*lichter präsentiert: Sketchbooks

Der höchst subjektive und ebenso ambitionierte Versuch vor dem Hintergrund des Allerweltsbegriffes Indie noch etwas wertvolles auf die Beine zu stellen. Eine Lobhudelei auf uns selbst.



"eine rundum gelungene sammlung des wesentlichen – mehr indie geht gar nicht."
(intro magazin über sketchbooks)


"Putting the DIY back in Indie!"

Der mittlerweile ausgezehrte und aufgrund seiner Bedeutungslosigkeit fast zum Unwort verkommene Begriff Indie steht heute an jeder zweiten Hauswand und wird bei H&M in jeder Konfektionsgröße von der Stange verkauft. Die großen Konzerne bedienen die Subkulturen heute genauso wie den Mainstream und aktuelle Ausgaben der abendfüllenden Diskussion über Sein und Nicht-Sein von Indie lassen sich überall nachlesen.

Das *lichter Magazin möchte einen Kontrapunkt setzen und dem Wort seine ursprüngliche Form wiedergeben. Wir möchte uns jedoch nicht anmaßen normativ in die Debatte einzugreifen oder uns gar als Indie-Grals-Hüter aufspielen. "Sketchbooks" ist der Titel einer von uns kompilierten Platte mit welcher wir zumindest den Do-It-Yourself Aspekt in der ursprünglichen Bedeutung des polarisierenden Begriffes großschreiben möchten.
Independent. Unabhängig.

Record Release Party (Marburg, 25.02.2006)

Die Veröffentlichung unserer Kompilation haben wir am 25. Februar im Marburger G-Werk mit Konzerten und Party standesgemäß gefeiert und es war ein großer Abend! Die Dankesreden unsererseits hallen noch immer nach und an dieser Stelle möchten wir mit einer kleinen Fotogalerie und vier Videos an den Abend erinnern.

Zunächst waren in der gemütlichen und sehr atmosphärischen Baari Bar Akustik-Auftritte von dem charismatischen Julius und nachfolgend von den beiden kommunikativen Stuttgartern Alcoholic Sunrise zu bewundern. Das Publikum goutierte die mit untermalenden Anekdoten angereicherten Auftritte mit aufmerksamer Ruhe und jubelndem Beifall. Direkt im Anschluss begab man sich in das angrenzende Trauma, wo zum einen das (aller letzte!) Live-Konzert der begnadeten Marburger Postrocker Item stattfand und darauf folgend die Nürnberger Disco Punk New Wave Helden The Plane Is On Fire das Publikum in Bewegung versetzten. Glückliche Gesichter und tanzende Körper überall. Der Morgen graute bereits als die letzten Gäste nach der Indie-Rock 'n' Roll Disko mit Ronim & Jimmy Jealousy das Haus verließen. You're welcome.
illustration: heiko windisch
foto: manue





diverse interpreten
"*lichter präsentiert: sketchbooks"
urbanprovince records 2006 cd
sketchbooks

julius
alcoholic sunrise
item
the plane is on fire

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Mirana July [Ich Und Du Und Alle Die Wir Kennen]

Ein Mann zündet vor den Augen seiner beiden Söhne seine Hand an, ein kleines Mädchen trägt obsessiv ihre Aussteuer in einer Truhe zusammen, zwei pinkfarbene Schuhe durchleben die Höhen und Tiefen einer Liebesbeziehung und das Geheimnis des Sonnenaufgangs klärt sich an einer Bushaltestelle.


)) <> ((
forever

(robby)


Der erste abendfüllende Spielfilm der jungen US Amerikanerin Miranda July generiert zunächst separate Erzählstränge die im Laufe der Handlung immer mehr aufeinander zu streben und sich verdichten, und ist dabei sowenig klassischer Episodenfilm wie Gesellschaftskritik. Zu Recht gewann ihr atemberaubendes Debüt "Ich Und Du Und Alle Die Wir Kennen" bei vielen wichtigen internationalen Filmfestspielen Preise und wurde für seinen kindlichen Charme in der Beobachtung gelobt, der es ihm erlaubt komplexe Themen wie Fetischismus, den in vereinzelten Bundesstaaten der USA gesetzlich verbotenen Oralverkehr, Interracial Marriage, Selbstverstümmelung, Sexuelle Beziehungen zwischen Minderjährigen, das Leben, den Tod, mich, dich und alle die wir kennen ganz unaffektiert zu betrachten.

Mit weit geöffneten Augen betrachtet der Film ein liebevoll ausgewähltes Ensemble um die junge Videokünstlerin Christine (July), die ein Seniorentaxi betreibt um sich finanziell über Wasser halten zu können, und den Schuhverkäufer Richard (John Hawkes), dessen Frau sich gerade von ihm getrennt hat und der zurzeit auf seine beiden Söhne aufpasst und versucht ihnen bei dieser Gelegenheit wieder etwas näher zu kommen. Oben erwähnte Selbstkasteiung ist ein solcher, zum Scheitern verurteilter, sentimentaler Versuch. Um diese beiden Figuren herum kreisen eine handvoll skurriler Charaktere die sich in der schrägen Vorstadt Tristesse bewähren. Wie Michael (Hector Elias), ein juveniler Rentner, der sein Leben mit einer Frau verbrachte, die er nicht liebte, und jetzt, im Hohen Alter die Liebe seines Lebens findet, nur um diese verwelken zu sehen. Die beiden pubertierenden Mädchen Rebecca und Heather (Najarra Townsend und Natasha Slayton), die sich nach dem Ersten Mal sehnen, in Gedanken begleitet von Unsicherheit und Zweifel. Oder Robby (Brandon Ratcliff), Richards jüngster Sohn, der sich mit seinen knapp sechs Jahren in einem Chatroom verliert, in welchem seine kindlich naiven Aussagen vom anonymen Gegenüber für lustvolle, sexuelle Perversitäten gehalten werden. Alle diese Charaktere suchen Kontakt, suchen eine Beziehung zu anderen Menschen, ein Herauslösen aus den Banalitäten der Suburbanen Einöde, wie auch immer diese geartet ist. Sie alle sind bereit und haben die kindliche Gewissheit, dass sich etwas ändern wird. "I’m prepared for amazing things to happen", bringt Richard all diese große Erwartung auf den Punkt. Diese Sehnsucht wird in verschiedenste Richtungen gelenkt; Mal berührend, mal komisch, Mal verstörend. Und in allen Fällen gelingt es July Einfühlungsvermögen, Respekt und Humor im Gleichgewicht zu halten.

Gerade in jenen Momenten, in denen die kindliche und erwachsene Welt kollidieren tritt eben diese sensible Perspektive in den Vordergrund. Beide können ihren Standpunkten nicht entfliehen, was zu essentiellen Missverständnissen führt, eben wenn die seltsamen Ideen des sechsjährigen Robby im Chat als obszöne Provokation verstanden, oder die unschuldig lüsterne Anmache der beiden vierzehnjährigen Mädchen von einem Erwachsenen all zu ernst genommen wird. Hier lässt July die Szenen jedoch nicht eskalieren, stürzt die Mädchen und Jungen nicht in verderbliche Konsequenzen, sondern beobachtet mit selbstverständlicher Leichtigkeit das bisweilen doch seltsame Verhalten der Erwachsenen.

Sie bewahrt beim Beobachten all dieser kleinen, sonderbaren Auffälligkeiten und der wunderlichen Alltagsbewältigungen stets die liebevolle und konzentrierte Aufmerksamkeit eines Kindes ohne kindisch zu sein, vorurteilsfrei genug, um kein Verhalten als lächerlich zu entlarven. Man lacht mit den Figuren, nicht über sie. Dabei bleibt sie ihrer Sicht der Dinge treu. Wie in einem anderen ihrer zahlreichen multimedialen Projekte, widmet sie sich den kleinen Dinge, den Details, hebt sie hervor, verschenkt Aufmerksamkeit und gönnt sich und dem Zuschauer eine längere Betrachtung. "Learning To Love You More" nennt sie diese Art der Wahrnehmung an anderer Stelle. Gerade diese Beobachtungsgabe in dem Glanz ihrer inszenatorischen Beiläufigkeit dürfte entweder zu anrührender Bewunderung oder zweifelhaftem Augenrollen beim Zuschauer führen.

Die Filmmusik stammt von Michael Andrews, der bereits eindrucksvolle Stücke für den Film Donnie Darko produzierte. "Der Großteil der Musik wurde mit 'demokratischen Instrumenten' eingespielt. Mike bezeichnet Instrumente so, die fast jeder spielen kann; Casio Keyboards, Drum Computer, Vocoder, etc.", erklärt die Regisseurin. "Emotionale Musik mit diesen kalten Instrumenten einzuspielen war eine gute Methode den Film zu reflektieren; es unterstreicht die schroffe Ehrlichkeit ohne sie zu rührselig zu machen." Gelb, so Miranda July, hielt sie früher immer für jene Farbe, welche als letztes in ein Kunstwerk eingebettet würde, um dieses letztendlich zu vervollständigen. Die bezaubernd entrückte Musik von Andrews sei das Gelb ihres Filmes, und tatsächlich verleihen die kleinen elektronischen Soundschnipsel den jeweiligen Szenen ihren besonderen Charme. Und Gelb ist auch jene Farbe, mit welcher sie ihren Film am Ende beschließt.

"Ich Und Du Und Alle Die Wir Kennen" ist poetisch genug um die unkonventionelle und vielschichtige Handlung und die schrägen Figuren glaubwürdig zu inszenieren und den Besucher mit einer Vielzahl von kreativen Ideen in den eigenen Alltag zu entlassen. Ich für meinen Teil konnte das sehr genießen und hoffe, dass es auch anderen gefällt.
foto:


miranda july
"ich und du und alle die wir kennen"
(me and you everyone we know)
2006

learning to love you more

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Liars [Drum's Not Dead]

Be Quiet Mount Heart Attack!
Auf einem philosophisch anmutendem Gerüst kreiert das jüngst nach Berlin gezogene Trio ein auf Rhythmus basierendes Konzeptalbum und klingt dabei so zugänglich wie selten zuvor.


"if you need me, i can always be found."
(the other side of mt. heart attack)


Ein Nebel aus hallenden Gitarren. Anschwellend. Einige akzentuierte Schläge auf Trommeln. So beginnt das dritte Album der Liars mit dem Titel "Drum’s Not Dead". Zwei Schlagzeuge, eine Gitarre und zahlreiche musikalische und geräuschintensive Zusätze prägen das Album. Immer wieder steht der Rhythmus im Vordergrund, verdreht bisweilen die Aufgabenverteilung so sehr, dass die eigentlichen Melodie tragenden Instrumente nichts als Beiwerk zu sein scheinen. Cinematographisch ausufernde Bilder gehen Hand in Hand mit hastigen Graffitis. Kraut Bands aus den späten Siebzigern oder die Berliner Einstürzende Neubauten kommen einem bisweilen in den Sinn, und das vielleicht nicht von ungefähr. Das New Yorker Trio ist nach Berlin gezogen und wurde, glaubt man dem Pressetext, maßgeblich von eben diesem Umzug und der Berliner Atmosphäre zu ihrem neuen Album inspiriert. Es bleibt urbane Umtriebigkeit und hektisches Agieren jedoch auf eine für die Liars neue Weise. Fast möchte man ihnen Eingängigkeiten zugestehen, in jenen Momenten, wenn sie nicht den expansiven Lärm produzieren, sondern sich tatsächlich traditionellem Songwriting widmen. Dennoch würde man selbst solche Stücke bei anderen Künstlern als äußerst experimentell betrachten. Avantgarde bleiben die Liars in jenem Sinne, dass sie sich niemals auf die Suche nach ihrem eigenen Sound machen würde. Sie sind eher wie ein Fluss; ständig in Bewegung aber dennoch auf eine gewisse Weise statisch, sich treu bleibend. Soviel zur Praxis.

Mit "Drum’s Not Dead" haben die drei Herren ein weiteres Mal ein Konzept Album erschaffen. Nach dem Debüt "They Threw Us All In A Trench And Stuck A Monument On Top" von 2002 und der sofortigen Subsummierung in den sich langsam ausbreitenden Hype der Rock ’n’ Roll reanimierenden THE Bands durch die Presse – man gedeihte den fehlenden Artikel ihrem im Plural formulierten Namen rücksichtslos an - und dem zwei Jahre später veröffentlichten Nachfolger "They Were Wrong, So We Drowned" [sic!], welcher konzeptionell von Hexenverfolgung und Mythen aus Deutschland handelte, bewegt man sich auf dem dritten Album aus der Kakophonie heraus zur Katharsis.

liars Hinter der konstruierten Wirklichkeit der Musik steht ein dichotomes Gedankenmodell, welches an fernöstliche Philosophie angelehnt scheint. Wie Yin und Yang stehen sich die beiden fiktionalen Figuren Drum und Mt. Heart Attack als Antagonisten gegenüber, bilden jedoch mit ihren fließenden Übergängen ein Ganzes. Drum, so erklären die Liars, sei energisch und produktiv und steht für die kreative Zuversicht. Mt. Heart Attack hingegen soll den aus Drum folgenden Selbstzweifel und die Unsicherheit symbolisieren. "Worauf es letztlich hinausläuft", beschreibt Angus Andrew, "ist wie Aaron [Hemphill] und ich zusammenarbeiten. Es ist nicht so, dass einer von uns Drum ist und der andere Mt. Heart Attack ; jeder von uns trägt Elemente der beiden in sich."

Zwischen schnaubenden Noise Eskapaden und fast unwirklich coolen Stücken, wie das fast ausschließlich aus Rhythmen, Orgel und Sprechgesang getragene It Fit When I Was A Kid, hat sich mit "Drum’s Not Dead" das wohl ausgereifteste Album des Trios destilliert. The Other Side Of Mt. Heart Attack wiederum klingt so harmonisch und anrührend wie kaum ein Stück der Liars zuvor. Eine Revolution in gewissem Sinne. "Dieses Mal kam mir bei ein paar Songs plötzlich der Gedanke: darf ich mich überhaupt Musiker nennen, wenn ich noch nicht einmal am Lagerfeuer sitzen und zu einer Gitarre singen kann?", erklärt Angus Andrew die Veränderung.

Da Musik – und im Besonderen eben solche aus dem populärkulturellen Umfeld - jedoch auch immer etwas mit einem Genuss, mit welchem Adjektiv auch immer beschienen, zu tun hat, stellt sich die Frage, inwiefern man das Album auch ohne diesen theoretischen Hintergrund genießen kann. Das ist jedoch eine Überlegung, die jeder Einzelne für sich im Bezug auf den Konsum entscheiden darf.

Zu den zwölf Stücken wird man zusätzlich mit einer DVD konfrontiert, welche in drei Videos jeweils das gesamte Album visualisiert. Zweimal sind hier die Liars selbst verantwortlich und liefern Trickfilme aus Ölmalerei und Knetmasse owie Animations- und Realfilmevermischungen. Für die dritte Umsetzung konnte man den Filmemacher Markus Wambsganss gewinnen, der urbane Eindrücke auf Super 8 und 16mm Film festhält. "Im Grunde bestand 'Drum’s Not Dead' längst als visuelles Projekt, bevor es ein musikalisches wurde", erinnert sich Angus. "Wir haben uns schon lange mit diesem Thema beschäftigt und uns immer für Möglichkeiten interessiert, Musik und Film zu kombinieren."

"I get it", erklärt Dora Bianchi aus der Comic Reihe Questionable Content. "Liars are one of those bands that indie rock snobs pretend to like, because they think it’ll make them look smarter." Vielleicht.
foto: paul drake



liars
"drum's not dead"
mute 2006 cd+dvd / lp+dvd
liars

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Arctic Monkeys [Whatever People Say I Am, That's What I'm Not]

Man nehme vier 19-jährige junge Herren aus Sheffield, die aussehen wie freche Lausbuben aus der Nachbarschaft, eine Internetseite inklusive einer großen Fangemeinschaft und viel Herz für die Musik. Et voilá, schon hat man "den Hype 2006" vor seiner Nase und in seinem Ohr.


"a young girl's telephone beebs, yeah she's dashing for the exit,
she's running for the streets outside.
"
(fake tales of san francisco)


Alex (Gitarre / Gesang), Matt (Gesang / Schlagzeug), Jamie (Gitarre), und Andy (Bass) sind noch keine zwei Jahrzehnte alt und schon Mitglieder in einer der grossen Neuentdeckungen der Musikwelt. Es scheint als würden sie aus vollem Herzen alles heraus singen, schreien und spielen, was man in sich tragen kann. Sie legen Wert auf ihre Musik und mehr nicht. Sprich: es gibt endlich einen Hype, den man gerne annimmt. Den man lauthals mitmacht, ohne Gepose und dahergeredeten Quatsch. Man kauft sich endlich wieder CDs im Laden und benutzt den Computer nur noch, um auf dem Forum der Arctic Monkeys, welches unheimlich charmant wirkt wegen seiner Unprofessionalität, Neuigkeiten zu lesen und zu verschlingen.

Nach nur wenigen Jahren und Monaten als arktische Affen bekamen sie einen Plattenvertrag bei Domino Records, die unter anderem Banden wie Franz Ferdinand, Sons and Daughters, Test Icicles oder The Kills unter Vertrag haben. Ich muss zugeben, den Hype 2004 verschlafen zu haben. Erst vor einigen Wochen sprangen mir Franz Ferdinand ins Ohr, weil ich mich in diese Hypes nicht stürzen wollte, nur weil an jeder Straßenecke geprahlt wird, dass sie die neuen Beatles und Stones in Einem wären. Doch diesmal gebe ich gut und gerne zu, mich dem jetzigen Hype anzuschließen; obwohl es ein so unschönes Wort ist.

Man stelle sich Folgendes vor: Gerade betritt man den neusten Club in der Stadt. Man munkelt es werden die besten Parties gefeiert, die schönsten Menschen gesehen und die beste Musik gespielt. Das Bier ist billig zu erwerben und die Frauen die Tollsten der Stadt. The View From The Afternoon ist das erste Lied auf dem Album "Whatever People Say I Am, That's What I'm Not" und dazu eines der ohrumschmeichelnsten, rhythmisch treibensten und tanzbarsten Lieder von den folgenden 12. Jedenfalls ist alles so wie man es hörte und hoffte. Man bezahlt, bekommt einen Stempel in Form eines Affen auf die Handfläche gedrückt, schmeißt nach einigen Momenten seine Jacke in die Ecke und sieht sich erstmal um. Wo lässt es sich am besten tanzen und wo kann man erstmal den Rhythmus finden. An der Theke, auf dem Klo, an der Bühne oder mitten auf der Tanzfläche? Kaum droht das Lied damit zu enden, beginnt auch schon I Bet You Look Good On The Dancefloor, welches die erste offizielle Single der Arctic Monkeys ist. Entweder trinkt man jetzt schnell sein Bier in einem Zug leer, welches man wenige Minuten zuvor noch in die Hand gedrückt bekam, oder man verschenkt es an ein schönes Mädchen oder einen schönen Jungen, die noch immer nur am Rand stehen und vor sich hin wippen. Unverständlich.

Arme und Beine bewegen, den Kopf abschalten und den Körper sprechen lassen. Die Augen entweder schließen, alles genießen und laufen lassen oder die Augen offen halten und sich Jemanden suchen, mit dem das Getanze noch besser wird. Mit Hilfe von Liedern wie Dancing Shoes oder Still Take You Home tanzt und hüpft man sich den ganzen Stress und die angesammelte Anspannung der letzten Tage und Wochen von der Seele und vom Herzen. Tankt sich neu auf. Mit perfektem Geschredder der Gitarren und lautem, treibendem Geschepper des Schlagzeuges erlebt man eine Nacht der besonderen Art. Nachdem man schon das Kribbeln in den Fußzehen spüren kann und die Haare nass vor Schweiß sind, folgt Riot Van, welches das erste wahre und ruhig stimmende Lied auf der ganzen CD ist. Es ist wie ein Anfang einer B-Seite und eine kleine Pause vom Tanzen der Füße und des Herzens. Doch keine Chance für diejenigen, die die ersten sechs Lieder schon ihren Körper sprechen ließen.

Red Light Indicates Doors Are Secured wartet schon um die Ecke und lacht sich eins ins Fäustchen, dass es uns gleich wieder auf die Tanzfläche schickt, obwohl wir morgen früh wahrscheinlich feuerrote Fußsohlen haben werden. Es erinnert mich ein wenig an ein Lied von den Helden, aber die können da lange nicht mithalten, obwohl sie schon ein paar Jahre länger auf dieser Welt herumtapsen. Umso mehr genießt man das nächste Lied Mardy Bum, welches auch Titel einer Fanseite der Band ist. Es schmeckt nach Kindheit, riecht nach Pfützenspringen und fühlt sich an, wie eine Badewanne voll mit Lebkuchenherzen.

Bei den vorherigen und folgenden Liedern gibt es Stellen, bei denen die Musik leiser und die Instrumente weniger werden. Man meint, es wäre das Ende eines Tracks nahe, doch dann legen das Schlagzeug oder der Gesang noch einmal einen drauf und haben uns eiskalt erwischt. Es geht weiter und unsere Körper lassen sich nicht stoppen. Man könnte meinen, sie wollen uns das Lied einprägen und einflößen, damit wir es nicht vergessen und es irgendwann vielleicht man gebrauchen können. Wie ein gut gemeinter Ratschlag zum Merken.

"Who’s that girl there…", fängt When The Sun Goes Down an und gibt einem einen unglaublichen Kick. Die Bühne ist voller Menschen, voller unkontrollierter Körper und zufriedenen Gesichtern. Am Rand stehen noch immer wippende Menschen, die man am liebsten vermöbeln möchte. Entweder man tanzt mit oder lässt alles bleiben. Doch wie es der Zufall so will, sieht man ein Mädchen oder einen Jungen, die einen umhauen. Obwohl sie "nur" wippen und ihr Bier trinken, bringen sie uns beinahe aus dem Rhythmus. Ohne nachzudenken tanzt man auf sie zu, schnappt sich ihre Hand und sie lassen ihr Bier auf den Boden fallen. Es klirrt, man tanzt eng umschlungen und im nächsten Moment wieder mit zwei Meter Abstand voneinander. Das vorletzte Lied klingt an und langsam entfernt man sich mehr als nur zwei Meter von dieser Person. Dies hier ist mein Abend und der von diesem Club, das lasse ich mir von keiner augenscheinlich tollen Person nehmen. Heute Nacht teile ich meine neue Droge mit Niemandem.
Mit Getrommel und Geschepper beginnt A Certain Romance und vermischt sich in eine der besten Gitarrenmelodien, die ich kenne. Es ist vielleicht sogar eine Art "schönes Abschiedslied" von einer schönen Bande mit ihrem ersten und - wer hätte es gedacht - schönen Album. Die Füße werden ruhiger und das Lächeln auf den Lippen ist nicht mehr zu verstecken. Die letzten Töne sind noch einmal wie eine vollkommene und endgültige Befriedigung für das Ohr und das Herz, für den Verstand und für diesen Abend. Die Arctic Monkeys sind die wohl tollsten Affen, seit es den Menschen gibt. Schade, dass unsere Vorfahren schon festgelegt sind und wir sie nicht einfach durch diese besondere Affenart ersetzen können.

Zu Ende ist dieser fantastische Abend. Alles tut weh und trotzdem weiß man "alles wird gut". In jeder Hinsicht, die man sich nur vorstellen kann. Jetzt sieht man aus, wie der Herr auf der Rückseite des Covers. Den Kopf in die Hände gelegt, mit einer Zigarette in der Hand und einfach nur kaputt. Kaputt und glücklich. Und das bin ich auch.

Vorhang auf und Hände in die Luft, für die wohl besten Affen der Welt.
foto:



arctic monkeys
"whatever people say i am, that's what i'm not"
domino 2007 cd
arctic monkeys

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600 Wörter [Liebe]

Was mit Werther angefangen hat, ist heute die Lätta Werbung.





Es gibt nichts Leichteres, als eine das Thema umfassend behandelnde Kolumne mit exakt 600 Wörtern zu schreiben, und zwar in einem Anlauf, ohne später etwas wegzukürzen oder auch nur ein unnötiges Adjektiv hinzuzufügen. Und dabei ist die Themenwahl völlig egal.

Nehmen wir das Thema "Liebe", weil es so banal und heimtückisch ist. Jeder glaubt, etwas darüber zu wissen oder wissen zu müssen und doch halten es alle für das große Gehemnis. Das als Inder mit dem Namen Ramakandra geränderte Systemprogramm ("power plant system's manager for recycling operations"), dass seine geliebte Tochter Sati aus der Matrix in eine bessere Welt führen möchte, hat alles gesagt, was es zu Liebe zu sagen gibt: "Es ist nur ein Wort." Dann sagte Ramakandra noch etwas, das schon wieder über das Ziel hinausschießt, eine Dummheit, um genau zu sein.

Letzte Woche saß ich in einem American-Airlines-Flug und wurde von Holly und Sherry mit Chicken, Coffee und Orange Juice bewirtet. Immer wenn Holly an meinem Platz vorbeikam, fragte Sie mich "Can I get you anything else, honey?" oder "Are you okay, love?" LOVE! Nur ein Wort. Später im Flughafen-Hotel, als Hollys Vaginal-Piercing lustig an meinen Zähnen klapperte, hatte das doch nichts mit Liebe zu tun. Im Gegenteil: beim Liebemachen vergesse ich die Frauen total. Wenn eine am Telefon sagt, sie vermisse mich, dann nur, weil ihr langweilig ist oder weil ihr nichts originelleres eingefallen ist.

Ich sehe einige LeserInnen hier protestieren. Natürlich. Aber denken Sie: Wenn es nicht Langeweile, Einfallslosigkeit oder Gewohnheit ist, dann ist es etwas noch Schlimmeres: Sie haben sich Ihre Liebe aus dem Fernsehen abgeschaut. Was mit Werther angefangen hat, ist heute die Lätta-Werbung. Ihre geliebten Männer sind von diesem Problem übrigens weniger berückt. Die genießen auch eher die Segnungen der Pornographie. Sie sollten das ebenfalls einmal probieren. Es ist wirklich nichts dabei und ihre heilsame Wirkung gegen Romantik und Sentimentalität wird sehr unterschätzt. Früher hatten wir Männer unsere Arbeit, mit deren Hilfe wir vor Frau und Kind flüchten konnten. Heute sitzen wir rum und füllen Arbeitsamts-Formulare online aus. Die wahre Liebe ist da immer nur einen Klick entfernt. Und glauben Sie mir: auch meine Freundin würde einen Eid schwören, dass ich so etwas nicht täte. Das liegt aber nur daran, dass wir Männer den Browser-Cache und die Download-History blind löschen können.

Das über das Körperliche hinaus Zwischenmenschliche ist den meisten Menschen eine leidlich erträgliche Mischung aus Missverständnis und Enttäuschung. Und bevor Sie jetzt versuchen, den bedauernswerten Autor zu analysieren, kann ich Ihnen sagen: Er ist ein glücklicher Mensch, der Glück mit den Frauen hat. Glücklichsein setzt ein wenig verbale Abstraktion voraus und verträgt sich schlecht mit unklaren Gefühlsschüben. Wie Sie ja schon selbst bemerkt haben, sind Glück und das, was Sie Liebe nennen, verschiedene Aggregatzustände der Seele (dieses Wort benutze ich nur aus Anbiederei), sie sind unvereinbar. Mit einem wachen Verstand kriegen Sie vielleicht den kurzen Moment mit, wenn das Eine schmelzend in das Andere übergeht. In aller Regel denken Sie jedoch dann schon ängstlich an den nächsten Moment, in dem Ihnen das Wasser bis zum Hals stehen wird. Darauf werden Sie gründlich programmiert. Diese Erwartungshaltung, die alles andere als stramm ist, macht Sie unglücklich. Und hier kommt Ramakandra wieder ins Spiel oder besser die Dummheit, die er seiner Weisheit hinterhergestellt hat. Er sagt nämlich, es käme darauf an, was wir mit dem Wort Liebe verbinden. Ach Gottchen. Das ist doch das Problem: Sie verbinden zu viel mit diesem Wort. Lassen Sie das. Wenn Ihr Partner das nächste Mal zu Ihnen sagt, "Ich liebe dich", dann sollten Sie da nicht mehr hineininterpretieren, als dass er mal wieder richtig einen von Ihnen geblasen...
Text: Gilbert Dietrich
illustration: heiko windisch

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The Most Serene Republic [Underwater Cinematographer]

Post Playstation Orgasm.
Das scheinbare Chaos der zeitgenössischen Reizüberflutung ordnen die sechs jungen Kanadier mit dem venezianischen Namen unter Zuhilfenahme von Enthusiasmus, ansteckender Begeisterung und einer gehörigen Portion Indiepop.


"i can formulate ideas and thoughts before i can think."
(relative's eyes)


Die übersättigte Spaßgesellschaft hat sich seit vielen Jahren in ihrer Janusköpfigkeit festgefahren; zwischen eher geistlosen aber beharrlichen Revivals vergangener Tage, den Blick zurück auf Kindheit und Jugend gerichtet, und der antriebslosen Verstimmung der Gegenwart, scheint kaum ein Gedanke an ein Fortschreiten, an eine Entwicklung verschwendet zu werden. Man legt weiterhin großen Wert auf die Juvenilisierung der Gesellschaft, und bei der vom Markt umschwärmten Zielgruppe hat sich ein äußerst seltsam anmutendes Nostalgiegefühl ausgeprägt, das man eher bei Rentnern erwarten würde. Die Früher-War-Alles-Besser Mentalität der nach der deutschen Wiedervereinigung Geborenen äußert sich heute mit einer altklugen und gleichgültigen Gewissheit. Wenn hierzulande selbst Konstantin Wecker das revolutionäre Potential nicht mehr in der klingelbetonten Jugend, sondern vielmehr bei den Rentenempfängern sieht, verlangt es nach Veränderung. Dass man sich hierfür nicht in Zweckzynismus, gleichgültiger Stagnation, altbackenen Aufschwungskampagnen oder verkopfter Idealisierung verlieren muss, zeigen zumindest im kulturellen Bereich derzeit eine handvoll junger Künstler, die aus der bunten Produktpalette des Hier und Jetzt gelernt haben und diese Erfahrungen wie selbstverständlich stilbildend verarbeiten. Man muss nicht PostEverything oder NewNewAnything mit zurückgewandtem Blick produzieren, wenn das Leben von vorne kommt. The Most Serene Republic sind eine jener Bands, die sich vom fünfzigjährigen Matriarchat der Gitarre in der Pop- und Rockmusik befreit haben, die es wagen bestehende Konventionen zu brechen und dabei so bedingungslos gut herüberkommen, dass man gewillt ist seinen Controller aus der Hand zu legen. (Ganz so schlimm ist es selbstverständlich nicht.)

The Most Serene Republic stammen – wie der Pressetext erklärt – aus den Vororten der Vororte von Toronto. Dass das oft als wegweisend bedachte urbane Leben dort nicht gerade tobt, dürfte dank der Formulierung auf der Hand liegen. Ebenso deutlich ist jedoch auch, dass aufgrund der weltweiten Vernetzung selbst in Hemmoor - Verzeihung - jenseits von Raum und Zeit kosmopolitische Erfahrungen gemacht werden können. Vielleicht ist es sogar vielmehr ein Privileg, welches man jedoch erst begreifen und für sich deutlich machen muss.

Ryan Lenssen und Adrian Jewett gründeten die Band 2003 zunächst als Duo, stellten jedoch recht schnell fest, dass ein Laptop und ein Keyboard nicht ausreichen würden, um die geplanten Ideen umzusetzen. Das ausufernde Instrumentarium – wie es für die angesprochenen Bands wie Broken Social Scene oder die Architecture In Helsinki üblich scheint – ist nur ein weiteres Indiz für den Reichtum an Melodien und Sounds, welche man in dem guten Dutzend überorchestrierter Indiepop Songs wahrnimmt. Auch wenn Lenssen bereits seit 16 Jahren Klavier spielt und angibt, dass "Underwater Cinematographer" von Igor Stravinsky inspiriert sei, lässt sich die überbordende Fülle, das gleichzeitige Stattfinden unterschiedlichster Details in den elf Stücken nicht leugnen; da laufen zwei Gesangsspuren parallel, Drum Computer wettern gegen ein echtes Schlagzeug, Keyboards, Streicher und Bläser eifern mit Gitarren um die Wette. Ein wichtiger Moment der Abgrenzung zu anderen Bands sei jedoch die Struktur, die ausgereifte Komposition dahinter. Es geht nicht um Zufälle, sondern um eine Ordnung im Chaos. "No one does that anymore, everyone just blogs", so Sänger und Posaunist Lensson.

Wenn ein Freund des Labels in einer Email die Bezeichnung "Post Playstation Orgasm" verwendet, dann geht es genau hierum. Wir haben uns die Fähigkeit angeeignet im Alltag unzählige Dinge synchron wahrzunehmen; Wir schauen fern, hören Radio, surfen im Internet und spielen Videospiele, wir unterhalten uns, während ein Mobiltelefon klingelt, aber dennoch können wir all diese Informationen selektiv ordnen. Eine solche Struktur tritt auch beim Hören des Albums immer mehr in den Vordergrund, wenn man ihm den einen oder anderen Durchlauf gegönnt hat. Was zunächst verworren und überladen klingen mag, kann rasch dekodiert werden und wir finden uns plötzlich spielend zurecht. Es scheint, als stünde man mitten im Stück selbst, gerade auch, weil es sich die Sechs Mittzwanziger nicht nehmen lassen, auch mal während den Stücken zu diskutieren.

Auch die gewählten Titel scheinen mit den Absurditäten unserer Zeit zu kokettieren; da wird das Gesprächswort "Oh" gleichsam verheißungsvoll und ironisch im Titel (Oh) God ausgeklammert, das Spiel mit der Sprache als solche in Content Was Always My Favorite Colour oder Where Cedar Nouns And Adverbs Walk ausladend gefeiert, oder eben auf jene angesprochene fragmentarische Fähigkeit in einem, jede LCD Anzeige sprengenden Titel wie The Protagonist Suddenly Realizes What He Must Do In The Middle Of Downtown Traffic eingegangen. Mit voller Selbstverständlichkeit. Schließlich wiederholt die gesamte Band am Ende von besagtem Where Cedar Nouns ... im Chor solange die Zeile "I think, we all know the words", bis keine Fragen mehr offen bleiben. Dieser gemeinsame Gesang taucht immer wieder auf, so etwa im, mit zahlreichen Handclaps und Human Beatbox angereicherten Stück Proposition 61, wenn zum Ende des, von einem Mädchen namens Jude handelnden Stückes, das Sextett die Zeile "She took a sad song and made it sadder" – zweifelsohne in Anlehnung an ein sehr bekanntes Beatles Stück - wiederholt zum besten gibt. Gerade diese überraschenden Momente, das Spiel mit den Erwartungen des Zuhörers, beeinflusst von unzähligen Melodie-, Tempi- oder auch Instrumentenwechseln birgt eine selten gehörte Originalität. Bisweilen errettet eine unscheinbare Pianomelodie aus einer anschwellenden Kakophonie und es wird des Öfteren klar, dass der Enthusiasmus und die Begeisterung der Protagonisten selbst Ursprung aller Vielfältigkeit sind.

Ich wage es einfach einmal mich an dieser Stelle sehr weit aus dem Fenster zu lehnen und "Underwater Cinematographer" als eines der eindrucksvollsten Debüt Alben des noch jungen Jahres zu benennen.
foto: p. wilson



the most serene republic
"underwater cinematographer"
arts&crafts / city slang 2006 cd / lp
the most serene republic

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Sonntag Nachmittag [Februar 2006]










fotos: manuel kaufmann

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