We Are Soldiers We Have Guns [To Meet Is Murder]

Die Waffen der Stille.
Ein kleines Studio in Schweden, eine kleine blonde Frau und ein junger Mann stecken die Köpfe zusammen, tüfteln an Instrumenten, drehen an Knöpfchen, trinken Rotwein und essen Schokolade.


"the trick is to love"
(waswhg)


So in etwa beschreibt Malin Dahlberg die Szenerie der Aufnahme ihres zweiten musikalischen Projektes in Sachen We are soldiers we have guns. Doch auch außerhalb dieses Duos ist der Blondschopf schon lange kein unbeschriebenes Blatt mehr und bereichert die breite Göteborger Musikszene mit ihrer zweiten Band Douglas Heart. Und trotz ihrer Bescheidenheit und der betonten Zweisamkeit mit Freund und Helfer Jocke Rosén verrät schon ein Blick auf die EP-Hülle, dass es Malin ist, die der Musik von We Are Soldiers We Have Guns die Form gibt und dem Produkt ihren ganz persönlichen Stempel aufdrückt. So stammt beinahe das gesamte Material des Minialbums ausschließlich aus ihrer Feder und Texte wie auch musikalische Umsetzungen beweisen das großartige Talent einer Songwriterin mit dem Gespür für die Wirkung der leisen Töne.

In "To Meet Is Murder" offenbart sich eine musikalische Dimension fernab von brodelnden und brachialen Gitarrensounds, die seid Jahren die Tanzsäle der westlichen Welt überfluten und nicht selten ausschließlich den bescheidenen Ansprüchen, die Massen durch rhythmisches Geplänkel in Bewegung zu versetzen, genügen können.

Diese Option klammern Dahlberg und Rosén glücklicherweise aus und behalten sich vor, eine Musik zu gestalten, die nicht nach dem höchst-möglichen Popularitätsgrad strebt sondern, eher im Gegenteil, in erster Linie auf die Verwirklichung der eigenen Persönlichkeitsmuster und Erfahrungen zugeschnitten ist. Keine massen-orientierte Schubladen-Musik also.

Man setzt auf minimalistische Gitarren- Arrangements neben wohltuend sparsam platzierten elektronische Sounds und büßt dabei nichts an musikalischer Qualität ein, grade der Verzicht auf überflüssigen Ballast befähigt zur natürlich Erzeugung von Intension. Alles wirkt so wunderbar spontan und wenig durchkomponiert. Musik nach Lust und Laune und ohne Rücksicht auf jegliches Publikum authentisch.

Der eigenwillige und höchst individuelle Charakter der fünf Songs resultiert nicht zuletzt aus der außergewöhnlich klaren, hellen, fast fragilen und doch dominanten Stimme Dahlbergs, die es vermag auf subtile Art und Weise die Wirkung von absoluter Intimität herzustellen. Man möchte gar nicht stören.

Dabei klingt das Konzept schlicht, beinahe banal; individuelle Erlebnisberichte gepaart mit hausgemachter Musik, ein altbekanntes Motiv zur Gitarre und Mikrofon zu greifen. Und doch, hier ist so einiges anders als man es erwarten könnte. Wie schon der Bandname lässt auch der Titel der EP Schlüsse auf einen nicht ganz eindeutigen Inhalt zu, Dahlberg und Rosén bezeugen eine Affinität zu leicht missverständlichen Aussagen und führen den naiven Hörer gerne mal aufs Glatteis, denn sie erwarten mehr als den dekadenten Musikfreund der die Ohren auf und den Verstand zumacht. So verweist der leicht bedenklich anmutende Titel "To Meet Is Murder“ lediglich auf ein Ausspruch von Malins Mutter, welcher die unausweichliche und ewige Einsamkeit jeder Seele betont. Die durchgreifende Verwendung spezifischer und konkreter selbst- erlebter Themen ruft die Illusion des direkten Teilhabens am Wirken der beiden Schweden hervor, die es nicht nötig haben sich eine Attitüde zueigen zu machen die ihnen nicht steht, sondern ganz ehrlich und einfach das sein wollen was sie sind.

Und so berichtet Dahlman ein bisschen gedankenverloren von Menschen die es ihr schwer machen sie zu mögen (The Trick Is To Love), ein nerviger Konzertbesucher wird zum Blickpunkt des Interesses in The Line Is A Dot To You, ein subtil böses Hasslied mit friedlichen Absichten. Denn entgleisen will Dahlberg nicht, ihre Intention ist ernsthafte Musik zu schreiben, die Kompositionen verraten immer auch ein wenig über alte und neue Wünsche, Ängste und schmerzlichen Erfahrungen. Ohne die Gefahr zu viel Preis zu geben aber auch ohne Ironie.

Die Symbiose von Text und Musik wird gewissermaßen zum Sprachrohr ehrlich empfundener Affekte, die greifbar werden, sobald man sich Zeit und Geduld nimmt um sich der EP zu widmen. Schade nur, dass uns der Tonträger selbst nur fünf Titel Zeit gibt, doch man darf wohl auf mehr bemerkenswertes Liedgut aus Richtung der produktiven Schwedin und ihres Partners hoffen. Mit "To Meet Is Murder" hab ich also eine kleine auditive Perle vor mir liegen, die einerseits dem Singer/ Songwriter- Motto der Kings of Convenience: "Quiet is the new loud" zu folgen scheint, andererseits aber ganz eigene Maßstäbe ansetzt und sich nur nach den eigenen Vorlieben richtet. Und dies ist wohl das Geheimnis zum Erfolg. Wer flüstert sagt doch eben doch die Wahrheit.
foto: waswhg



we are soldiers we have guns
"arms down"
stereo test kit records 2007 cd
we are soldiers we have guns

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Musika 77 [Brave Your Free May] / The Book Of Daniel [Songs For The Locust King]

Zweimal Schweden. Zweimal Göteborg. Zweimal Singer/Songwriter. Zweimal orchestraler Begleitung. Zweimal Intensität. Und doch ganz Verschieden.



"i saw a newspaper fly in the draft from a butterfly's wing."
(paper birds, the book of daniel)


Es erscheint an dieser Stelle oft so - und darüber unterhielt ich mich erst kürzlich mit Kollegin Eva -, als würden wir gnadenlos alles abfeiern, was wir in die Finger bekommen. Ganz im Gegenteil ist es jedoch, denn was hier tatsächlich besprochen wird, ist letzten Endes nur eine kleine Auswahl dessen, was man erhält. (Das soll keinesfalls zu einem arroganten Kommentar werden, wie ihn etwa von Stuckrad-Barre überflüssig anführt, um sein Dasein als elitärer Musikjournalist in einem seiner Bücher zu charakterisieren.) Dennoch ist es so, dass man sich zwischen gut produzierten, ambitionslosen Platten und belanglosen Kompilationen über die wirklich guten Veröffentlichungen, die sind wie – um es mal überschwänglich zu sagen – die Oblate, die man sich auf der Zunge zergehen lässt, sehr wohl in seiner Subjektivität verlieren und freuen darf.

Im Vorliegenden Fall sind das zwei Veröffentlichungen aus Schweden, aus dem Umfeld der Göteborger Musikszene, aus der ja auch Boy Omega entstammt. Da in Schweden auf "vier Einheimische etwa drei Songwriter" kommen, wie das Komakino letztlich erörterte, führt das zwangsläufig dazu, dass man sich untereinander nicht nur kennt, sondern auch gemeinsam an Musik arbeitet und sich somit eine recht homogen wirkende Szene etablieren konnte. Ein Privileg, welches in den letzten Jahren neben Skandinavien auch Kanada zu Gute kam. Im schwedischen Fall scheint vor allem eine gewisse Melancholie zu prägen.

Ähnliches gilt auch für Johann Krantz, der gemeinsam mit Therese Engström an Piano und Schlagzeuger Jimmy hinter Musika 77 steht. Im Schein eines klassischen Trios verdichtet sich ihre Musik stellenweise zu geradezu orchestralen Ausmaßen, treten Pauken, Bläser, Piano, Filedrecordings und andere Elemente an die Seite von Johann Krantz akustischer Gitarre und seinem zarten und flehenden Gesang. Wie der spätherbstliche Wald mit den kahlen, düsteren Bäumen auf dem Cover ihres zweiten Albums, erscheint auch die Musik; Zunächst überwiegt diese Dunkelheit, bis man voller Freude die wenigen Sonnenstrahlen erblickt, die einem Trost in dieser tristen Landschaft spenden können. Dann aber bemerkt man, und das ist das wichtige an dieser Platte, dass auch die Tristesse eine ganz eigene Schönheit birgt.

Aber es sind am Ende die Details, welche die Platte wirklich als bemerkenswert erscheinen lassen. Wenn in May, A Magpie, The Softest Forest schmerzlich von einer Trennung, einer unüberbrückbaren Entfernung zwischen zwei Menschen gesungen wird, dann wird nicht einfach die vielmals verwendete Metapher von "a thousand miles away" verwendet; Um die Distanz spürbar zu machen, wiederholt Johann Krantz das Wort Miles einmal, zweimal, dreimal, wiederholt sich die Musik gefangen in einer Schleife, bricht in ihrem Fluss und verdeutlicht sinnbildlich, was sprachlich so lapidar klingt. So ist der Zugang zu dieser Platte vielleicht vor allem über den klugen Umgang mit der Sprache zu erreichen. Erst im Detail wird die Melancholie deutlich und hinterlässt den Hörer mit diesem wundersam schwermütigen, aber ermutigendem Gefühl, einer Wärme im ganzen Körper.

Mountain, Rhine, Ball entfaltet sich, ausgehend von einem sanft artikulierten "shh", ganz langsam, gesellen sich Trompete und Pauken zur Gitarre, um das Stück anzureichern und auszufüllen. In diesem Stück nun, platziert Krantz eine Zeile, die so beachtenswert, so bemerkenswert in ihrer Tiefe ist, wie selten ein Satz in einem Pop Song. Wenn er "Those were the best days of my life" singt – eine Zeile, die die ein oder andere verwirrte Seele vielleicht aus anderem Munde kennen mag - dann ist er so weit von einer beschönigenden Verklärung und nostalgischen Schwermut entfernt, wie sie überhaupt sein kann. Das ist kein rückwärtsgewandter Zukunftspessimismus, sondern vielmehr scheint es wie das schmerzliche Resümee eines ganzen Lebens. Nicht pathetisch, sondern soviel Erinnerung und selbstreflexive Wahrheit transportierend, wie man überhaupt nur in eine einzige Zeile hineinlegen kann. Ich sage, allein aufgrund dieser einen Zeile, so beiläufig in ihrer Dringlichkeit, sollte man "Brave Your Free May" besitzen!

Daniel Gustafsson hingegen weiß von anderen Gegebenheiten zu berichten. Lässt man den Musiker, der unter dem Namen The Book Of Daniel arbeitet, selbst zu Wort kommen, dann klingt sein Debüt Album folgendermaßen: "Nun, es beginnt mit einem Gebet an einem Flughafen. Dann erzählt ein Betrunkener Lügengeschichten über seine angebliche Boxerkarriere und Kamele wandern in den Sonnenaufgang, während ein junger Mann einen Karton mit Erinnerungen füllt. Seine Ex-Freundin sitzt im Fernsehsessel und beobachtet ihn dabei. Dann geht es um einsame Dezembernächte und einen Hasenjungen, der durch die Straßen huscht, als ein Wildhead sich einer Marschkapelle anschließt. In der selben Nacht befinden sich ein junger Taxifahrer und ein Mädchen, das Regentropfen zählt, im hinteren Teil einer Bar, während ein Schwarm Papiervögel auf dem Fenstersims landet. An der Wand schreit ein Graffiti, während ein verwirrter Grabsteindichter und ein Mädchen, das versucht, ihre Kalorienzufuhr mit Amphetaminen und Süßigkeiten zu kontrollieren, sich treffen, um gemeinsam das sonntägliche Baptistentreffen zu besuchen." In diesem Auszug aus dem Gespräch mit Ina-Simone Mautz (Neon Magazin) wird klar, dass wir es hier mit einem großen Erzähler zu tun haben. Wenn Daniel selbst, nach dem zunächst gesprochenen Gebet in Early Morning Prayer mit den Zeilen "Oh my lord / I will call your bluff" einsetzt, und später von einem Chor, Bläsern und Piano begleitet wird, lässt sich vielleicht schon erahnen, dass hier Großes angedacht ist.

Um dieses Panoptikum an Skurrilitäten umsetzen zu können bedarf es mehr als einer Akustikgitarre, weshalb gleich ein ganzes Orchester engagiert scheint, zu dem unter anderem Daniels kleiner Bruder Martin Gustafsson (aka Boy Omega) und Björn Kleinhenz zählen. Dass Daniel Gustafsson im Gegensatz zu Martin eher in einer Jazz und Folk Tradition steht, bemerkt man rasch, sind die meisten Stücke doch von eben solchen Rhythmus und Harmonie Elementen durchzogen. Was zunächst jedoch Abwechslung hervorruft – wie im treibenden und eindrücklichen The Camels Parade -, führt im Ganzen jedoch zu einer weniger homogenen Inszenierung. Zu sehr treten Instrumentalparts in den Vordergrund, überlagern Saxophon Soli, Chöre und gar Musical Anleihen (Dead Ringer Dead Ringer) die den Stücken vielleicht innewohnende, intimere Singer/Songwriter Atmosphäre. Wenn die Stücke auf "Songs For The Locust King" melancholisch erscheinen, werden sie nie ganz melancholisch sein, wenn sie fröhlich sind, werden sie nie ganz fröhlich und wenn sie bezaubern, wissen sie nie ganz den Atem zu rauben. Das kann eine Stärke sein, aber auch zu Brüchen führen. Und gerade diese oft übergangslosen Momente von groonendem Barjazz zu Gospel Anleihen, Big Band Elementen und akustischen Kleinoden verhindern immer wieder, das Debüt des 30 Jährigen tatsächlich emotional in einem Kontext zu hören. Zu sehr scheint da konstruiert zu sein, zu viel scheint Daniel Gustafsson in seinen Songs unterbringen zu wollen. Was nicht bedeutet, dass die Platte schlecht wäre. Keineswegs. Bleibt sie doch mit den einzelnen, für sich sprechenden Songs weit, wirklich weit über dem Niveau der eingangs erwähnten Veröffentlichungen. Nur schafft sie es eben nicht als Ganzes etwa mit "Brave You Free May" in Augenhöhe zu verweilen.
foto: killbotfactory

musika 77
"brave your free may"
mi amante records 2006 cd
musika 77

the book of daniel
"the objects don't need us"
riptide records 2006 cd
the book of daniel

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Hushpuppies

Endlich eine Band, deren Referenzen tatsächlich in die 60er zurückreichen. Obwohl in den 70ern geboren, sind die HushPuppies maßgeblich vom Sound von The Who und anderen Mod-Größen beeinflusst. Dennoch haben sie die Gegenwart nicht vollkommen aus den Augen verloren.


"i was born in the seventies."
(1975)


Seien wir doch einmal ehrlich: Bei der anhaltenden Rock’n’Roll Retro Welle, die noch immer nicht ihren Zenit überschritten zu haben scheint, weiß man meistens gar nicht so recht, was daran so wahnsinnig "retro" ist. Ohne die musikalische Integrität der meisten Acts in Frage stellen zu wollen, das groß auf der Stirn prangende Label wirkt in vielen Fällen reichlich fehl am Platz. Eine wirkliche Bezugnahme zu musikalischen Vorbildern insbesondere der Sixties lässt sich vermarktungstechnisch in der Regel höchstens über modische Versatzstücke - wahlweise James Dean-Look oder Anzüge für die gesamte Band - konstruieren, das oberflächliche Image ist ja leider schon lange kein zu vernachlässigender Faktor mehr.

Wie schön, dass es auch anders geht, bei den HushPuppies zum Beispiel. In Perpignan aufgewachsen wurden die Jungs von der dort sehr lebendigen Mod- und Garage-Kultur geprägt, was sie musikalisch zwangsläufig zu der Band formte, die sie jetzt sind. Das Plattencover ihres Debütalbums "The Trap", eine S/W-Fotografie der Band zur Tea Time in der Natur, spricht Bände. Doch auch der französische Zentralismus ging nicht spurlos an den fünf Jungs vorbei, irgendwann landeten sie alle in Paris. Ein Gespräch mit Olivier und Cyrille.

Cyrille: "Die eigentliche Bandgeschichte beginnt ja erst in Paris, die HushPuppies haben dort begonnen. In Perpignan spielten wir fast alle noch zusammen in einer Band namens The Likyds, aber wegen Studium und Jobs landeten alle von uns eher früher oder später in Paris. Wir transferierten die Band mehr oder weniger, es war so etwas wie ein sich zufällig ergebender Neubeginn."

Hat Paris einen großen Einfluss auf euch als Band?
C.: "Die Stadt beeinflusst uns nicht direkt, die Musik entsteht aus der Interaktion zwischen uns. Es ist das Ergebnis der Stimmungen innerhalb des Kollektivs. Man kann sagen, dass uns die Menschen beeinflussen die wir treffen, die Dinge die wir tun, so verändern wir uns und dementsprechend unser Output. Es ist weniger die Stadt, es ist mehr das Leben im Allgemeinen und was eben geschieht. Paris bildet da natürlich den Hintergrund."

Euren Bassisten habt ihr ja erst in Paris kennen gelernt, er ist der einzige, der nicht der Mod-Szene vonPerpignan entstammt. War es eine große Schwierigkeit ihn zu integrieren?
Olivier: "Eigentlich war es ziemlich einfach. Wir suchten zwei Jahre lang nach einem Bassisten, Guillaume war mein Mitbewohner und ein Freund der Band. Irgendwann kamen wir auf die Idee, dass er doch einsteigen könnte. Es hat sofort funktioniert, auch weil er Teil der Familie und nicht nur wegen der Musik dabei ist. Das unterstreicht den Charakter dieser Band, dass wir uns über mehr über die persönliche als über die musikalische Ebene definieren."

Seid ihr in Paris in größeren Zusammenhängen aktiv?
O.: "Da sind wir kaum integriert. Es gibt eine Menge junger Bands, 17-18jährige, die Rock’n’Roll-Szene ist entsprechend jung. Wir sind alle mehr als zehn Jahre älter, wir fühlen uns da nicht wirklich verbunden. Wir haben nicht die gleiche Wahrnehmung, wir sind durch eine andere Zeit geprägt. They play a different kind of rock. Wir spielen mit einer gewissen erwachsenen Attitüde, es ist nicht mehr so sehr mit Adoleszenz verbunden. Ich glaube wir sprechen damit auch mehr Menschen an, 17jährige und 37jährige."
C.: "Ich würde sagen, wir haben auch ein anderes Verständnis von Rock’n’Roll. Für uns geht es in erster Linie um Musik, darüber definiert sich dann auch der Rest des Lebens. In unserem Alter bedeutet in einer Band zu spielen ein anderes Leben zu führen. Die typische Lebensführung eines 35jährigen wird durch die Musik ausgestochen, man ist nicht wie jeder andere, man hat im Gegensatz zu den meisten keinen regelmäßigen Job. Das Arbeitsleben ist nicht so wichtig, sämtliche 'Freizeit' ist von der Musik bestimmt."

Da scheint der immer wieder angestellte Vergleich mit den Arctic Monkeys noch absurd zu sein, als ohnehin schon.
O.: "Der Punkt ist, wir machen ja ganz andere Musik. Vielleicht brauchen die Menschen Vergleiche, um Sicherheit im Umgang mit unbekannten Bands zu gewinnen. Sie hören sich die Musik nicht besonders gut an, stattdessen machen sie gleich eine Schublade auf. Die Monkeys haben ihren Hit und das war’s, in unserer Musik spiegelt sich eine viel größere Bandbreite wieder. Den einzigen wirklichen Vergleich in Bezug auf mehr oder weniger aktuellen Sound, den ich gelten lassen würde, sind die frühen Supergrass. Da gibt es Überschneidungen, auch wenn unser Sound nicht in den 90ern steckengeblieben ist. Obwohl wir tatsächlich vielmehr von Bands wie The Who oder den Kinks beeinflusst werden. Die meisten aktuellen Bands haben hingegen kaum einen Bezug zu den Sixties."

Welche Rolle spielt die Radio-Quote, die einen hohen ANteil an französischsprachiger Musik garantiert, für die unabhängige Musikszene?
C.: "Die Quote ist natürlich ziemlich schädlich. Wie kann man französische Kultur vermitteln, wenn man in Frankreich bleibt und nur auf französisch singt? Zudem, die Sprache des Rock'n'Roll ist einfach Englisch. Viele Bands haben Schwierigkeiten, auf sich aufmerksam zu machen, da sie auf Englisch singen. Sie werden nicht im Radio gespielt, da sie dort mit britischen und amerikanischen Bands konkurrieren müssen. Auch in Frankreich erfährt Rock'n'Roll eine Renaissance, was eine tolle Sache ist. Aber wenn eine Band mit den Arctic Monkeys oder Mando Diao um Airplay konkurrieren muss, dann hat sie praktisch keine Chance."

Überrascht euch da der eigene Erfolg nicht ein wenig?
C.: "Puh, schwierig zu sagen, unser Bekanntheitsgrad hält sich ja noch in Grenzen. Aber es ist schön, wenn man vor ein paar hundert Menschen spielt und die Leute auch mitsingen und wirklich enthusiastisch sind. Das haben wir auch schon bei den ersten Shows in Deutschland gemerkt, dass unsere Auftritte wirklich gut ankommen. Das ist ja das Wichtigste, dass die Menschen die gleiche positive Energie spüren, aus der heraus unsere Musik entsteht."
foto: marco dos santos

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Ben Kweller [Ben Kweller]

Ganz ehrlich: Ben Kweller sieht nicht aus wie 25. Eher wie 17, oder so. Aber mit 17 ging dieser Mann noch keine Solo-Pfade, sondern feierte mit seiner Punkband Radish durchaus beachtliche Erfolge. Zehn Jahre später ist er nun ein verheirateter Familienvater und Amerikas Vorzeige-Singer-Songwriter.


"i'm losing speed"
(red eye)


Wir hier in Europa wurden erst so richtig durch den allgemeinen Hype um Adam Green auf Ben Kweller aufmerksam. Die beiden sind befreundet, 2003 fand sich auf der B-Seite zu Greens Erfolgssingle Jessica Simpson eine gemeinsame Beach Boys Coverversion. Jetzt ist Kweller ein Liebling der Feuilletons, die ihn gerne mal als Wunderkind bezeichnen – wenn da auch eine neckische Betonung auf dem "Kind" mitschwingen darf. Weniger subtil untertitelte die FAZ neulich eines dieser typisch verschlafenen Ben Kweller Fotos: "Würden Sie diesem jungen Menschen Alkohol verkaufen?" Aber solange es nur die Bilder sind, welche immer wieder den Begriff "Milchbubi" aufkommen lassen, dürfte den Herrn das nicht so sehr stören. Denn rein musikalisch löst er sich mit seinem neuen Album gänzlich von diesem Image.

Eigentlich ungewöhnlich, die vierte Soloplatte nach tollen Vorgängertiteln wie "Freak Out, It's Ben Kweller!" oder "Sha Sha" plötzlich nach sich selbst zu benennen. Aber dafür gab es einen guten Grund, denn zum ersten Mal spielte Kweller alle Instrumente – von der Akustikgitarre bis zum Xylophon – selbst ein. "Ich hatte großen Respekt davor", gibt er zu, "und einige Leute sagten, dass das verrückt sei, aber die besten Sachen entstehen ja immer aus verrückten Ideen." Ob die neue Platte nun wirklich die beste ist, die wir je von Ben Kweller gehört haben, sei mal dahingestellt. Sicher ist aber, dass sie ganz anders ist als das, was schon im Schrank steht und vielleicht auch als das, was man erwartet hatte. Dieses Album klingt nicht mehr so rau, rockig und ursprünglich, sondern weich, runder und nach Studio. "Mir hat es immer gefallen, rohe Stücke zu nehmen und möglichst unbearbeitet zu lassen. Aber auch das Gegenteil davon kann wirklich schön sein", erklärt der Wahl-New Yorker.

In dieser gegensätzlichen Arbeitsweise unterstütze ihn der britische Produzent Gil Norton (Pixies, Foo Fighters). Ob er auch der war, der den Geschwindigkeitsregler zurückgedreht hat? Denn das ist wohl der einschneidendste Schritt in Richtung der neuen Platte: Wirklich tanzbare Stücke finden sich hier keine mehr, mit Ausnahme höchstens des nachdenklichen Penny On The Train Track über die Begegnung mit einem alten Schulfreund, der den Beruf des Polizisten ergriffen hat. Viel mehr zu hören sind dagegen Klavier und Orgel, die dem Ganzen den Rock nehmen. So oft sind da erste Sekunden, die schon in die Luft springen und auf das gewaltige WUMM warten lassen, das einen Indie Tanzklassiker für gewöhnlich einläutet – aber es bleibt einfach aus. Man kommt dumpf auf dem Boden auf, statt im siebten Pophimmel zu schweben, und muss sich erst mal wieder finden. Wummmm. Vielleicht hätte man also die ein oder anderen gehämmerten Tastakkorde durch eine nette Gitarre ersetzen können... So wie im letzten Track des Albums, This Is War, mit dem Kweller sowohl musikalisch als auch textlich noch einmal ganz andere Saiten aufzieht. Hier werden die alten Werte auf gekonnte Art und Weise mit neuen Erkenntnissen verknüpft – wie schön wäre mehr davon gewesen! Aber Schwamm drüber.

Denn zum Beispiel Kwellers persönlicher Höhepunkt entschädigt für diese verwehrten Freuden, obschon er das genaue Kontrastprogramm dazu bildet. Es handelt sich um das sparsam arrangierte, refrainlose Thirteen. Bei dieser Ballade hat das Klavier seinen großen Auftritt, und wenn dann noch die Mundharmonika einfällt, ist man immer noch oder schon wieder in diesen Typen verliebt, der keine großen Worte braucht, um Großes verständlich zu machen. "Während ich an dem Stück trieb, kamen diese ganzen Emotionen aus mir heraus", erzählt Kweller. "Ich habe an meine Frau Liz gedacht und an all das, was wir in acht Jahren gemeinsam durchgemacht haben. An die Freunde, die gekommen und gegangen sind und an Leute, die von denen ich glaubte, dass ich sie kannte und dann war es doch nicht so. Und auch an die unvorhersehbaren Ereignisse, von denen man aus der Bahn geworfen wird, die guten und die schlechten."

Klingt doch ziemlich erwachsen, oder? Eben. Vergiss die Fotos, Ben Kweller!
foto:



ben kewller
"ben kewller"
red ink 2006 cd
ben kewller

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Die Zimmermänner [Fortpflanzungssupermarkt]

Wer behauptet, Popgeschichte sei unvermeidlich durch Existenzdauern von allerhöchstens einem Jahrzehnt geprägt, wird durch einen Blick in die Band der „Zimmermänner“ Lügen gestraft.


"selbst gott im zorn rspektiert paderborn."
(paderborn)


Nach über 20 Jahren Enthaltsamkeit in Sachen gemeinsamer musikalischer Projekte kommen Timo Blunck und Detlef Diederichsen derart entstaubt und ambitioniert daher, dass wohl erkannt werden muss, dass für die beiden gebürtigen Hamburger andere Gesetze gelten. Denn so zeitlos wie die Macher lässt sich auch ihr neuestes Produkt beschreiben, so ist „Fortpflanzungssupermarkt“ durch und durch eine Popplatte und dies im allerbesten Sinne. Sie ist das Ergebnis einer nicht ganz unvermittelten Zusammenarbeit, die 25 Jahre nach dem Debütalbum "100 Wege Sex Zu Machen, Ohne Daran Spaß Zu Haben" der damals noch Ede und die Zimmermänner die alten Prinzipien beibehält und dennoch eine erstaunliche und höchst erfreuliche Frische aufweist. So texten und singen die Zimmermänner wie gehabt auf deutsch und bedienen sich auch weiterhin der Problematiken des normalen Durchschnittsbürgers: die Tücke des Alltags, unbequeme Wahrheiten, und - natürlich - Frauen.

Altbekannte Themen also, aber im Gegensatz zu jugendlich überschwänglichen und unreifen Auseinandersetzungen verfügen die Zimmermänner durch über 40 Jahre Lebens-, und Liebeserfahrung über eine angenehme Distanz, die es ihnen ermöglicht, sich unverhohlen und ironisch zu vermeintlich vertrackten Themen zu äußern und Klischees auf eine herrlich subtile aber entschiedene Art und Weise Parole zu bieten. So kritisieren Blunck und Diederichsen an allen Ecken und Enden, vermögen dies jedoch hinter ihrem süffisanten Charme gekonnt zu verbergen und schaffen es dank einer unverkrampften Leichtigkeit stets sympathisch und authentisch zu wirken.

Überhaupt ist das ganze Album ein Manifest unangestrengter Natürlichkeit und ehrlicher Freude am Musik und Quatsch machen, ein Attribut welches den Schulfreunden von einst seid jeher zugeschrieben werden kann. In all den Jahren, in denen sich Blunck und Diederichsen als Musikproduzent und Journalist etablierten und es in der Öffentlichkeit leise um sie wurde, resignierten sie keinesfalls, man blieb musikalisch aktiv und holte 1999 schließlich den Produzent Christoph Kaiser an Bord um an neuen Songs und Konzepten zu feilen. Das Ergebnis dieser ersten Zusammenarbeit sollte richtungweisend sein für die weitere Zukunft, "Fortpflanzungssupermarkt" verfügt über ein Songkontingent aus über 10 Jahren Kompositions-, und Mischerfahrung, die Rahmenbedingungen sprechen für sich: Die Zimmermänner von heute sind mit allen Pop-Wassern gewaschen!

Auch der musikalische Stil des Zwei-Gestirns unterzog sich im Laufe der Jahre einer Entwicklung die besonders durch den technischen Fortschritt begünstigt wurde. Der Einsatz von elektronischen Sounds wurde zur Basis allen musikalischen Schaffens, die Songs verfügen über knifflige und temporeiche Rhythmen, sowie komplexe Arrangements. Zur Unterstützung ihres Materials greifen die Zimmermänner jedoch auch stets auf einige "außerordentliche Mitglieder" zurück, die mit Bläsersätzen oder Gesangseinlagen das musikalische Bild komplettieren und hörbar aufwerten. Nun führt der Weg uns also in den "Fortpflanzungssupermarkt" und schon die Songtitel des Albums lassen auf dessen Intention schließen, denn Überschriften wie Warum Schmust Du Nie Mit Meinem Gehirn lassen wohl kaum auf einen allzu ernstgemeinten Inhalt hoffen.

Der Opener des Albums Levitenlesen in A- Dur kommt direkt aus 1999 und offeriert gleich das Anliegen des Duos: Timo Bluncks Art zu singen, in einer gelassenen, vertrauenerweckenden und fast schon schlager-artigen alles-ist-gut Manier trifft auf einen Diskurs über Brüderlichkeit, Gemeinschaft und Konformismus. Schlagwörter, die durch den ironisierenden musikalischen Kontext als hohl und bedeutungslos entlarvt werden.

Die Neigung zu Parolen und zum Gebrauch von „großen Worten“ zieht sich durch das gesamte Album und gibt die augenscheinlich ernsten Themen der Popmusik- verletzte Gefühle, unerhörte Liebe- mitunter der Lächerlichkeit preis oder raubt ihnen zumindest eine gewissen Tiefe.Und trotzdem verweilen die Zimmermänner stets in diesem Metier und widmen sich neben Frauen-Geschichtchen wie Christiane Paul oder Tiefs auch der Gefangenheit in spießbürgerlichen Verhältnissen und in der alltäglichen Langeweile. Ein tristes Thema, verpackt in tanzwürdige Rhythmen und reißerisch anmutende, höchst zynische aber best-gelaunt gesungene Textzeilen lässt Songs wie Paderborn und Letzter Tango In Bad Ems – gesungen von der einstigen Mitnamensgeberin Rica "Ede" Blunck - entstehen.

Neben all diesen zeitlosen Themen machen die Zimmermänner auch vor der Verarbeitung des modernen Zeitalters nicht halt. In Nirwana zeichnen sie das Bild einer ratlosen, konsumorientierten Gesellschaft der nichts schnell genug gehen kann; ein Song, der Kritik und sogar etwas Wehmut impliziert - vielleicht mit einem verstohlenen Gedanken an vergangene Zeiten.

In Gute Nachtfreunde, dem letzten Titel des Albums erleben wir gereifte, wahrlich erwachsene Zimmermänner, die mit Klischees aufgeräumt und sich mit Gegebenheiten arrangiert haben und nach all dem Trotz und Humor leise und sorgsam Worte auswählen um letztlich mit all seiner Schlichtheit ein zufriedenes und dankbares Lied zu schreiben.

Der "Fortpflanzungssupermarkt" hält Überraschungen parat, fasst alte Phänomene neu an und verzichtet auf übertriebene und affektierte Bekundungen. Die Zimmermänner sind zu gestandenen Männern und Musikern avanciert und ihre Songs sind ohne falschen Ernst, endlich darf wieder nach Herzenslust gestichelt und auch gelacht werden. Und trotzdem - die CD fordert heraus, will nicht nur Zeit zum hören, sondern auch zum nachdenken, die Texte sind kein bloßes blabla, sondern wollen ganz bewusst ein wenig ärgern und auffordern. Über allem liegt der Schein der Belanglosigkeit der die Band so einzigartig und liebenswert macht. Die Musik bleibt immer dort, wo sich ohne Zweifel auch ihre Väter befinden: in der Realität, eine Wirklichkeit ohne rosarote Brillen aber auch ohne schwarz-malerische Zukunftsvisionen. Sie proklamieren keine Wahrheiten sondern projizieren durch profane Mittel ihre eigene Sichtweise. Bei den Zimmermännern ist der Name Programm: bodenständige Kreativität gepaart mit handwerklichem Können, und all das aus tiefstem Herzen. Gewollt und gekonnt. Was sie uns zeigen ist ein unverfangenes Bild von einer bisweilen grausamen Harmonie des Alltags, ihre persönliche Stellungnahme mit einem Augenzwinkern. Eine Realität à la Zimmermänner, das ist etwas für diejenigen, die satt sind von seichtem Popgeplätscher ohne Sinn und Verstand.

Kaum zu glauben was Blunck und Diederichsen nach über 20 Jahren aus dem Hut zaubern. Aber wahr. Glücklicherweise, denn so bescheren sie uns ein kleines Stück feinster Popgeschichte, die sich nicht um den ganzen angelsächsischen Zirkus schert und uns völlig unabhängig begegnet, nur da um eben da zu sein für sich und für uns. Es gefällt, oder um mit ihren Worten zu sprechen: Mein Körper ist zufrieden, die Seele jubelt auch, ganz besonders gut geht’s meinem Bauch!
foto: what's so funny about



die zimmermänner
"fortpflanzungssupermarkt"
what's so funny about 2007 cd / lp
die zimmermänner

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Bodi Bill [No More Wars]

indie typo für indie musik.




"das opium des elektro-folk"







bodi bill
"no more wars"
sinnbus records 2007 cd / lp
bodi bill

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Sonntag Nachmittag [März 2007]







fotos: manuel kaufmann

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600 Wörter [Telefon]

fünf minuten für dich.
an diesem telefon.
und was soll ich dir erzählen?





Komm, lass uns reden
Wer redet, ist nicht tot.
(Gottfried Benn)

du hörst dich gerne reden. du redest viel. du redest über alles. für deine worte bist du nicht verantwortlich. sie brechen aus dir heraus sagst du. über was redest du?

wörter: reden/sprechen/glauben. glauben. was für ein wort. wie aus einer anderen zeit. hast du zeit? können wir reden? wer redet ist nicht tot.

aber worüber reden, wenn man nicht mal einen fernseher besitzt, die tageszeitung liest oder die sehnsucht verspürt, eine kurznachricht zu versenden, kontakt aufzunehmen mit jemandem, ein lebenszeichen von sich geben, irgendetwas belangloses mitteilen wie "ich bin in fünf minuten da".

in fünf minuten kann viel passieren. es dauerte fünf minuten bis sie dir erklärt hatte, dass sie nicht vorhat noch länger mit dir zusammenzuleben. in fünf minuten bist du von zu hause bei deiner arbeit. fünf minuten und 4 sekunden dauert das lied das du gerade hörst. in fünf minuten hättest du eine entscheidung treffen können. du hast fünf jahre gebraucht. fünf minuten ist eine zigarettenlänge. fünf minuten später und du wärst nicht mehr da gewesen.

fünf minuten für dich. an diesem telefon. und was soll ich dir erzählen? wenigstens kannst du erzählen. du erzählst gern. du erzählst geschichten von menschen die ich kaum kenne. von menschen die du kaum kennst. zerbrochene beziehungen, krankheiten die plötzlich ausbrechen, die seelische lage deiner mutter, die finanzielle deiner geschwister. die familie. man könnte sich mal wieder melden, den ersten schritt machen. vielleicht entwickelt sich wieder so etwas wie normalität. normalität. noch so ein wort.

wörter: vision/chaos/sprache. deine vision ist dir abhanden gekommen sagst du. hattest du je eine? wir haben uns verloren im chaos und wieder gefunden sagst du und das klingt verzweifelt. deine sprache hat sich verändert, der ton deiner stimme. ich versuche deine sprache zu entschlüsseln, aus deinem tonfall etwas wesentliches herauszuhören, zwischen den zeilen etwas zu finden , das "du" ist. etwas das ich kenne. aber ich kenne dich nicht mehr.

du erzählst mir von deinem letzten besuch bei deinem vater. du erzählst diese geschichte und ich habe sie schon tausend mal gehört. ich kenne alle einzelheiten. ich kenne ihren ausgang. aber du redest. du willst erzählen. du hörst dich gerne reden. ich nicke. ich vergesse, dass du mich nicht sehen kannst. ich spreche mit dir. aber ich komme nicht zu dir durch.

"ich". das ist etwas wie "du". das sich sucht, das denkt und spricht und zuhört. du hörst dir selbst gerne zu. "du". das ist eine erinnerung an ein gesicht. eine stimme am anderen ende der leitung. du schaltest den computer an. du beantwortest die post. du siehst dir filme an. du triffst dich mit deinen freunden und redest über filme. du triffst dich mit deinen freunden und ihr seht euch filme an. oder ihr hört musik. du redest über musik. du liest bücher. du triffst dich mit deinen freunden und redest mit ihnen über bücher und musik und filme. du kennst all die namen: karl marx, marilyn monroe, david beckham. du gehst zur arbeit. du bezahlst deine rechnungen. du bist manchmal unglücklich verliebt. du wirst krank. du machst dir gedanken wie es weitergeht. du machst weiter. du zählst die tage bis zu deinem urlaub. du zählst die jahre bis zu deinem 30. geburtstag. du zählst dein geld. du zählst deine platten. du hast probleme. du triffst dich mit deinen freunden und redest über probleme. über deine probleme. über ihre probleme. ihr ruft euch gegenseitig an. du kennst all die leute. und du hast eine meinung. du schreibst eine kurznachricht.

du rufst mich an. ich gehe nicht ran. und ich rufe nicht zurück.
Text: Toby Hoffmann
illustration: heiko windisch

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Fonoda [Eventually]

Eventually Klangerzeugung?
Die Welt bewegt sich in Bahnen, deren Wege wir zu ordnen versuchen. Mit jedem Schritt, mit jeder Note, mit jedem angeschlagenen Akkord bewegen wir uns in ihre Richtung, um Vollständigkeit zu erlangen und um zu verstehen, warum wir uns auf den Weg gemacht haben.


"that's just fucking with your heads, our pass is still one step ahead."
(still looking for any direction)


Alles in allem ein ziemlich kryptischer Ansatz, der viel mehr verlangt, als er eigentlich aussagt. Vielleicht bringt es uns jedoch um einiges näher an Fonoda – an "Eventually" – dem neuen Album der Band ohne festen Wohnsitz. Vielleicht reicht diese Frage nach dem WARUM aus, um "Eventually" in aller Vollständigkeit zu erörtern. Mit Nichten, so viel wird klar sein. Vielleicht hilft es uns aber, einige große Momente – die es auf dem Album zu entdecken gibt – bei den Eiern zu packen und intelligente Musik in ihren Bahnen auszuloten. Doch so oft ich auch versuche die Aufgabe zu lösen, die mir da Fonoda mit "Eventually" vor die Nase gesetzt haben, so oft scheitere ich auch. Vielleicht müssen zuerst einmal die Formalien geklärt werden.

Alles andere als kryptisch ist der erste Ansatz: der Pragmatische. Auf "Eventually" zum Trio geschrumpft lassen Fonoda – im Einzelnen Florian Doelzer (Schlagzeug), Matthias Neuefeind (Gitarre) und Christian Unertl (Bass) – ihre Nähe zum Drone-Pop der 1990er und zum gestandenen Post-Rock verorten. Doch was die Passauer so besonders macht, ist eine gewisse Eigendynamik, die durch viel Engagement und ein kreatives Songwriting zustande kommt. Hinzukommen die vielen Querverweise, die einem beim Hören kurzzeitig aufschrecken lassen, aber nicht vom Erkennen und Feststellen, dass man das irgendwo schon einmal ausgereifter gehört hat, sondern vor Wohlwollen. Denn eine andere Herangehensweise bietet auch andere Lösungen.

Die Arbeit zum Album gestaltete sich eher langwierig, war aber dennoch von Konstruktivität gekennzeichnet. Zum einen erlag man der Idee dem Fonoda-Sound ein neues Fragment hinzuzufügen, dass auf den Namen Gesang hört und sich eher zaghaft in das Konzept eingliedern wollte. Was gebraucht wurde, waren Gastsänger, geklappt hat es aber nur mit Daniel Buerkner von Squares On Both Sides, der zwei von acht Tracks durch einen warmen Klang bereichert. Letztendlich nahm man das Blatt doch selbst in die Hand und nun ist in fast jedem Song von "Friends and Lovers" die Rede. Zum anderen sind die ältesten Tonspuren von "Eventually" bereits 4 Jahre alt und es gab Zeiten, in denen sich eine allgemeine Unzufriedenheit innerhalb der Band ausbreitete, obgleich das Projekt in emsigen Schritten vorankam. Den Arrangements ist das in keinster Weise anzumerken, vielmehr versinkt man in den Tiefen der ausgefeilten Strukturen und dem Pochen, Wimmern und Stampfen der elektronischen Soundscapes, für die der Laptop-Musiker Henry Ok a.k.a. Zimmer verantwortlich ist.

Was am Meisten verwundert ist die Symbiose, die das Analoge mit den digitalen Sounds eingeht. Es scheint, als ob die herkömmlichen Instrumente bei den Grundfesten gepackt werden und über den neuen Einflüssen zu etwas Organischerem werden. Zum Klang – der nicht mehr im Einzelnen aufgegliedert werden kann, sondern der die Songs zu einer homogenen Masse verschmelzen lässt. Ein Fakt der nicht nur einen Zusammenhang zwischen den Songs schafft, sondern auch zu mehr Intensität führt.

Am Deutlichsten ist diese Klangerzeugung bei Stone Cold Seconds und Ambient Take No. 1 zu bemerken, die sich gekonnt in das Konzept Drone-Pop und Post-Rock eingliedern und gleichzeitig neue Möglichkeiten für Band und Hörer eröffnen. Vom Ablauf her ähnlich gebastelt, wartet man gespannt auf die nächste Änderung – das nächste Fragment, das aufgelöst oder bereichert wird durch Harmonie, Verzerrung oder dem Chorus –, der die Qualität noch um ein Vielfaches verstärkt. Eine wichtige Rolle spielt hierbei der Mann an den Laptops: Henry Ok, der sich bei diesen Songs mehr als nur eingliedert. Seine fast schon impressionistischen Klangteppiche ergießen sich förmlich über den Hörer. Führt man diesen Gedanken weiter, so heben sie Fonoda über etwas, dass nicht jede Band schafft, und zwar die üblichen Klassifizierungsversuche auszuweichen. Was bleibt ist da nur der Versuch einer Assoziationsmontage – eben dieser hier.

That’s just fucking with your heads,
our pass is still one step ahead.
Still looking for any direction!
foto: fonoda



fonoda
"eventually"
büro / city center office 2007 cd
fonoda

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Werle & Stankowski [Listen To]

Der Reiz des Unbekannten.
„Gleich und Gleich gesellt sich gern“, scheint oftmals Motto und Antrieb für neu entstehende Bands zu sein. Da sind vier oder fünf junge, musikverrückte Jungs oder Mädchen, die seid jeher die gleichen Platten in ihrem Schrank stehen haben und die selben Lieblingssongs ihr Eigen nennen dürfen.


"i'm just travelling in my bed at nigth."
(holiday)


So klingt doch die Idealversion für die Anfänge erfolgversprechender Musikpraxis. Man schnappt sich Gitarren und erfindet Musik, die ähnlich klingt wie die, die man liebt und schätzt. So weit, so einseitig.

Denn dass es auch ganz anders verlaufen kann, zeigen zwei Männer, die im Grunde aus völlig verschiedenen musikalischen Himmelsrichtung zueinander stoßen, die Herausforderung annehmen und sämtliche Genre- Fanatiker überraschen: Das sind Werle & Stankowski; Singer/Songwriter und Elektro- Pluckerer im Duett, kaum vorstellbar, aber ebenso real wie harmonisch.

Sehr junge Musiker neigen oftmals dazu sich eigentlich geschmackfremde Musikstile anzueignen um sich zu profilieren und auf sich aufmerksam zu machen. Entwachsen aus dieser Phase treffen sich Werle und Stankowski mit ihrer Vorgeschichte als Rezipienten und Akteure verschiedener Stile nicht in irgendeiner musikalischen Mitte - was natürlich zum einbüßen von Charakteristika führen würde - sondern loten die eigenen Vorlieben aufs Ganze aus. Dies geschieht jedoch in einer sehr klugen und geschickten Art und Weise, Elektro und Akustik-Gitarre mit dem Holzhammer zusammenzustapfen würde auch nicht so wohlklingend funktionieren wie hier. Werle und Stankowski verstehen aus ihrem Gegenüber die Bereicherung der eigenen favorisierten Stile und Sounds, und genau diese Vorstellung erreicht den Hörer 1:1, diese beiden mögen sich, und respektieren den anderen in seiner Machart.

Für viele mag das Experiment gewagt klingen, für andere gewollt innovativ. Zu gerne erleichtert man sich Hör- und Denkaufgabe und teilt sorgfältig in Genres ein, und sobald ein besondern akustik-fanatischer Indie-Nerd einen elektronischen Klang vernimmt verlässt er gerne den Raum und setzt seinen vernichtenden Stempel auf das Produkt. Da wird viel zu selten näher hingeschaut und gelauscht, denken sich die Kölner und geben ihrem zweiten Album den schlichten Titel: "Listen To Werle & Stankowski".

Und was sich hier findet ist tatsächlich mehr als nur hörenswert, die spendablen zwölf Tracks der Scheibe leben von dem Gegensatz ebenso wie von gemeinsamen Errungenschaften. Ganz sicher war es für den einen wie den anderen nicht leicht gewissermaßen sein Baby in die Hände des anderen zu legen um diesen Stilmix zu kreieren, jedoch klingt alles nach Gewinn, die wunderschöne und außergewöhnlich vielfältige Stimme von Johannes Stankowski (mit überdies weitfassenden Tonumfang), seine Gitarren- Arrangements zwischen Indie, Country und Folk und nicht zuletzt Simon Werles feines Näschen in Sachen elektronische Sounds, die sich mal unterordnen und kaum merklich mitschwingen oder sich zu derben Beats emporheben. Die Klänge dienen nicht lediglich der Begleitung, quasi als Bandersatz, sondern sind selber Gegenstand, denen Platz und Berechtigung eingeräumt wird. Und diesen wahrlich einzigartigen Zustand verdankt das Duo ihrem eigenen Format: keiner der beiden Stile steht im Vordergrund bzw. ist nur Diener des anderen.

Beide sind jung gebliebene Erwachsene, die sich mit Lebensfreude ins Musikmachen gestürzt haben und von kleinen und großen Momenten erzählen, die aus eigener Lebenserfahrung entspringen und sentimental, ehrlich und nachdenklich klingen; so wie Texter Johannes Stankowski eben fühlt. Sie berichten von aufdringlichen Menschen (Lady Grey), die einem ihr ganzes Leben erzählen wollen, von Fehlern, einsamen Herzen (After All), Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben (In This World), von Ferien und ein bisschen von Liebe (Beautiful Heart). All das geschieht nicht plump und fantasielos, Werle & Stankowski fallen nicht mit der Tür ins Haus, sondern schaffen zunächst immer die neue Atmosphäre für die jeweilige Thematik. Der Hörer wird wie auf Händen durch das Album getragen, alles ist stimmig, aber nicht reibungslos und glatt. Immer wieder hört man auf, wundert sich über den ein oder anderen Einfall, Harmoniewechsel oder eine englischsprachige Metapher. Und ganz am Ende freut man sich über den Abschluss-Knüller Sound Of My Guitar, der die angesammelte Schwere des Albums aufhebt und uns beschwingt und zufrieden entlässt.

Werle & Stankowski ist man bereit alles zu glauben, so sympathisch und offen und grundehrlich präsentieren sich die beiden Künstler mit Profil in ihrem Tonmaterial, das Medium Cd scheint sich zu verflüchtigen, am Ende bin ich fast sicher das Werle & Stankowski auf dem Balkon über mir stehen für ein kleines Privatkonzert.
Und der Beifall wird gigantisch sein.
foto: werle&stankowski



werle & stankowski
"listen to"
haute areal 2007 cd
werle & stankowski

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