Sidney Lumet [Tödliche Entscheidung]

“May you be in heaven for half an hour before the devil knows you’re dead.”
Sidney Lumet entfacht in der jüngsten Inszenierung seines über 50 Filme umfassenden Opus ein so turbulentes wie blutiges Spiel mit dem Teufel.


"der teufel hat die welt verlassen, weil er weiß,
die menschen machen selbst die höll' einander heiß.
"
(friedrich rückert, die weisheit des brahmanen, XVI-III, 21)


Mit "Tödliche Entscheidung" haben es sich die deutschen Übersetzer einmal mehr zum Hobby gemacht, eine gänzlich adäquate Bezeichnung ("Before The Devil Knows You’re Dead") in einen nichtssagenden Filmtitel umzuwandeln – doch glücklicherweise tut das der Qualität des Films keinen Abbruch an.

Im besten Tarantino-Stil beleuchtet die Geschichte des 1924 geborenen Regie- Altmeisters Sidney Lumet die Vor- und Nachwirkungen eines fehlgeschlagenen Verbrechens, deren Protagonisten durch die Brüder, Andy und Hank Hanson respektive Philipp Seymour Hoffmann und Ethan Hawke, sowie deren Vater Charles Hanson (Albert Finney) verkörpert werden. Andy Hanson hat einen gut bezahlten Job als Immobilienmakler, jedoch befindet er sich in einer Krise mit seiner Frau Gina (Marisa Tomey), die sich durch seine Vernachlässigung weder geliebt noch begehrenswert fühlt. Aufgrund von Depressionen ist Andy Heroin- und kokainabhängig. Zu allem Überfluss hat er auch noch Firmengelder veruntreut, und das Finanzamt ist im Begriff, ihm auf den Pelz zu rücken. Sein Bruder Hank hingegen hat andere Probleme: Er kommt mit den Alimentszahlungen für seine Tochter nicht hinterher, zudem wird er von allen Beteiligten als Versager betrachtet. Die Brüder beschließen, ihre finanziellen Probleme zu beseitigen, indem sie den Juwelierladen ihrer Eltern ausrauben wollen – mit erheblichen Konsequenzen.

"Before The Devil Knows You´re Dead", um den wunderbaren Titel des Originals zu verwenden, beleuchtet in schockierender Manier das Böse, welches im Menschen steckt. Die intelligent herausgearbeiteten Charaktere sehen sich, jeder auf seine Art und Weise, mit Entscheidungen konfrontiert, die ihr Gewissen auf eine harte Probe stellen, sei es nun Betrug, Verrat oder die Verletzung mehrerer christlicher Gebote. In diesem Sinne schafft der Film interessante Kontraste. Einerseits durch den zerbrechlichen Hank, der im Grunde genommen lediglich ein gutes Verhältnis zu seiner Tochter schaffen möchte, sich aber durchaus der Tatsache bewusst ist, dass selbst die ihn als Verlierer ansieht. Andererseits durch seinen Bruder Andy, der, oberflächlich betrachtet, das genaue Gegenteil von ihm darstellt: erfolgreich, selbstbewusst und unantastbar. Im Verlauf des Films wird jedoch deutlich, dass auch Andy erhebliche Selbstzweifel hat und droht, an diesen zu zerbrechen.

Die schauspielerischen Leistungen sind gleich auf dreierlei Weise gut. Erstens ist die Besetzung exzellent gewählt – Marisa Tomey als die schöne, aber frustriere Ehefrau, Ethan Hawke als abgebrannter Verlier, Philipp Seymour Hoffmann erfolgreicher Geschäftsmann, der in einen Strudel von Betrug und Lüge gerät. Zweitens bleiben die Charaktere stets in ihrer Rolle, wirken jedoch zu keinem Zeitpunkt stereotypisch oder gar oberflächlich. Drittens schaffen es die Darsteller, im Verlauf der Geschichte eine eigene Entwicklung zu durchlaufen, ohne aus der Rolle zu fallen.

Zu guter Letzt muss auch noch Erzählstil hervorgehoben werden. Die Handlungsstränge sind sinnvoll miteinander verknüpft, die Entscheidungen der jeweiligen Protagonisten bestimmen den weiteren Verlauf der Geschichte, was insbesondere dadurch an Wert gewinnt, dass diese aus den Augen dreier vollkommen verschiedener Menschen, namentlich Andy, Hank und Charles Hanson dargestellt werden. Nach und nach werden dem Zuschauer immer mehr Häppchen an Informationen serviert, bis die einzelnen Handlungsstränge in einem grandiosen Finale zusammenlaufen.

"Before The Devil Knows You’re Dead" ist ein clever erzähltes, action-reiches Familiendrama. Hervorragend wird das Thema des Bösen im Menschen dargestellt und die seelischen Abgründe der Charaktere exploriert. Letzten Endes hat sich jeder, wenn auch unterschiedlich motiviert, die Finger schmutzig gemacht. Philipp Seymour Hoffmann brilliert einmal mehr, und auch der Rest der Besetzung liefert eine überzeugende Darbietung ab. Das Prunkstück des Films ist jedoch die Art und Weise, in der er erzählt wird – da dies im Kontext dieses Artikels nur bedingt dargestellt werden konnte, möchte ich ihnen raten, sich eine eigenes Bild zu machen.
foto:


sidney lumet
"tödliche entscheidung"
(before the devil knows you're dead)
2007

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Gemma Ray [The Leader]

Düsterer Blues-Folk mit einer Prise Soul von einer 27-jährigen Singer/Songwriterin aus Essex/Südengland, die in ihren stärkeren Momenten so geheimnisvoll und intensiv klingt, als hätte Kate Nash sich zu nächtlicher Stunde auf dem Friedhof verirrt.


"ich wünsche den frauen dort einen langsamen, schmerzhaften tod.
das hat mich lebenslang für einen herkömmlichen beruf verdorben
– vielleicht haben sie mir damit ja einen gefallen getan.
"
(gemma ray über ihre zeit als auszubildende in einem essexer reisebüro)


Als junge, aufstrebende Sängerin hat man es dieser Tage nun wirklich nicht leicht sich gegen die permanenten Amy-Duffy-Vergleiche zur Wehr zu setzen. Erst recht nicht, wenn man sich musikalisch der Vintage-Schublade bedient, adrett aussieht und von der britischen Insel stammt. Warum aber derlei Gleichnisse dann ausgerechnet bei Gemma Ray aufgefahren werden, bleibt schleierhaft, zumal der versponnene Blues-Folk von Fräulein Ray so rein gar nichts mit dem Retro-Soul einer Amy Winehouse zu tun hat. Wenn es überhaupt so was wie einen kleinen gemeinsamen Nenner zwischen den beiden Damen gibt, dann ist es die Soundästhetik der 1960er-Jahre auf „The Leader“, dem Debütalbum der jungen Britin, die ursprünglich mal Reiseverkehrskaufrau werden wollte, was ihr aber von garstigen Kolleginnen ordentlich vermiest worden war. (Ein kleinwenig bizarr ist die Vorstellung ja schon, dass dieses morbide wirkende Geschöpf mit den viel zu dunklen Augenringen tatsächlich mal in der Welt der gut gebräunten Sekretärinnen gearbeitet haben soll.) Ray hat Arrangements komponiert bei denen immer an der richtigen Stelle das Glöckchen klingelt, die Melodica laut dazwischenfährt, oder sich eine leicht verzerrte E-Gitarre ihren Weg bahnt. Nicht nur einmal denkt man beim Hören des Albums an Nancy Sinatra in ihrer Lee Hazlewood-Phase, PJ Harvey oder gar den frühen Nick Cave. Coproduziert wurde das Album übrigens von Michael J. Sheehy, der einst Frontmann der erfolglosen britischen Band Dream City Film Club war.

The Sick Sessions

Womit wir auch schon beim Wesentlichen angelangt sind, der Musik: Von dem kurzen, aber sehr eindringlichen Interlude Yes I Am... wird der Hörer genau da abgeholt, wo ihn seinerzeit Nancy und Lee auf der Straße haben stehen lassen, ehe man auch schon in die Klang-Hemisphären von „Hard Shoulder“ eintaucht. Dumpfe Pauken, Akustikgitarre und die niedliche, aber ebenso starke Stimme Gemma Rays nehmen einen unweigerlich in Beschlag. Die vorhin beschworene Melodica darf sich immer ein kurzes Stelldichein geben und hier und da ist Gemma als ihr eigener Hintergrundchor zu hören. Ist Hard Shoulder eine noch eher ruhige Einstiegsnummer, die sich sogar auf dem Soundtrack zu einem Tarantino-Film oder gar Gorillaz-Album wieder finden könnte, überzeugt Dry River mit eingängigem Ohrwurmrefrain. Bring It To Me lebt vom aggressiveren, schnelleren Tempo, das durch den ausdrucksstarken Gesang harmonisch abgerundet wird. Mit Rise Of The Runts hat Ray gar eine wahre Pop-Perle aus dem Hut gezaubert, die genug Potential haben dürfte, um es in die hiesigen Radiostationen zu schaffen. Nachdem man sich an dieser Stelle, durch die zuckersüße Melodie bedingt, fast schon ein kleinwenig in vorweihnachtlicher Stimmung wähnt, wird es bei On Your Own wieder richtig spooky und geheimnisvoll. Wie zuvor schon bei Dry River, bestimmt auch hier wieder die x-malige Wiederholung des Titels im Refrain das Programm und man fühlt sich in eine grotesk lustige Bestattungsfeier im New Orleans der 1970er Jahre versetzt. Metal In The Morning bewegt sich wiederum weg vom Blues & Soul hin zum Gospel-Pop. Sakrale Lollipop-Stimmung verbreitet gar das wunderbare Eyes And Ears, ehe einem der yellow Pick-Up Truck in die heiße Wüste von Nevada, oder halt eben auch nur vor die Haustüre von Michael Stipe verschleppt. Klingen die darin enthaltenen Harmonien doch verdächtig nach Suspicion vom 99er R.E.M.-Album „Up“.

Weshalb diese Scheibe in ihrer Gesamtheit so herrlich schräg und düster geworden ist, kann man nur mutmaßen. Zwei Jahre lang kämpfte die Sängerin angeblich gegen eine mysteriöse Krankheit und verbrachte den Großteil dieser Zeit überwiegend im Krankenhaus. 50 Tracks sind dabei entstanden, die Ray dann scherzhafter Weise „The Sick Sessions“ benannt haben soll. 13 dieser „kranken“ Stücke sind auf „The Leader“ zu hören. Wenn man so will, das starke Destillat dieser schwierigen Zeit, eine Art „Best Of“ aus den vergangenen drei Jahren. Mangels fehlender Hit-Single und aufgrund des insgesamt für den Mainstream zu sperrigen Songwritings dürfte der kommerzielle Erfolg leider ausbleiben, was die musikalische Größe des Albums aber in keinster Weise schmälern soll.
foto:



gemma ray
"the leader"
bronzerat records, 2008
gemma ray

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3 Kurze [Jacob Faurholt, Nina Kinert, Pen Expers]

Wohingegen sich unsereins auf mittelprächtigen Weihnachtsmärkten den fiebrigen Körper mit Glühwein und heißer Schokolade aufwärmt, machen die Skandinavier in der heißen Grippephase das, was sie am besten können: Sie nehmen Platten auf und streuen diese unters Volk. Einige Glanzlichter hier in der Kurzkritik.


"the same rainy streets i walked with your old address in my sleeve.
i'm in my valentine shirt.
"
(pen expers)


Jacob Faurholt - "Hurrah Hurrah"

Das dänische Städtchen Århus ist die kleine Schwester Kopenhagens, das lässt sich nicht verheimlichen. Ein wenig verschlafen und mit verminderter Strahlkraft steht es leider immer noch im Schatten des großen Ostseebolidens. Das wird und muss sich langsam ändern, denn die Szene in Århus macht so langsam eine Gratwanderung durch.

Mit Beta Satan, The Broken Beats und den isländisch anmutenden Under Byen eröffnen sich neue musikalische Wege in Dänemark. Hinzu tritt Jacob Faurholt, der sich wie ein Fabelwesen durch die internationale Popgeschichte wälzt und von Album zu Album immer andere Kolorite ausprobiert. 2005 erobert er mit seinem Projekt Jacob Faurholt & Sweetie Pie Wilbur die dänischen Alternative-Charts. In diesem Jahr stellt er nun endlich sein zweites Album „Hurrah Hurrah“ vor, das sich wie eine Melange aus Anti-Folk und Bedroom-Pop in den Ohren festsetzt. Dazu kommen eine skandinavische Schwermütigkeit und die obskursten Instrumente/Gegenstände. Faurholt wuselt mit so ziemlich allem herum, was er in seiner Wohnung finden konnte und zeigt, dass man auch mit Küchenutensilien eine ziemlich intime Atmosphäre schaffen kann. Gut so!

Pen Expers - "Baby’s Gone Straight"

Alexander Arvman – Sänger der schwedischen New Wave-Epigonen Pen Expers – ist schon durch so manche Hard Times gegangen: Suff, Verbitterung, Lovesick, Weltverdruss. Grund genug für ihn diesen Themen mit „Baby’s Gone Straight“ ein zutiefst betrübtes Denkmal zu setzen.

The days that light up here are wasted” heißt es beispielsweise in “Valentine Shirt”. Wenn man das vor dem Hintergrund hört, dass hier nicht etwa versucht wird eine ironische Kunstfigur im Stile Charles Bukowskis zu schaffen, sondern dass Arvman sein Ideal im leidenden Künstler gefunden hat, möchte man dem Schweden behutsam auf die Schulter klopfen und sagen, dass alles wieder gut wird. Doch nein: vor der Therapie liegt immer noch das Suhlen im Selbstmitleid und die Teenage Angst in ihrer urigsten Form: rau, ungeschliffen und so verdammt angepisst von der bösen, bösen Welt. Ganz klar können da im direkten Vergleich nur der frühe Nick Cave und Ian Curtis mit all ihrer Tragik mithalten. Musikalisch ist das ganz großer, eklektischer New Wave-Pomp mit einem Galle spuckenden Sänger, dessen Stimme eine solch dunkle Klangfarbe hat, wie man sie heute selten findet.

Nina Kinert - "Pets and Friends"

Ane Brun und Nina Kinert sind Buddies, das hört man nicht nur an ihrem leicht folkig-verspielten, fast schon transzendentalen Songwriter-Pop, sondern auch an dem Fakt, dass beide hin und wieder gerne gemeinsam auf Tour gehen. Das Problem dabei ist nur, dass man nicht eindeutig ausmachen kann, wer hier eigentlich wen supportet. Sicherlich hat Ane Brun mit ihrem rauchigen Vibrato den eindeutig größeren, weil bekannteren, Namen, aber dennoch spielt Kinert so langsam in der gleichen Liga wie die ehemalige Straßenmusikerin Brun. Und das mit gerade mal 25 Jahren und vier veröffentlichten Alben.


jacob faurholt
"hurrah hurrah"
quartermain rec 2008 cd
jacob faurholt






pen expers
"baby’s gone straight"
i-ration records 2008 cd
pen expers






nina kinert
"pets and friends"
another 2008 cd
nina kinert

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Sonntag Nachmittag [Dezember 2008]













fotos: manuel kaufmann

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Chase The Dragon [Replacing Space]

Während Siegfried die Tarnkappe der Zwerge poliert, um sich an die Schätze der Drachen dieser Welt heranzuschleichen und den mythologischen Echsen das Schwert der Vergessenheit in die Kehlen zu rammen, machen sich zwei Magdeburger als Drachenkämpfer gleich daran, zu zeigen, dass österreichische Berghütten doch ihren Sinn haben können.

we should find out, but it is so much better to break up
from the heights that we don’t know.

(the lasting)

Jage den Drachen! So hätte auch damals ein weiser Rat von Mr. Miyagi an sein Karate Kid lauten können. Die Suche nach dem Drachen im eigenen Ich, der sich immer wieder einschleicht und ganz in der Element of Crime-Manier wie ein Tier alles zerstört, was man sich vornimmt, sodass man nur noch gerne wüsste, wer man wirklich ist. Oder aber auch ein umgangsprachlicher Begriff für das Inhalieren von erhitztem Heroin. Welcher hobby-philosophischen Spielerei man nun in gewohnter Wikipedia-Google-Tradition nachgehen will, bleibt jedem selbst überlassen, denn hier dreht es sich nun um Musik. Chase The Dragon, sprich Robin Kellermann und Mathias Schieweck aus Magdeburg. Die Beiden sind weder mit einer bekannten Affinität zu Karate Kid noch zur Drogenszene beseelt, aber dennoch steckt hinter ihrer zweiten EP „Replacing Space“ in der dreijährigen Bandgeschichte eine Klangsphäre, die sich ähnlich wie ein Drachenjäger ihren Weg durch die alltäglichen Hindernisse kämpft.

Den Anfang macht The Names Of The Lands We Had Crossed. Besattelt mit einem leisen Zusammenspiel aus Synthesizerklängen und Klaviermelodie wird schon hier direkt der Weg in den Pop geebnet. Nicht in diesem abwertenden Sinn, wie man ihn heutzutage nur zu oft verwendet. Eher wie die Hoffnung auf einen besseren Tag, während draußen der Regen jeglichen Sonnenschein untergräbt, die Passanten auf der Straße das Lachen auf einen anderen Tag verschieben und selbst die dicke Decke einen nicht wärmen kann. „We decided to break up with our past to find the true one inside“.

Fast schon als wäre diese subjektive Assoziation gewollter Pathos begrüßt einen The Lasting mit Vogelgezwitscher, als der besagte bessere Morgen, an dem man noch einmal neu anfangen kann. Vielleicht aber auch nur ein kurzer Einblick in die friedlichen Anfänge der Tage, die Robin und Mathias während der EP-Aufnahmen auf einer österreichischen Berghütte erlebt haben müssen. Wenn man auf den alten und knarrenden Holzdielen mit einem frisch gebrühten Kaffee aus erhitztem Bergwasser und Instantpulver steht und man eigentlich nicht drum herum kommt, sich mit den eigenen Dämonen auseinander zu setzen.

Musikalisch wie ein Wechsel aus Sonne und Schnee, um dann beim dritten Stück Could We vollends in den Gedanken versunken zu sein. Melancholie in ihrer Reinform: „Could we all just apologize for the things we never did for ourselves“, während der eigene Fall über die ganzen vier Minuten aufgebaut wird, um zum Schluss mit einer vorwurfsvollen Aggressivität in den oben zitierten Worten den Sturz nur noch zu beschleunigen. Kein Happy-End in Sicht. Auch nicht in den Streets Of My Hometown, die genau das heraufbeschwören, was man sich unter dem Titel vorstellt: Ein Zurückkommen an die alten bekannten Orte der Heimat, an denen das Gehirn knuspert und alte Erinnerungen projiziert, ohne auf längst verheilte Wunden Rücksicht zu nehmen, die nun schmerzhaft wieder aufgekratzt werden. Geigen aus dem Off, ein Leiden in der Stimme und die Moll-Akkorde vom Klavier als die nötige musikalische Untermalung, um danach der siebtgrößten Stadt Mecklenburg-Vorpommerns in Goodnight Güstrow die ersehnte Nachtruhe zu wünschen. Ein perfekter Abschluss, wenn dann im Hintergrund wieder Alpenvögel zwitschern und ein Bachlauf der Atmosphäre den richtigen leise, matt-glänzenden Schliff verpasst. „Bend your head and lay down“. Resignation und ruhiges Durchatmen nach fünf musikalischen Stücken, die wenig durch ihre Texte als viel mehr durch die Musik Geschichten erzählen, über die kleinen großen alltäglichen Kämpfe mit den Drachen in uns selbst.

So ist „Replacing Space“ ein Stück Musik, ohne jegliche Allüren etwas Besseres sein zu wollen. Immer mit dem nötigen Maß an Hoffnung im Blick, sei es in der Stimme, im Text oder in den Tönen. Chase The Dragon erfinden hier nichts neu, fordern nicht heraus und werden niemals Trend werden. Alles Gründe, wieso man diese EP in das eigene Herz schließen sollte. Und sei es nur, um einmal sagen zu können, man hätte die Welt durch den Klang eines österreichischen Bergbachs ein Stück besser verstanden.
foto: confidence records


chase the dragon
„replacing space“
eigenvertrieb 2008 ep
chase the dragon

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Hellsongs [Hymns In The Key Of 666]

Sie sind die Pioniere des "Lounge Metal" und ihr Band-Name mindestens so aberwitzig wie irreführend: Hellsongs. Auf ihrem Debütalbum mit dem nicht minder abstrusen Titel "Hymns In The Key Of 666" tauschen die drei Schweden E-Gitarren und Schlagzeug gegen Piano, Akustikgitarre und Tambourine ein - und unterziehen Heavy-Metal-Klassikern einer erfrischenden Zell-Kur.


"wir finden, dass der begriff ’lounge metal’ unsere musikalische synthese am besten charakterisiert."
(hellsongs)


Neu ist die Idee des frivolen Grenzgangs nun wirklich nicht: Nouvelle Vague packten vor nicht allzu langer Zeit 80er-Jahre-Klassiker ins Lounge-Gewand, Helge Schneider wagte sich einst gewohnt jazzig an Jimi Hendrix’ Hey Joe heran und Mambo Kurt interpretierte bereits vor zehn Jahren AC/DC-Hits auf seiner Heimorgel. Doch das schwedische Trio Hellsongs setzt dem ganzen nun die Krone auf. Allein schon das quietschbunte Cover erinnert eher an selige Hippie-Zeiten als an düsteren Metal. Legt man dann die Scheibe in den Player, ist man zumindest als Ahnungsloser erst mal vollkommen irritiert: Statt heftigen Heavy Metal bekommt der Hörer feinsten "Lounge Metal", wie die drei Göteborger ihre Musik treffend bezeichnen, serviert. „Heavy Metal Klassiker interpretiert als entrückte Folk-Nummern“, könnte man das ganze auch nennen, wäre dann aber nicht ganz so schön griffig formuliert wie mit dem eigens dafür gewählten Begriff der Schweden.

Eigenwillige Interpretation von Heavy-Metal-Klassikern.

Getreu dem Motto "Weniger ist mehr" kommt Iron Maidens Run To The Hills dann auch standesgemäß als lyrischer Folk-Song auf der Wandergitarre daher. Black Sabbaths Paranoid als schmachtende Piano-Ballade mit Streichern, Metallicas Blackened als Hippie-Folk-Nummer, Slayers Seasons In The Abyss als Klavier- und Streicherstück, was nur noch von AC/DCs psychedelischem Thunderstruck übetroffen wird. Einzig Megadeths Symphony Of Destruction verliert im Boogie-Woogie-Gewand an Klasse und will nicht so ganz zum Rest der ansonsten sehr gelungenen Folk-Platte passen. Von dem einen Aussetzer mal abgesehen, sind die zehn Songs durchgehend homogen arrangiert und funktionieren auch als Nicht-Cover-Versionen sehr gut. Will heißen, wer die Originale nicht kennt, wird sie auch nicht zwingend vermissen. Jedes Stück auf der Platte kann für sich allein stehen und versprüht individuellen Charme. Umgekehrt dürfte obgleich der eigenwilligen Interpretationen der Stücke zunächst große Verwunderung bei jenen vorherrschen, die die Stück im Original kennen, was sich dann aber schnell in Wohlgefallen auflösen sollte.

Im Jahr 2004, so besagt es die Legende, spielen Sängerin Harriet Ohlsson (die im Gegensatz zu ihren beiden musikalischen Mitstreitern keine Metal-Vergangenheit nach sich zieht, aber ganz gerne zu Highway to Hell die Wohnung fegt), Keyboarder Johann Bringhed und Gitarrist Kalle Karlsson irgendwo in der tiefsten schwedischen Provinz ihr erstes Konzert. Im Gepäck haben sie ausschließlich Heavy-Metal-Klassiker von Iron Maiden, Black Sabbath, Saxon, AC/DC und Metallica. Und jetzt kommt der Clou: Sämtliche Stücke wurden auf ihre melodische Grundstruktur reduziert und mit akustischer Gitarre, sanften Keyboards und Harriets glockenklarem Gesang vorgetragen. Man kann sich die verdutzten Gesichter ihres damaligen Landeier-Publikums bildhaft vorstellen. Von ungläubigem Staunen bis hin zu enthusiastischer Begeisterung soll dann auch alles dabei gewesen sein. Dieses erste Konzert ermutigte das Trio, ihr eigenwilliges Konzept fortzusetzen: „Wir sind alle Heavy-Metal-Fans. Unsere Herangehensweise an diese Songs ist sehr liebe- und respektvoll. Wir haben zwar einen gewissermaßen spielerischen Ansatz, aber wir nehmen die Songs sehr ernst und sind todernst, bei dem was wir tun“, so Karlsson. Auf jeden Fall wolle man vermeiden, dass ihre Musik als eine Art Ironisierung von Heavy Metal aufgefasst werden könnte. Das Gegenteil sei der Fall. Vielmehr sehe man in dem Album eine Art Huldigung der großartigen Songs dieser Zeit. Hunderte von Konzerten haben sie seither gegeben. Das größte Highlight sei dabei ein Auftritt mit den Göteburger Philharmonikern in der Göteburger Stadthalle gewesen. „Das war unglaublich“, schwärmt Harriet Ohlsson immer noch. „Wir waren sehr überrascht, wie aufgeschlossen und freundlich die klassischen Musiker auf unsere Musik reagiert haben. Sie waren überhaupt nicht egoistisch, wie man es so oft in der Popwelt findet.

„Hymns In The Key Of 666“ ist jetzt sicherlich kein musikalischer Meilenstein, der die Popwelt auf den Kopf stellen wird. Diesen Anspruch an sich selbst hat die Scheibe auch zu keinem Zeitpunkt. Vielmehr ist die Zusammenstellung das, was Easy Listening auszeichnet: Gemütliche Chill-Out-Musik für die Party nach der Party. Und das ist auch gut so.
foto:




hellsongs
"songs in the key of 666"
bodogmusic 2008 cd
hellsongs

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Haldern Pop [Rees-Haldern, 07.-09.08.2008]

Im Anblick des feuchtkalten Novemberwetters erscheint der Gedanke an die strahlende Sommersonne fast wie eine Kindheitserinnerung, von der man nicht mehr genau weiß, ob man sie wirklich gesehen, oder sich nur eingebildet hat. Dennoch wagen wir einen Rückblick.

"die ohnmacht der möglichkeiten"
(festival motto 2007)

Haldern ist ein kleines Dörfchen am Niederrhein, und wenn man möchte, kann man hier - zumindest eine zeitlang - alle äußeren Umstände und Geschehnisse ausblenden, hinter sich lassen und einfach mal das Heute genießen, ohne Sorgen und Hintergedanken. Besonders gilt dies für ein bestimmtes Wochenende im Jahr, und ganz speziell zum 25. Jubiläum des Haldern Pop Festivals vom 7. - 9. August 2008. Die Welt umher drehte sich normal weiter und bescherte Bevölkerungen schrille bunte Bilder von einer gefakten Olympiaeröffnungsfeier und von Flüchtlingen in Georgien. Nur etwa 5500 junge und in diesen Tagen sorglose Menschen klammerten jeglichen Weltschmerz aus und konzentrierten sich auf etwas, was zumindest einmal im Jahr wichtiger sein sollte als alles andere: Popmusik.

Und die war dieses Jahr ganz besonders erlesen und hörenswert. Erstmals lockte man die Besucher schon am Donnerstag- Abend vor die Hauptbühne um die Legenden der Flaming Lips das Jubiläum einläuten zu lassen. Und trotz eines etwas angeschlagenen Sängers mit wenig Stimme konnten die alten Herren durch ihre kunterbunte Konfetti-Show und den überdimensionalen grünen Plastikbällen alle Gemüter auf dem alten Reitplatz auf ein fröhliches und großartiges Festivalwochenende einstimmen. Wer vor dem Auftritt der Flaming Lips schon die Acts im Spiegelzelt erleben wollte, musste viel Geduld und warme Pullis mitnehmen, und sich in die lange Schlange vor Zelttüren und Securitypersonal einreihen. (Im Vorfeld wie auch nach dem Festival war die Zelt-Problematik im Haldern Pop-Forum ausführlicher als sonst besprochen und scharf kritisiert worden.) Tatsächlich hat jedes Jahr nur ein Bruchteil von zahlenden Besuchern auch wirklich die Chance sich die im Spiegelzelt auftretenden Bands anschauen zu können, es sei denn man entschließt sich dazu auf jeglichen Auftritt auf der Hauptbühne zu verzichten. Ein Zwiespalt, den die Besucher verständlicherweise als ungerecht verurteilen. Dem mangelnden Platz im Zelt zum Trotz bleibt dieses jedoch weiterhin Garant für atmosphärisches Höchstgefühl und sehr spezielle, intime Konzerterlebnisse, die wohl jeder, der ihnen schon mal beiwohnen durfte nicht mehr missen möchte. Dieses Jahr war das Angebot im Spiegelzelt zahlreich und vielfältig, die erst kurz vor dem Festival bestätigten Noah and the Whale fielen jedoch leider aus, nach dem etwas blassen Norman Palm gab es dann den ersten von vielen heißerwarteten Auftritt des Donnerstags im Zelt. The Fleet Foxes kamen und sangen, und das über Strecken vierstimmig, eine popmusikalische Meisterleistung, die man wohl fast als einmalig bezeichnen kann. Ebenso schön und zurückhaltend wie die bärtigen Herren aus Seattle waren Yeasayer, die ganz natürlich und angenehm fern von Stereotypen Indie-Jungspunden auftraten, ein psychodelisch- gemütliches Set spielten und die Zuhörer in die richtige Stimmung für die Hautbühne versetzte. Denn vor den Flaming Lips kamen da ja noch die Foals, eine in den letzten Monaten kräftig durch die Hype-Maschine gedrehte Band bestehend aus Oxford-Stundenten. Allesamt jung, heißblütig und unerbittlich auf Erfolgskurs. Ihrem Namen machte die Band in einem kurzweiligen und sehr launigen Konzert dann auch alle Ehre, da wurde wild umhergesprungen, getanzt und getrommelt, und nebenbei auch noch hervorragend musiziert - einmal mehr machen Gitarren, Schlagzeug und Bass gepaart mit minimalistischem Elektro einfach Spaß. Bleibt zu hoffen, dass den Foals ihre offen zur Schau getragene Arroganz nicht allzu weit über den Kopf wächst, und sie wenigstens mit einem Fuss auf dem Teppich bleiben. Nach den Flaming Lips wurde es ruhig auf Reit-und Campingplatz, dem Verbot Stromgeneratoren selber mitzubringen sei Dank.

Als Höhepunkte auf der Hauptbühne sind für den Freitag ohne jegliche Zweifel die Editors zu nennen, nebst dem am Nachmittag aufspielenden Jack Penate. Auch auf der Haldern-Bühne stellten die Editors ihre enormen Livequalitäten unter Beweis, wieder war ein Auftritt von ihnen besser als jegliche noch so fein ausgesteuerte Album-Version. Düster und vorwärtstreibend die Songs, stimmgewaltig und charismatisch ihr Sänger und Charakterkopf Tom Smith, der weder wildes Gezappel noch gewitzte Plapperei zwischen den Songs nötig hatte um sein Publikum in Spannung zu versetzten.

Dem 22-jährige Jack Penate aus London merkte man am sonnigen Freitagnachmittag seine spanische Herkunft an, bei miserabelsten Soundbedingungen auf der Hauptbühne rockte er seinen Stiefel locker und überheblich runter, seine Musik ist poppig, witzig und eingängig - ein wunderbar sommerlicher Auftritt vor der in allen Belangen peinlichen Joan As A Police Women. Furchtbar artifiziell gebarte sich die ehemalige Profiviolinistin Joan Water mit Glitzerkleid und Minispli-Perücke, dafür aber ohne Stimme und jegliche Ausstrahlung versuchte sie das Publikum mit teilweise haarsträubend absurden Phrasen heiter zu faseln - zum Glück blieb sie mit ihrem Auftritt der einzige Fehltritt des Festivals.

Vor den Editors hatte schon die heißerwartete Kate Nash gespielt und vielerorts enttäuschte Gesichter hinterlassen - wirkte sie doch auf der großen weiten Bühne etwas klein und blass, und so schön und anrührend ihre Songs und ihre Persönlichkeit sind, augenscheinlich ist sie nicht der Typ für größtes Entertainment und passt - so wie letztes Jahr glasklar bewiesen - eben besser auf eine beschaulichere Spiegelzelt-Bühne.

Ein unfassbar stimmiges und denkwürdiges Konzert lieferte die Schwedin Lykke Li bei geschätzten 30 Grad im Spiegelzelt ab, herrlich natürlich und soulig singt die erst 21-Jährige, und tanzt und benimmt sich so selbstverständlich auf der Bühne, als sei sie schon zehn Jahre im Geschäft. An Lykke Li ischeint alles echt, die persönlichen, unheimlich groovenden Songs, ihr Stil sich zu bewegen, ihr Gesang. Genau das Richtige für Freitags Nacht im Spiegelzelt.

Auch am Samstag gaben sich musikalische Höhepunkte die Klinke in die Hand. Nach den noch etwas unsicheren, aber vielversprechenden Dodos, die das Schlagzeug zu einem eigenständigen und vollwertigem Instrument erheben und nebenbei auch noch eine Posaune im Gepäck haben, erklimmte am Nachmittag Jamie Lidell mitsamt einer erstklassigen Kombo die Bühne und kombinierte gewitzt und äußerst sexy Soul, Jazz und derben Elektro. Den Abschluss auf der Hauptbühne bestritten erst The National, die mit einem verstört wirkenden Sänger finsteren, ernsten, vor allem aber gut gemachten Rock mit New Wave-Einflüssen boten und dann, zu guter Letzt Kassenschlager Maximo Park, die ganz wie erwartet ein quirliges, gut gelauntes und aufgeheiztes Set ablieferten, dass aber, trotz bestens aufgelegtem Sänger Paul Smith nicht den Auftritt der Editors vom Abend vorher toppen konnte. Abgerundet wurde der letzte Abend dieses denkwürdigen Jubiläums im schönsten Sinne des Wortes von den sehr intimen, fast anrührenden Auftritten von Songwriter Scott Matthew und Multiinstrumentalist Olafur Arnalds. Und das Wetter? Das war zum ersten Mal seid Jahren in diesem Sommer nicht interessant, dank der Organisationsleistung der Haldern-Helferlein und natürlich den vielen kleinen und großen Musikern dieses feinen bunten Festes am Niederrhein.
foto:


haldern pop

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John Dahl [You Kill Me]

John Dahls selbstironisches und lakonisches Gangster-Lustspiel unterzieht das Genre einer gründlichen Runderneuerung: "You Kill Me" bewegt sich nicht zufällig irgendwo zwischen romantischer Liebeskomödie und groteskem Gangster-Thriller. Dass das funktioniert, liegt nicht zuletzt an einem hinreißend agierenden Ben Kingsley, der sich als zynischer und verletzbarer Einzelgänger von einer ganz anderen Seite zeigt.

"ich weiß nicht wie man 'alkoholiker' definiert, aber nach allem, was ich hier so höre,
denke ich, dass ich ein ziemlich guter bin. aber ein noch besserer killer."
(frank falenczyk)


Frank Falenczyk (Ben Kingsley) ist ein knallharter Gangster und Auftragskiller. Zynisch und gelassen betrachtet er das Töten als eine Art des Geldverdienens. Seine Auftraggeber sind gleichzeitig seine Angehörigen, eine polnische Gangster- und Familienbande, die den für Buffalo so wichtigen Handel mit Schneepflügen (!!) kontrolliert. Ihre Geduld stellt Frank mit seinem exzessiven Alkoholkonsum auf eine harte Zerreißprobe, vor allem, als er den wohl wichtigsten Auftragsmord in der Familiengeschichte in einer alkoholvernebelten Nacht verschläft. O’Leary, der Anführer einer rivalisierenden irischen Familie, erhebt Ansprüche auf Onkel Romans Revier – den Schneepflug-Markt in Buffalo. Ihn sollte Frank erledigen und sein Versagen hat verheerende Auswirkungen, denn nicht nur die Finanzen, sondern auch Leib und Leben der Familie schweben ab sofort in größter Gefahr. Nachdem sein Onkel ein Machtwort gesprochen hat, wird Frank kurzerhand nach San Francisco verfrachtet, wo der ebenso verschlagene wie bedrohlich wirkende Immobilienhai Dave (Bill Pullmann) ihm Wohnung, Job und eine 12-Punkte-Therapie bei den Anonymen Alkoholikern verschafft. Als frisch gebackener Leichenkosmetiker in einem Bestattungsunternehmen darf er sich fortan nicht mehr mit dem Töten, sondern nur noch mit Toten beschäftigen. Inmitten einer kuriosen Schar von Freunden, Feinden, Aufpassern, lebensbejahenden Alkoholikern und untröstlichen Angehörigen wird Franks Leben völlig auf den Kopf gestellt. Erst recht, nachdem er der taffen Laurel (herrlich schräg: Téa Leoni) begegnet ist.

Schwarze Komödien akzeptieren, dass das Leben schwierig und manchmal schmerzhaft ist.
(John Dahl)

Nennen wir’s ruhig beim Namen: Regisseur John Dahl ist ein cineastischer Weirdo, aber ein Spinner im positiven Sinne, den man reinen Gewissens als geistigen Bruder der Coen-Brüder bezeichnen darf (ja, vielleicht sogar muss) und der irgendwann sein eigenes Genre mitbegründet hat: „Ich mag Kriminalgeschichten, aber ich finde sie sehr viel besser, wenn man dabei auch lachen kann“, behauptet er von sich selbst. Wie schon in seinen früheren Werken "The Last Seduction" (1994) und "Red Rock West" (1992) kommt auch in "You Kill Me" diese ganz eigene Mischung aus Komödie und Drama zum Tragen. Das von Dahl entwickelte Genre kombiniert dabei geschickt die Screwball-Qualitäten einer romantischen Komödie mit den Elementen der finsteren Gangsterwelt. Die klassische Hollywood-Komödie wird also bereichert um einen kräftigen Zug zynischer Doppelbödigkeit, einhergehend mit skurriler Tragik. So entsteht der Humor in "You Kill Me" in erster Linie durch die absurde Selbstverständlichkeit, mit der Frank seine Existenz als Killer definiert und mit der er ernsthaft zu vermitteln versucht, dass dies mitunter der normalste Job auf Erden sei - vergleichbar mit dem Handwerk einer gewöhnlichen Bäckereifachverkäuferin. Natürlich ist das kompletter Blödsinn, aber eben nicht in Franks Welt. Überhaupt sollte sich die Besetzung der Hauptrolle „Frank“ durch Ben Kingsley für Dahl als absoluter Glücksgriff erweisen. Wie kein Zweiter beherrscht der charismatische Kahlkopf das Spiel ohne Worte: Allein durch Gestik und Mimik generiert er bei seinem ersten Aufeinandertreffen mit den Anonymen Alkoholikern eine derartige Situationskomik, dass der Zuseher im ersten Moment nicht weiß, ob er lieber - obgleich der aufkommenden Absurdität - schreien, oder sich lauthals lachend auf dem Boden wälzen soll.

Der 1943 als Krishna Bhanji geborene Ben Kingsley wollte zunächst, wie sein Vater, Arzt werden. Nach dem Besuch der Royal Shakespeare Company ändert er jedoch seine Ziele. 1966 feierte er in London sein Theaterdebüt und wurde 1967 Mitglied der Company, für die er unter anderem in die Rolle des Hamlet schlüpfte. Nebenbei trat er in kleineren Rollen im Fernsehen auf. Sein internationaler Durchbruch gelang ihm allerdings erst in seiner Oscar-prämierten Rolle als Gandhi in Richard Attenboroughs gleichnamigen Film von 1982. Bis heute stellt Kingsley seine enorme Wandlungsfähigkeit unter Beweis und seine Begabung, sich nicht auf eine darstellerische Richtung festlegen zu lassen. So schlüpft er immer wieder in die Rolle historischer Persönlichkeiten mit großer Bandbreite, etwa in "Schindlers Liste" (1993), "Moses" (1995) oder in "Haus Und Sand Und Nebel" (2003). Aber auch die Grenzen zwischen Gut und Böse überschreitet Kingsley immer wieder gerne, wenn er heldenhafte Rollen wie die des Watson in "Genie Und Schnauze" (1988) oder den bösartigen Charakter des Don Logan in "Sexy Beast"(2000) übernimmt.

"You Kill Me" ist zweifelsohne mehr als eine schwarze Killerkomödie. An und für sich könnte der Streifen sogar als echter Coen-Film durchgehen, mit dem kleinen Unterschied, dass er eben nicht von den Coen-Brüdern inszeniert worden ist. Trotzdem reiht er sich mühelos zwischen "The Big Lebowski", "Fargo" und "Burn After Reading" ein. Und dass dürfte wohl so mit das größte und schönste Kompliment sein, welches man John Dahl und diesem kleinen Independent-Meisterwerk machen kann.
foto:


john dahl
"you kill me"
2007
kochmedia

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Superleutnant [Schöner Als Die Weisheit]

Man nehme eine lo-fi’sche Brise Hamburger Schule, stelle eine mitteljunge Frau ans Mikrophon, gebe ein paar melodische Johnny Marr-Gitarren dazu, garniere das ganze subtil mit einem leichten Hauch Naivität und fertig ist er, der Superleutnant, der musikalisch irgendwo zwischen Wir sind Helden und Juli beheimatet ist.


"ich hab die welt gewollt und nicht bekommen und das hier ist der trauermarsch."
(ich schenke dir ein bild)


Mit Verlaub, aber Superleutnants Sängerin Sigrid Herrenbrück klingt in ihren stärkeren Momenten wie die taffe Schwester von Judith Holofernes. Und dass soll jetzt bitteschön als Kompliment aufgefasst werden. Superleutnant, die aufgrund der ähnlichen Namensgebung bitte nicht mit Superpunk aus Hamburg verwechselt werden sollen, bestehen neben Sängerin und Bassistin Sigrid aus den beiden Gitarristen Jan Peter John und Olaf Langner, sowie Schlagzeuger Daniel Kluge. Zuhause ist das Quartett im stylischen Berlin-Friedrichshain, wo man seit vier Jahren gemeinsam musiziert. Noch mehr Sympathiepunkte gefällig? Aber gerne doch: Die noch relativ unbeschriebene Band teilt sich ein und denselben Übungsraum mit den befreundeten Kollegen von Britta, Team Blender, und Patrouille. Selbst Wahl-Berliner Dirk von Lowtzow soll schon in den Räumlichkeiten gesichtet worden sein. Fleißig war man zudem. Seit ihrem 2005er Debütalbum, mit dem programmatischen Titel "Gib Her", war die Band unermüdlich auf Tour (unter anderem auch als Support von Nena, Toni Kater oder Spitting Of Tall Buildings) und belieferte darüber hinaus sämtliche Radiostationen eifrig mit Single-Auskopplungen.

Let there be Pop.

Auf ihrem nun erscheinenden zweiten Langspieler "Schöner Als Die Weisheit“, zelebrieren Superleutnant extrem tanzbaren wie melodischen Indie-Pop/-Rock. „Pop, mit einem Hang zu Kitsch und Krach“ steht es pathetisch im Beipackzettel der Plattenfirma geschrieben, und der Rezensent befürchtet zunächst Schlimmeres. Der Ritt zwischen Kitsch und Kunst kann mitunter ein schwieriger Balanceakt sein, der nicht jedem gelingen will, hört man die süffisante Stimme aus dem Off sagen. Zum Glück aber bleiben derlei Sorgen bei Superleutnant unbegründet. Denn Sängerin Sigrid klingt auf den elf anmutend schönen Indie-Pop-Perlen frisch (Ich Schenke Dir Ein Bild), verliebt (Liebeslied), abgeklärt (Heidi) und mitunter auch ironisch-schmerzfrei (Der Commander). Dazu peitschen Bass und Schlagzeug dem Hörer den Beat geradewegs in die Beine, dass man sich als Hörer wünscht, es wäre endlich Freitag-Abend und Indie-Disco-Zeit. Dazwischen surfen elegant-verspielte Gitarrenspuren, die einen unweigerlich an die gute alte Johnny Marr-Gitarrenschule denken lassen. Einzig textliche Plattheiten wie „Es ist eine Präzision, sie trifft auf meine Emotion“ trüben den ansonst guten Gesamteindruck des Albums. Überhaupt stiften die Superleutnanten trotzig Verwirrung. Uneitel wird auf Biegen und Brechen stets auf den nächstbesten Reim zurückgegriffen, der sich der Band in den Weg stellt. Da wird 25 Jahre nach der Neuen Deutschen Welle ungeniert „Herz“ auf „Erz“ gereimt oder eben „egal“ auf „global“. Aber schwamm drüber. Sängerin Sigrid kommen selbst derlei Zeilen so herzhaft und charmant über die Lippen, dass man darüber gerne hinwegsieht.

Der große Durchbruch wurde der Band bereits 2005 bei Erscheinen ihres Debütalbums prophezeit, hat sich aber bis dato nicht eingestellt. Bleibt nur zu wünschen, dass Superleutnant dank "Schöner Als Die Weisheit“ schon bald in derselben Liga spielen werden, in der es sich in jüngster Vergangenheit andere „drei Jungs/ein Mädel am Mikro“-Bands bequem gemacht haben. Verdient hätten sie es allemal.
foto:



superleutnant
"schöner als die weisheit"
solaris empire 2008 cd
superleutnant

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Essay [Der amerikanische Monomythos]

Eastern meets Western meets Eastern.
Die wechselseitigen Einflüsse östlicher und westlicher Kultur in zwei sehr unterschiedlichen Erzählungen mit doch recht ähnlichem Muster.


"what's the use of worrying about your beard when your head's about to be taken?"
(gisaku, der dorfälteste; die sieben samurai)


Die Totale richtet unseren Blick auf ein kleines Bauerndorf im Japan des 16. Jahrhunderts. Mit schnellen Schnitten nähern wir uns den auf dem Dorfplatz kauernden Bewohnern. Männer, Frauen und Kinder hocken auf der Erde, die Gesichter zum Boden gewendet oder mit verzweifelt ernster Miene ins Leere starrend. Es ist letztlich eine Frau die aufsteht und als erste das Schweigen bricht. „Ein Unglück nach dem anderen bricht über uns herein. Der Krieg, die Dürre, dazu die Steuern. Und wenn das Korn reif ist, kommen wieder die Banditen.“ Es ist die expositorische Wehklage, welche das Setting des Films zusammenfasst und den Verlauf der Handlung bestimmen wird. Die Eröffnungssequenz von Akira Kurosawas Meisterwerk, „die Sieben Samurai“, führt knapp in die Problematik des Sengoku Zeitalters ein, welches durch eine klare Ständeordnung und instabile Machtverhältnisse geprägt war.

Um sich der aussichtslos beklemmenden Lage zu erwehren, beschließt man auf Anraten des Dorfältesten Samurai zu engagieren, welche das Dorf vor der Bedrohung schützen sollen. „Ihr müsst sehen, dass ihr Samurai findet, die Hunger haben“, lautet der Rat des Dorfältesten, denn die stolzen Krieger werden sich der untersten Gesellschaftsschicht nur dann annehmen, wenn sie selbst vor unlösbaren Problemen stehen. „Not besiegt den Stolz.“ So sind es Ronin, herrenlose Samurai, welche die Dorfbewohner für sich gewinnen können, allen voran den mutigen Kambei, der in ärmlichen Verhältnissen das Land bereist und sich darum bemüht, sechs weitere tapfere Krieger für die Befreiung des Dorfes zu gewinnen.

Kurosawa lässt sich gerade in diesem Teil seiner Arbeit die nötige Zeit, um dem Ensemble der Samurai Tiefe zu verleihen, die einzelnen Charaktere dem Zuschauer nahe zubringen. Den erfahrenen Gorōbei, der nicht auf die zur Probe gestellten Falle von Kambei hereinfällt, den strengen und meisterlichen Schwertkämpfer Kyūzō oder den jungen Heihachi, der sich mit einfach Arbeiten den Lebensunterhalt verdient. Es sind diese Einblicke in die zuvor überlebensgroß inszenierten Samurai, welche die Charaktere auf menschliche Art und Weise reifen lässt. Scheitern, Niederlage und Existenzangst halten Einzug in das in der japanischen Tradition schier übermenschliche Bild der Samurai. So etwa wenn Kambei seinen alten, längst tot geglaubten Freund Shichirōji wieder sieht und dieser ihm erklärt, dass er sich in einem Graben bei den Wasserpflanzen versteckte, um einen Angriff zu überleben.

Das zweite Drittel des Films beschäftigt sich mit dem Zusammenspiel von Samurai und Bauern im Dorf, mit den auftretenden Standesunterschieden und -vorurteilen sowie den sich daraus entwickelnden Konflikten innerhalb der Zweckgemeinschaft. Gerade der siebte Samurai, Kikuchiyo, der die Möglichkeit einer Verknüpfung darstellt, stammt er doch selbst aus einer Bauernfamilie, wird zur zentralen Figur der weiteren Erzählung, die letztlich im dramatischen Kampf mit den einfallenden Räubern mündet, welchen Kurosawa mit technischer sowie erzählerischer Raffinesse brillant zu inszenieren weiß.

Bemerkenswert ist, dass Kurosawas Samurai Epos einer als typisch amerikanisch geltenden Erzählstruktur vorgreift. Obwohl er selbst immer den westlichen Einfluss auf seine Arbeiten herausstellte, verfolgt "die Sieben Samurai" einer erst 23 Jahre später von Robert Jewett und John Shelton Lawrence erfassten Struktur: Im Gegensatz zum bekannten campbellschen Monomythos, der Heldenreise ins Ungewisse als Paradigma der vor allem filmischen Erzählung - von Tolkiens "Herr der Ringe" über Hitchcocks "Vertigo" bis zu Lucas "Star Wars" -, beobachteten Jewett und Lawrence Veränderungen von Form, Struktur und Perspektive dieser Theorie. Die grob in drei Akte gliederbare Heldenreise – Aufbruch aus der gewöhnlichen Welt, Reise in die andere Welt, Rückkehr in die gewöhnliche Welt – wird in der amerikanischen Variante so modifiziert, dass der Ausgangspunkt eine paradiesische, oder sich zumindest in gewisser Harmonie befindlichen Gemeinschaft darstellt, die von einem externen Bösen bedroht wird. Die regulären internen Institutionen sind nicht in der Lage dieses Böse abzuwenden, woraufhin der selbstlose Held in Erscheinung tritt – in der Regel ungern - und sich dem Bösen stellt. Nachdem dieses besiegt, der paradiesische Urzustand wieder installiert wurde, verschwindet der Held in der Dunkelheit. Oder reitet in den Sonnenuntergang.

Als Paradebeispiel dieses Mythos lesen sich auch die 1984 von Kevin Eastman und Peter Laird als Underground Comic erschaffenen „Teenage Mutant Ninja Turtles“. Was zunächst als parodistische Betrachtung des aufkeimenden Ninja- und Samurai-Hypes im Allgemeinen (Vgl. etwa die unzähligen stereotypen B-Movie Filme der 1980er Jahre, wie „American Ninja“ mit Michael Dudikoff) und Frank Millers experimentellen Martial Arts-affinen Comic Reihen „Ronin“ und „Daredevil“ im Besonderen, konzipiert wurde, entwickelte sich schnell zu einem der langlebigsten schwarzweiß Comics der Geschichte. Hier geht es selbstverständlich um die weitaus rauere, kantigere Ursprungsreihe, lange vor Frank Zander, Bananenpizza und Cowabunga. Die gesellschaftlich geächtete Symbolik der antropomorphen Reptilien die in Abwasserkanälen leben und von einer Ratte aufgezogen werden – in Form der ebenfalls anthropomorphen Vaterfigur Splinter – potenzieren sich hier gegenseitig und machen die Antihelden-Haltung der ursprünglichen Idee über deutlich.

Die erste, als One-Shot konzipierte Folge der TMNT Reihe steht noch in der Tradition klassischer Racheerzählungen – von Shakespears „Titus Andronicus“ bis Tarantinos „Kill Bill“ –, in welcher in recht hölzerner Inszenierung der Entstehungsmythos der Charaktere entfaltet wird. Die Ratte Splinter, früher Haustier des Sensai Hamato Yoshi, sieht mit an, wie dieser einen zornigen Widersacher, der sich gewaltsam an Yoshis Geliebter vergeht, erschlägt. Yoshi emigriert nach dem Verlust seiner Ehre – der Erschlagene gehörte zum gleichen Geheimbund wie er selbst - in die USA, wird dort jedoch nach Jahren vom kleinen Bruder des Ermordeten – dem späteren Shredder - aufgespürt und gleichfalls erschlagen. Die Ratte flieht und trifft im Jenseitigen der New Yorker Kanalisation zufällig auf vier Babyschildkröten. Allesamt kommen in Kontakt mit einer radioaktiven Substanz, woraufhin sie sowohl körperlich als auch geistig mutieren. Splinter, der seit jenen Tagen seinem Herrn Rache schwört, unterrichtet die vier Schildkröten unter anderem in Ninjutsu, der Kampfkunst der Ninja. Das hölzerne Korsett spielt hier selbstverständlich mit zahlreichen urbanen Mythen.

Dass sowohl Splinter als auch Shredder auf der Ebene einer endlosen Rachespirale zunächst einen ähnlich unlegitimierten Stand haben, spiegelt sich auch in ihren Namen, die aus dem gleichen Wortfeld stammen. Bereits in dieser ersten Ausgabe der Reihe kommt es zur finalen Konfrontation und Shredder unterliegt den vier Brüdern, die ihm am Ende jedoch die Möglichkeit bieten, durch den rituellen Selbstmord die eigene Eher wieder herzustellen. Erst hier, auf der Ebene eines moralischen Ehrenkodex disqualifiziert sich der Shredder durch seine Abtrünnigkeit und Selbstgefälligkeit endgültig als Bösewicht, da er das Angebot ablehnt und als Slebstmordattentäter versucht die vier Schildkröten mit in den Tod zu reißen. Erst jetzt wird der Shredder zum düsteren Gegenstück des ehrenwerten Meister Splinter; Nur in der Relation zueinander werden die dualistischen Postionen von Gut und Böse deutlich.

Sowohl der dreckige Moloch New York - die Heimat der Turtles - als auch das feudale Bauerndorf in Kurosawas Erzählung, dienen der Darstellung des harmonischen Ausgangspunkts im amerikanischen Monomythos. In beiden Fällen können die für Recht und Ordnung sorgenden Mittel der Gemeinschaft - die kampfunerprobten Bauern bzw. die New Yorker Polizei - der übermächtigen äußerlichen Bedrohung – der vierzigköpfigen Räuberbande bzw. dem Verbrecher- und Assasinensyndikat unter der Leitung des Shredder – nichts entgegensetzen. Erst das Erscheinen einer externen Größe kann der Gemeinschaft helfen: Sowohl die Samurai als auch die Ninjas treten als selbstlose Helden wider Willen auf. Erstere sind aufgrund ihrer sozialen Stellung darauf angewiesen ihre Dienste anzubieten; Helden werden sie in dem Moment, in welchem sie den Dorfbewohnern ihre aufopferungsreiche Hilfe gegen dürftige Kost und Logis anbieten. Letztlich setzen sich alle Samurai aufgrund eines höheren Guts, einer idealen Vorstellung von Gerechtigkeit und Ehre für das Dorf ein. Gleiches gilt für die Ninja Schildkröten, die stets ohne Bezahlung gegen das Verbrechen kämpfen, würden sie doch eigentlich lieber in Ruhe Pizza essen. Der Mythos wird so auch zum Spiegel einer sich selbst als hilflos und bedroht empfindenden Gesellschaft, die stets in der Hoffnung lebt, durch eine übermächtige Macht Rettung zu erfahren. Die Wiederherstellung des Urzustandes bedeutet jedoch stets den Abgang der jetzt überflüssigen Helden. Der reflektierte Kommentar Kambeis im Anblick sowohl der fröhlich singenden, ihre Reisfelder bestellenden Bauern, als auch der Gräber der gefallenen Gefährten - „Wir haben gesiegt. Und trotzdem haben wir verloren. Gewonnen haben nur die Bauern dort, niemals die Samurai“ -, lässt sich problemlos als paradigmatisch für den amerikanischen Mythos lesen. Auch wenn der Erfolg am Ende stets vom Zusammenspiel individueller und gemeinschaftlicher sozialer Handlungen abhängt – die Samurai können nur mit Hilfe der Dorfbewohner für deren Sicherheit sorgen, während die „Heroes in a half-shell“ zunächst einzeln im Kampf gegen den Shredder unterliegen, um diesen später als brüderliche Gemeinschaft zu bezwingen – haben die ausgedienten Helden am Ende keinen Platz in der harmonischen Gemeinschaft. Es ist ihre Bestimmung zu verschwinden, ein Schattendasein zu führen. „We are the Teenage Mutant Ninja Turtles. We strike hard and fade away into the night.
foto:

akira kurosawa
"die sieben samurai"
(shichinin no samurai)
1954

kevin eastman / peter laird
"teenage mutant ninja turtles"
mirage studios 1984 - 1993

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Sonntag Nachmittag [November 2008]







fotos: manuel kaufmann

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Philosophy Slam! [Kassel, 17.10.2008]

Ein Philosophy Slam ist wie das platonische Symposion. Man trifft sich in großer Runde, isst und trinkt und unterhält sich. Dann treten reihum Redner auf und versuchen eine Frage zu beantworten und am Ende gewinnt Sokrates. Was nun, wenn Sokrates nicht da ist und die Frage zunächst gar nicht bekannt?



"es wird ein spiel gespielt, d.h. es gibt regeln, und wer sich in ihren grenzen bewegt,
und nicht nur das: wer sie am besten ausreizt, der gewinnt.
"
(raul peszke)


Die nordhessische Provinz initiierte dieser Tage tatsächlich etwas, was zumindest auf bundesdeutschem Grund ein Novum darstellt. Weder die üblichen Verdächtigen in all solchen Fällen wie Berlin, Hamburg oder Köln, noch die wichtigen Universitätsstädte wie Heidelberg, Tübingen oder Marburg hatten bislang zu einem Philosophy Slam aufgerufen, einem Derivat der mittlerweile populären Poetry Slams, die sich in den 1980er Jahren in den USA entwickelten.

Binnen knapp bemessenen 45 Minuten wurde die kreative Fähigkeit der Teilnehmer gefordert, denn nur solange hatten sie Zeit sich Gedanken zu machen und letztlich auch einen rezitierbaren Text zur vorgeschriebenen Fragestellung zu verfassen. Nach einer kurzen Einführung in das Reglement durch den MC, den Moderator des abends in Form des Hochschuldozenten und Organisator Dr. Dirk Stederoth, schrieb dieser die zu beantwortende Frage an die Tafel des Seminarraumes in der Kasseler Universität: „Braucht der Mensch Konkurrenz?“. Elf ambitionierte Schreiber, darunter maßgeblich Studenten, jedoch auch drei Buchautoren, erhoben sich und gingen in einen Nebenraum, in dem sie über der Frage und deren Beantwortung brühten konnten. Denn im Unterschied zum Poetry Slam brillieren die philosophischen Slammer - und zumindest ist dies ein Novum, mit dem sich Kassel auch vom selbsterannten Philosophy Slam Paten Augsburg abgrenzt - nicht mit vorgefertigten Texten zu einem selbstgewählten Thema, sondern müssen alle gleichzeitig einen Text zu eben jener, erst am Abend bekannt gegebenen Fragestellung und in besagtem Zeitraum verfassen. Währenddessen übernahmen Stederoth und sein Kollege, der Philosophie Professor Dr. Walter Pfannkuche, das Wort und verstrickten die bereits zahlreich erschienenen Zuschauer in eine lebhafte Diskussion, in welcher beide für sich eine gespielt stereotype Stellungnahme zur Frage einnahmen. Eine Flasche Bier, ein paar Chips und junge, unabhängige Musik mit Creative Commons Lizenz taten ihr übriges zu einem gelungenen Einklang. Der leider recht steril wirkende Raum füllte sich mit rund 70 Gästen, als die elf Slammer schließlich gegen halb acht zurückkehrten. Interessierte Blicke huschten durch die Reihen und man fragte den ein oder anderen Bekannten unter den Kontrahenten schon mal vorab nach den gemachten Erfahrungen.

Eine vierköpfige Jury, eher wohl ein Schiedsgericht, dessen Aufgabe es war die Texte während des Vortrags mitzulesen, damit niemand rasch eine später ersonnene Idee improvisieren und sich somit einen Vorteil verschaffen konnte, wachte über den regelgerechten Ablauf, als um 20 Uhr der eigentliche Höhepunkt begann, die Teilnehmer in alphabetischer Reihenfolge zum Rednerpult traten und dem interessierten Publikum ihre Werke darboten. So verschieden die Autoren – in Alter und Zunft -, so verschieden waren auch die Texte. So lauschte man den bereits erahnten marxistsichen Ansätzen über die Schlechtigkeit der kapitalistischen Gesellschaft genauso wie esoterisch verklärten Energieverlagerungstheorien. Vielleicht lag es am sich maßgeblich aus dem Studentenkreis rekrutierten Publikum, denn den größten Beifall erhielten immer wieder die kreativen Ideen gekannter oder unbekannter Kommilitonen. Einen ersten begeisterten Beifall konnte tatsächlich der Herausgeber dieses Magazins hier verbuchen, der in seiner amüsant ironischen Darbietung Wittgenstein zitierte und Sven Regener immitierte. Zwischen Pro und Kontra wägte er einen verheißungsvollen Mittelweg ab. „Aber irgendwie klang das auch wieder flach, dachte er. Unattraktiv. Unsexy. Irgendwie bedeutungsschwanger, aber dann doch wieder nur nach neuer Mitte, dachte er. Irgendwie zwar wie die Oblate, die man sich auf der Zunge der Erkenntnisbegier zergehen ließ, nur um dann doch zu bemerken, 'Ah, Esspapier!'“ Eine der beiden weiblichen Teilnehmerinnen hingegen entwickelte das Bild eines trägen Fernsehkonsumenten der sich kaum zu irgendetwas aufraffen konnte, um schließlich in dem Bild mehrer Billardkugeln zu münden, welche den richtigen Antrieb benötigen, um sich aus der stagnierenden Bewegungslosigkeit zu befreien. Ein weiterer Redner versuchte das Prinzip der Konkurrenz als Sprachspiel zu entlarven, um durch geschicktes hinterfragen der Regeln des Wettbewerbes diesem zu entgehen. Der letzte Beitrag hingegen griff in liebenswürdiger Art die Problematik der konkurrierenden Slammer dieses Abends selbst auf, und verstrickte sich gedanklich zwischen Begriffsdefinitionen und logischen Ableitungen soweit, dass das über Sieg und Niederlage entscheidende Publikum in gewisser Weise ja selbst irgendwie zur Konkurrenz für jeden einzelnen wurde.

Gerade die kurzweiligen, charmanten Texte konnten sich mit ihrem intelligenten, teils subtilen Humor der Gunst des Publikums gewiss sein und verwiesen manch zu verkopften und für die Kürze der einzelnen Darbietungen unangemessen theoretischen Text auf die Plätze. Das Ergebnis mit der Siegerehrung überraschte somit höchstens noch in der Reihenfolge und wurde mit lautem Applaus begleitet. Auch wenn nicht alle damit einverstanden waren; so kritisierte einer der nicht siegreichen Teilnehmer seine Konkurrenz auf dem gedachten Treppchen damit, dass er sich an den Siegerbeitrag schon jetzt nicht mehr erinnern könne – was als Kriterium für eine schwache Leistung anzusehen sei – und der zweite Platz an jenen gegangen sei, der sich eben nur lustig dem Publikum angebiedert habe. Vielleicht der falsche Ansatz für einen sehr gelungenen und nach Fortsetzung schreienden Abend!
foto: flickr user todderick42



kasseler philosophy slam
plakat
interview bei spiegel-online

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Honig [Treehouse]

"Die Sonne geht auf über dem Baumhaus und begrüßt den neuen Tag mit goldenen, warmen Strahlen und süßem Duft. Willkommen in der Welt von Honig!" So steht es auf der Rückseite der Platte und dieses Wort zum Geleit darf man getrost unterschreiben.


"and tonight i will take a ride on my brand new bike."
(brand new bike)


Es gibt diesen Augenblick im Leben, wenn man das Kindsein verliert. Das hat nicht zwangsläufig etwas mit Unschuld zu tun. Oder dramatischen Einschnitten. Es ist der Augenblick, wenn man die Gabe verliert mit seinen Spielsachen zu spielen. Wenn man in dem Baumhaus nicht mehr die Festung sehen kann, die es doch eigentlich bis gestern noch war. Wenn die Actionfigur nur noch das Plastik ist aus der sie besteht und man sie mit einer Berührung nicht mehr zum Leben erwecken kann. Wenn das eigene Bett nicht mehr in der Lage dazu ist, nachts zu anderen Planeten zu reisen und ein paar Stühle und eine Decke darüber nicht mehr die heimelige Höhle darstellen. Dass dies tatsächlich ein Verlust ist, bemerkt man meist nicht während man diesen Moment durchlebt, denn an seiner statt stellt sich das neue Interesse und die damit verbundenen Probleme der Pubertät und ähnlicher Gemeinheiten. Erst viel später bemerkt man, dass das erklingen einer geliebten Fersehmelodie jener Tage ein sentimental melancholisches Gefühlt heraufbeschwören kann. Wer das als infantil abschreibt, hat die Bedeutung nicht verstanden.

Stefan Honig und Jan Sedgwick, die eigentlich für Gesang und Klavier bei der Kölner Band Benevolent sorgen - bzw. sorgten, Jan ist dort gerade ausgestiegen -, greifen gemeinsam als Honig eben dieses Gefühl konzeptionell auf. Das Debüt mit dem bezeichnenden Titel "Treehouse" bietet eine Fülle an kindlichen Verweisen, Thematiken und Träumen. Wenn von Rittern und Cowboys die Rede ist, von Raumschiffen und Flugzeugen, von der Biene, die sich plötzlich gefährlich nahe an einen schmiegt, oder einfach nur von dem Bedürfnis in den Arm genommen zu werden, bevor man ins Bett geht. Die mit Wasserfarben nicht ganz sauber ausgemalten Zeichnungen im Booklet belegen diesen Ansatz zusätzlich.

Bei all dem kindlichen Charme bricht aber auch immer eine reflektiertere Ebene durch, den kindlichen Denkenshorizont bei weitem übersteigend, die sich in den vorsätzlich verspielten Texten von Honig zeigen. „I should stop trying to save anyone from a life they chose to live. It does depend on who you are and what you've been through where your mind is at.“ (One) Kinderlieder im Sinne von für Kinder komponiert sind die Stücke jedoch bei weitem nicht. Es geht aber auch nicht um ironische Brechung, sondern eine ganz ehrliche Auseinandersetzung mit eben jenen Themen. Musikalisch ist man hingegen durchaus erwachsen. Erwachsen verspielt vielleicht. Im Sufjan Stevens Sinne. Im Sinne von Postal Service, Architecture in Helsinki, Adem oder Tunng. Spätestens wenn im Opener In Full Makeup nach ein paar Minuten die Bläser einsetzen weiß man, dass sich einem gerade jetzt, in diesem Augenblick, eine wunderschöne, ganz bemerkenswerte Platte in all seiner Unaufdringlichkeit eröffnet. Wenn der Kinderchor plötzlich im Refrain von Brand New Bike einsetzt, ganz unerwartet, aber dann doch wieder nur verständlich. Oder wenn im Hintergrund immer wieder diese kleinen Details zu erahnen sind, die sich vor einem beim ersten, zweiten hören noch versteckt zu haben scheinen.

Die zehn Stücke auf „Treehouse“ - plus einem kurzen Interlud und einem nicht überflüssigen Remix - funktionieren sicherlich, wie derzeit live zu bewundern, auch in reduzierter Singer/Songwriter Manier nur mit dem verhaltenen, beinahe zärtlichen Gesang und begleitender Akustikgitarre. So lies sie Stefan Honig auch ursprünglich reifen, bis er auf Jan Sedgwick traf, welcher den Stücken eine andere Wendung bescherte und sie mit Chören, Bläsern, Streichern, Flöten, Klavier, Perkussion und vielem mehr opulent verfeinerte ohne sie zu überfüllen. Oder wie es bei ihnen selbst zu lesen ist, schien Jan in der Lage den Songs „neue Ideen zu geben, ihnen Mut zu machen sich von einer ganz neuen Seite kennen zu lernen. Einige entdeckten ihre romantische Ader, andere wurden sich auf einmal erst so richtig ihrer selbst bewusst. Sie bekamen immer mehr Farbe und einige fingen sogar an zu tanzen, obwohl sie sich das früher nie so recht getraut hatten. Wieder andere blieben ein wenig zurückhaltender und schauten sich das ganze Spektakel eher aus dem Hintergrund an.

Bemerkenswert ist hierbei außerdem, dass die Musiker den Mut aufbringen einigen Instrumenten ausdrucksstarke Soli zuzugestehen, welche zwar in der jüngsten Popgeschichte, jedoch bei weitem nicht in der allgemeinen Anerkennung genügend Aufmerksamkeit erhalten. So bietet Choke On Bees – einer kurzen, fantasievollen Anekdote über eine Biene, die langsam in den Mund und die Kehle krabbelt – ein gut ein-minütiges Querflötensolo. Paperbag hingegen glänzt mit einem Perkussion- und einem Streicherintermezzo, und in One erlaubt man es schließlich der klassisch quietschenden E-Gitarre sich anstandslos in den Vordergrund zu spielen, ohne dass einem dabei „Rock“ in den Sinn käme. Das ganze wirkt so überzeugend, so gelungen und gelassen, dass man es sich nicht besser hätte wünschen können. So ist „Treehouse“ am Ende wie die zärtliche Umarmung bevor man schlafen geht, die sich Honig in Breakfast Cereals selbst wünschen. Bitte, bitte kaufen!
foto: honigsongs.de



honig
"treehouse"
babsies diktatur 2008 cd
honig
benevolent

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City Slang And Wichita Play Popkomm [Berlin, 08.10.2008]

Manchmal steht man am Rand eines Konzerts und sieht erstaunt, was im Publikum passiert. Und dann muss man sich entscheiden, ob man weiter nur am Rand stehen bleibt oder mitten rein will.


"huiuiui! hier ist aber was los!"
(h.obst)





Und manchmal entscheidet man sich doch für den Rand und macht Fotos. [Für die Fotogalerie bitte auf das Bild klicken]. Steht da und beobachtet auf der Bühne scheinbar wildgewordene Skandinavier, die gar keine sind (O'Death), während vor der Bühne der halbe Saal tanzt. Ausgelassen. Etwas schöneres kann es kaum geben, als dazu die Musik zu machen.

Und dann ganz zum Schluss findet man sich wieder mitten drin. Es ist schon nach Mitternacht, die Trompeten und noch mehr Geige und die bekannten Klänge der Band, wegen der man eigentlich da ist (Get Well Soon). Ruhiger stehen jetzt die Menschen da und hören. Und man hofft, dass sie sich genauso aufgehoben fühlen, wie man selbst und schließt die Augen.

Und vorher? Das hat man dann fast schon wieder vergessen. Das gefühlte Gedächtnis reicht nicht für sechs Konzerte an einem Abend. Aber das muss es auch nicht. Get well soon, Los Campesinos!, O'Death, Port O'Brien, Those Dancing Days und Sky Larkin beim City Slang and Wichita Play Popkomm Abend.
foto: uta bohls
fotogalerie

city slang
wichita records
get well soon
o'death
los campesinos!
postbahnhof
popkomm

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Get Well Soon

Was soll man Konstantin Gropper eigentlich noch fragen? Seit er als Get Well Soon im Januar sein Debütwerk veröffentlichte, überschlägt sich nicht nur die Musikpresse. Ein Konzert reiht sich an das nächste, und die Fragen sind auch alle zahlreich gestellt worden. Aber jetzt, fast ein Dreivierteljahr nach der ersten Euphorie, ist vielleicht Zeit, um zu sehen was bisher war, was ist und was werden wird. Und genau danach zu fragen…


"to the beat of my automatic heart you sing a song of life."
(tick tack goes my automatic heart)


Das erste Mal hörte ich Get Well Soon auf einem Konzert im April. Ich wusste nicht, was mich erwarten würde, denn ich kannte die Musik vorher nicht. Und dann kam nach dem Prelude das zweite Stück You/Aurora/You/Seaside. Die Trompeten setzten ein, der Rhythmus, die Stimme und plötzlich war es wie abgeholt werden. Es hat mich völlig getroffen. Das war wie in der Musik baden und sich da gut aufgehoben fühlen. Sich reinfallen lassen und erst danach wieder auftauchen. Wow.

Das ist für mich die Musik von Get Well Soon. Nach wie vor. Ein größeres Kompliment kann ich nicht machen. Etwas objektiver könnte man sie als sehr vielschichtig, orchestral, unerwartet, melancholisch-schön, tief, opulent-melodiös bezeichnen. Dazu Texte, die in ihrer Essenz hoffnungsvoll sein sollen. You will get well soon. Auch wenn es nicht immer danach aussieht.

Ich traf Konstantin Gropper Anfang Oktober im Berliner Postbahnhof, wo abends, im Rahmen der Popkomm, der "City Slang and Wichita play Popkomm" Abend stattfand, auf dem neben Get Well Soon unter anderem noch Los Campesinos!, O’Death und Port O’Brien spielten. Es war mittags, es wurde auf den verspäteten Soundcheck gewartet und der Auftritt war noch fast zwölf Stunden entfernt.

Konstantin, wie geht es dir heute?
"Ganz gut. Ich hatte jetzt auch zwei Tage frei, wo ich zuhause war. Nach zehn Tagen im Bus ist das immer sehr entspannt. Bin jetzt sozusagen etwas erholt."

Als deine Platte 'rest now, weary head! you will get well soon' im Januar rauskam, wurde deine Musik als international kompatibel bezeichnet. Jetzt seid ihr in Europa unterwegs und mich würde interessieren, ob deine Musik in den unterschiedlichen Ländern auch unterschiedlich ankommt. Ob man zum Beispiel bei Konzerten Unterschiede merkt.
"Also ankommen, würde ich sagen, tut sie überall ungefähr gleich. Wir haben nach der Veröffentlichung ja erst in Deutschland gespielt und da war ich schon immer sehr überrascht und ich find’s sehr gut, dass die Leute extrem aufmerksam sind. Ich kann mir das auch selbst gar nicht erklären. Sie sind sehr, sehr ruhig und hören zu und das ist wirklich auch überall so. Naja, es kommen unterschiedlich viele Leute, das ist halt auch so, aber eigentlich ist die Reaktion überall ähnlich."

Ihr habt ja wirklich eine große Anzahl Konzerte gespielt dieses Jahr. Gab es ein Konzert, das dir auffallend gut in Erinnerung geblieben ist? Und auch eines vor dem du richtig Angst hattest?
"Naja, also Angst nicht. Also am aufregendsten war wahrscheinlich schon so der größte Auftritt dieses Jahr beim Melt! Festival. Das war aufregend. Eigentlich auch der Auftritt selber, weil man da halt auch durchgepfercht wird wie so Schlachtvieh."

War das auch das schönste Konzert oder nur das aufregendste?
"Das war das aufregendste, das schönste war’s nicht. Das war eher extrem anstrengend. Weil eben auch der Sound ganz schwierig war. Das schönste… weiß ich gar nicht. Ich fand glaub ich auf der Tour… Heidelberg. Weil das vorher so mein Hausclub war, wo ich halt immer hingegangen bin. Das war ein schöner Abend. Da war ich auch extrem aufgeregt."

Wie geht es deinen sechs Musikern? Die wussten ja am Anfang des Jahres vermutlich nicht, dass sie das ganze Jahr komplett durchspielen müssen bzw. dürfen. Und es sind auch nicht alles Profimusiker. Sind sie noch munter dabei?
"Ja, aber sie spielen auch in wechselnder Besetzung. Es gibt mittlerweile, glaub ich, fast für jeden zwei oder sogar drei Besetzungen. Einfach aus dem Grund, weil die eben auch noch was anderes machen. Ich bin eigentlich mehr oder weniger der einzige, der sonst nichts macht. Also get well soon halt. Die haben dann nicht immer Zeit. Aber sie versuchen sich auf jeden Fall immer Zeit zu nehmen. Wir hatten Mitte des letzten Jahres die Diskussion, ja so in dem Rahmen, wenn’s so und so oft ist, können wir schon spielen, aber wenn es dann so richtig losgeht, dann wird das nichts. Aber irgendwie hat es trotzdem geklappt. "

Was fehlt dir am meisten wenn du jetzt so viel unterwegs bist und auch gar nicht zwischendurch nach Hause kommen kannst?
"Mh. Was fehlt mir am meisten. Meine Freundin? Ansonsten brauch ich schon auch genügend Zeit für mich. Ich bin auch gern mal allein, was auf Tour eher schwierig bis unmöglich ist. Man ist halt wirklich 24 Stunden zusammen. In dem Fall jetzt mit neun Leuten, das ist der Regelfall grad. Die ich alle sehr gern mag, es gab auch überhaupt nie Streit oder so was. Aber trotzdem brauch ich auch Zeiten, wo ich mal allein sein kann. Das ist auf Tour schon anstrengend. Aber das geht allen so. Die Rückzugsmöglichkeit ist manchmal nur der Vorhang, den Du vor Deiner Schlafkoje hast."

Ich frage mich ja, ob ihr nicht auch wahnsinnig angeschmachtet werdet, weil ihr auf der Bühne eine sehr schön anzusehende Band seid. Oder lässt man dich da in Ruhe?
"Also mich ja. Ich hab da kaum Erfahrungen mit. Aber wir sprechen auch glaub ich...also ich hab immer den Eindruck, wir haben ein musikliebendes Publikum. Ich glaub, denen geht’s weniger um die Personen als um die Musik. Es ist auch, find ich immer, ein verhältnismäßig altes Publikum. Das sind einfach eher Leute, denen es um die Musik geht, denk ich mir."

Nach Weihnachten willst du ja dein zweites Album in Angriff nehmen und dann auch erstmal eine Konzertpause einlegen.
"Ich hoffs, ja. Ich brauch dann irgendwann auch mal Pause. Auf jeden Fall erst mal mindestens drei Monate, vor allem auch in Deutschland. Vielleicht wenn noch was Gutes im Ausland ist. Aber eigentlich ist nichts geplant."

Wie ist das bei dir? Dein erstes Album hat sich ja in der Entstehung über längere Zeit hingezogen. Hast du jetzt schon die Lieder im Kopf, die du dann gerne aufnehmen würdest oder gibt es sogar schon fertige Lieder?
"Ich hab schon viele Lieder, aber ich weiß gar nicht, ob ich die da drauf haben will. Ich will nicht wieder über einen längeren Zeitraum Lieder ansammeln und die dann zusammenstellen, sondern wirklich einen konzentrierten Zeitraum haben, in dem ich das schreibe und das dann zusammenhängend mache. Das wär mein Plan. Dann kann es natürlich sein, dass mir dann nichts einfällt, dann muss ich doch die, die ich jetzt schon hab, nehmen. (schmunzelt)"

Wie ist das musikalisch? Ich kann mir vorstellen, dass du auch ganz andere Sachen machen könntest. Bisher ist deine Musik ja sehr vielfältig instrumentiert und…gefüllt.
"Ja, das ist wahr. Eigentlich ist das nicht unbedingt immer so gewollt, das passiert mir immer. Aber ich versuch natürlich schon was anderes zu machen, ich will mich da ja auch nicht wiederholen. Verschiedene Instrumente ist bestimmt auch nach wie vor wichtig. Ich versuch mich da vielleicht auch noch zu verbreitern. Aber wie gesagt, so richtig drüber nachgedacht, also ich versuche nicht drüber nachzudenken, sagen wir mal so. Weil ich es ja dann tun will, wenn ich das Album mache."

Die erste Platte hast du in Heimarbeit alleine am Computer "getippt" und auch die Instrumente später dort eingespielt. Kannst du dir noch vorstellen ohne Computer zu komponieren und willst du diesmal in einem Studio aufnehmen?
"Ich hab mir schon überlegt, das an einem anderen besonderen Ort aufzunehmen. Aber ich weiß es noch nicht. Wahrscheinlich so die Schreibarbeit wird schon nach wie vor wieder Zuhause sein und auch am Computer, einfach weil sich die Arbeitsweise für mich jetzt bewährt hat, weil es so meine Arbeitsweise ist. Und weil das Schreiben halt immer schon auch relativ weit geht, was Sachen wie Arrangement und Instrumentierung angeht und was ich dann am Computer alleine machen muss. Das heißt die Zeit nur so mit Gitarre bleibt sehr kurz eigentlich. Das geht dann relativ schnell schon in Richtung dem Klang, den es dann am Schluss auch haben soll. Das wird auch so bleiben. Ursprünglich bei der ersten Platte war ja auch schon der Plan, dass ich das erst mal für mich mache und dann vielleicht noch mit einer Band ins Studio gehe und die das dann sozusagen nachspielt. Dazu ist es dann nicht gekommen. Aber vielleicht mach ich das dieses Mal so. Das hatte ich auf jeden Fall vor. Das Ding ist, was den Sound angeht, will ich mich auch nicht unbedingt, was die Platte angeht, auf diese Besetzung der Band festlegen."

Wie sieht es mit Filmmusik aus? Im November läuft der neue Wim Wenders Film "Palermo Shooting" an, zu dem du zwei Stück beigesteuert hast. Du spielst aber nicht mit, oder?
"In dem Film? Neinnein. Der Film war ja dann auch schon relativ fertig, als die Musik dazu kam. Ich hab ihn auch noch gar nicht gesehen, den Film. Ich war jetzt auch nicht da bei der Pressevorführung. Ich hab nur einzelne Szenen bekommen zu denen ich dann was machen sollte, aber die sind sehr kurz und waren auch nicht so besonders aussagekräftig für den Film. Dann hab ich noch für einen Dokumentarfilm komplett die Musik gemacht. ('Der Entsorgte Vater' von Douglas Wolfsperger). Der wird auch nächstes Jahr irgendwann im Kino anlaufen. Und dann noch zum Teil für einen österreichischen. ('Contact High' von Michael Glawogger) Die haben einen Song verwendet und noch ein paar kleinere Stücke. Der wird glaub ich im Frühjahr anlaufen.

Hast Du schon mal einen Kinofilm gesehen, bei dem du gedacht hast, dass du dazu gerne die Filmmusik geschrieben hättest?
"Nein, das ist eher so, dass für mich Musik schon sehr wichtig ist in einem Film. Ich glaub wenn ich einen Film von der Stimmung her gut finde, dann muss die Musik auch schon gut sein. Dann denk ich nicht drüber nach, ob ich das gekonnt hätte."

Welche Filmmusik findest du besonders gelungen?
"Naja, also Kubrick hat ja meistens immer Originalmusik verwendet und die Art wie er mit Musik eben umgeht, fand ich immer sehr sehr spannend, vor allem weil er das auch sehr stark dramatisch macht. Oder musikalisch perfekt fand ich auch 'Punch-Drunk Love' von Paul Thomas Anderson. Da hat Jon Brion die Musik gemacht und die Musik war sozusagen Teil der Handlung. Sie war ständig so präsent, dass es dem Zuschauer das Gefühl vermittelt hat, das eigentlich der Hauptdarsteller ständig hat."

Was hörst du privat grad am liebsten? Hörst du überhaupt Musik wenn du unterwegs bist oder brauchst du Ruhe, wenn du selber Musik machst?
"Nee, ich hör viel Musik. Auch gerade auf der England Tour hab ich viele Platten gekauft, weil die da immer billiger sind. Also in letzter Zeit hab ich viel Beach Boys gehört. Und Bon Iver. Sind meine Entdeckung des Jahres. Kann ich sehr empfehlen."

Du hast eine gute Coverversion von Underworlds "Born Slippy" gemacht. Welche Coverversionen von anderen Künstlern findest du besonders gelungen?
"Mh….also das ist eher so dieses eine Beispiel, wo tatsächlich und bekannterweise die Coverversion besser ist als das Original: 'Hallelujah' von Jeff Buckley. Obwohl ich Jeff Buckley überhaupt nicht mag und dafür riesen Cohen Fan bin."

Leonhard Cohen, den du auch als einen deiner musikalischen Einflüsse benzeichnest, ist ja grad nach langer Abstinenz wieder in Europa unterwegs. Zeitgleich mit euch.
"Ja, ich hab’s ja leider verpasst, als er hier war, weil ich da unterwegs war. Ich wäre sehr gerne hingegangen."

Noch mal zurück zu euren Auftritten. Eure Bühnenkleidung ist anders als das, was ihr privat tragt. Ist dir das wichtig als Abgrenzung?
"Ja, also Abgrenzung einerseits schon. Andererseits kann man sich ja schon Gedanken dazu machen wie man… (schmunzelt) Also wenn man sich schon auf eine Bühne stellt, dann kann man sich auch überlegen wie. Und ich glaub das hilft auch irgendwie, wenn man sich umzieht. Dann kommt man besser rein. Als wenn man seine Arbeitsklamotten anzieht. Das ist genauso. Es ist auch tatsächlich so, die Sachen, die ich live anhabe, zieh ich privat nicht an."

In deinen bisherigen Videos orientierst du dich optisch an der Vergangenheit und du hast mal gesagt, dass du die Zeit um 1900 spannend findest. Was genau fasziniert dich an zurückliegenden Zeiten?
"Naja, ich würde nicht sagen, dass ich grundsätzlich von zurückliegenden Zeiten fasziniert bin oder sie faszinierender finde als die Gegenwart. Aber ich fand um 1900 war es vor allem was die Kunst angeht sehr spannend, weil die Kunst da einfach einen großen Sprung gemacht hat. Hin zur abstrakten Kunst und in der Musik zur atonalen Kunst. Das war halt einfach eine Zeit, wo Künstler mehr oder weniger gleichzeitig das Bedürfnis hatten, wirklich etwas Neues zu schaffen. Nicht wie die Romantik, die eher noch wieder die mittelalterlichen Bilder genommen hat und die Renaissance die antiken Bilder. Und wo wir uns selber ja auch jetzt wieder in diesen immer kürzer werdenden Retrozirkeln und -situationen befinden. Da fand ich halt an dieser Zeit diesen unbedingten Fortschritt, diese Avantgarde-Idee einfach spannend."

In dem Zusammenhang würde mich interessieren, wie du zu Traditionen stehst. Nicht nur in Bezug auf Kunst, sondern auch gesellschaftliche Traditionen und da du auf dem Land aufgewachsen bist, ländliche.
"Also ich bin kein traditioneller Mensch, aber ich find Traditionen irgendwie auch faszinierend, glaub ich. Gerade auch auf dem Land find ich sie dann immer eher amüsant. Also was so gesellschaftliche Traditionen angeht, davon halte ich eigentlich nicht so wahnsinnig viel. Ich weiß nicht, man kann ja auch sagen man steht 'in der Tradition von irgendwas'."

In welcher stehst dann du?
"Das weiß ich nicht, aber ich mein, es gibt ja immerhin die Binsen-Weisheit, die da sagt: man muss ja erstmal die Regeln kennen, um sie zu brechen. Also wenn man sozusagen in überhaupt einer Tradition steht, dann heißt es, dass man irgendwie weiß, was vorher da war und in welchem Zeit-Raum-Moment man sich selbst befindet. Das gilt vor allem in der Kunst, aber auch generell für die Gesellschaft. In der Kunst oder Gesellschaft find ich es auf jeden Fall wichtig um das Jetzt zu kennen, muss man auch die Traditionen kennen. Denk ich. Ob die immer gut sind, weiß ich nicht, wahrscheinlich nicht, aber kennen sollte man sie wahrscheinlich."

Zum Abschluss habe ich noch einige Entweder-Oder-Fragen. Sekt oder Selters heißt das, wie ich gestern gelernt habe. Deshalb fang ich damit auch an:
Sekt oder Selters?
"Selter, Sekt mag ich nicht."

Morgens oder abends?
"Morgens, zumindest was die Arbeit angeht. Früher anfangen, früher aufhören. Das liegt glaub ich an meinem Biorhythmus. Nach 18h krieg ich nichts hin."
Karibik oder Alaska?
"Alaska. Sonne vertrag ich nicht. Gar nicht."
Entscheiden oder noch ne Nacht drüber schlafen?
"Noch ne Nacht drüber schlafen. Ich bin sehr entscheidungsunfreudig."
Hier oder woanders?
"Eigentlich egal. Hier. Ich leg da nicht so viel wert drauf, wo ich bin."
Bunt oder schwarz/weiß?
"Bunt."
Geben oder Nehmen?
"Geben."
Strandkorb oder Berghütte?
"Berghütte, wegen der Sonne."
Schokolade oder Weingummi?
"Gar nichts Süßes."
Reden oder Schweigen?
"Schweigen."
Beatles oder der alte Mann?
"Beatles."
Scooter oder DJ Bobo?
"Scooter, geht gut ab."



foto: uta bohls



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