Pawnshop Orchestra [Dizzy]

Die unüberwindbare Last der Jugend.
Daniel Decker nimmt sich viel vor. Der Kampf gegen die Bedrohung machthungriger Mitmenschen, gegen Stagnation und Einöde in der Zukunft gestaltet sich alles andere als einfach.


"schiffeversenken mit sätzen die treffen."
(patronage)


Daniel Decker nimmt sich viel vor. Der Kampf gegen die Bedrohung machthungriger Mitmenschen, gegen Stagnation und Einöde in der Zukunft gestaltet sich alles andere als einfach. Und nun also steht ein 24-jähriger der geballten Gewalt des alltäglichen Frustes gegenüber, der Grundstein für Selbstmitleid-motivierte Schaudermusik scheint gelegt, doch hier kommt es ganz anders.

Mit "Dizzy", dem zweiten Album des Ein-Mann Orchesters nach "Vaudeville", legt uns Decker ein Understatement geliebter und gelebter Popkultur vor, alles dreht sich um die in jüngerer Literatur- und Musikkultur ewig kursierende Thematik: die Angst erwachsen aus einer Zeit herauszutreten die man nicht loslassen möchte. Die Komponenten sind bekannt; verlorene Beziehungen, kleinstädtische Langeweile, Unzufriedenheit mit sich und der Umwelt.

Eine schwierige Aufgabe also, aus diesem Sumpf als eigenständiger und eigenwilliger Künstler hervorzutreten ohne zu sehr in die Zitathölle der schon da Gewesenen zu greifen. Ein Anspruch, den Decker gerne auf sich nimmt, ist seine Ambition doch keine geringere als dem etwas eingestaubten deutschsprachigen Pop-Einerlei etwas entgegenzusetzen das überrascht und dennoch in beliebte Schemata passt.

Er möchte die kleine aber feine Ausnahme bleiben, und schon die Tatsache, dass Daniel fast eigenständig agiert und Auftritte nur mit Gitarre und Laptop bestreitet beweist eine wahrlich einzigartige Liebe zur Musik, die ihn fast schon außer Konkurrenz laufen lässt. In erster Linie ist Decker allein, nicht einsam, aber doch irgendwie Einzelkämpfer. Nicht im Studio, nicht in den Ohren der anderen, aber vor dem Papier mit dem Gedankengut eines Mittzwanzigers, der die profansten aber so reizvollen Höhen und Tiefen zur Sprache bring; er liebt sie, sie ihn nicht und andersrum, jeder kennt die unglaublich komplexe Problematik, die sich hinter ein solch banal klingenden Sachverhalt verbergen kann. An erster Stelle Daniel Decker, der stets nach sprachlichen Bildern sucht um der scheinbar so abgegriffenen Thematik neue innovative Gestalt zu geben. Oder sind die Metaphern, die bisweilen sogar in Insider-Witzen enden (Fantaundkotze) einfach die Sprache seiner Gefühle? Vermutlich beides, denn Ehrlichkeit muss hier niemand vermissen, Daniel singt und spielt nur über Dinge und Menschen die er kennt oder vermutet zu kennen.

Wie viele seiner deutschen Kollegen setzt er ganz klar auf den Mithörer Emotion, die Gefühlspalette reicht von hocherfreut bis hoffnungslos, immer mit leichtem Hang zum Pessimismus und zur Selbstkritik. Glücklicherweise verzichtet Decker auf eine wehleidige "Ach, was geht’s mir schlecht"-Mentalität, sondern spielt mit erfrischenden Sprachduktus immer wieder in die Arme der Ironie. Davon gibt’s im vorliegenden Tonmaterial reichlich, Decker scheut nicht davor die eigenen Gedanken als unreif zu entlarven und zielt mit seiner Kritik sogar schon im ersten Titel des Albums auf die eigenen Songschreiber-Qualitäten ab (Ein Schlechtes Lied). Auch in Mittelstand in der Nacht urteil Decker über sich "Deine Sorgen will ich haben" und stellt die eigenen Gedanken in Frage.

Es folgen kleine Liedchen zu großem und kleinen Lebensfragen, es wird gelacht, reflektiert und ein bisschen gejammert. Das konnten schon Liedermacher wie Tomte und Tocotronic, die schon vor Jahrzehnten Deutschland auf eine neue gedankenschwere und textlastige Musik vorbereitete. Neu ist die Machart also nicht, aber die eigentliche Überraschung des Albums liegt nicht im Text, sondern in der Ideenvielfalt der Musik begründet, denn hier zeigen Decker und Musikerkollegen (unter anderen Maximilian Stamm und Andreas van der Wingen) ihr zweifellos hohes kreatives Potential. Obwohl ihnen eine Vorliebe für handgemachten Indie-Pop nicht abzuschreiben ist, beschränkt man sich nicht auf das gewöhnliche Gitarren-Geschrammel sondern probiert sich ebenso an elektronischem Gerät aus, der Stilmix offenbart sich in jedem Song, kein grauer Mischmasch sondern 15 klar definierte Arrangements, und hier darf man wohl ohne falschen Scham sagen, Pawnshop Orchestra geht über Tomte hinaus, nicht in allen Belangen natürlich, aber im Hinblick auf den Reichtum musikalischer Einfälle allemal. Da wären Titel wie ohne Worte und Anrufbeantworter, klassische Indie-Hymnen, Wehmut und Gitarre im 4/4-Takt. Auf der anderen Seite sind Songs wie Dizzy, Are You Local? und Mittenstand in der Nacht, die etwas trashy mit elektronischem Frickeleien und Vollblut-Geschrei daherkommen und dem Album den Reiz verleihen den es ohne Frage besitzt. Decker legt in jeden Song Herzblut und liefert mit Die Kirschen sogar einen richtigen Sommerkracher.

Zugegeben, der größte Sänger ist Daniel Decker nicht, aber das ist Thees Uhlmann ebenso wenig, und wer weiß ob die Songs ohne Deckers unperfekten Gesang den selben ruppigen Charakter hätten, man bemerkt sofort die Proberaumatmosphäre, fühlt sich unmittelbar angesprochen, die leicht ungestimmten Gitarren tragen das Übrige dazu bei. Hier wird keine Musik aus der Retorte angeboten, das tut gut! Die Vielfalt des Albums lässt auf eine zukünftige Entwicklung Deckers schließen, er probiert rum, sucht noch nach seiner Lieblingsmelodie und seinem Lieblingsstil, ist noch ein bisschen auf dem Weg.

Das macht nichts, im Gegenteil, ist schön mitzuverfolgen, denn eines scheint sicher, hier tut sich etwas, das Pawnshop Orchestra steckt immer in Arbeit, will noch lange keine Auszeit. Daniel Decker geht das Wagnis ein sich in das Bild das so stereotypischen und stilisierten deutschen Songwriters einzufügen und kann als strahlender Sieger aus diesem Vergleich hinaustreten, er erschafft in "Dizzy" eine ewige Jugend mit dem Hintertürchen in die Welt der Erwachsenen, und unweigerlich schwelgt und leidet man mit, ohne wenn und aber.
foto: sibylle mall



pawnshop orchestra
"dizzy"
lolila 2007 cd
pawnshop orchestra

weiterlesen...

Logh [Stockholm, 25.04.2007]

Logh präsentieren sich live und mit neuem Album in Stockholm.





"it fell into place, there's nothing to see here,
there's nothing to feel here, i think it finally fell into place.
"
(the black box)


Konzertbeginn pünktlich um 20 Uhr hört sich in den Ohren der wenigsten Menschen angenehm an. Verbunden mit einem Sonnenuntergang nicht vor 20.30 Uhr und dem Fehlen einer Vorband fällt ein Konzert von Logh für den durchschnittlichen Besucher vermutlich bereits unter die Kategorie Frühschoppen. Doch zunächst aalen sich die Menschen lieber in der Sonne. Es ist warm in Stockholm und Logh spielen ihre Auftaktshow zu einer ihrer berüchtigten Europatourneen, während derer sie in scheinbar grundsätzlich in nicht weniger als zehn verschiedenen Ländern spielen und Menschen von Porto bis Oslo in Verzückung versetzen. Doch erst einmal Stockholm, Heimspiel sozusagen. Ort des Geschehens ist das Södra Teatern, die wohl wunderbarste Venue, um Logh live zu erleben. Im Saal glänzt es golden und die Sitze sind mit dickem roten Stoff überzogen, es riecht nach Geschichte und man nimmt unwillkürlich eine etwas andächtige Haltung ein, ein opernhafter Gong lockt die Anwesenden weg von der Aussichtsterrasse und hinein in den Konzertsaal. Als ersten Song spielen Logh ausgerechnet die Single Saturday Nightmares, eine Geste die sich nicht jede Band leisten kann. Die Jungs müssen sich keine Sorgen um den Wiedererkennungswert und einen entsprechenden Spannungsaufbau der Setlist zu machen, denn mit jedem Song binden sie das Publikum mehr an sich. Vom ersten Akkord an werden die Zuhörer vom druckvollen Sound in die Sessel gedrückt, das Hörerlebnis wird geradezu körperlich. Verflogen sind die Bedenken ob des hohen Raumes und der sehr klein wirkenden PA, der Klang ist fast perfekt austariert. Die beiden Drummer harmonieren wunderbar und verleihen der Band eine dynamische Kraft, während bis zu drei Gitarren eine riesige Soundwand aufbauen. Bei älteren Songs wie The Contractor And The Assassin oder An Alliance Of Hearts jauchzt das Publikum auf, doch sonst herrscht auch bei sehr ruhigen Passagen eine fast schon gespenstische Stille im Zuschauerraum, die Spannung scheint fast mit den Händen zu greifen. Logh präsentieren sich einmal mehr als Meister des Laut-Leise-Spiels, weder wird das Schema zu sehr ausgereizt, noch schlägt Spannung in gähnende Langeweile um, wie dies allzu häufig bei Postrock-Bands der Fall ist. Dafür wird die Band mit reichlich Applaus belohnt und zwei Mal vom Publikum auf die Bühne zurückbeordert. Nach knapp 70 Minuten ist die beeindruckende Vorführung vorbei und das Publikum bewegt sich blitzschnell und zielstrebig zurück auf die Terrasse, von wo aus man gerade noch den Sonnenuntergang über Stockholm erkennen kann.

"Everything will change some day" (Weather Island)

Dieser Abend im Södra Teatern ist auf mehreren Ebenen ein Ausdruck der Entwicklung, die Logh in den letzten Jahren durchgemacht hat und die sich auf dem neuen Album "North" manifestiert. Die Band hat zum einen formell an Größe gewonnen, sie sind nun offiziell zu sechst und in der Liveformation ist gar ein zweiter Drummer dabei. Doch vor allem wird ein Popentwurf artikuliert, wie man ihn von den sympathischen Schweden bisher nicht kannte. Der Vorgänger "A Sunset Panorama" ist ein durchgängiges Werk, in dem kaum ein Song ohne den anderen denkbar ist, eingespielt innerhalb von einem Tag. Bei North greifen Logh verstärkt auf klassische Songstrukturen zurück, die Stücke entwickeln einen intensiveren Eigencharakter und grenzen sich prägnanter voneinander ab. Die Weiterentwicklung ist konsequent, denn bei Logh klingt kein Album wie das andere, auch dieses mittlerweile vierte Werk nicht.

Über den Zeitpunkt der Veröffentlichung würde allerdings jeder Marketingstratege eines beliebigen Majorlabels die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, denn der Titel North ist atmosphärisch durchaus passend. Bereits die Regentropfen auf dem Cover lassen eine gehörige Portion Melancholie erahnen und dieses Album ist tatsächlich ein perfekter Soundtrack für den Herbst. Im Video zu Saturday Nightmares werden Mantelkrägen hochgeschlagen und Laub wird aufgewirbelt, während sich die meisten Menschen in diesem ach so warmen Frühling schon einmal Gedanken darüber machen, welches wohl ihr persönlicher Sommerhit werden könnte. Es ist ein wenig paradox, doch das Album ist so gut, dass es sich nicht um die Jahreszeit zu scheren braucht, in die es hineingeworfen wird. Getragen von zärtlicher Melancholie nähern sich Logh dem Pop an, doch der Sound hat auf Platte wie auch live in keiner Weise an Volumen verloren, im Gegenteil. Songs wie Saturday Nighmares oder Forest Eyes sind ausgemachte Pophymnen, ohne dabei überproduziert oder pathetisch zu wirken, eben weil dahinter nicht das Bemühen steckt, einem Popsong stadiongrösse zu verleihen. Logh haben ohne Frage an Leichtigkeit gewonnen, North zerreißt einem nicht das Herz, eher mögen dem Zuhörer kleine Glückstränen über die Wangen rollen. Auf der Bühne gewinnen die Stücke noch einmal zusätzlich an Kraft, insbesondere Thieves In The Palace, das epischste Stück der Platte, hat eine so packende Wirkung, dass sich der Körper völlig anspannt und man unwillkürlich die Hände zu Fäusten ballt.

Auch wenn sie von der deutschen Musikpresse bisher beharrlich ignoriert werden, Logh sind zweifelsohne live wie aus der Stereoanlage eine der beeindruckendsten Bands der letzten Jahre. So finden mehr und mehr Menschen ihren Weg zu den Konzerten, nicht zuletzt weil ihnen irgendwer gesagt hat: "Mensch, die spielen jetzt sogar mit zwei Drummern!"
foto: simon traut



logh
"north"
bad taste 2007 cd
logh
södra teatern

weiterlesen...

Haute Areal

Théâtre du Nuit.
Das Berliner Label Haute Areal betrachtet die heterogene Auswahl ihrer Musiker als Konzept, welches jetzt mit einer eigens gestalteten Kompilation in Gänze präsentiert wird.


"´don't fuck with the man!"
(haute areal über the man no. 9)


Auf der höchsten Ebene, erhaben sozusagen, bewegt sich das Berliner Label Haute Areal. Zumindest dann, wenn man den französischen Namen betrachtet. Diese Plateau mag man auch im übertragenen Sinne als eine Plattform betrachten, welche die Berliner mit ihrem Label recht außergewöhnlichen Musikern bieten wollen.

Da sind beispielsweise Werle & Stankowski, ein Duo, welches vom Label selbst als "Bob Dylan trifft Aphex Twin in Kingston" beschrieben wird. Lauscht man den Stücken der beiden Herren, muss man dem seltsamen Statement mit einem Lächeln recht geben, obwohl weder die Stimme an den näselnden Bob Dylan, noch der Sound an den vertrackten Richard James direkt erinnern. Das New Yorker Duo Schwervon! hingegen dürfte in den umtriebigeren Indie und Anti-Folk Kreisen durchaus bekannt sein. Musikalisch in eine ganz andere Richtung geht dann wie selbstverständlich Sedlmeir, der 80er Jahre Synthies und Hardrockriffs vermengt und zum Tanz provoziert: "Schmeißt die Jacke weg, zieht die Nase hoch und haltet den Kindern die Ohren zu". Die reduzierte Besetzung der Bands im Hause Haut Areal wird lediglich durch The Man No. 9 durchbrochen, einer recht anarchischen achtköpfigen Band zwischen dem Go! Team, dem A-Team, Klingeltönen und White Trash Synthies. Schön!

Dieses bunte Konglomerat an unterschiedlichsten Spielweisen haben Haute Areal jetzt auf einer äußerst ästhetischen Label Kompilation vereinigt. Da man Wert auf guten Geschmack legt, tat man sich anlässlich der Veröffentlichung von "Théâtre de Nuit" mit dem Modelabel éveil zusammen, von welchem ein dezent gehaltenes T-Shirt in schwarz-weiß Optik entworfen wurde, um die Platte, die Musik, die Kunst und sich selbst gebührend zu feiern. Für uns Anlass in einem kurzen Gespräch mit Co-Labelchef Frederik Fröse mehr zu erfahren.

Die Musiker auf Haute Areal sind trotz sehr unterschiedlicher Spielweise und Genres doch insofern unter den obligatorischen Hut zu bringen, dass sie in ihren jeweiligen Stilen sehr eigenständig sind und sich nicht von gängigen Klischees lenken lassen. Dennoch werden mit Musikern wie Sedlmeir auf der einen und Schwervon! auf der anderen Seite sehr unterschiedliche Hörergewohnheiten bedient. Ist Heterogenität Teil des Konzeptes Haute Areal?
"So schön hat das bisher noch niemand gesagt. Ja, ich denke das ist so. Wir wollten einfach keine Band unter Vertrag nehmen, die einer unserer Bands ähnlich ist, weil sich sonst automatisch ein Vergleich und eine Abstufung ergeben hätte. Von ihrer Art ist jede unserer Bands die beste. Das ist es, was wir erreichen wollten. Es gibt keine Konkurrenz innerhalb der Familie."

"Marktführer". Recht ironisch, so will ich meinen, prangt da ein Begriff in eurem Pressetext, den ihr sowohl auf euch selbst, als auch auf das Modelabel "éveil" bezieht. Aber im Ernst, wie schwierig ist es sich "am Markt" zu etablieren, wenn man sich auf die Fahnen schreibt, eher weniger zugängliche Musiker unter Vertrag zu nehmen? Und wie hat sich die Situation, die Intensität und der Arbeitsaufwand seit eurer Gründung 2001 verändert?
"Auf jeden Fall schwieriger als wir dachten. Man muss eben lange durchhalten, immer mehr investieren, einen Katalog aufbauen, Kontakte knüpfen und lernen. Wir arbeiten jetzt wesentlich mehr für das Label als früher. Damals war es bloss ein Scherz oder Hobby und jetzt ist es ein Fulltime-Job. Das mit dem "auf die Fahne schreiben..." haben wir sowieso abgelegt. Wir machen einfach was uns gefällt. Wenn uns was begeistert, dann unterstützen und machen wir das."

Gerade im Augenblick, in dem Indie als Schlagwort kontext- und somit auch belanglos zu werden scheint, die Ästhetik von LoFi und unabhängigen Produktionen genreübergreifend von der Industrie wie ein Schwamm aufgesaugt werden, erscheint es zunehmend schwerer zu werden, sich als Label zu behaupten und relevant zu bleiben. Wie seht ihr diese Entwicklung, bzw. geht ihr damit um?
"Das hat es ja immer schon gegeben. Die sind nur heute schneller. Ich glaube es zeigt sich bei näherer Betrachtung immer recht schnell ob ein Stil nur kopiert wird oder wirklich gelebt und mit Inhalt gefüllt wird. Außerdem ist es im Endeffekt auch egal. Man kann sich ja nicht allein auf irgendeine Szenenzugehörigkeit berufen, wenn es um die Qualität von Kunst geht. Entweder das Zeug ist gut oder eben nicht. Es gibt z.B. ganz grauenhafte Indie-Bands und im Gegensatz dazu ein paar Kommerzschweine, die echt spitze sind."

Im Zeitalter des digitalen Downloads, der nach den neuen Berichten der Musikindustrie kaum einen wirkungsvollen Beitrag zu dessen Niedergang geleistet zu haben scheint, wird immer weniger Wert auf Design, auf das künstlerische Element neben der bloßen Musik gelegt. Wie wichtig sind Zeichen wie eure Kompilation in diesen Tagen?
"Enorm wichtig. Der Vorteil von Pop gegenüber ernster Musik ist ja, dass die Inszenierung von der Namensgebung bis zum Artwork und der öffentlichen Haltung fester Bestandteil des Werkes ist. Das ist einer der Gründe warum wir das überhaupt alles machen. Sonst würden wir im stillen Kämmerlein für Player-Piano komponieren. Das ist auch cool."

"Théâtre de Nuit" lässt nicht nur vom Titel an den Film Noir der Vierziger und Fünfziger Jahre denken. Düster sind sowohl das Design des Covers, als auch das dazugehörige Shirt. Aber düster nicht im Sinne von Pessimismus, Entfremdung und Furcht, sondern auf sehr ästhetische, fragile Weise. Wie habt ihr euch konzeptionell auf das Thema, auf den Rahmen eurer Kollaboration geeinigt?
"Das hat komplett Markus Buddenbrock von eveil übernommen, aber er weiß was uns gefällt. Wir sind ja selber auch ziemlich fragil, vor allem der Ingo (Petraschewski, die zweite Hälfte der Chef Etage von Haute Areal, Anm. d. Ver.)."

Welche Art von Verbindung, außer dem Faible für das Französische, besteht ansonsten zwischen Haute Areal und éveil?
"Wir sind Freunde und haben einen ähnlichen Geschmack. Außerdem versucht er in seinem Bereich das Gleiche wie wir und es gibt wenig schöneres als sich gegenseitig zu featuren."
foto:



haute areal
éveil
werle&stankowski
schwervon!
sedlmeir
the man no. 9

weiterlesen...

Kilians [Fight The Start]

26°, Halbschatten, Vanilleeis, Bikini. Aus den Lautsprechern dudelt „Fight the start“. Es gibt Musik, die dem perfekten Tag noch den letzten Schliff verleihen kann, sozusagen die Potenzierung des absoluten Glücks.


"i got something on my mind tonight."
(something to arrive)


Heute ist es passiert, so sollte er aussehen, ein ewiger Sonntag ohne Wochenanfang. Was mir hier zu Ohren kommt ruft sofort Erinnerungen wach, fünf junge Burschen mit Gitarre, Bass und Schlagzeug auf einem schäbigen Bus, hinter ihnen geht nach regnerischen Stunden die Sonne am blauen Himmel unter- es ist fast zu kitschig um wahr zu sein. Das waren die Kilians auf dem Haldern Pop-Festival 2006, der Eindruck den sie hinterließen ist bleibend, die Vorfreude auf die vorliegende EP „ Fight The Start“ groß.

Die Kilians, das sind die fünf Freunde aus Dinslaken, sie haben Gitarren und jede Menge Elan und Spielfreude im Gepäck, klingen so gar nicht deutsch und klettern seid einigen Monaten immer höher auf der Karriereleiter Pop. Und trotz einer bis dato relativ kurzer Bandhistorie verfügen die jungen Männer über eine anständige Medienpräsenz, die wohl nicht zuletzt von der Begeisterungsfähigkeit eines gewissen Herrn Uhlmann herrührt.

Tomte-Papa Thees Uhlmann attestierte den Kilians schon 2006 großes Potential, rührte kräftig die Werbetrommel und bewies mit seinem Engagement wieder mal ein glückliches Händchen in Sachen Talentsuche.

Die Kilians haben schon früh die Presse auf den Plan gerufen , man fühlte sich bemüßigt bisweilen weit hergeholte Vergleiche aus dem Hut zu zaubern und leichtfertig alt und neu über den gleichen Hype- Kamm zu scheren, da wurde analysiert was das Zeug hält. Das Ergebnis sind Zeilen wie “schon jetzt besser als Mando Diao“, “die zweiten Strokes“, die es dem Hörer schwer machen dem ersten Eindruck subjektiv und unvoreingenommen zu lauschen.

Eigentlich unerhört, erst so kurz im Geschäft und schon von Vergleichen verzerrt, da wird eine Band von vorneherein auf die Gemeinsamkeiten zu anderen Vertretern der Britpop / Indie-Pop-Szene reduziert. Will die Presse eigentlich nur loben, reflektieren diese augenscheinlich schmeichelhafte Kommentare doch die Müdigkeit der Öffentlichkeit sich mit Musiken auseinander zu setzen die im ersten Moment Verwandtschaft zu anderen Kollegen bekunden. Waghalsig proklamiert man Scheinwahrheiten und entsagt der Band letztlich den eigenen Ideenfundus, die Fähigkeit aus eigener Kraft in den Rock 'n' Roll Himmel aufzusteigen. Zu verleugnen sind die Ähnlichkeiten zu besagten Bands dennoch nicht ganz und die Kilians haben diese Assoziation eigenhändig geschürt, durch - das muss auch eingestanden sein-, sehr ordentliche Coverversionen von Übervätern und Vorbildern Strokes.

Doch diese haargenaue Gegenüberstellung entpuppt sich als hinfällig, die Kilians machen sich den von Bands wie The Hives oder eben Strokes gepflegten Garage-Punk zu Eigen, und spezifizieren in nur vier Titeln eine kleine neuartige Machart die man bei anderen Größen auch zwischen den Zeilen nicht entdecken kann.

Da finden sich die kratzbürstige (und überdies außergewöhnlich charakterstarke) Stimme von Simon den Hartog, lautstarke yeah yeah yeahs, Gitarrensoli allererster Sahne, kaum verständliches Slanggerotze und treibende Rhythmen wohin das Ohr hört - da ziehen die Kilians alle Register spaßbesessener Publikumsmusik, flott und juvenil, auf englisch natürlich, Kelleratmosphäre bester Güte. Die Nebenwirkungen erscheinen ebenso vorhersehbar wie plausibel, auch die Kilians bedienen wie duzende von Bands vor ihnen das Klischee der Hipster-Generation, wo von spindeldürre Ärmchen in Lederjacken bis zu tanztauglichem Wuschelhaar alles aufgefahren wird um die korrekte musikalische Grundeinstellung nach außen zu tragen und man sich ignorant und überlegen gibt.

Das kennen wir mittlerweile und die gesunde Mehrheit lässt sich schon längst nicht mehr beeindrucken von snobistischen Gehabe vor - wie konsequentem auf hohem Ross sitzen - hinter der Bühne. Schon zu oft ist die Musikalität zugunsten äußerlicher Extravaganz gewichen, mit oft schmerzlich hörbarem Ergebnis, ein guter Haarschnitt eben befähigt niemanden zu einer rundum positiven Ausstrahlung, und schiefe Nasen und Haarausfall haben noch niemanden daran gehindert erfolgreich die Klampfe zu schwingen.

Doch Skepsis ist bei den Kilians nicht angebracht, denn lancieren sie auch mit größtem Geschick das Bild einer selbstbewussten, bisweilen sogar narzisstisch anmutenden Jungs-Bande, hinter der medienwirksamen Kulisse greift pures musikalisches Talent in intelligenten Charme und sympathische Natürlichkeit. Wohltuend endlich wieder eine junge Band zu hören, in welcher der Sänger jeden Ton sauber intoniert und das musikalische Repertoire sich nicht auf drei Akkorde beschränkt.

Und neben den schmissigen und sorglosen Tanz und Schunkel-Songs Fight The Start und Merely Marginal Juxtaposed die nicht die geringste Anstrengung abzuverlangen scheinen, offerieren die Kilians in Something To Arrive und Suburban Lies eine fast melancholische Ader und erzeugen spielend eine seltsam dringliche Beklemmung, ein herbstlich schwerer Blick in die Zukunft ohne den Blick abzuwenden. Da wäre man beinahe in die Falle Voreingenommenheit getappt. Denn diese Zeilen und Takte könnten niemals von den Strokes stammen. Die Attraktivität der Kilians lässt sich begreifen als kongruentes Wirken von innerlichem Befinden und öffentlichem Produkt. Sie spielen ohne jegliche Angst zuviel Preis zu geben auf, alles geht ohne Hemmschwelle impulsiv nach vorne ins Publikum, in die weite Welt, Simon den Hartog, Dominic Lorberg, Gordian Schulz, Michael Schürmann und Arne Schult üben sich nicht in vornehmer Zurückhaltung, sondern präsentieren der Hörerschaft die volle Breitseite extrovertierten Lebensgefühls. Jede Phrase pulsiert, Rhythmus und Dynamik auf den Punkt, befreiender Gesang, man merkt das hier Freunde am Werk sind. Eine Eigenschaft die keinesfalls selbstverständlich ist, jeder kennt das Bild der Band in der jeder für sich auf der Bühne steht, und die dröhnenden Gitarrenklänge trotz Lautstärke nach innen zu gehen scheinen.

Keinen Moment erwischt man den Eindruck eine Formation vor sich zu haben, die sich normalerweise rein auf Banddauer und Alter bezogen Newcomer band schimpft. Nein, der Begriff bedarf hier gründlicher Korrektur, dem sind die Kilians schon längst entwachsen.

Sie geben dem Zuschauer keine Zeit sie mögen zu lernen, Liebe auf den ersten Blick oder lebenslange Enthaltsamkeit, das ist Musik für die ersten Sekunden. Die Kilians wissen was sie wollen, und das ist mit Sicherheit keine Zukunft in Dinslaken, musikalische und persönliche Entwicklung geht ganz klar Richtung große Bühnen, hier strebt man mit aller Gewalt und Willensstärke nach oben, da gibt’s kein Pardon.

Erst 19-24-jährig gelingt es ihnen ihr Debüt über Major-Plattenlabel Vertigo zu vertreiben und in die Großfamilie Grand Hotel Van Cleef einzuheiraten; ein schönes weiches Polster für kommende Monate und Jahre. Hoffen wir also auf weitere Knüller aus Richtung Ruhrpott mit ein bissen Bodenhaftung aber ohne falsche Anständigkeit. Auf weitere Festivaleindrücke und Sommertage im Liegestuhl mit Soundtrack! Die Kilians machen das schon, ich bin mir sicher.
foto: thekilians.de



kilians
"fight the start"
grand hotel van cleef 2007 cd
kilians

weiterlesen...

End Pilot Festival [Erfurt, 14.04.2007]

Die Bewegung wurde nicht nur durch die hinreißende Auswahl der auftretenden Künstler und ihrer Beiträge provoziert. Ganz im Gegenteil zum streng geordneten Verhalten in regulären Flügen, versprach das End Pilot Festival in Erfurt körperliche Ertüchtigung en masse.





"ich mag das ja nicht so, wenn die keinen refrain haben."
(zuhörer über ef)


Die Treppe hoch.

Das Sonic-Youth-Shirt abgestreift, begrüßt Victoria das zusammen gekommene Publikum mit freundlicher Geste. Ganz in schwarz gekleidet präsentieren sich die vier jungen Damen aus der Nähe von Göteborg, als würden sie in den Hintergrund treten wollen, um ihrer Musik die nötige Aufmerksamkeit zu überlassen. Es sei ein wunderschöner Abschluss für eine wunderschöne Konzertreise an diesem Abend für sie, werden sie am Ende anmerken, bevor sie ihr letztes Stück spielen werden. Das Publikum schwelgt, den Atem anhaltend, in der bizarren Schönheit der Musik, der tiefen Schwermut und spielerischen Leichtigkeit von Audrey.

Die Treppe herunter. Kurz zuvor.

Es bleibt nicht viel Zeit, um die Rahmenbedingungen, die schön gestalteten Räume und die wunderschöne Atmosphäre des kleinen End Pilot Festivals zu genießen, da es einen engen Zeitplan einzuhalten gilt. Im ersten Geschoss bestellt man noch schnell ein Getränk seiner Wahl - der Kult um das ökologische Getränk Bionade scheint sich hier noch nicht durchgesetzt zu haben - um dann durch die sich bewegende Menge herunter zur großen Bühne zu gelangen. SDNMT spielen auf und werden gebührend gefeiert, sind sie doch einer der ganz großen Namen am heutigen Abend. Postrock auf der einen und Elekronik auf der anderen Seite, alles gepackt in das zwar mittlerweile bedeutungslehre aber nicht unwichtige Kleid des Indie. Anfangs dachte ich noch darüber nach, ob ein solches Fest genügend Anklang finden würde, aber nicht zuletzt die Anwesenden, sowie ein kurzes Gespräch mit einem Freund darüber, ob Postrock nicht mittlerweile zum Establishment gehöre, im Mainstream angekommen sei, lehrten mich eines besseren.

Die Treppe hoch. Viel später.

Körper bewegen sich im Takt der puckernden Elektronik. Gitarren sind verschwunden und blinkende LCD Leuchten, Schieberegler und Datenströme haben die Oberhand gewonnen. Und dennoch muss keine klaffende Lücke geschlossen werden. Der vielleicht zu erwartende Bruch im Stil, in der Resonanz des Publikums ist ausgeblieben. Man hätte es ahnen können.

Die Treppe herunter. Etwas zuvor.

Nach langer Abstinenz spielen die Ingolstädter Slut wieder ein Konzert. In Erfurt seien sie noch nie zuvor gewesen, konstatiert Sänger Chris, dabei übersehend, dass das Highfield Festival ebenfalls hier verortet ist. Den großen Spaß, den ihnen ihr Auftritt sichtlich macht, teilen die zahlreichen Zuhörer vor der Bühne wie selbstverständlich und nach kurzer Zeit wird man kommunikativ und stellt sogar drei gänzlich neue Stücke vor. Was von einem möglichen neuen Album zu erwarten sein mag, spaltet die Zuhörer jedoch merklich. Die einen nehmen dankbar die Eingängigkeit der neuen Töne auf, strecken Fäuste in die Luft und verlieren sich in tobenden Bewegungen. Die anderen halten ob jener illustren, beinahe profanen Einsilbigkeit der neuen Töne inne, und beäugen die Musik kritisch. "Auf der Brust stand Slut", erklärt Chris, als die Band zur Zugabe auf die Bühne zurückkehrt, bezogen auf einen jungen Herrn im T-Shirt, der ihm vorher im Treppenhaus begegnete. "Und auf dem Rücken For Exercise And Amusement. Und jetzt soll er doch verdammt noch mal endlich auf seine Kosten kommen!". Als Bonbon, durfte man das Stück Cloudy Day so also verstehen.

Die Treppe hoch. Zurück zum Anfang.

Niklas schließt die Augen, den Kopf zur Decke gerichtet. Synchron formen seine Lippen die Worte, die Sänger Tomas spricht. Es ist ruhig geworden. Ein kurzes, zerbrechliches Intermezzo, bevor das Göteborger Quintett ein letztes Mal zu einer eruptiven Explosion ausholen wird. EF sind vielleicht die große Überraschung des kleinen Festivals. In der Hitze des stickigen, kleinen Raumes beherrschen sie souverän und doch verhalten die Bühne. Als wären sie eins mit dem Publikum, fiebern sie selbst jedem sich entfaltenden Stück entgegen. Lassen euphorisches Leuchten in den eigenen Augen zurück, wenn sie mit Trompete, Glockenspiel und Geigenbögen die grazilen, ausufernden Sinfonien heraufbeschwören. Vielleicht ist es auch eine Hommage an die eigenen Wurzeln, wenn sie ihr Hello Scotland betiteltes Stück ankündigen, dass sogleich mit Jubel aus dem Publikum empfangen wird, als sei es als bekannt vorausgesetzt. Und am Ende fallen sie sich selbst in die Arme, erfreut und erleichtert darüber, dass alles so wunderbar verlief.
foto: sonja berg



end pilot
audrey
ef
sdnmt
slut





weiterlesen...

Sonntag Nachmittag [April 2007]











fotos: manuel kaufmann

weiterlesen...

Nicolas Mahler [Kunsttheorie Vs. Frau Goldgruber]

Das sind interessante Zeichnungen. Nur arbeiten Sie ja doch eher in einem Genre, nun, Sie verwenden, nun ja, erzählende Bildfolgen.
Sie können ruhig Comic sagen.
Ich wollte Sie nicht beleidigen.


"können sie mir einen guten porno empfehlen?"
(videothekkunde)


In den Achtzigern gab es diese populäre Fernsehwerbung eines Reinigungsprodukts, die im Allgemeinen eine recht positive Resonanz verbuchen konnte. Ich kann mich daran erinnern, wie Verwandte belustigt darüber sprachen. (Dass man sich überhaupt über Werbung unterhielt, mag ein Zeichen der Zeit gewesen sein und muss hier nicht weiter berücksichtigt werden.) Es ging darin um eine Putzkraft, die auf einer Kunstausstellung arbeitete und voller Begeisterung ob der guten Reinungsfähigkeit des speziellen Scheuermittels, eine beschmierte Badewanne blitzeblank scheuerte. Am Ende des Spots kommt die gut bürgerliche Pointe, dass nämlich die Badewanne nicht beschmiert war, sondern Gegenstand der Kunstausstellung. Das konnte die Putzfrau ja nicht ahnen, tat sie doch nur ihren Job, und das ausgezeichnet. (Der stereotype Kunstintellektuelle tritt am Ende haareraufend im Hintergrund ins Bild, während die Protagonistin verschmitzt in die Kamera lächelt.) Diese Putzfrau könnte Frau Goldgruber heißen, wenn sie nicht werbende Putzfrau, sondern Finanzbeamtin wäre und in Nicolas Mahlers Comic auftauchen würde. Mit dem gleichen Kunst(miss)verständnis, mit dem der damalige Werbespot auftrat, sieht sich Mahler in seinen episodenhaft zusammengestellten Geschichten konfrontiert. Alle theoretischen Vorstellungen über das, was Kunst sein könnte, von Sokrates über Adorno bis Lyotard, von Beuys über Danto bis Sonntag, prallen am grundsätzlichen Skeptizismus des "Das hätte ich aber auch gekonnt" ab. "Na, das wird schon irgendwie 'Kunst' sein", wird Frau Goldgruber später konstatieren, überzeugt davon, dass man „mit so was eh nix verdienen kann“.

"Sowas" sind die minimalistisch gehaltenen Zeichnungen des 1969 geborenen, in Wien lebenden Comiczeichners Mahler, die ja schon anders aussehen als "die Schlümpfe und Micky Maus", an was man so "als erstes denkt, wenn man 'Comics' hört". Sagt Frau Goldgruber. Aber nicht nur die namensgebende Finanzbeamtin steht im direkten Widerspruch zu dem, was Mahler als Comiczeichner und somit Künstler vertritt; von der Steuerberaterin über Werbeagenturen bis zur elitären Kunst- und Theaterszene, in der sich Mahler später wiederfinden wird: In allen Konfrontationen läuft es letztlich darauf hinaus, dass man sich dem Kunstbegriff von wesentlich verschiedenen Perspektiven annährt. Von Positionen, die keinerlei diskursive Auseinandersetzung ermöglichen, da sie begrifflich auf unterschiedlichen Ebenen arbeiten. Und genau aus dieser Überlegung heraus entstehen die vortrefflichen Pointen, die Mahler mit seinen präzise dahin gekritzelten Figuren setzt. Der autobiographische Einschlag der Anekdoten – mit Erzählungen aus dem Leben als Comiczeichner, tatsächlichen kunsttheoretischen Auseinandersetzungen im Vorlesungsformat und dem obligatorischen, Authentizität hauchenden Hinweis "kein Wort ist frei erfunden, alles ist genau so passiert!" – verleiht den alltäglichen Absurditäten denen Mahler begegnet einen besonderen Akzent. Die langen, dünnen, oder kleinen, dicken Herren, die meist stabilen, korpulenten, oder dürren Frauen mit den extravaganten Frisuren sind offensichtlich zu absurd, zu kindlich naiv gezeichnet, als dass sie der gewählten thematischen Auseinandersetzung als zweckdienlich erscheinen. Doch benötigt Mahler sie nicht, um der vermeintlich trockenen Auseinandersetzung mit Kunst einen humorvollen Gegenpol zu bieten. Vielmehr schaffen sie dem eigentlich Humorvollem, dem absurden Inszenieren der allgegenwärtigen Missverständnisse in der Diskussion um das Wesen der Kunst, in ihrer Simplizität einen möglichen Boden, der sich nicht durch fein säuberliche und detaillierte Zeichnungen in den Vordergrund drängt.

Am Ende ist es schließlich die Tragik, die sich im Mantel des Komischen verbirgt und die den geneigten Leser zu überzeugen weiß. Donquichottesk begibt sich die Figur Mahlers – nicht nur aufgrund der Anatomie an Cervantes Romanhelden erinnernd – immer wieder aufs Neue in den Kampf gegen Missverständnisse und Fehlinterpretationen, denn nirgendwo, so scheint die letzte Einsicht, kann sich der Comickünstler tatsächlich zu Hause fühlen; für die Avantgardisten zu simpel, für die Comicmesse zu humorlos, für den Kunstdiskurs zu wertlos, für die Transportversicherung zu sehr Kunst, für die Hochschule zu sehr Low Art und für den Zoll in zu geringer Auflage. "Und was machen Sie sonst noch?"
foto: clair de bulle / zeichnung: kunsttheorie vs. frau goldgruber



nicolas mahler
"kunsttheorie versus frau goldgruber"
reprodukt verlag 2007
nicolas mahler

weiterlesen...