagzeug-Bass-Tellerrand werfen und stattdessen die Bühne mit Cello, Kontrabass, Trompete, Tuba und (es geht noch weiter) Posaune, Waldhorn und Fagott bevölkern. Von den Herren Hemm Hemm und Tynes von múm produziert, ist das Ergebnis eine Platte, die sich in ihrer Andersartigkeit scheinbar schwer vergleichen lässt. Neben Högni Eglissons warm-rauchiger Stimme und überirdischen Hintergrundchören erzählt auch die opulente Instrumentierung Geschichten; befindet man sich zeitweise in einem unbeschwerten Strudel aus ausgelassenem Klavier, vorwitzigen Bläsern und jubelndem Fagott – ganz so als würden sämtliche Freunde an einer langen Tafel durcheinanderreden - bleiben bei all dem Überschwang die schwarzen Tasten auf der Klaviatur nicht ungenutzt.

Goodbye July/margt að ugga zum Beispiel, das vielleicht auf Anhieb eingängigste Lied des Albums, steckt sofort an mit seiner ungezügelten Lebensfreude; treibende Bläser, tänzelnde Streicher und Eglissons lautmalerischer Gesang stacheln dazu an, sich immer wieder, immer wilder, immer schneller um die eigene Achse zu drehen. Bis irgendwann der Schwindel und das Bewusstsein da ist, dass sich der Sommer bereits auf der Zielgeraden befindet und die Zeit des Abschieds mitsamt seinem schwermütigen Ausklang gekommen ist. Und auf einmal ist man mittendrin in der tiefsten Melancholie und im nächsten Stück, Kveldúlfur, das mit seinen schweren Bläsern gewittrige Gebirgslandschaften malt; ein wenig erinnert es an Sibelius' Finlandia und kommt dabei, wie weite Strecken des Albums, ohne Text aus. Doch genauso schnell wie das Gewitter in den Bergen aufzieht, ist es auch hier wieder verschwunden und Hjaltalín üben sich in Debussys spielerischer Leichtigkeit. Die vorherrschende spielerische Leichtigkeit der Instrumentierung mag darüber hinwegtäuschen, dass die Isländer nicht ganz so harmlos sind wie sie manchmal tun und durchaus in der Lage sind, auch kritische Töne anzuschlagen – auch wenn diese einen so zart umspielen, dass sie doch letztlich Beiwerk bleiben. The Trees Don't Like the Smoke ist so ein Beispiel dafür: „the birds and the bees and the flowers and the trees, they're always looking / the trees don't like the smoke, the trees don't like to choke [...] put that cigarette out for the trees“. Oder Traffic Music, das dazu aufruft, sich von äußeren Einflüssen freizumachen und so zum eigenen Weg zurückzufinden - „all of the junk you're eating will slowly fill your fragile heart so go from the start and rewind to the part when you first knew what you had to say“.

Genau diese Mischung aus leichtfüßigem Pop und klassischer Musikausbildung, aus Melancholie und Heiterkeit ist es wohl, die verantwortlich für die Purzelbäume ist, die da gerade rund um die neue Hoffnung aus Island geschlagen werden. Nominierungen in fünf Kategorien bei den Icelandic Music Awards, Preise in den Kategorien „Best Songwriter“ und „Brightest Hope“ und eine weitere Nominierung für The Trees Don't Like the Smoke bei den Time for Peace Music and Film Awards; überschwänglich in sämtlichen Musik-Foren beklatscht und in Deutschland von den Schatzsuchern von Haldern Pop Recordings geborgen. Eine sympathische Truppe ist das, eine bunt zusammengewürfelte Combo, der man abnimmt, das ihnen am Herzen liegt, was sie da tun und das auch noch mit dieser Mühelosigkeit, die gute Popmusik ausmacht.

Und doch bleibt am Ende das Gefühl, dass irgendetwas fehlt und man weiß gar nicht so genau, was das sein könnte. So wie das eben ist, mit manchen Menschen, bei denen man traurig darüber ist, dass es trotz Grundsympathie nicht funktioniert, obwohl man sich bemüht. Und vielleicht, denkt man sich manchmal, ist da zuviel richtig gemacht worden, fehlen die Ecken und Kanten, an denen man sich stoßen kann. Die dann blaue Flecken hinterlassen würden. Und eine bleibende Erinnerung.

foto:


hjaltalín
"sleepdrunk seassons"
haldern pop recordings, 2009 cd
hjaltalín

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Marching Band [Sparke Large]

Es wird Sommer! Und da sind Hymnen auf die Liebe und das Leben nach all der Schwermut des viel zu langen Winters wieder erlaubt und nur allzu erwünscht. The Marching Band versorgen uns zum Frühlingsanfang mit tief empfundenem und pfiffig gemachtem Songmaterial ihres Debutalbums "Spark Large".


"this year we capture the feel; our days get longer in the summer."
(for your love)




Diese Schweden scheinen das Frühlingsgefühl erfunden zu haben. Pünktlich zum schönen Wetter beschert uns das schwedische Pop-Duo Marching Band ein Album dass winterliche Melancholie und sommerliche Leichtfüßigkeit in zwölf Songs verbindet und subtil aber bestimmt eine hellere, fröhlichere und wärmere Zeit voraussagt. Auf dem Weg zu einer der ersten Sommerplatten des Jahres liegen jede Menge Shins-Unbefangenheit-Riffs; Melodieführung und die ohrgefällige Regelmäßigkeit blubbernder Offbeats erinnern stark an "Chutes To Narrow", jedoch behalten sich Marching Band auf ihrem Debütalbum "Sparke Large" einige wertvolle und charakterisierende Eigenheiten vor, die es in Zukunft weiter auszubauen gilt.

Neben dem über weite Strecken gedoppelten und dezentralen Gesang, der den Hörer angenehm entspannt durch das Album trägt, fallen die Klavierarrangements und der Gebrauch von vielfältigem Schlagwerk als besonders positiv auf; Da reihen sich Marimbaphon, Steel Drum und jede Menge Geklappere und Gerüttle ein, bevor das Drum Kit wieder streckenweise mit pulsierendem Beat und groovendem Timing übernimmt.

Am schönsten sind die Beiden, wenn sie die das große Gerät weglassen und sich den schlichten und eingängigen Popsong zu eigen machen. Die schrebbelige Clapyourhandssayyeah- Manier, die sich hier und da - sicher auch dank Produzent Adam Lasus - einschleicht steht den Schweden nicht besonders und ist auch gar nicht nötig, um ein paar wirklich innovative und kurzweilige Songs zu schreiben, in denen Text und Musik sich in tollster Indieharmonie die Hand zu geben scheinen und die Produktion absolut authentisch und ehrlich auf die Künstler und ihre Fähigkeiten passt. Man merkt, hier waren wirkliche Talente am Werk, die Klangvorstellungen in aktives Material verwandeln und sich dabei in Experimenten verlieren können. Die klaren Strukturen und zielorientierten Rhythmen lassen den Stimmen genau die emotionale Wirkung zukommen, welche die Songs brauchen und ertragen können; Spannungsbögen sentimentaler Momente werden nie überdehnt, es wird mit Dynamik und Instrumentierung gespielt anstatt mit technischen Übersteuerungen.

Und die Marching Band macht mit all ihren launischen Geschichten über alltägliche Geschicke und kleine Dramen nach all dem winterlichen schwermütigen Songwritergejammer auch einfach unendlich Spaß: aufdrehen und ab in die Sonne!
foto:


marching band
"sparke large"
haldern pop recordings, 2009 cd
marching band

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Mathias Ahrberg [Korrekte Klamotten]

Alles Bio – Alles Fair!
Die beiden Schlagworte vereinen eine immer größer werdende Gruppe von Labels und Designern im Modebereich, die sich mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Und seit einiger Zeit bloggen sie auch vernetzt.



"immer auf die etiketten gucken! nicht auf greenwashing reinfallen!"
(mathias ahrberg)


Vor gut drei Jahren begann das kleine Hamburger Mode Label fairliebt mit einer handvoll schicken T-Shirts seine Arbeit. Wiebke Hoevelmeyer und Mathias Ahrberg wehrten sich mit ihrer Idee gegen das dürftige Angebot von selten gut geschnittenen Artikeln im Bereich der fairgehandelten und ökologisch produzierten Bekleidung. Korrekte Klamotten eben. Heute hat sich die Situation gewandelt. "Der 'Markt' ist erstaunlich schnell gewachsen", sagt Mathias Ahrberg. "Mittlerweile gibt es viele Anbieter mit einem sehr großen Angebot. Neben den großen Ketten mit ihren Feigenblatt-Angeboten steigen mittlerweile immer mehr Designer auf nachhaltig produzierte Stoffe um. Ist eben einfach besser." Ob es dieser Gedanke ist, der die großen Textilwarenhäuser in Deutschland und darüber hinaus zu der Entscheidung bewog "BioCotton" oder "Organic Cotton" als Kollektionen in ihre Programme aufzunehmen, oder ob es einfach das alte Diktat der Nachfrage zwischen hippen LAOHAS und minimalistischen LOVOS war, lässt sich nur mühsam nachvollziehen. Ahrberg betrachtet die Entwicklung zwar wohlwollend aber auch mit einem kritischen zweiten Blick: "C&A zum Beispiel zählt zu den fünf größten Einkäufern von Biobaumwolle. Das muss man schon honorieren, das ist ordentlich. Allerdings kann man Kleiderproduktion (ganz!) grob in drei Prozesse einteilen: die Pflanzen auf dem Feld, die Stoffproduktion und schließlich die Fertigung des Kleidungsstücks. Wenn die Pflanze ohne Chemie wuchs, anschließend aber durch ein Chemiebad wanderte und zuletzt in einem Sweatshop verarbeitet wurde, steht zwar Biobaumwolle drauf, ist aber nicht wirklich drin."

Letztlich geht es nicht nur Ahrberg um mehr als eine hypegeschuldete Haltung die mal eben auftaucht, aber sicherlich bald wieder nachlassen wird. Die erste vollständige Frühling/Sommer Kollektion von Kleidern, Shirts und Accessoires aus dem Hause fairliebt trägt den Titel "Tropen, jetzt!" und dazu ließt man die Zeile "Tropen, jetzt! lieber im Kleiderschrank als vor der Haustür". Die komplexen Hintergründe des Alltagskonsums sind den Betreibern hierbei sehr wichtig, auch wenn sich das Kommunizieren dieser oft als sehr schwerfällig erweist. "Man kann ja nicht mit der Moralkeule herumlaufen", erklärt Ahrberg. "Und es gibt ja auch sehr viele Probleme, die durch strategischen Konsum nicht gelöst werden können. An diesen Stellen muss die Politik eingreifen. Aber wir finden es großartig, wenn Produzenten sich über die Ursachen ihres Handelns im klaren sind und dies dem Konsumenten vermitteln."

Korrekte Klamotten dient nicht nur als Schlagwort für die eben beschriebenen Bekleidungsartikel im Gesamtprozess der Herstellung, sondern auch als Netzwerk kleiner unabhängiger Modelabel und DIY Ideenschmieden. Der von Ahrberg iniziierte Blog richtet seinen Blick auf unter zertifizierten Bedingungen aus nachhaltigen Rohstoffen produzierte Waren. "Die Vernetzung klappt sehr gut. Auf Messen wie der BioFach oder der Ökorausch stolpert man ohnehin immer wieder übereinander. Also wir haben in den drei Jahren viele nette Menschen kennen gelernt, wenn die dann auch noch ein Label haben, umso besser." Dass man unter ökonomischen Gesichtspunkten dabei eigentlich im Wettbewerb steht wird jedoch nicht zu einem Problem: "Unsere Angebote unterscheiden sich ja schon vom Stil. Die faire Produktion ist nur die ganz große Klammer."

Neben Seiten wie Utopia, Nachhaltig Beobachtet oder zahlreichen individuellen Blogs, richtet sich der Blick von Korrekte Klamotten auf die Möglichkeiten ökologischen und fairen Handels. Ein immanentes Problem von kulturellen Erscheinungen dieser Art ist stets die Frage, ob das jeweilige Anliegen tatsächlich Menschen von der eigenen Idee überzeugen kann, oder ob es beim preaching to the converted bleibt. Ahrberg gewinnt der Problematik eine positive Perspektive ab. "Durch die vielen Bio-Lebensmittel sind die meisten schon sensibilisiert und haben einfach nur noch nie über ihre Kleidung nachgedacht. Und das 'Neue' an den ganzen jungen Labels ist eben, dass sie sich über ihren Stil definieren und nicht nur die klassischen Ökos ansprechen wollen. Es ist nach wie vor recht schwierig in den konventionellen Läden verkauft zu werden, einfach weil es so unglaublich viele Labels gibt. Aber das wird."

Ähnlich optimistisch ließt sich auch ein Beitrag zur Biofach Messe im KK Blog: "Ich träum ja von einem korrekte.klamotten-Gemeinschaftsstand auf der Biofach 2010. Mit allen, die hier aktiv mitbloggen." Dann träumen wir mal mit.
foto: susanna goonawardana


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