Emiliana Torrini [Fisherman's Woman]

Life has been insane but today has been OK.
Emiliana Torrini beweist, dass Liebe, Schmerz und Schönheit dicht beieinander liegen und veröffentlicht ein wunderschönes, verspielt trauriges Album, dass durch seine Ehrlichkeit besticht.



"and the only thing you can thnik of, is me, waiting for you by the window."
(fisherman's woman)


"Home alone and happy, nothing brings me down" - schon in ihren ersten Zeilen gibt Emiliana Torrini an, wie es um sie und ihr neues Album steht. Nothing brings me down, egal was sein mag, sie steht wieder auf. Es ist ein schönes Album, dass die kleine Isländerin mit der großen Stimme, die ein wenig an Björk erinnert, geschaffen hat. Während ihr Debütalbum vor fünf Jahren als TripPop Hoffnung gefeiert wurde, besann sie sich auf "Fisherman’s Woman" auf das wesentliche und schuf gemeinsam mit dem englischen Produzenten Mr. Dan ein rein akustisches Album voller zauberhafter Melodien und liebenswerter Wärme. Es ist Musik, die der Hoffnung und melancholischen Freude ein Dasein in der Welt der Töne bietet. Musik, die einen lachen lässt und ein wohliges Gefühl im Bauch erzeugt. Aber es ist auch eine Platte, die einen den Schmerz verstehen lässt. "Fisherman’s Woman" ist eines Liebesbrief, den Emiliana Torrini an ihren verstorbenen Freund schrieb. Von diesem Verlust her rührt auch der Titel: "Ich versuchte damit zurechtzukommen, indem ich mir vorstellte, ich sei mit einem Fischer zusammen. Manchmal fahren sie monatelang auf See, wie der Vater meiner Freundin. Ihre Mutter sah ihn zwei Mal im Jahr, vielleicht zwei Wochen lang jeweils."

Doch trotz der Trauer um ihren verlorenen Fischer behielt sich Emiliana Torrini ihre Hoffnung. Und trotz der tiefen Traurigkeit, welche manche Songs ausstrahlen, ist man doch froh, an dieser teilhaben zu dürfen; und - nie verliert sich Emiliana in ihrem Leid. Vielmehr vertont sie zart ihre Liebe, wenn sie etwa im kurzen aber intensiven Snow ihre Sehnsüchte wiedergibt: "And I hope again to live this live, to see you again before I die". Neben ihrer Begabung, Gefühle wiederzugeben, besitzt Emiliana ein Gespür für die kleinen Geschichten des Alltags. "The preacher lost his son, … he found him with another son of god", singt sie in Today Has Been OK und hinterlässt ein Lächeln auf meinen Lippen.

"I laugh out loud, my life is a mess, I have gone too far in my lifelessness" Eine perfekte Symbiose zwischen Text und Musik schafft das großartige Heartstopper; "And my heart stops beating", singt die Halbitalienerin und sofort stoppt der treibende Rhythmus, der mit seiner Beständigkeit an den Takt des Lebens erinnert. Das ganze hat etwas schelmisch verspieltes - gefällt. Anstelle der Elektronik des Vorgängers treten Gitarre und Klavier in den Vordergrund, elektronische Beats werden – beispielsweise in Next Time Around - durch einen Hauch von Jazz ersetzt. Die Musik ist so offen und authentisch wie die Welt, die uns die Isländerin präsentiert. Es ist ihre Welt, ihr Leben; mal sanft, mal bestimmt, mal traurig, mal beflügelt, aber nie langweilig. In Serenade entführt uns Emiliana in eine sphärische Welt, in der wir uns monderhellten Träumereien hingeben können, während das geheimnisvolle Lifesaver durch sein hintergründiges Knarren von Booten im Wasser besticht.

"The phones are off the music's on." Eigentlich sollte nach Emilianas erstem Album alles anders kommen. So wollte sie "nach Indien ziehen, um dort die traditionellen Techniken zu lernen, dann weiter nach Bulgarien, Zigeunerin sein und die Techniken lernen, und immer weiter ziehen und neue Arten zu singen lernen". Zum Glück wurde daraus nichts, denn stattdessen landete sie in England und machte eine Pop-Platte. Und dazu noch eine wunderschöne.
foto: kevin westenberg



emiliana torrini
"fisherman's woman"
rough trade 2004 cd
emiliana torrini

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Lemon Jelly ['64 - '95]

Objects in the rearview mirror, may appear closer than they are.
Lemon Jelly veröffentlichen ein retroperspektivisches Album, welches sich von den Jahren 1964 bis 1995 nährt, und setzen es in einer futuristischen, computeranimierten Welt visuell um.



"in an alternate universe, '64 - '95 would be our best-of album."
(nick franglen)


Dass sich Lemon Jelly, die ich das erste Mal in 2001 wahrnahm, als mich ein wunderbar designtes "LemonJelly.ky" Album nicht vorbeigehen lies, ganz herzerfrischend als anspruchsvolle Konsens-musik verwenden lässt, habe ich nicht nur auf einer mehrstündigen Fahrt nach Hamburg, mit ein paar Freunden, von denen der größere Teil ihre musika-lischen Vorlieben leider überwiegend aus den größten Hits der 80er, 90er und dem Besten von Heute speist, bemerkt. Sogar bei der Thronjubiläumsfeier von Queen Elisabeth in 2003, wurde erwähntes Album zwischen Sets von Elton John und Phil Collins gespielt.

Die beiden Londoner Fred Deakin and Nick Franglen, die hinter Lemon Jelly stecken, sahen ihr Musikprojekt zunächst als einen Feierabendjob an, waren sie doch beide beruflich bereits etabliert, als sie damit begannen. Während Nick als Produzent und Sessionmusiker bei unterschiedlichsten britischen Popstars arbeitete, hatte Fred sein eigenes Design Studio Airside aufgebaut, und legte nebenbei Platten in diversen Clubs auf. "Erst ab einem gewissen Punkt kam uns in den Sinn, dass Lemon Jelly vielleicht ein neuer Weg werden könnte, etwas mit unserem Erlernten und dem musikalischen Wissen anzufangen. Schließlich will niemand für den Rest seines Lebens dasselbe machen. Obwohl wir beide wirklich glücklich waren mit dem, was wir vorher gemacht haben", erklärte Fred einmal in einem Spex Interview.

Das integrative Verbinden von Design und Musik ist von Begin an zu einer Prämisse von Lemon Jelly Veröffentlichungen geworden. Beruhte der Design Ansatz bei den ersten beiden Veröffentlichungen noch auf den bunt designten Plattencover und Booklets, die in ihren stilistischen Graphiken ohne viele Worte die Musik zu beschreiben vermochten, sind die beiden Herren auf ihrer neuen Veröffentlichung "’64-’95" noch einen Schritt weitergegangen. Fred Deakins Designbüro Airside hat es sich zur Aufgabe gemacht, jeden der zehn Tracks mit einem individuellen Video zu visualisieren, und somit die Idee hinter Lemon Jelly einen Schritt weiter zu führen. Machte man bereits erste Gehversuche mit Promovideos für die Singleauskopplungen des letzten Albums "Lost Horizon", hat man jetzt jeden einzelnen Song versucht in seinem Kern visuell zu interpretieren. Ein kunterbuntes Panoptikum an Ideen.

Die zehn Stücke auf "’64-’95" basieren in ihren reichhaltigen Trackstrukturen jeweils auf einem einzelnen Sample, bzw. Auszug, bei welchem der Albumtitel den Zeitraum beschreibt, aus welchem eben diese ausgewählt wurden. Plattensammlermusik. Und die Auswahl ist so vielseitig wie in ihrer Konfrontation spektakulär. Basiert die erste Singleauskopplung I Wanna Stay With You noch auf dem gleichnamigen Pop Klassiker des Singer/Songwriter Duos Gallagher & Lyle - der ersten Band auf dem zerbrochenen Beatles Label Apple, welche mit When I´m Dead And Gone einen Welt Hit hatten, der später durch ein Fury In The Slaughterhouse Cover auch in Deutschland späten Ruhm einstrich - so ist der Opener Come Down On Me dem Stück The Blue Garden der Heavy Metal Heroen Masters Of Reality entliehen. Lemon Jelly gelingt es jedoch, ganz gleich welche epochale Idee hinter dem jeweiligen Stück zu erkennen ist, die Musik in einem für sie typischen Downbeat Gewand erscheinen zu lassen. Insgesamt lässt sich bei den neuen Stücken eine weitere Entwicklung der Band erkennen, welche von der ersten EP "In The Bath" von 1998 her anrührt; freiere Beatgestaltung, vielschichtige Sounds, die auftauchen und verschwinden, um später in einem anderen Kontext ein neues Gesamtbild zugenerieren, und Trackarrangements, die gänzlich ohne Popsongstrukturen im eigentlichen Sinne auskommen.

Erscheint Come Down On Me zunächst noch wie die Visualisierung von Musik über die heimische Jukebox am PC, bemerkt man schnell, dass diese Bilder mit denen zweier Balletttänzerinnen einhergehen, und in ihrer Bewegung ein Supernova Feuerwerk umsetzen, dass einem James Bond Intro gar nicht so unähnlich zu sein scheint. Das herrlich verspielte Slow Train hingegen ist eine Computer Animation, in welcher sich kleine Züge in regenbogenfarben, wie Schlangen durch eine völlig weiße Umwelt bewegen. Den Rhythmus dazu liefert ein vertrackter Auszug aus Albert Hammonds I’m A Train aus dem Jahr 1974. Zwei headbangende Figuren auf einem alten Zettel, die im Stil den Kugelschreiberkritzeleien ähneln, die manche Menschen während dem Telefonieren ersinnen, sind die Protagonisten der brutal daherkommenden Umsetzung des Stückes The Shouty Track, welches Elemente des ’79er Punksongs Horror Show von den Scars enthält. Dem kontrastierend gegenüber steht die fluoreszierende Pflanzen und Insekten Welt im Stück Make Things Right - einem, mit Lemon Jelly bewährter Akustikgitarre unterlegtes R’n’B Stück von Monica, in der auch Einkaufswägen und ein Pottwal durch ein psychedelisches Meer schweben, und ein ums andere Mal an Neon Reklame Schilder erinnern. Das letzte Stück, schlicht Go betitelt haben Fred Deakin und Nick Franglen gemeinsam mit William Shatner aufgenommen, was nicht überraschend ist, haben die beiden Elektroniker doch bereits auf seinem wundervollen Album Has Been einen Track beigesteuert.

Ohne Ecken und Kanten, jedoch nicht als profane Künstelei gehen die zehn Filme in einander über, und bieten dabei jedoch für jeden Track erneut eine völlig eigenständige, überraschend inspirierte Idee. Gerade das freie Spiel mit den unterschiedlichsten Genres aus dem gewählten Zeitraum lässt den gesamten Film als ein abwechslungsreiches und stets farbenfrohes Erlebnis werden, besonders in einer Zeit, in welcher Musikfernsehen so uninspiriert ist wie nie zuvor.
foto: graeme stuart



lemon jelly
"'64 - '95"
beggars group 2005 cd / dvd
lemon jelly

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Cosmic Casino [Be Kind And Be Cause]

Gelangweilt geht anders.
Mit Enthusiasmus stürmen Cosmic Casino in den Proberaum und erklären den Lustgewinn zum wichtigsten Bezugspunkt ihrer Musik.




"what do i have to do to impress you?"
(we're gonna do this)


Die Menschen von Stickman Records sind mächtig stolz auf ihr jüngstes Signing. Und das, obwohl die Münchner von Cosmic Casino die erste deutsche Band in diesem ehrenwerten Haus sind, sieht man einmal von Slut ab, deren erste beiden Alben auf dem Schwesterlabel Sticksister veröffentlicht wurden. Ungewöhnlich ist das allemal und verwundert im ersten Moment. Ein Label, das sonst Tonträger von Bands wie Motorpsycho, The Soundtrack Of Our Lives oder 35007 veröffentlicht, nimmt sich einer Band an, die stolz unter dem Zusatz "Published by Edition Sportfreunde" firmiert? Cosmic Casino existiert immerhin bereits seit 1999, wenn auch der Name bereits vor der Band geboren war, die sich Bassist Markus Schäfer im Laufe der folgenden Jahre zusammensucht. Ab dem Jahr 2001 wird dann kräftig getourt, "von Juze bis Stadtfest und zurück", man teilt sich die Bühne mit Bands wie Aereogramme, Mother Tongue, Slut und auch den Sportfreunden und Such A Surge. Zwischendurch wird im November 2002 die EP "Boy in A Band T-Shirt" veröffentlicht. Und damit sind eigentlich auch schon die Grundvorrausetzungen für einen zukünftigen Rock’n’Roll-Mythos, eine nette Entstehungsgeschichte und Authentizität bis zum Abwinken, perfekt.

Dass es auch tatsächlich um Rock’n’Roll geht, will das Quartett nun mit seinem Debütalbum "be kind & be cause" beweisen. Ein Mythos soll hier jedoch nicht entstehen, vielmehr wird das Klischee umgewandelt und aus dem Mythos soll eine eigene kleine Realität werden. Der Albumtitel suggeriert jedoch bereits, dass dies für sie nicht gleichbedeutend mit dem Ausleben von platten Attitüden ist. Vorrangig ist das Bandelement, gemeinsam Musik schaffen und erleben. Sein eigenes Ding durchziehen, dass Herz in die Hände genommen und selbige nicht in den Schoss gelegt. Enthusiasmus und Begeisterung ist, was sie spüren und was sie vermitteln wollen. Die Sehnsucht danach, im wahrhaftigen Sinne eine Band zu sein und ebenso wahrhaftige Musik zu machen, zieht sich durch das gesamte Album. Musik, die dadurch so ehrlich und emotionsgeladen wird, dass sie auf der einzigen Ebene stattfindet, die man sowieso kompromisslos für sich reklamieren kann: Dem Selbstbezug und dem Willen, in ihr das zum Ausdruck zu bringen was einen antreibt.

Das Album scheint eine Analogie zum klassischen Stereotyp der Modelleisenbahn zu sein. Erwachsene Männer werden zu kleinen Jungs, wenn sie wieder ihr Lieblingsspielzeug zur Hand nehmen dürfen. Nur sind es hier nicht Lötkolben und Schienenbausätze, sondern Schlagzeug, Gitarre, Bass und Gesang, die zum Einsatz kommen. Es ist durchweg spürbar, dass während den Aufnahmen eine Menge Glückshormone ausgeschüttet worden sein müssen. Die Musik strahlt eine Art Gesamtzufriedenheit aus, auch wenn bei Songs wie Birthday Song oder dem einzigen ruhigen Stück Postcard From The Moon durchaus melancholische Töne angeschlagen werden. Bereits die ersten Akkorde des Albums machen unmissverständlich klar, wohin der Weg führt. "Didn’t I say, coming in one two three", deutlicher kann es Sänger Rich Goerlich in Error, Andy kaum formulieren. Nach vorne geht es, die Gitarre ist das treibende Instrument, der Rest zieht zügig nach. Cosmic Casino erlauben sich selbst keine großen Experimente, die Songs sind technisch nach dem klassischen und allseits bekannten Schema aufgebaut. Dennoch fehlt dem Sound ein wenig der rote Faden, der sich durch das Album zieht. Cosmic Casino fahren auf der bekannten Indierockstraße lang und blinken immer wieder, um abzubiegen. Dann wird im nächsten Song der Blinker wieder reingeholt, der bewährte Weg wird doch weitergeführt. Der Shoutingversuch von Rich Goerlich in Hating People Is Easy bleibt auch bei einem solchen, Sätze wie "this love turned into a riot" verlieren sich in Gitarrenwänden, anstatt dem Zuhörer die Ohren wegzublasen. Das anschließende Persona Non Data lässt nicht nur dank des großartigen Songtitels aufatmen, Goerlich macht wieder das, was er am Besten kann. Seine rauchig raue und dennoch zerbrechliche Stimme lässt auch während Uptempo-Passagen immer wieder ein Augenzwinkern zu, Verzweiflung vs. Glücksgefühl. Cosmic Casino schaffen es, sich in konventionellem Rahmen zu bewegen, ohne zu langweilen, oder gar zu kopieren. Einzig Zoe, where is your mind? wirkt zu sehr Strokes-inspiriert, wenn auch eine beachtenswerte Vitalität mitschwingt, die man häufig vergeblich sucht. Und letztendlich wird auch die große Rockpose nur mit einem ironischen Lächeln bedacht, Get Up And Cry Like A Man lässt das Selbstverständnis der Band einmal mehr stark durch die Musik hindurchschimmern.

Cosmic Casino erfinden den Indierock nicht neu. Aber sie zeigen hervorragend auf, was diese Musik ausmacht und wofür sie so viel Herzblut gegeben haben. Das Transportieren der Euphorie mag dabei zwar vielleicht nicht das erklärte Ziel dieser Band sein, aber dennoch gelingt es ihnen wunderbar. Denn sie meinen es ehrlich, nicht nur mit den anderen, sondern vor allem mit sich selbst. Sie gehen diesen Weg selbst, anstatt sich von anderen ziehen zu lassen. "It’s wonderful to be here on my own." Für Cosmic Casino ist das Rock’n’Roll.
foto: ingo petramer



cosmic casino
"be kind & be cause"
stickman/sticksister records 2005 cd
cosmic casino

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...Trail Of Dead [Worlds Apart]

Das Ästhetisieren der Destruktivität.
Die Kunst vor die Zerstörung gesetzt, besprechen Trail Of Dead, ohne jede Bescheidenheit, die Geschichte menschlicher Konflikte in einer ganz persönlichen Abhandlung des Rock 'n' Roll.


"what's the future of rock 'n' roll? I say, i don't knwo, does it matter?"
(world's apart)

Die wuchtige Tom des Schlagzeugs rollt dumpf polternd über die Balus-trade, Gitarrenhals und Korpus werden nur noch durch einige Saiten miteinander verbunden. … And You Will Know Us By The Trail Of Dead. Kaum eine andere Band bindet die vernichtende Ästhetik eines Rockkonzertes so sehr in ihr Spiel ein, und bewegt sich inhaltlich eloquent auf so hohem intellektuellem Niveau, wie diese Band aus Austin, Texas. „Ich hatte nie den Vorsatz, etwas zu zerstören. Es geht mehr darum, Dinge zu reparieren. Die Punks hatten seinerzeit das Ziel, die Rockmusik zu zerstören, und wenn ihr mich fragt: Das ist ihnen gut gelungen, wie man jeden Tag im Radio hören kann“, erklärt Conrad Keely, Sänger und Gitarrist der Band, mit gesundem alltags Zynismus. Man muss also erst alles zerstören, um neues zu erschaffen, scheint der Ansatz hinter der romantisierten Destruktivität zu sein.

Mit ihrem vierten Album, „Worlds Apart“ präsentieren Trail Of Dead das, was sie aus unterschiedlichsten genreeigenen Einflüssen, als ihr eigenes Verständnis von Rock 'n' Roll destilliert haben, in einer Zeit, in welcher regelmäßig empor sprießende junge Bands die Last aufgebürdet bekommen, eben diesen zu retten. In einer Zeit, in welcher die Phrase „Rock Is Dead“ an den Wänden prangt, und ein immer uninspirierteres, den ursprünglichen Belangen wie Leidenschaft, Aufbegehren und Kontroverse beraubtes, stets durchschaubares Relikt zu beschreiben vermag. „Have you forgot just what you are?“, fragt Keely einen imaginierten Brian Wilson in Will You You Smile Again, und spricht damit eben diesen Werteverlust an. „If you don’t want to, then you could at least pretend / That the paper’s your soul and your blood’s in the pen.

Seit ihrer Gründung im Jahr '94 strickt die Band an eigenen Mythen und Anekdoten, bei denen sie nur zu gern beobachten, wie in den Gazetten darüber berichterstattet und diskutiert wird. Das, kurz vor dem Albumrelease veröffentlichte Essay Keelys, mit dem Titel „Death of the Enlightend Amateur – A Brief Summary of Key Developments in Western Music“, in welchem er auf die unzertrennliche Verbundenheit von technischem und musikalischem Fortschritt von der Antike bis heute eingeht, und in dessen Ausführungen er als Fazit die moderne, auf Konsum, und damit von der eigenständigen, praktischen Musikalität des aufgeklärten Amateurs fortbewegten Entwicklung zielt, anprangert, bewegt sich ebenfalls auf dem schmalen Grad zwischen ernsthafter Aufklärung und intellektueller Farce. „Für mich ist Ehrlichkeit wichtiger als Wahrheit." Mit dieser Aussage begibt sich Keely ohne Zweifel auf philosophisches Terrain, einem Thema, welches man im rockmusikalischen Zusammenhang eher selten suggeriert bekommt.

Durch ihr 2002er Album „Source Tags & Codes“ ist man bereits von dem opulent arrangierten und dennoch energetisch auf den Punkt gebrachten Songwriting der Band begeistert. Dieses unerhörte Talent, Energie zu kanalisieren, beweisen die drei Herren mit „Worlds Apart“ aufs Neue. Mehr noch, es gelingt ihnen, ohne jede Bescheidenheit, unzählige Facetten des Rock, von der beatleesken,
harmonischen Melodieverspieltheit, zur pompösen Pink Floyd progressiv Orgie auszuloten, und sich jeglichem Etikettieren zu entziehen. Hat man die, wie Keely sagt, an Don Giovanni angelehnte, klassische, mit Kesselpauken, Streichern und Chor arrangierte Overtüre Ode To Isis verlassen, flüstern zwei Frauenstimmen „And you will know us, by the trail of dead“, und man wird im Anschluss von den ersten Takten des Openers Will You Smile Again umgehauen, ohne dass man
es tatsächlich kommen hörte. Wartet das Stück noch mit einem tosenden, instrumentalen Auftakt auf, in welchem sich Keelys Stimme gemeinsam mit rauchigen Jazztrompeten und Streichern schrittweise einreiht, scheint alles schlagartig zu verstummen, um, über dumpf polternde Drums, Keelys sarkastisch jugendlicher Stimme den nötigen Freiraum zur Entfaltung zu gewähren. Die Melodien finden langsam wieder zusammen, um in einem furios voluminösen Finale zu münden.

Sie seien von Bach inspiriert, erklären Trail Of Dead. Von Kate Bush, Jesus Christ Superstar und der Musik zu Conan der Barbar. Und wenn man Stücke betrachtet, wie das mit einem orchestralen Interludium gebrochene A Classic Arts Showcase, der instrumentalen Streicher und Pauken Komposition To Russia My Homeland, oder das pathetische, mit Musicalchor Versatzstücken arrangierte All White, ist man geneigt, trotz den mannigfaltigen Irrwegen und Mythen, welche sich um die Band ranken, ihnen beinahe zu glauben. Drei-, und Vierviertel Takt reichen sich die Hand, klassische Instrumente werden mit modernen Spielweisen gepaart, immer wieder besticht Keelys fulminanter Gesang - besonders in den Momenten, in denen er von hysterischer Leidenschaft getragen, kurz davor steht umzukippen, es aber niemals tut - und vermeintliche Punkattitüde vermengt sich mit gefühlsbetonten Pianoeinlagen.


„Rockmusik ist wehleidig geworden. Alle beklagen sich nur darüber, wie schlecht es ihnen geht, sind so scheinheilig – diese ganzen Musiker sind privilegierte, bestens versorgte Weiße.“, lamentiert Keely. „We’re so fucked these days / We don’t know who to hate or who to praise / And we consider this suffering and pain“, heißt es in dem Titelstück, ohne darauf zu verzichten, sich selbstironisch mit dieser Klage auseinanderzusetzen; „Who are you? Kurt Cobain?“, fragt eine Frauenstimme fast unmerklich an dieser Stelle, und setzt einen Bezug auf die Grunge Bewegung der Neunziger Jahre. Trail Of Dead wissen sich jedoch auch selbst als Referenzpunkt in ihrem zitatreichen Werk zu betrachten. So führen sie sich etwa, in dem ursprünglich mit dem Arbeitstitel Jesus Juice bedachten Stück The Best selbst auf; befasst sich der Song voller Bitterkeit, Empathie und einem Rest Mitleid dem Untergang des, bis zur Unkenntlichkeit verfallenen ehemaligen König des Pop, Michael Jackson, so mischt sich unter das finale Wehklagen einer Frauenstimme ein unterschwelliger Chorgesang, der die letzten Zeilen von „Worlds Apart“, teils polemisch grölend, teils bedeutungslos infantil zum besten gibt. „Blood and death, we will pay back the debt / For this Candy Store of ours.

Was ich heute am Musikmachen aufregend finde? Dass es bitter nötig ist, es besser zu machen als die anderen“, erklärt Keely. Und mit diesem imposanten Rockkonglomerat scheinen sie auf dem besten Weg zu sein, diesen, jeglicher Bescheidenheit trotzenden Ansatz für sich in Anspruch nehmen zu können. „And I know how the best will fall / And the rest will follow.
foto: chapman baehler


...and you will know us by the trail of dead
"worlds apart"
interscope 2005 cd
trail of dead

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Bright Eyes [Digital Ash In A Digital Urn]

Bright Eyes Wide Shut.
Conor Oberst entflieht der selbsterfüllenden Prophezeiung der Unerträglichkeit des Seins, in Form einer luziden Betrachtung von Leben, Tod und allem was dazwischen wohnt.


"i know debris, it covers everything, and still i'm in love with this life."
(theme from pinata)

Ein infaustes Atmen verbindet sich mit dem stoisch dumpfen Klang einer symbolbehafteten Orgel, bevor Conor Oberst mit seinem erlösenden Gesang einsetzt. "Shh, Shh. Don’t Speak.", scheint er, mit einem cineastischen Auge betrachtet, die in Agonie entschlafende Person zu besänftigen. Diesen hörspielartigen Momenten wurde in den früheren Bright Eyes Alben schon gern Zeit gewidmet, gelang es ihnen doch den Hörer auf einer weiteren Dimension zu erreichen, und die Stücke auf eine plastischere Weise zu transportieren. Das Thema, welchem sich in diesem kurzen Beginn gewidmet wird, bevor das Klingeln eines Weckers das nächste Stück, wie aus einem Tagtraum gerissen, einläutet, ist dennoch bewusst gewählt und auch nicht unbekannt. Die adoleszente Romantisierung des Todes, das bequeme Verweilen in der eigenen Melancholie, wie man sie aus älteren Texten kennt, ist einer distanzloseren Konfrontation mit dem realen Tod gewichen; eine Freundin von Oberst starb im vergangenen Jahr. Eine Art therapeutische Bewältigung dieses Einschnittes manifestierte sich in dem zweiten Album, welches gemeinsam mit „I’m Wide Awake, It's Morning“ zwei Seiten des jungen Songwriters beleuchtet, die zunächst unterschiedlicher kaum sein könnten. Oberst selbst sagt dazu „Ich glaube nicht, dass man ein Problem loswird, indem man es sich einfach von der Seele schreibt, aber zumindest zwinge ich mich so, mich damit zu beschäftigen. Das Songwriting ist eine gute Unterstützung, meinen Problemen genug Zeit zu geben, um sie auch tatsächlich irgendwann lösen zu können." Nüchternheit und Rationalität halten Einzug bei dem jungen Mann, der sich selbst ein Mal den Peter Pan Ausspruch des Niemals-Erwachsen-Werdens auf die Fahne schrieb.

Während sich "I’m Wide Awake It's Morning", das formal erste der beiden Veröffentlichungen, schon über den Verlauf der 2002er Tour hinweg entwickelte, entstand das zweite Album, "Digital Ash In A Digital Urn" eher kurzfristig, obgleich es sich in seiner Konzeptionalität und seinen Arrangements weitaus durchdachter und komplexer anhört. Ganz allgemein klingt es beim ersten Durchhören mehr wie eine Remix Platte von The Postal Service, auf welcher diese sich den Werken des 24Jährigen annehmen würden. Tatsächlich bewegt sich Bright Eyes hier das erste Mal überhaupt fast ausschließlich auf Neuland, welches ganz eindeutig Pop heißt. Die intimen, introvertierten Gedanken, artikuliert durch Obersts subversives Wehklagen als eine Mischung aus Wut, Trauer und Hoffnung, werden nicht mehr weiter von akustischen Gitarren, Orgeln und Bläsern getragen, sondern bewegen sich fast ohne Ausnahme auf einem facettenreichen
elektronischen Klangteppich, unterstützt von verzerrten Gitarren, Keyboards und Sequenzern.

Die Stücke sind bandorientierter als die des andere Albums, kommen mit zwei Schlagzeugern und einer Vielzahl von befreundeten Musikern inner- und außerhalb der Saddle Creek Familie daher, und befassen sich trotzdem mit dem weitaus intimeren Thema. Den Zusammenhang erklärt Oberst so, dass er sich durch das Offenbaren in der Gemeinschaft tröstlicher Aufgehoben fühlt, als würde er sich allein damit auseinander setzen. "We are all a little broken. / We’re all a little twisted. / We’re all a little less than we could be or want to be."

Gänzlich neu an diesem sechsten Bright Eyes Album ist die Verlagerung des Augenmerks weg von der tragenden Melodie der Stücke, hin zum rhythmusorientierten Popsong, ohne dabei natürlich tatsächlich ein Tanzbodenstampfer zu werden. Das sanfte Arc Of Time bewegt sich so zunächst nur scheinbar munter mit unbedarften Gitarren Melodien auf einem gebrochenem Beat und Handclaps, mündet letzten Endes jedoch in der Folgerung: "And you'll do the dance / That was choreographed / At the very dawn of time / Saying, I told you son / The day would come / You would die, die, die, die ." Die Popharmonie weicht bei näherem Betrachten einer klaustrophobischen Enge aus Entfremdung, Einsamkeit und Tod. Seine Gedanken stehen in stetem Konflikt zu der beseelten Harmonie der Stücke. "I'm staring out into that vacuum again / From the back porch of my mind / The only thing that's alive." (Hit The Switch)

Musikalisch ist die Elegie auf "Digital Ash" trotz allem einer belebteren, aber dennoch fragilen Verträglichkeit gewichen. Da das Programming der von Oberst geschriebenen Stücke neben dem langjährigen Weggefährten Mike Mogis vor allem Jimmy Tamborello zuzuschreiben ist, erklärt sich auch die anfangs angesprochene Affinität zu The Postal Service, stellt er doch die eine Hälfte dieser wunderbaren SubPop Band dar. Solange er gemeinsam mit Mike Mogis zusammenarbeite, antwortet Oberst im Spex Interview auf die Frage, ob mit dem neusten Album vielleicht sogar der Grundstein für eine gänzlich neue Band gesetzt sein könnte, "solange ist und bleibt es eben Bright Eyes." Kein Neuanfang also, aber eine nachhaltige Entwicklung hin zu neuen Orten und Möglichkeiten, die sich im Laufe der Zeit bei Bright Eyes manifestieren werden. "The remedy of longing that / Distills each dream and the song I had / By morning watered down again / On silver stars I wish and wish and wish / Move on to the next one." (I Believe In Symmetry)
foto: saddle creek


bright eyes
"digital ash in a digital urn"
saddle creek 2005 cd
bright eyes

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Bright Eyes [I'm Wide Awake It's Morning]

Seeing the world through Bright Eyes.
Conor Oberst gelingt es aufs Neue, bare Emotionen sarkastisch wortgewandt in eine akustisch arrangierte Melange aus Country und Folk Inspirationen zu kleiden, und doch unnachahmlich Bright Eyes zu bleiben.


"but i'd rather be working for a paycheck than waiting to win the lottery."
(first day of my life)

Auf einem Foto des französischen Künstlers Jean Guichard betrachtet man einen einsamen Leuchtturmwächter auf seinem Gebäude, während im Hintergrund die Brandung einer enorm desaströsen Welle über den vermeintlich kleinen Turm niederzuschlagen droht. Diese aufwühlende Schönheit, dieses Ästhetisieren des einen Augenblicks kurz bevor die Verzweiflung unausweichlich hereinbrechen wird, wohnt metaphorisch vielen Stücken der letzten Bright Eyes Alben inne, die wir von solch vortrefflichen Alben, wie dem 2002 erschienenen „Lifted, Or The Story Is In The Soil, Keep Your Ear To The Ground“ verinnerlicht haben. Dieses paradoxe Verbinden von ganz persönlichen Situationen, mit denen Conor Oberst universelle Themen zu erzählen versteht.

Das amerikanische Magazin filter beschreibt Conor Obersts neue Platte „I’m Wide Awake, It's Morning“ als, nicht nur sein bestes Album überhaupt, sondern als eine der wichtigsten Folk Veröffentlichungen aller Zeiten. Man schreibt ihm genügend Talent zu, dass er eines Tages Stücke schreiben wird, welche die bewegende Melancholie von Elliott Smith mit der lyrischen Eloquenz von Leonard Cohen und der melodischen Sensibilität eines Paul Simon vereinen wird. Superlative, die sich in den mangaesk großen, dunklen Augen des Wunderkinds bittersüß im Spannungsfeld zwischen Pein, Alkohol und neu entdeckter Reife widerspiegeln. Nicht nur in seiner musikalischen Genialität wird Conor Oberst hervorgehoben, spätestens seit der sich gegen die Bush Administration gewendete Vote For Change Stadion Tour, gemeinsam mit John Fogerty, Bruce Springsteen und Michael Stipe haben ihm ein mediales Interesse beschert, welches schwerverdaulich in seinem Magen liegen dürfte. Eine neue Art von Repräsentation ist ihm aufgetragen worden, die sich in einem politischen Feld zu bewegen scheint. "It’s kind of preachy", begründet er, weshalb in seinen Texten keine politischen Bezüge auftreten, obgleich er offensichtlich ein politisches Interesse hegt. "Ich bin kein Politiker. Mich beeinflusst Politik auf einer Gefühlsebene. Inwiefern Politik die Welt verändert; zum Guten oder zum Schlechten. These days it’s for the worse." Dennoch schreibt er beobachtende Texte wie im Old Soul Song, in dem er Bezug auf den im August 2004 in New York stattgefundene Parteitag der Republikaner nimmt, einer Veranstaltung, welcher von den liberalen New Yorkern wie ein persönlicher Angriff betrachtet wurde. "You walk the forty blocks to the middle / Of the place we heard where everything would be / And there was barracades to keep us off the street / But the crowd kept pushing forward / Until they swallowed the police / Yeah, they went wild."

Geradezu überraschend selbstsicher erscheinen hierbei die Schritte, die Oberst fernab von Nebraska, seiner, und der Heimat seines Labels Saddle Creek, durch die Straßen von New York setzt. Seit dem letzten Jahr seine neue Heimatstadt, welche, wie er selbst sagt, unweigerlich auf einen jeden Bewohner Einfluss nimmt. Und so hat eine gewisse beschwichtigende Harmonie Einzug in den Stücken von Bright Eyes gehalten. "I’m Wide Awake, It's Morning" hat dieses wundersame Leuchten in den von Country dreiviertel Takt, und folkloristischen Gitarren inspirierten, mal spärlich instrumentierten, mal wie zu den Live Konzerten in kleinstadtgroßer Bandbegleitung arrangierten Stücken. Nicht zuletzt ist ersteres Merkmal auf die wunderbaren Kollaborationen mit der Grand Dame des Folk, Emmylou Harris zurückzuführen, welche in den Duetten Obersts oft desperate Stimme mit einem flüchtigen Charme zu feminieren weiß. "Why are you scared to dream of God, when it’s salvation that you want." drängt er in der Ballade We Are Nowhere And It’s Now, einem von Steelgitarre und Schlagzeug spärlich getragenem Kleinod, bevor er gemeinsam mit Emmylou in den Refrain entsteigt.

Lua, die an eine akustische Gitarre geklammerte, balladeske Komposition über Drogen und Liebe, welche Ende letzten Jahres als Single bereits in diversen US Charts notiert wurde, fügt sich bedingungslos in das Gesamtbild des Albums ein. Eine kongruente Homogenität versetzt mit Slidegitarren und Bläsern, im Spiegel von Krieg, Politik, Seelenqual, Gemeinschaft und zeitlosem Talent. Homogenität, nicht zu verwechseln mit Einfallslosigkeit, schließlich ist quot;Awake" nur die eine Hälfte der, wie der Pressetext verlauten lässt, als Tandem funktionierenden Doppelveröffentlichung von Bright Eyes

Betrachtet man die Stücke des Albums als sehr frühe Morgenstunden, als das Zwielicht, welches sich zwischen den Häuserblocks abzeichnet, so erscheint Road To Joy, dieses eruptive, Up-Tempo Stück am Ende der Platte, als das tatsächliche Erstrahlen des Sonnenlichtes am betitelten Morgen. Zierte die Vorab Single Lua noch ein im Mondlicht anmutendes Szenario eines typisch ameri-kanisch Wohngebäudes, wie man es aus Zwischenspielen von Seifenopern der achtziger Jahre zu kennen meint, so scheint die gleiche wunderschöne Stoffcollage auf dem Albumcover bei strahlendem Morgenlicht, wie geschaffen für eben dieses letzte Stück des Albums. Die Ode an die Freude – der Titel schon ein phonetisches Wortspiel zur Ode To Joy – scheint hier als Maxime verarbeitet zu sein, wird ein ihr entliehenes Thema doch hier über den Rhythmus einer akustischen Gitarre gespielt, bis sich das Stück, dem Morgenlicht analog ausbreitet, und mit einem "Let's fuck it up boys, make some noise!" dem chaotisch strahlenden Schlusspunkt nähert. Eine Kakophonie im Imperativ. Schließlich ist dieses Stück auch der heimliche Titelsong der Platte, weiß Oberst doch hier den Albumtitel geschickt einzubinden; "The sun came up with no conclusions / Flowers sleeping in their beds / The city's cemetery's humming / I'm wide awake, it's morning."
foto: saddle creek


bright eyes
"i'm wide awake it's morning"
saddle creek 2005 cd
bright eyes

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Tocotronic [Pure Vernunft Darf Niemals Siegen]

Dreizehn Bilder zum Thema Begeisterung.
In der Zwischenwelt von Eloquenz und Sprachlosigkeit entfaltet sich eine Ästhetik, die mit jedem Durchhören zu etwas ganz Großem heranzuwachsen scheint.


"feinen menschen muss man geben was sie wünschen, es ist eben eine pflicht."
(mein prinz)

"Es scheint an der Zeit für eine Popkulturrevolution im kleinen Kreis", lamentierte ein Freund von mir Mitte des Jahres. "Oder würdest du sagen, dass man der Wiege der jugendlichen Identität so noch sein Vertrauen schenken kann? Man erduldete mit unverständiger Miene Ausflüge in das Elektronische, beim Abstreifen der Cordschlaghosen und dem so genannten Imagewechsel zum erwachsenen philosophisch Beflissenen hat man auch stillschweigend mitgemacht. Es klingt vielleicht ein wenig polemisch, aber bei Mobiltelefonen hört der Spaß einfach auf." Auch wenn es ihm bei seiner Argumentation um downloadbare Klingeltöne ging, wird das enorme Ausmaß an Bedeutsamkeit, welches der Hamburger Band zugetragen wird, deutlich.

Tocotronic. Das ist diese eine Band, an der schon Freundschaften zerbrochen sind. Sowohl ihre eher privaten Stücke, die mit ihrer intimen Sprache Tagebucheinträgen ähnelten, als auch Haltung und Habitus der drei Musiker, wurden unisono als Identifikationsfolie empfunden, unter welcher eine vermeintlich ganze Generation von Aussenseitern und Verweigerern subsumiert wurde. Die Trainingsjacken, engen Slacker Shirts und Seitenscheitel instrumentalisierten sich selbst und die Band sah sich Ende der Neunziger Jahre an der Schwelle zur steten Reproduktion. Man entschied sich für einen Ästhetikwandel, um der Wiederholungsfalle zu entgehen, und sich selbst weiter zu entwickeln, und widmete sich einer neuen, weniger direkten Sprache sowie einer neuen Musikalität. Diese Entwicklung ist mit dem neuen Album "Pure Vernunft Darf Niemals Siegen" zu einem vorläufigen Höhepunkt herangewachsen, auch wenn man wieder ein paar Schritte weiter vom Abgrund zurücktritt.

Mit dem Wandel hat sich die Musik der, mittlerweile mit Gitarrist und Keyboarder Rick McPhail zu einem Quartett erweiterten Band, auch Menschen erschlossen, die wenig mit dem larmoyanten Dilettantismus der frühen Jahre anfangen konnten. In nur neun Tagen wurden die Stücke ganz klassisch im Proberaum aufgenommen und weisen in ihrer, im Vergleich zu "K.O.O.K." oder auch "Tocotronic", transparenteren aber zweckmäßigen Instrumentalisierung einen gelungenen Kontrast zu eben diesen letzten beiden Alben auf. Arne Zanks Schlagzeug ist stark pointiert und wenig verspielt, stellt aber in seiner Deutlichkeit ein wichtiges Stilmittel der neuen Musik dar, die in ihrer unkomplizierten aber dennoch gehaltvollen musikalischen Ästhetik den Hörer zu fesseln versteht.

Aufgrund der Intensität und letztendlich auch der Fülle an Texten, wird ein Diskutieren auf inhaltlicher Ebene obligat. Die frühe Extrovertiertheit in Dirk von Lowtzows Texten ist einer universaleren Subtilität und Vielschichtigkeit gewichen, mit welcher sie ganz bewusst ein gewisses Maß an Missverständlichkeit provozieren. Vergebens sucht man bei den ersten Durchläufen nach Aussprüchen, auf die man sich festlegen kann, nach augenscheinlichen Fixpunkten. Wenn er in dem eloquent entfesselten, folkloristisch pointierten Titelstück "Pure Vernunft darf niemals siegen / wir brauchen dringend neue Lügen / … / die das Delirium erzwingen / und uns in schönsten Schlummer singen / die uns vor stumpfer Wahrheit warnen / und tiefer Qualen sich erbarmen" singt, offenbart sich dem Hörer eine vielschichtige Palette an Deutungsmöglichkeiten, die es ihm erlaubt, auf die ihm adäquate Weise mit den Stücken umzugehen. Der Titel des siebten Albums verkündet bereits in seinem resoluten Ausruf, dass es hier vielmehr um Emotion als um Verstand geht. "Das ist Popmusik", erklärt Jan Müller. "Ich habe gar nicht den Anspruch, einen Text unbedingt verstehen zu wollen. Darum geht es erst mal gar nicht."

Auch wenn er sich bei dem direkten Kommunizieren über ein gerade abgeschlossenes Werk unwohl fühlt, erklärt Dirk von Lowtzow im Interview mit dem Rolling Stone seine derzeitige Betrachtungsweise unseres Landes, als einen Einfluss für das Entstehen des Albums. "Es herrscht momentan eine Stimmung in diesem Land, wo ich sagen würde, dagegen richtet sich die Platte und ein Stück wie Aber Hier Leben, Nein Danke. Man muss ganz unqualifiziert oder nörglerisch mal wieder sagen können: Hier ist es Scheiße.“ Ihre Verweigerungshaltung gegenüber der vermeintlichen, schwarz-rot-goldenen Popdissidenz, welche augenblicklich ausgelegt wird, als sei sie ein gesellschaftlich unakzeptierter Tabubruch, wurde schon des öfteren im Vorfeld der Albumveröffentlichung deutlich. Der Kopf-Hoch-Deutschland-Club wird nicht direkt verunglimpft, aber im Kommunizieren ihrer Texte, wird die Anti-Haltung erahnbar. Aber Hier Leben, Nein Danke. Hinter diesem kraftvoll vorgetragenem Stück fassen sich anfängliche Äußerungen wie Ich Hasse Euch Wegen Eurer Kleinkunst Zutiefst oder Alles Was Ich Will Ist Nichts Mit Euch Zu Tun Haben zusammen - die es in ihrer Subjektivität so manches Mal mit Peter Handkes literarischen Diffamierungen hätten aufnehmen können - auf eine weitaus differenziertere und überlegtere Form, und artikulieren sich höflich entschlossen. Und dennoch fällt auch hier die Missinterpretation ins Auge, denn ein Konkretisieren findet in den Stücken nicht statt.

Aus einem kulturellen Klima der ungestörten, stets reproduzierbaren Vergnügungsfähigkeit und unhinterfragtem Genuss heraus, driftet die Popmusik immer mehr in Belanglosigkeit ab, und auch Rockmusik scheint immer uninspirierter und aussageärmer zu werden. "Rockmusik ist zu einer harmlosen Sache verkommen, die nichts mehr zu sagen hat, die nichts mehr angreifen oder bekämpfen will", farciert es von Lowtzow. Und während sich Pop beharrlich aus der zur Schau getragenen Besinnungslosigkeit des bunten Konsumpluralismus und jüngst eben auch der unreflektierten Modeerscheinung des Patriotismus bedient, ähnelt er immer mehr der Dreiseeligkeit des Schlager, mit seinen vaterländisch nationalen, besinnungslos heiteren und sentimental tumben Repertoires. Dieser spießigen Meinungs-, und Belanglosigkeit als akzeptanzverschrobenen Grundtonus, treten Tocotronic mit ihrem neuen Album trotzig gegenüber. "Völker! Auf zum Gefecht! / Die Illusion wird Menschenrecht / Ich bin nicht allein in meiner Sucht / vor den Spießern auf der Flucht" (Gegen Den Strich). Dennoch verweigern sich die Texte einem ausdrücklichen Bedeutungsgehalt in all ihrer Pracht, und wollen auf eine emotionalere Weise verstanden werden.

Die Stücke sind auditive, zunehmend poetisch verspielte, illusionstrunkene Beobachtungen von zu weit hinausgefahrenen Booten, von der stilisierten Angst, von höchsten Höhen und tiefsten Tiefen und vor allem den Zwischenräumen, als Seilakt über Schluchten der Selbstverschwendung und Ohnmacht. Und gar Pathos weiß man durch sehnsüchtige Berührungen mit dem Sujet Liebe zu begegnen. Wie etwa in dem Stück Angel, wo es heißt: "Ein weißes Blatt Papier / Liegt vor meiner Tür / Es sagt: ich such so lang nach dir." Besonders phrasiert erscheint das Stück Cheers For Fears, eine langsam ansteigende akustische, sich opulent ausdehnende Mär aus elektrifiziert anmutenden Beats, Keyboard und Gitarren, welches nach "K.O.O.K." der erste englisch betitelte und tatsächlich auch ausschließlich in englischer Sprache dargebotene Tocotronic Albumtitel ist, und vielleicht auch deshalb an Dirk von Lowtzows und Thies Mynthers Projekt Phantom/Ghost denken lässt. "Say it loud / I’m lost and proud / Say it clear / Cheers for Fears". Und obwohl Rockmusik, sofern sie gut ist, nicht von sicheren Häfen singt, wie der Pressetext zu berichten weiß, erstrahlt am Ende der Reise doch ein Stück offenkundiger Schönheit, und bietet einen erhabenen Abschluss für das Album. "Ich habe Stimmen gehört / Ich habe Dinge gesehen / Die waren so schön / Wie nichts auf der Welt / Ich habe die Schwelle gekreuzt / In die Unendlichkeit / Der Weg war weit / Ich war wie Treibholz der Zeit", tastet sich der Gesang in der schwelenden Ballade wie hinter einem fallenden Vorhang voran, der sich nur langsam senkt, und die Schönheit dahinter zaghaft preis gibt. "Tocotronic machen ein leidenschaftliches Angebot", erklärt Peter Abs im Pressetext. "Wer es annimmt und sich anvertraut, wird schon sehen."
foto: lado musik gmbh



tocotronic
"pure vernunft darf niemals siegen"
l'age d'or 2005 cd / lp
tocotronic

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