Bilderdisko [Si Tu Disais]

Je n'hésiterais pas.










"Si tu disais on y va
Si tu disais j'en tellement
Marre d'êbre ici
Je t'écouterais crois moi
Je n'hésiterais pas"

"Si Tu Disais"

Françoiz Breut
aus: "Vingt Et Trente Mille Jours"
Labels, 2000
Umgesetzt von
Heiko Windisch / The State Of Things
Heidelberg

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The Samuel Jackson Five

Nicht nur mit ihrem Schulsystem belegen die Skandinavier eine vordere Position im globalen Vergleich, auch musikalisch prägt man in Nordeuropa immer wieder Szenen. Ein Erklärungsversuch aus Sicht der norwegischen Postrocker The Samuel Jackson Five.


"britney spears 4 president!"
(same same but different)


Eine gewisse Schrulligkeit lässt sich bei den Skandinaviern unschwer ausmachen, betrachtet man den wunderbaren Film "Kitchen Stories" von Bent Hamer, bei dem in den Fünfzigern schwedische Beobachter aus dem Heim und Haushalt Forschungsfeld ins benachbarte Norwegen entsendet werden, um dort Feldstudien durchzuführen. Dieses bizarre Verhalten und die manchmal grotesk erscheinenden Ideen erweisen sich im Film selbstverständlich als ironische Betrachtung, doch kann man den Skandinaviern wohl kaum einen hohen Grad an Eigenständigkeit, Experimentierfreude und Innovation absprechen, der von außen vielleicht das ein oder andere mal tatsächlich als absonderlich rezipiert wird. Diese Betrachtung lässt sich selbstverständlich auch, oder gerade auf die Popkultur übertragen.

Nach ihrem Debütalbum "Same Same But Different" aus dem Jahr 2004, haben The Samuel Jackson Five auf dem eignen Honest Abe Label den Nachfolger "Easily Missundertsood" veröffentlicht. Während das Album in Norwegen von den Kritikern gefeiert wurde und im Nachbarland Schweden sogar als bestes Instrumental Album des Jahres gekürt wurde, hat im restlichen Teil von Kontinentaleuropa kaum jemand Notiz von der Band genommen. Zeit sich mit ihnen zu unterhalten und im Gespräch mit Schlagzeuger und Perkussionisten Stian Tangerud etwas über die musikalische Sonderstellung in unserem Norden zu erfahren.

"The Samuel Jackson Five"; Den Namen kann man nicht einfach ignorieren. Ihr benutzt da siese charmate aber auch irritierende Weise, eine Hammage an eine Persönlichkeit auszusprechen, ohne dass dabei ein tatsächlicher Bezug besteht. Erst kürzlich laß ich den raffinierten Namen "The Stephen Malkmus Experience". Intertextualität und Hyperlinks. Was steckt dahinter?
"Bei unserem ersten Auftritt waren wir noch nicht wirklich bereit. Wir hatten vier fertige Stücke, zwei zusätzliche Bandmitglieder (einen Sänger (!) und einen zweiten Perkussionisten mit einem riesigen Vibraphon) und keinen Namen. Mit dem Namen The Samuel Jackson Five alberte ein Freund für ein anderes Projekt herum als wir noch auf der Hochschule waren, das allerdings nie umgesetzt wurde. Also haben wir den Namen zunächst gestohlen, zumindest bis uns etwas Besseres einfallen würde. Zwei Alben später ist das allerdings immer noch nicht der Fall."

Die SJ5 starteten ursprünglich als Drum & Base Projekt. Wie kam es zu der heutigen Entwicklung?
"Wir hatten damals einfach angefangen aufzunehmen, aber was dabei herauskam war wirklich nicht hörenswert. Wir wollten eigentlich tanzbare Musik schreiben, die von Elektronik beeinflusst war, jedoch mit echten Instrumenten eingespielt werden sollte. Was dabei herauskam war aber eben eher Postrock."

Unter dem Begriff Postrock vereinigt ihr trotz allem viele weitere Stilelemente. Namen wie Do Make Say Think kommen mir dabei genauso in den Kopf wie Jaga Jazzist oder sogar oldschool Helden wie Neil Young.
"Selbstverständlich hören wir diese Bands. Wichtig sind uns aber auch Sachen wie Tool und das Album "Red" von King Crimson, sowie vor allem auch die Musik von Miles Davis aus seiner "Bitches Brew" / "Live At Fillmore" Zeit. Als wir richtig anfingen, haben wir stundenlang gejammt und wenig Augenmerk auf wirkliches Songwriting gelegt. Irgendwann hat sich unser Stil dann verselbstständigt."

Du hast Jazz bereits als Einfluss erwähnt. In Norwegen geibt es so unterschiedliche Künstler wie Motorpsycho, Cloroform, Kaizers Orchestra oder die erwähnten Jaga Jazzsit, die alle Jazzelemente in ihrer Musik transportieren. Von Bläsersketionen und Streicherarrangements bis zu solitischen Improvisationen; Ihr selbst verwendet sogar Freejazz Anleihen, die man bis vor ein paar Jahren nicht gewagt hätte im Pop/Rock Umfeld zu adaptieren. Wo siehst du die Verbindung dieser Spielarten?
"Ich glaube nicht, dass es eine generelle Beziehung zwischen Jazz und aktueller Popmusik gibt – es sei denn du denkst dabei an die 18 millionenfach verkauften Popjazz Sachen von Nora Jones. Ich glaube es gibt eine engere Verknüpfung zum Jazz in der mit Samples arbeitenden Musik wie HipHop und Elektronik. Norwegen hatte aber schon immer eine sehr ausgeprägte Jazzszene; spätestens seit Jan Gabarek seine ersten Alben 1969 veröffentlichte und norwegische Musiker eine Schlüsselrolle bei der Plattenfirma EMC spielen, bis hin zur modernen Szene um Künstler wie Atomic, Bugge Wesseltoft, Nils Petter Molvaer und so vielen andere. Mit einer solch weit gefächerten und umfangreichen Jazzszene in einem so kleinen Land wie unserem liegt es natürlich auf der Hand, dass es da allgegenwärtige und wechselseitige Einflüsse gibt. Ich muss auch sagen, dass gerade Motorpsycho und Jaga Jazzist die gegenwärtige Musik unendlich bereichern. Motorpsycho haben so viele fantastische Alben veröffentlicht und dabei so unterschiedliche Richtungen ausgelotet, und ich glaube, dass dies viele andere Künstler hier darin bestärkt hat zu experimentieren. Und Jaga Jazzist sind selbstverständlich herausragend! Ich glaube, ich habe sie bereits elf Mal live gesehen. Die Musiker von Jaga sind zudem in so viele andere Bands und Projekte involviert, dass man sich ihnen gar nicht entziehen kann. Ich denke also, dass der Einfluss von Jazz auf die moderne Popmusik eher ein skandinavisches Phänomen, vielleicht sogar ein speziell norwegisches ist."

Skandinavien im Allgemeinen und vielleicht tatsächlich Norwegen im Besonderen, erscheint heute als eine der wichtigsten Quellen für neue musikalische Entwicklungen und als Standort einer jungen, frischen Musikszene. Obwohl England - früher vielleicht das wichtigste Land für die Popkultur überhaupt - langsam zurückzukommen scheint, sind meines Erachtens nach vorallem Skandinavien und Kanada dei bedeutendsten Länder, wenn es um das Hervorbringen von maßgeblich neuen Ideen und Sounds geht. Wie sieht diese Außenperspektive für dich als Norweger aus?
"Für eine lange Zeit war Norwegens einziger Beitrag zur Popwelt A-ha, aber in den letzten vier bis fünf Jahren ist die gesamte norwegische Musikszene selbstbewusster geworden. Es gibt eine große Zahl junger und vor allem auch guter Bands. Ich finde es sehr spannend zu sehen, dass die Bands hier die gesamte musikalische Palette von der Elektronik bei Røyksopp, über Black Metal von Satyricon and Dimmu Borgir, Angstpop von den Monomen, Hardcore von Rumble In Rhodes bis hin zu eben erwähnten abdecken. Das ist fantastisch! Natürlich sind mir die ähnlichen Entwicklungen in Norwegen und Kanada auch schon aufgefallen, aber ich weiß auch nicht was dahinter stecken könnte."
foto:

the samuel jackson five

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Immergut Festival [Neustreliz, 26.-27.05.2006]

Alle Jahre wieder: Mit dem Immergut Festival wird zum einen traditionell die Festivalsaison eingeläutet, zum anderen klopft regelmäßig am letzten Maiwochenende der Sommer an die Tür. Und auch dieses Jahr schien zunächst alles in gewohnten Bahnen zu laufen.


"you've got such a nice festival here."
(moneybrother)

Bereits Ende März waren sämtliche der rund 5000 Tickets vergriffen, auch das Line-Up nahm mit Bands wie den Yeah Yeah Yeahs, Okkervil River und Die Regierung bereits frühzeitig erfreuliche Konturen an. Doch ebenso wie das aktuelle Album von Blumfeld, die bemerkenswerter Weise zum ersten Mal in Neustrelitz auftraten, polarisierte schließlich doch noch das Buchen einer Band die Anhängerschaft des Festivals: Mia, die deutschpoppenden Kuschelpatrioten, waren eingeladen worden, ein kontroverser aber vor allem auch fragwürdigerer Act hätte wohl kaum angekündigt werden können. Da geriet auch die Regen versprechende Wettervorhersage fast schon in den Hintergrund. Besonders pikant war die Tatsache, dass ebenfalls auftretende Bands wie Blumfeld und Phantom/Ghost eine dezidiert antinationalistische Position vertreten, welche bis vor wenigen Jahren in der sich als progressiv empfindenden Independent-Szene noch Konsens war.

Dass ein Wandel nicht nur auf, sondern vor allem auch vor der Bühne stattfand, wurde bereits beim Betreten des Zeltplatzes deutlich: Neben den unvermeidlichen Kuba- und FDJ-Fahnen konnten auf einmal auch Deutschland-Flaggen gesichtet werden. Ob "
nur" die WM ihren langen Schatten voraus warf oder nicht: Der unangenehme Beigeschmack blieb. Doch flatterte der Stoff, in welchen patriotische Heimatduselei gehüllt wird, unbehelligt im Wind, der wider Erwarten zunächst keinen Regen mit sich brachte. Die Prognosen hatten Tags zuvor noch 70% Regenwahrscheinlichkeit versprochen, nun riss die dichte Wolkendecke immer wieder auf und es waren noch ein paar Sonnenstrahlen zu erhaschen.

Die Bands
Midlake und Klez.e ereilte das Schicksal, welches in der Regel alle eröffnenden Acts trifft: Dank Umleitungen, Stau und Einkauf waren so manche Besucher noch mit Taschenschleppen und Zeltaufbau beschäftigt, die Akustik auf dem Zeltplatz ließ aber erahnen, dass da durchaus zwei interessante Auftritte verpasst wurden. Bereits als dritter Act trat mit Radio 4 einer der größeren Namen auf, zu früh, wie sich herausstellen sollte. Die New Yorker gaben sich zwar engagiert, es wurde eine Tanznummer nach der anderen abgefeuert, doch der Funke wollte nicht recht überspringen. Zu groß schien die Bühne, zu weit der Raum davor. Zu später Stunde im Zelt wäre wohl ein angemessener Moment gewesen. Doch gerade am Freitag war das Line-Up hochkarätig besetzt.

Einen gefeierten wenngleich nur mäßig charismatischen Reunion-Gig boten die
Flowerpornoes, anschließend zeigten Art Brut, wie man eine Menge zum Feiern bringen kann. Der Drummer stehend, Eddie Argos torkelnd und ungezwungen locker: Die Band spielte wie die Fans feierten und ganz mit reichlich Augenzwinkern wurde das Erfolgsziel namens Top Of The Pops beschworen. Sympathischer kann Rock’n’Roll kaum sein.

Später betrat eine in gleißendem Weiß gekleidete und überaus gut gestimmte Band die Bühne, welche sich das Festivalteam schon seit Jahren ersehnte.
Blumfeld übertrugen eine Auswahl von Stücken aus einer ganzen Dekade Musikgeschichte auf die Bühne und witzelten selbst über ihren jüngsten Hit, den viel diskutierten Apfelmann. "Obst ist Kult", ging es einem fröhlichen Jochen Distelmeyer von den Lippen, wobei das Publikum ähnlich den vorangegangen Plattenkritiken zu Verbotene Früchte entweder jubelte oder nur entgeistert den Kopf schüttelte. Mehr Bipolarität war nie! Doch mit der Intonation ihres Über-Songs Verstärker zogen Blumfeld zum Schluss auch den skeptischen Teil des Publikums auf ihre Seite.

Als "
Your favourite vegan / straight edge band" wurden The Appleseed Cast angekündigt, doch statt brachialem Hardcore gab es ein Postrock-Gitarrengewitter auf die Ohren. Zum ersten Mal hatten die Mischer größere Probleme, zu stark verschwammen ausdifferenzierte Gitarrenwände in einem einzigen Soundbrei. Zwar stieß der Auftritt auf großes Interesse, doch verblasste er ein wenig angesichts des zu erwartenden Hauptacts. Die Yeah Yeah Yeahs scheinen im Moment wohl einer der relevantesten Acts überhaupt und dies unterstrichen sie eindrucksvoll. Karen O erhob sich in dämonischem Kostüm über dem Publikum, ihr Posing nahm eine artifiziell-dominante Charakteristik an. In durch und durch amerikanischem Soundverständnis fielen Keyboards und zerrissene Gitarrenriffs übereinander her, Lärmkaskaden wurden von der Bühne heruntergeschleudert. Dieser auftritt war von einer Größe, wie er auf dem Immergut zuletzt The Notwist im Jahr 2004 gelungen war.

Als deutlich verhaltenerer und intimerer Auftritt erwies sich wie erwartet das Konzert von
Gregor Samsa, die im Anschluss in der Zeltbühne ihre elegischen Stücke voller Poesie und Verzweiflung präsentierten. Einen minimalistischen Abschluss des Abends boten schließlich Phantom/Ghost. Dirk von Lotzow wirkte neben Thies Mynther ausgeglichen wie selten, auch wenn der Auftritt musikalisch ungewöhnlich stark holperte. Der einzige elektronische Act des Wochenendes war dennoch eine äußerst willkommene Abwechslung, wirkte der Auftritt doch so unbeschwert, als ob das Duo einen Wohnzimmergig unter Freunden spielte.

Nun war zwar für Samstag verhalten Sonnenschein vorausgesagt, doch stattdessen bedeckten dunkle Wolken den Himmel. Nichtsdestotrotz wurde das traditionelle Immergutzocken Fußballturnier abgehalten, eventuelle Badeseebesuche fielen jedoch buchstäblich ins Wasser. Den ganzen Tag über war immer wieder leichter Nieselregen zu spüren, wenn auch kaum jemand befürchten musste, vollkommen durchnässt zu werden. Gleichsam unspektakulär verliefen die ersten Auftritte im Nachmittagsprogramm, einzig die
Fotos stießen auf größeres Interesse. Anschließend wurde der Künstlerreigen aus dem Umfeld von Arts & Crafts eröffnet.

"
Ich finde es toll, dass ich hier bin, ich meine, ich habe nicht mal eine Platte veröffentlicht, lucky me", strahlte Amy Millan, deren countryeske Songwriter-Balladen von einer ganzen Horde von Musikern begleitet wurden. Die Frontsängerin der Stars beackerte hier ein Terrain, welches man von ihren bisherigen Projekten in keiner Weise kannte. Das Publikum applaudierte im weichenden Sonnenschein, als Band- und Labelmate Jason Collett die Bühne betrat. I Bring The Sun sang er dann zwar optimistisch, aber der Regen hielt an, der nach seinem Auftritt das Publikum noch schneller als gewohnt ins Zelt trieb. Dort lieferten die Texaner von Okkervil River einen enthusiastischen Auftritt ab, der schon bei den ersten Klängen Großes vermuten ließ. Furiose Hymnen über Herzensbrecher, Mörder und andere Außenseiter wurden mit melancholischem aber leidenschaftlichen Gestus erzählt, nur durch den dröhnenden Soundcheck auf der Hauptbühne unterbrochen. "Ladies and Gentlemen, this is Mia", konstatierte der smarte Will Sheff so auch in einer der gestörten ruhigen Augenblicke seiner Band. Im eigenen Befremden bestätigt waren so manche, als Mia mit Sprüchen wie "Wir finden es geil, wie ihr dem Regen trotzt" oder "Seid Ihr gut drauf?" einer doch recht großen Fanschar einheizten. Über Musikgeschmack lässt sich bekanntlich trefflich streiten, doch politisches Feingefühl ist eine Gabe, welche die Veranstalter hier offensichtlich missen ließen. Ironie des Schicksals war es wohl, dass ausgerechnet Die Regierung anschließend im Zelt ihre Reunion zelebrieren sollte, eine Band die der Zeit entstammt, in der sich die "Indieszene" zu Deutschland noch deutlich emanzipatorischer verhielt, nämlich mit kritischer Distanz. So war es kaum verwunderlich, dass das Publikum im Zelt frenetisch applaudierte, als Sängerin Mieze verkündete, dass Mia keine Zugabe spielen dürfe. Eben jenes Publikum sorgte ebenso dafür, dass ein betrunkener aber dennoch schlagfertiger Tilman Rossmy und seine Regierung gleich zweimal zurück auf die Bühne mussten, um eine Zugabe zum Besten zu geben. Dies könnte man als Festivaldemokratie bezeichnen, oder auch als klare Ansage gegen den patriotisch-heimatlichen Wohlfühlfaktor. "Gib Dich nicht mit weniger zufrieden!"

Der Wohlfühlfaktor, den
Tomte vermittelten, hatte zwar keinen negativen ideologischen Beigeschmack, doch mehr als Nettigkeit und der Erinnerung an vergangene Tage blieb nicht hängen. Vielleicht gibt ihnen der Erfolg Recht, doch bei aller Ehrlichkeit (und-sei-sie-nur-aus-Bier) und jahrelanger Rackerei: Der Auftritt zeigte in klarer Weise die Stagnation und Belanglosigkeit auf, der sich Tomte mittlerweile ergeben haben. Ein Großteil des Publikums fand Gefallen daran, aber alte Helden lässt man ja auch nur ungern fallen.

Bedeutend ungewöhnlicher und spannender hingegen war der Anblick der bezaubernden Leslie
Feist. Nur mit Gitarre und Loop Pedal ausgestattet spielte und sang sie, setzte einzelne Songspuren zusammen, bis sie ein Ganzes ergaben. In ihrem Minimalismus bot sie das Sequel zu Phantom/Ghost am Vortag und stimmte das Publikum dezent auf das große Finale auf der Hauptbühne ein. Dort traf sich zum Schluss die ganze Arts & Crafts Familie unter dem Banner der Broken Social Scene. Schaffte das Team der Kanadier noch beim mittäglichen Immergutzocken den Weg ins Finale, wirkten die Musiker gegen ein Uhr nachts sichtlich angeschlagen. Doch ein stellenweise überambitionierter Kevin Drew trieb die Band immer wieder an. Teilweise bis zu fünf Gitarren, Bläser, Bass, zwei Drummer, Violine und Keyboard erschufen einen riesigen Klangraum, der gelegentlich ein wenig außer Kontrolle geriet. Und so beschloss die Broken Social Scene ihren Auftritt erst nach zwei Stunden mit einem grandiosen Finale, bei welchem sich künstlerische Individuen wie Amy Millan und Stars Kollege Evan Cranley , Jason Collett oder Leslie Feist nahtlos einreihten, als sei dies ein Orchester, welches auf jeden einzelnen Part angewiesen ist.

So lässt sich von einem mehr als würdigen Abschluss für das immergut Festival 2006 sprechen, welches musikalisch einmal mehr über weite Strecken überzeugen konnte. Strukturell bleibt jedoch ein fader Beigeschmack, denn zu einem schönen Festival gehören nicht nur schöne Musik und gute Stimmung, sondern auch das Gefühl, den Menschen und Bands in innerer Haltung verbunden zu sein. Doch dies schien dieses Jahr ein wenig schwerer zu fallen als sonst.
text: Martin Boehnert + Simon Traut
foto: martina drignat



immergut festival

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Podcasting - Eine Betrachtung

„Everyone's talking about podcasting, in fact everyone's talking IN podcasting, but not many are playing you music.” So zu lesen auf der Website des britischen Labels Wichita Recordings. Aber mal von vorn: Was sind Podcasts jetzt eigentlich genau?


"aber was ist schon musik in worten?"
(caro korneli)


Im Grunde handelt es sich um regelmäßig erscheinende Audio Magazine, die man allerdings nicht verpassen kann, da sie als mp3-Dateien herunter zu laden sind. Zumeist unterstützen sie auch RSS, das heißt, man kann sie mithilfe bestimmter Programme abbonieren. So lädt zum Beispiel iTunes immer sofort die neuen Folgen eines Podcasts aus dem Netz und spielt sie dann auf das Gerät, von dem sie ihren Namen haben: Den iPod. Podcasts sind zugleich natürlich mit jedem anderen mp3-Player abspielbar, man kann sie auch einfach am Computer hören.

Inhaltlich ist wirklich für jeden etwas dabei: Ob der aktuelle Nachrichtenüberblick einer Zeitung oder eines Fernsehsenders, Bildungssendungen mit deren Hilfe man Englisch oder Japanisch lernen kann, oder einfach eigene Geschichten und Erlebnisse von irgendjemandem, der gern erzählt. Denn Podcasten, das kann im Grunde jeder, der ein Mikro und einen Internetanschluss hat.

Was dazu führte, dass die Münchnerin Annik Rubens berühmt wurde mit ihrem täglichen dreiminütigen Podcast "Schlaflos in München", oder dass sich im inzwischen recht großen Podcastdschungel durchaus wahre Perlen finden lassen wie "Die Unperfekten" oder der "Ohrensessel", ein Filmkritik-Podcast mit Bernd Begemann. Auch Radiosender stellen des Öfteren Teile ihrer Inhalte zum Download ins Netz, besonders erfreulich ist das beim Eins Live Podcast "Lauschangriff - Talk". Zudem ist das Herunterladen fast immer kostenlos - nur Harald Schmidt lässt sich seinen "iSchmidt" 99 Cent pro Folge kosten.

Podcasts sind also etwas für Leute, die gerne was erzählt bekommen, aber auch für die, die zu faul sind zu lesen und schnelle Informationen benötigen, oder die einfach eine Beschäftigung brauchen, während sie in der Bahn zur Arbeit sitzen. In den letzten Monaten kam noch eine ganz andere Sparte der Podcasts ans Licht, eine neue Branche entdeckte das Medium für sich: Die Musikindustrie. Bereits Ende Oktober letzten Jahres startete zum Beispiel "Best of Tocotronic", der alle Fans und potentiellen Käufer auf das Erscheinen der neuen Platte vorbereiten sollte. Auch die Vines stellten kürzlich einen ersten Videopodcast ins Netz. Doch eigentlich halten sich die Bands beim Podcasting noch zurück. Vielmehr entsteht momentan ein hübscher kleiner Wald der Labelpodcasts. Die Plattenfirmen erkannten den Podcast als neue Form der Internetpromotion. Sie können ohne große Unkosten für neu gesignte Bands oder erscheinende Platten werben, halten die Fans mit Interviews und exklusiven Neuigkeiten bei der Stange.

Noch dazu springen sie wohl auf den Zug der Internethypes auf, jetzt wird versucht, kleine Indie-Wunder wie das Paradebeispiel Arctic Monkeys selbst zu basteln. Dabei wird ganz einfach der erste Part übersprungen, der kein-Vertrag-aber-zehntausend-Downloads-Part. Arctic Monkeys und Clap Your Hands Say Yeah haben ihre Plattenfirmen, und jetzt geht’s darum, dass eben diese Firmen den Hörern weiterhin das Gefühl geben, etwas zu entdecken. Indie zu sein.

Und natürlich geht es auch um das Internet im Allgemeinen, das in Sachen Werbung einfach immer wichtiger wird. Hier erreicht man noch einmal eine ganz andere Zielgruppe, hier geht alles am schnellsten, hier erwachen Trends – schlafen aber auch ganz schnell wieder ein.

"Elementar wichtig" sei der Internetaspekt promotionsmäßig auch für das Hamburger Label Tapete (Erdmöbel, The Horror The Horror), so Mitgründer Dirk Darmstaedter. Deshalb gibt es jetzt einen monatlichen Tapete Records-Podcast. "Eine weitere Quelle, wo Leute über Tapete und unsere Bands was erfahren - und auch gleich mal hören können!" Moderiert wird das ganze von Kollegin Nina Thomsen, "weil sie so einen schönen norddeutschen Akzent hat".

Neues über Tourneen und Veröffentlichungen, dazu ein paar Musikschnipsel, das ist das übliche Konzept, das auch hier übernommen wird. Allerdings klingt es bei den Hamburgern noch etwas ungewohnt und scheint keine richtig feste Institution zu sein. Wühlt man sich weiter durch die deutsche Labellandschaft und lässt dabei den Universal-Podcast "Pop Exklusiv" ganz schnell hinter sich – mit dem Tokio Hotel-Interview und den "ganz geheimen!" Neuigkeiten über Jeanette Biedermann wird sich wohl an eine andere Zielgruppe gerichtet – stößt man schnell auf den neuen gemeinsamen Podcast von Labels (Wir sind Helden, Interpol) und Mute (Goldfrapp, Nick Cave).

Besonderheit hier: Es handelt sich um einen Videopodcast, sprich, ganze Filme zum Herunterladen. Mit Dateigrößen von 35 Megabyte für zehn Minuten wird scheinbar vom hippen 30-GB-iPod-Hörer mit DSL-Verbindung ausgegangen – doch das Laden lohnt sich auf jeden Fall. MTV-Moderatorin Caro Korneli verkündet vor unterschiedlichsten Kulissen aus dem Labelgebäude Neuerscheinungen, zeigt Videoausschnitte von We are Scientists oder Enik und sitzt in der aktuellen Folge mit den Kooks auf dem Sofa, um sich ein Akustikkonzert spielen zu lassen. Zudem schämt sie sich auch nicht, den Grund für diesen aufwändigen Podcast laut auszusprechen: "Das Album erscheint Ende März. Und du sollst es kaufen." Nicht nur hörens-, sondern auch sehenswert.

Auch in der außerdeutschen Musikwelt schwirren natürlich einige Labelpodcasts durch das Netz. Als Beispiel sei hier nur der von Wichita Recordings (Bloc Party, Clap Your Hands Say Yeah) genannt. Moderatorin Gill Mills führt durch die professionell produzierten Sendungen mit vielen Kurzinterviews und kurz zusammengefassten Informationen. Viele Pluspunkte bekommt dieser Podcast für das Spielen der Songs in voller Länge. Diese Tatsache führt dann wohl auch dazu, dass eine Folge schnell mal anderthalb Stunden dauert – eine etwas sperrige Länge für einen Podcast. Trotzdem gerne mal hinhören, schließlich gilt auch hier die den Podcasts ganz eigene Regel: "For YOU to listen. When YOU want."
foto: roman hagenbrock

Schlaflos in München
Die Unperfekten
Ohrensessel
Eins Live Lauschangriff - Talk
iSchmidt
Best of Tocotronic
The Vines
Tapete Records Podcast
Pop Exklusiv
Labels-Mute-Videonewsletter
Wichita Recordings podcast

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Noas [Inside Honeycombs]

"Weil es uns wichtig ist, dass unsere Musik interessant ist, also keine Bierzeltmusik, auch wenn die viel mehr Kohle bringen würde", schrieb mir die Sängerin und brachte mich zum schmunzeln, obwohl ihre Töne mir kurz vorher noch melancholisch schön in den Hintern traten.


"to see the facilities."
(inside honeycombs)


Als ich das Album "Inside Honeybombs" der österreichischen Band Naos das erste Mal hörte, erinnerte mich ihre Musik schlagartig und ohne Zögern an den Soundtrack des Filmes "Bandits". Schon einige Zeit her und trotzdem ziemlich parat in meinem Kopf und Gehör vorhanden. Doch kann ich gleich zu Anfang sagen, dass man sie nicht daran festnageln sollte. Wenn man ihre Lieder mehr als nur zwei Durchgänge lang hört, bemerkt man, dass sich bei jedem Hören etwas Neues entdecken lässt. Hier ein Gitarrenklang den man vorher nicht wahrgenommen hat und dort drüben ein Hauchen oder Summen der Sängerin, dass wie frisch aufgenommen klingt. Für mich klangen einige Lieder so, als würden die Instrumente und die Stimme Pingpong spielen. Einerseits gibt es Momente, in denen Instrument und Stimme sich einig sind, alles zu passen scheint. Andererseits entsteht auch ein Gegenspiel zwischen Instrument und Stimme. Sie scheinen sich dann komplett zu unterscheiden, wie oben und unten, rechts und links oder Tiger küsst Lamm. Gesang gegen den Rest der Musik und eine Wechselwirkung der Töne und Klänge. Dennoch kann man nicht verleugnen, dass Dine, die Sängerin, eine wunderbar vielfältige Stimme hat. Von sanft und beruhigend bis hin zu ermutigend und krachend. Hären könnte man die Musik eigentlich jederzeit.

Besonders das Lied Farout gibt einem, mir jedenfalls, ein tolles Gefühl. Von aufstehenden Armhaaren bis hin zum Klos im Hals und angenehme Streicheleinheiten für die Brust. Diese kitschige Reaktion meinerseits kann aber auch daher entstanden sein, dass Klavierklänge bei mir praktisch immer gut wegkommen und ich mich in sie verliebe als hätte es vorher niemals einen anderen Ton gegeben.. Doch auch das folgende Instrumentenwirrwarr gekoppelt mit leidenschaftlicher Frauenstimme lässt meine Begeisterung keinen Zentimeter sinken. Why Dry ist der erste Track auf ihrem Album und wohl auch der lautstärkste von allen. Das Schlagzeug drescht wunderbare Klänge zusammen und einzelne Geräusche verleiteten mich dazu, den Repeat Knopf zu drücken. Dennoch muss ich auch zugeben, dass sich kleine Gewitterfalten auf meiner Stirn bildeten, als ich Chew Light hörte. Keineswegs, weil ein megaphonartiger Gesang entstand. Diesen fand ich ganz wunderbar, doch mich störte das Krächzen der Sängerin. Erinnerte mich als erstes an manche Popstars Kandidatinnen, die nach jedem Ton und Klang ein Gejaule hinterher setzen, dass sich eher wie die Hunde von "Susi & Strolch" anhört. Ganz so schlimm ist es wahrlich nicht bei dieser Bande und es war so ziemlich das erste und einzige was mich an ihrem Album "Inside Honeycombs" störte.

Und zu guter Letzt der fünfte und schon letzte Track namens Electric Fence. Erinnert mich diesmal schon wieder an einen Soundtrack, aber dafür an einen ganz wunderbaren. Es ist wirklich keine große Kritik, wenn das Akkordeon und seine Klang mich an den französischen Film "Die Fabelhafte Welt Der Amélie" erinnern. Als würde man in einen Raum eintreten, an der Decke hängen französische Töne und quer durch den Raum kommen einem schöne Frauenstimmen entgegen. Trotzdem finde ich, dass das Album einen einzigartigen und kaum verwechselbaren Klang in sich trägt. Ich kannte diese Bande vorher nicht und hatte noch nie etwas von ihr gehört, aber desto mehr kann ich sagen, dass sie bei mir auf einem guten Weg mitten in meine Brust, mein Herz ist. Und gut dazu beigetragen hat am Ende wohl auch der Kommentar der Sängerin, dass Gregor (Gitarrist) sich "die meiste Zeit selbst beklaut, was die Gitarrenideen angeht. Er setzt sich also ans Instrument, hat eine Idee, verwirft sie und greift sie ein Jahr später wieder auf". Sie war der Meinung, ich müsste das nicht unbedingt in meine Rezension schreiben, aber genau solche Dinge sind für mich am ansprechensten. Diese Macken und Eigenheiten sind es, die mir sympathisch sind und mir Lust auf Mehrhören macht.
foto:



naos
"inside honeycombs"
nolabel 2006 cd
naos

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Saint Jude’s Infirmary [Happy Healthy Lucky Month]

Mit dem Debüt der schottischen Band Saint Jude's Infirmary rollt ein schwerer, alter Zug auf uns zu, der lange auf dem Abstellgleis gestanden hat. Aber langsam ist es Zeit! Denn jede Generation braucht ihren Velvet Underground.



"if you love something, throw it away."
(happy healthy lucky month)


Der Blick in die CD-Hülle von "Happy Healthy Lucky Month" verschreckt erstmal, denn von der Platte selbst grinst einen ein weiß leuchtender Totenkopf an. Und hier offenbart sich auch schon eine mysteriöse Verbindung zu Deutschland seitens der Schotten: Auf der Bandhomepage findet sich diesbezüglich nämlich ein Link zum Hamburger Fußballverein St. Pauli. Was genau dahinter steckt, bleibt allerdings im Dunkeln.

So dunkel wie das nicht sonderlich umfangreiche Artwork der Platte. Und bevor wir diese endlich auflegen, reden wir doch noch kurz über die Band selbst. Das Herz von Saint Jude’s Infirmary bilden die Geschwister Grant und Ashley Campbell. Er schreibt die Texte, sie macht die Musik, und bei der Umsetzung hilft neben Schlagzeuger Mark Francis und Keyboarder Andy Dempster auch noch die Cousine der beiden, Emma Jane, am Mikrofon.

Ihre lieblich-süße Stimme ist sicher einer der Punkte, die die Musik dieser Band ausmachen. Ein weiterer mag der ewig nahe liegende Vergleich zu The Velvet Underground sein, aber wen juckt das schon? Schließlich bekommt "every generation the Velvet Underground it deserves". Die schottischen Kritiker fühlen sich außerdem an Blondie und den frühen Jonathan Richman erinnert, oder auch an The Jesus and Mary Chain. Dunkel klingt diese Musik auf jeden Fall, auch, wenn sie durchaus den beschwingteren Takt kennt. Das allerdings ausgerechnet in Remember Dresden, einem Lied, welches an den zweiten Weltkrieg erinnern soll und an "all die kleinen Dresdens" jeden Tag. Hier hätten wir übrigens den zweiten Wink in Richtung Deutschland.

Den Anfang des Albums macht aber die großartige Hymne The Church Of John Coltrane. Sie kommt angerollt auf Zuggleisen und mit dieser wunderbaren Stimme und endet, zumindest im Kopf, tatsächlich in einer hallenden Kirche, als ob die Band sich um einen Altar versammelt hätte. Und dieser Track ist nicht die einzige Ode an einen Künstler. Neben dem Jazz-Saxophonisten Coltrane werden in weiteren Songs auch noch dem schottischen Maler Jack Vettriano und der amerikanischen Schauspielerin Jean Seberg gehuldigt. Und dann gibt es da noch einen Gruß an Leonard Cohen, wieder ein unüberhörbares Vorbild des Quintetts, in Montreal. Die Geschichte zu diesem Lied mag mehr als verrückt klingen: "Ein Matrose in einer Bar in Utrecht sagte mir, Utrecht, Edinburgh und Montreal seien die einzigen Städte, die jemals sein Herz gewonnen hätten", erzählt Grant Campbell. "In einem Moment der Gutmütigkeit schwor ich, einen Song für jede dieser Städte zu schreiben. Als der Gin einmal gewirkt hatte, hatte ich einen Liebesbrief an eine Stadt, die ich nie gesehen hatte."

Diese verrückten Ideen und Zufälle prägen das Debüt von Saint Jude’s Infirmary ebenso wie die zarten Frauenstimmen und die allgegenwärtige Melodica. An dieser Stelle soll jedoch nicht das Höhepunktgefühl verschwiegen werden, das aufkommt, wenn zwischendurch auch mal poetischer Männergesang von Grant Campbell oder Mark Francis erklingt. Vor allem aber leuchtet Ashley Campbells großes Talent als musikalischer Mastermind der Band.

Am Ende von "Happy Healthy Lucky Month" hätte man vielleicht besser das grandios verzweifelte Liebeslied gleichen Namens stehen lassen sollen, zu dem selbst der Autor nicht mehr viele Worte findet. "Ich traf ein Mädchen und war so sicher, dass wir zusammen kommen würden. Dann schrieb ich einen Song über unsere Trennung." Das alte Thema also, aber so schön umgesetzt wie ein trauriger Kinofilm. So ein Lied lässt, besonders durch die sanft in den Text eingeflochtenen Weisheiten, abschweifen und in Gedanken verloren gehen, und wäre damit sicher ein pompöses Ende für eine kleine Platte. Vielleicht setze die Band deshalb das verstörend andere VVVampyre! an den Schluss, dass an schummrige Halloweenparties mit schlechten Zombieverkleidungen und Kopfschmerzbeleuchtung erinnert. Trotzdem: "Happy Healthy Lucky Month" ist düsterer Rock’n’Roll, eine Platte für melancholische Stunden in dunkler Einsamkeit, wenn mal etwas anderes als The Velvet Underground gebraucht wird. Man kann ja an der passenden Stelle die Stop-Taste drücken. Oder gerne auch Repeat.
foto: saint jude’s infirmary



saint jude’s infirmary
"happy healthy lucky month"
sl records 2006 cd
saint jude’s infirmary

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Magneta Lane [Dancing With Daggers]

"Jung, sexy, sucht", heißt eine Sendung im Fernsehen. "Jung, sexy, musikalisch und einfach umwerfend" sind Magneta Lane, ohne in jeder Radiostation gesendet zu werden.


"she's got whispers to fight, broken bones there tonight."
(secrets aren't so bad)


Vor knapp zwei Wochen lagen sie in meinem Postkasten. Wenige Tage danach lagen sie mir zwischen Bahnsteig und Zugabteil in den Ohren und vertrieben das Fernweh in meinem Herzen. Kurz darauf versüßten sie mir meine Freistunden und brachten mich zum tänzeln und wippen. Magneta Lane, eine ganz wundervolle Mädchenbande aus Kanada. Mit lauten Gitarren- und Bassklängen, krachendem Schlagzeug und Frauenstimme im Vordergrund, verdrehten mir die drei Damen den Alltag. Ich sollte eigentlich weinen als ich in meinen Briefkasten schaute, weil etwas fehlte. Ich sollte eigentlich Sehnsucht haben und mit trüben Blick nach Hause fahren und die deutsche Bahn und die Zeit verfluchen, weil sie mir meine Herzgeschichte so erschweren. Ich sollte auch mit schwachem Herzschlag in meinen Freistunden auf den Sofas sitzen und einen alten Bekannten beobachten. French, Nadia und Lexi waren schuld daran, dass es alles nicht so kam, wie es normalerweise kommen sollte. Ich weinte nicht, ich war nicht traurig und meine Arme fühlten sich nicht wie Wackelpudding an.

Ich saß mit trockenen Augen in Richtung nach Hause und in Gegenrichtung zu einem bestimmten Menschen. Der Optimismus erschlug mich förmlich, weil er sonst bei mir kaum Platz hat. Die erdrückenden, traurigen Gedanken hatten bei mir immer Vorrang. Immer erst schlecht, dann eventuell ganz vielleicht auch mal was Gutes. Anfangs ging mir das gegen den Strich, denn ich will manchmal einfach meiner Traurigkeit zusagen und heulen, bis mir einige Äderchen im Auge platzen. Doch es funktionierte nicht. Es wollte partout nicht klappen. Von beinahe jedem Lied sind die ersten Töne und Klänge laut und stark. Sie hämmern gegen die Ohrmuschel und warnen vor dem Einschlafen oder Augenverschließen. Sie sind mächtig und überwältigend, aber fühlen sich trotzdem noch wohltuend an. Ich fühle mich nicht überfordert oder überrumpelt. Eher entschieden aufgefangen und gestärkt. Lexi, die Gitarristin und Sängerin der Band ist eine gute Mischung aus Mädchen mit jungenhaften Zügen. Ihre Stimme wirkt eher tief und originell, als hauchend und schön. Sie kann kratzen und dröhnen, aber auch schöne Melodien besingen, wie in dem Lied Secrets Aren’t So Bad.

Die Stimme der Sängerin hört sich unheimlich ehrlich und gleichzeitig ernst an. Es war für mich das erste Lied indem die untypische Frauenstimme ein paar weibliche Stimmfetzen in den Raum wirft und trotzdem ihren leicht tiefen Grundklang nicht verliert.

Bridge To Terabithia und Carnival In Spain erinnern mich durch die Gitarren- und Bassklänge sehr an die Band Queens of The Stone Age und mein erster Gedanke war, dass alle drei Frauen zusammen sicherlich der perfekte Gegenpart für diese Gruppe wären. Jedoch ist mir diese Mädchenbande um einiges lieber, weil ich Sehnsucht danach bekomme mit meinen zwei Mädchen so etwas auf die Beine stellen zu können. So etwas Kraftvolles, Starkes mit dennoch viel Herz.

Besonders bei Carnival in Spain kommt bei mir dieses gemischte Gefühl hoch. Man nehme gute Kopfhörer, einigermaßen funktionierende Ohren und Verstand, höre dieses Lied und im Nu ist ein nachdenkliches Gefühl zu eine Art Wut und Ärger gekommen. Die Lippen spitzen sich zu, die Augen kneifen sich zu einem Schlitz zusammen, die Finger stecken in den beiden Hosentaschen und die Fingernägel bohren sich in die Beine hinein. Jeder einzelne Fußzeh verkrampft sich und die Zähne hinterlassen Bissabdrücke auf der Zunge. Die dominierenden und lauten Schlagzeugklänge lassen mich auf seltsame Art wissen, dass die Lieder von Magneta Lane schizophren sind. Man kann sie laut aufdrehen, im Bett liegen, die Augen geschlossen haben und es kaum wagen zu atmen oder gar zu blinzeln. Doch man kann auch gleichzeitig, egal in welchen (wenn überhaupt) Klamotten auf die verregnetes Straßen rennen und sich die Seele aus dem Leib tanzen.

Bei dem Lied Artistic Condition bin ich mir sicher, dass sogar der Weg zum Zahnarzt oder zum Therapeuten erträglich wird. Nur wenige Worte reichen um mir einen ordentlichen Arschtritt zu verpassen und ich weiß schon jetzt, wie ich nächste Woche in die Zahnarztpraxis laufen werde.
Auch wenn mir einige wenige Momente zu voll mit Schlagzeug oder Gitarre sind und die Sängerin ab und zu ein wenig gelangweilt anzuhören ist, bin ich mir sicher, dass Magneta Lane eine durchaus interessante und tolle Band ist. Sie wird nicht meine liebste Bande von allen, jedoch weiß ich, dass ich sie immer mal wieder gerne hören werde. Ich will sie nicht tot hören, wie ich es mit vielen Liedern machte und es danach bereute. Ich will das was ich über sie denke nicht verlieren. Wie beim Essen muss man Musik in Maßen genießen und zu sich nehmen.
foto:



magneta lane
"dancing with daggers"
paperbag records 2007 cd
magneta lane

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Final Fantasy [He Poos Clouds] / Damien Dempsey [Sing All Our Cares Away]

Dualismus?
Zwei gänzlich unterschiedliche Solisten im Fokus: der Kanadier Owen Pallett mit seinem (wörtlich) fantastischen Arrangements und dem gegenüber das gesellschaftskritische Folk Erbe des Iren Damien Dempsey.


"now they drive you from the cities, to make room for all the yuppies."
(damien dempsey, ghost of overdose)


Setzt man sich häufig genug mit aktueller Popmusik auseinander - und mit dem Begriff Popmusik möchte ich hier all Jenes einschließen, was bei den Stichwort Rock-Pop-Zirkus nicht bei drei auf dem Baum ist – verzweifelt man recht schnell bei dem Versuch sie irgendwie beurteilen zu wollen. Das kann man ja auch getrost den Musik Journalisten überlassen, um sich dann anschließend über deren seltsam verschrobenen Output zu echauffieren. Mit Recht. Aber wo finden sich eigentlich die Merkmale anhand welchen man die Veröffentlichungen beurteilen kann? Ein Kriterium mag eine hohe ästhetische Qualität sein, womit wir uns schon wieder im Auge bzw. generell sinnlichen Empfinden des Betrachters tummeln. Innovation, überzeitliche Relevanz und auch nach mehrfachem Rezipieren für den Einzelnen reizvoll zu sein, sind Aspekte, welche man sich im Allgemeinen in der Literatur zur Beurteilung heranzieht. Spätestens im Bereich der Zeitlosigkeit sieht sich manche Veröffentlichung direkt mit einem Album wie "Rubber Soul" von den Beatles konfrontiert, um es schließlich in einen imaginären Kanon zu schaffen. Im Bereich der musikalischen sowie textlichen Innovation und auch im Bezug auf die Nachhaltigkeit arbeiten sich gerade zwei gänzlich unterschiedliche Musiker im – im weitesten Sinne – Singer/Songwriter Umfeld ab.

Der junge Violinist Owen Pallett aus Toronto ist einerseits für die wunderbaren Streicherarrangements der kanadischen Arcade Fire (u.a.) verantwortlich, andererseits veröffentlicht er der Tage sein zweites Solo Album unter dem Namen Final Fantasy. Benannt nach der epischen Computer bzw. Konsolen Spiel Serie agierte Pallett auf seinem Debüt tatsächlich auch live noch Solo, spielte mit seiner Violine via Loops und Samples in Echtzeit zu sich selbst. Auf "He Poos Clouds" hat er sein Talent als Arrangeur genutzt, um die ausladenden Stücke mit Hilfe eines ganzen Kammermusikorchesters umzusetzen. Er bewegt sich dabei so selbstverständlich und grazil im Pop, obgleich er dabei dessen instrumentale Charakteristika gänzlich hinter sich lässt; die Streicher dienen nicht bloß als füllender Hintergrund vor welchem sich Gitarren und Bass austoben dürfen, sondern ersetzen diese gänzlich. Wer Innovation zeigt, sieht sich selbstverständlich mit der Trägheit der Massen konfrontiert, das weiß auch der smarte Mittzwanziger und erklärt bereits im ersten Stück Arctic Circle "Your Rock ‚n’ Roll has gone away". Immer wieder wechseln Tempi und Stimmung der allesamt für Gesang und Streichquartett komponierten zehn Stücke. Mal scheint sein oft zaghafter Gesang das einzig Konstante zu sein, ein anderes Mal führt er hektische Zwiegespräche unter dem vermeintlich harmonischen Gesang eines Kinderchores (This Lamb Sells Condos) oder wird von fremden Stimmen aus dem Hintergrund angeschrieen (Many Lives -> 49 MP). Selbst innerhalb der Songs integriert er eine breite Palette stilistischer Sphären; verwirrt, verstört, lässt liebliche Melodien in einem Spannungsfeld mit disharmonischen, an Bernard Herrmans berühmtes Psycho Thema erinnernde Ausuferungen laufen (->) und überrascht dann mit eingängigen, gut gelaunten Perkussion Rhythmen zum Kopfnicken (Song Song Song).

Dennoch handelt es sich bei "He Poos Clouds" um ein Konzeptalbum, welches sich thematisch in einer ganz anderen Welt bewegt; Dungeons & Dragons. Er habe sich inhaltlich mit den acht Schulen der Magie dieses populären Rollenspiels auseinandergesetzt. Wer es tatsächlich wissen möchte, dies sind (in der Reihenfolge wie sie auf dem Album neben "Intro" und "Outro" bedacht werden): Abjuration, Illusion, Conjuration, Necromancy, Enchantment, Divination, Evocation und Transmutation. Dem Fantasyaffinen ginge es jedoch mehr um die anthropologische Betrachtung, um den Umgang der Spieler mit ihrem unterbewussten Selbst, kanalisiert durch das systematische Regelwerk des Rollenspiels. Okay. Was sehr nach Freud klingen mag ist zu großen Teilen psychoanalytische Vermutung, wenngleich so spannend wie verwirrend. Den Song über Necromancy (->) habe der bekennende Atheist über seinen Paten geschrieben, der nach einer sehr schweren Krankheit auf der Intensivstation mit Morphium behandelt wurde. "Es war eine unglaubliche Erfahrung mit ansehen zu müssen, wie er ständig zwischen Leben und Tod wandelte. Immer wieder gewann und verlor er das Bewusstsein, als würde man ihn in das Nichts tauchen und wieder herausziehen. It’s just like necromacy, you know?"

Dieses, sich aus sich selbst heraus generierte Spannungsfeld, abgründig und verzückt, fantastisch und rücksichtslos, arrangiert mit disharmonischen, zeitgenössischen Kompositionen und harmonischen Popelementen scheint das Mark der Stücke zu bilden. "He Poos Clouds" ist verkopfter, affektierter und prätentiöser Pop nahe der Perfektion. Als ein Album, nach dessen Genuss Niemand mehr jemals Gedanken an Selbstmord haben solle, versteht er sein ambitioniertes zweites Werk im Übrigen laut dem Pressetext ebenfalls.

"Sing All Our Cares Away" klingt dem Titel nach diesem Anspruch durchaus ebenbürtig, auch wenn sich der zweite Musiker ganz im Gegensatz zu Palletts mystifizierter und artifizieller Welt im Hier und Jetzt bewegt; wobei dieses Hier das gegenwärtige Irland darstellt. Nicht nur physisch setzt der ehemalige Boxer Damien Dempsey einen starken Kontrast zu dem eher schmächtigen Violinisten. Mit seiner Schiebermütze blickt er dem Betrachter vom Rand des Covers in die Augen, mürrisch wie ein Bully, aber doch verschmitzt. Vom Großstadtleben erzählt er in seinen vornehmlich mit Akustikgitarre unterlegten Stücken, provokant und politisch, humorvoll und treffsicher beobachtend. Vertritt Mike Skinner die Beliebigkeit der gehobenen Mittelklasse, dann repräsentiert Dempsey den verzweifelten Optimismus des Proletariats. "I am an angry man; I vent it when I can. On the bag, not the skag" (It’s All Good). Der irische Akzent unterstreicht dabei nur seine Attitüde, verleiht seinen Beobachtungen die nötige Authentizität, verleugnet nicht seine Wurzeln. Wenn er etwa über den Celtic Tiger singt, den längst wieder stagnierenden wirtschaftlichen Aufschwung im Irland der 90er Jahre, der die Kluft zwischen arm und reich nur ausdehnte. "Now they say the Celtic Tiger in my home town / Brings jewels and crowns, picks you up off the ground / But the Celtic Tiger does two things / It brings good luck or it eats you up for its supper."

Die Poesie der Arbeiterklasse, Geschichten aus dem Leben derer, die nicht vom Glück verfolgt werden es aber trotzdem suchen. Seine Sprache ist dabei so ruppig und plakativ wie nötig, mal pöbelnd, mal romantisch und "mit dem klaren Auge für die, die in der zweite und dritten Reihe stehen" (Pressetext). Oder wie Morrissey über ihn sagte: "Ihn singen zu hören, bedeutet die Größe seiner erstaunlichen Stimme und seines Herzens zu erkennen. Seine Lieder sind ehrlich und seine Stimme ist die beste und traurigste seiner Generation." Tatsächlich ist Dempseys Stimme das wesentliche Merkmal seiner Stücke, ganz gleich ob diese semi-akustisch oder mit einer ganzen Band arrangiert sind. Sie und sein nüchterner Blick auf die Dinge um ihn herum sind es, die ihn von anderen jungen Herren mit Gitarre abheben. "Sing All Our Cares Away" ist dabei in gewisser Weise eine Kompilation, eine Auswahl der bislang nur als Import erhältlichen ersten beiden Platten des Dubliners, zusammengestellt von dem jungen Augsburger Label Lamm Records, die mit ihrer ersten Veröffentlichung ein gutes Händchen bewiesen haben.

Final Fantasy und Damien Dempsey. Kammerorchester und Akustikgitarre. Falsett und Barriton. Psychoanalyse und Arbeiterromantik. Wer am Ende mehr Sterne bekommt, sollen doch andere entscheiden.
foto: david nemeroff / jill furmanovsky

final fantasy
"he poos clouds"
tomlab 2006 cd / lp
final fantasy

damien dempsey
"sing all our cares away"
lamm records 2006 cd
damien dempsey

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We vs. Death [We Too Are Concerned]

Gemeinsam gegen den Tod.
Nach viereinhalb Jahren veröffentlicht das Utrechter Sextett endlich ihr Debütalbum. Reich an postrockenden Klängen machen sie mit We Too Are Concerned / We Are Too Concerned aber nicht bei der Musik allein halt.


"no hope for rock, no hope for me."
(jeremiah day)


Allein schon wegen der detailverliebten Gestaltung des Artworks kann man für das Debüt der niederländischen Band eine Kaufempfehlung aussprechen, ohne dabei ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Dennoch wäre es natürlich reichlich unreflektiert sich vom wunderschönen Klapp Digipak, den beiden Minipostern, der beiliegenden DVD und dem ausführlichen Booklet blenden zu lassen, geht es am Ende doch maßgeblich um die Musik.

"Postrock with Brass", beschreibt sich die Utrechter Band selbst, wobei Ersteres per definitionem Letzteres ja nicht ausschließt. Das Sextett - man selbst rechnet den für die graphische Gestaltung verantwortlichen Roel Dalhuisen als siebtes Bandmitglied ein und weist sich damit klar als ein umfassenderes, Kunst übergreifendes Projekt aus - betrachtet seine Musik als staubigen, sommerlichen Großstadtsound, eine Reminiszenz an Orte, die es laut ihnen in den Niederlanden nicht zu geben scheint.

Ich höre Musik oft emotional, seltener assoziativ, weshalb ich die Großstadt Bezüge nicht gleich erkennen, vielleicht aber doch erahnen kann. Das sehr rhythmische Intro von And How To Translate It, dem ersten Stück des Albums, lässt vielleicht Vergleiche mit urbanem Leben zu, bewegt sich zwischen Hektik und Entspannung. Es wird rasch deutlich, dass man nicht gewillt ist auf stereotype Muster zurückzugreifen, wie man sie von den stilprägenden Epigonen gewohnt ist. Man strapaziert kein leise-laut-lauter Schema und bleibt doch explosiv indem vielschichtig Melodien, Rhythmen und Sounds über die gesamte Länge eines Stückes variiert werden und man als Hörer immer wieder durch geschickt inszenierte Wendungen und natürlich den Klang der Bläser überrascht wird.

Emotional beginnt das Album dennoch erst mit Pictures From Stanford, einem leicht melancholischen Behemoth, der ein Gros der konventionellen Mittel zum Vereinnahmen des Hörers in sich vereint; die leicht verzögernd einsetzende Trompete, das etwas wehmütige Grundthema der akustischen Gitarre, die wechselnden Tempi des mal dezenten, mal treibenden Schlagzeugs, die kleinen Klangspielereien, die es zu entdecken gibt. So vereint es die unterschiedlichen Spielweisen und Ideen des gesamten Albums als Collage in sich. Das herausragendeste Stück des Albums ist vielleicht das nachfolgende Snow Cushioned The Fall mit seinem elegischen Piano Thema und dem zaghaften Dialog der beiden Gitarren. Ähnlich beeindruckend ist auch das äußerst reduzierte One Light Will Do, mit seinen zweieinhalb Minuten auch die kürzeste Komposition. Gerade diese zurückhaltenderen Momente, die intime Intensität widerspiegeln, zeugen nicht nur von einem hohen Grad an musikalischer Reife, sondern auch von einem sensiblen Gespür für Schönheit und Anmut. Sie sind den hektischeren, lauteren Kompositionen wie Thomas Corner And The Valley Houses oder (Yes,) We Went To Novgorod klar überlegen und lassen den Hörer für kurze Augenblicke an diese verzweifelt optimistische Maxime des Bandnamens glauben; We vs. Death. (Bestimmt tut die selektive Wahrnehmung meiner emotionalen Hörgewohnheit und der daraus resultierenden Erwartungshaltung ihr übriges.)

In den drei, dem Album beiliegenden Videos werden mit schnellen Schnitten urbane Architektur und stille Naturaufnahmen eindrücklich kontrastieret; Hektischen und schier unendlichen Autofahrten durch lange Strassen einer nächtlichen Großstadt, mit all den blinkenden Lichtern und anonymen Plätzen, werden langsame Kamerafahrten vorbei an alten, winterlich kahlen Bäumen gegenübergestellt. (Für alle Videos wurde das gleiche Bildmaterial verwendet und jeweils neu zusammengeschnitten, weshalb es so mehr an eine Videoinstallation als an die konventionell narrative Bildhaftigkeit von Musikvideos erinnert.)

Dennoch sind die Herren besorgt, ist "Concerned" der zentrale Begriff der beiden unterschiedlichen Betonungen des Debüttitels; "We Are Too Concerend", bzw. "We Too Are Concerned". Die Linernotes des Albums greifen diese Frage nach dem Betroffen-Sein auf, konkretisieren sie in sechs kurzen Kapiteln. Jeremiah Day, so der Name des Verfassers, stellt in seinen kurzen Anekdoten popkulturelles Wissen in gesellschaftlichen und politischen Kontext. Der Biker, den man zunächst wegen des "Boys N The Hood" Shirt Aufdrucks für einen HipHop Fan hält, bei näherer Betrachtung jedoch "The Boys N The Hoods" zu lesen ist. Ronald Reagan, der den kritischen Song Born In The USA von Bruce Springsteen unreflektiert für seinen Wahlkampf verwendet und die Kritik eines konservativen Rock Hörers bei Amazon.com, der sich über den kruden Gesinnungswechsel vom "Boss" ärgert, nachdem dieser - früher doch so patriotisch – heute offiziell gegen die republikanische Regierung unter George Bush wettert. Aspekte einer kurzen, aber kompetenten Auseinandersetzung mit der Rezeption von Pop im Alltag und dem notwendigen Wissen zum Entschlüsseln der popkulturellen Codes. Auch hier wird deutlich, dass es We vs. Death um mehr als ihre eigene Musik geht. In dieser Hinsicht ist "We Too Are Concerned / We Are Too Concerned" ein äußerst ambitioniertes Konzeptalbum zwischen Musik, Artwork, Videoinstallation und Wortbeiträgen und sollte jeden dazu bewegen die Band in nächster Zeit im Auge zu behalten.
illustration: martin boehnert



we vs. death
"we too are concerned / we are too concerned"
zabel muziek 2006 cd
we vs. death

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Cosmic Casino [Ballads For Bastards]

Irgendwie ein Liebesbrief.




"how can something ordinary feel so flattering,
like blue skies while making wedding plans?
"
(transatlantic love)


Lieber Markus, lieber Richard,
lieber Mess und lieber Thomas,

während einer knappen Stunde mache ich Euretwegen alle Phasen einer Beziehung durch: Ich warte ungeduldig, weil ihr mit The Phone und The 31st Year zwei definitiv über die gängige, radiokompatible Dauer hinaus gehende Stücke am Anfang platziert habt. Ich versuche herauszufinden, weshalb Ihr das tut und verbringe viel Zeit damit, anhand Eurer Worte, eures Verhaltens und Auftretens herauszufinden, wonach Ihr auf der Suche seid und worauf es Euch eigentlich ankommt.

Fündig werde ich dabei allerdings nicht – eine Allerweltsbotschaft, wie, dass es Momente gibt, die nie mehr zurückkehren, und dass man dieses Leben nicht so verflucht ernst nehmen soll, vermag mich an diesem abgebrühten und vermutlich auch etwas zynischen Punkt meines Lebens nicht mehr zu beeindrucken. – und Ihr bleibt vorerst Quecksilber für mich.

Vielleicht habt Ihr das ja aber auch so gewollt, vielleicht mögt Ihr ja Spielchen und wenn dem so ist, dann lasse ich mich schon nach dem dritten Track, The Rematch, mit Vergnügen darauf ein, denn dieser Song hat ohne Frage Ohrwurmpotential. Außerdem erfahre ich endlich mehr über Euch, denn auch, wenn Ihr alles so raffiniert verpackt und mit Gitarren verziert, dass man prima dazu abtanzen kann, ohne überhaupt hinzuhören, glaube ich, langsam aber sicher auf den Grund Eurer reizenden Seelen blicken zu können.

Dieser selige Zustand dauert bis zu Working Girl, denn nach dem wundervollen und hoffnungsvollen Transatlantic Love, kann ich nicht verstehen, wo jetzt das Problem liegt. Es lief doch alles so gut, es war doch so schön und wir sind doch auch gut klargekommen. Aber plötzlich werdet Ihr aggressiv, brüllt grundlos herum und scheint gar nicht mehr Ihr selbst zu sein. Meine Freunde sagen, dass Ihr bloß fürchterlichen Krach macht und dass ich ohne Euch besser dran wäre, bloß fällt es mir so schwer, nach allem, was war, die Off-Taste zu betätigen. Denn, egal, wie oft so etwas passiert; es fühlt sich jedes Mal an, als würde man vom ersten Freund verlassen werden.

Ich bin froh, dass wir uns nach einiger Zeit zu einem klärenden Gespräch zusammensetzen, wo es dann viel ruhiger zu und her geht. In Stealing Cars For Henry fällt kein einziges Wort, das unpassend wäre, nie werdet Ihr laut oder ausfallend. Und als Ihr dann auch noch von unbezahlbarer Liebe zu erzählen beginnt, bin ich wieder versöhnt.

Es stellt sich jedoch heraus, dass auch dieses Glück nur von kurzer Dauer ist und mein Wechselbad der Gefühle geht weiter. Alles, was mich früher schon gestört hat, verdeutlich sich im Rahmen der drei folgenden Lieder: Ihr könnt Eure Gefühle ganz einfach nicht in Worte fassen und redet andauernd um den heißen Brei herum und somit direkt an mir vorbei. Außerdem wirkt Ihr unausgeglichen, unentschlossen und etwas gereizt, sodass ich mich schweren Herzens zurückziehe und der Sache ein Ende setze.

Als ich jedoch Wochen später in einem Café jenen Song höre, zu dem wir leider nicht mehr gekommen sind, will ich Euch unbedingt anrufen, denn This Is Munich zeigt, dass Ihr ja doch ein Herz habt. Und wenn es für München reicht, dann reicht es ja vielleicht auch für mich. Ich möchte es auf jeden Fall noch einmal probieren.
foto: stickman



cosmic casino
"ballads for bastards"
stickman / sticksister records 2006 cd
cosmic casino

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Sonntag Nachmittag [Mai 2006]










fotos: manuel kaufmann

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