Broken Social Scene [Broken Social Scene]

Drowned in sounds.
Mit jedem Durchlauf des neuen Albums des vermeintlich dysfunktionalen kanadischen Band Kollektives nährt man sich ein wenig diesem wunderbaren Schwebezustand, den die Broken Social Scene mit ihrem Wall of Sound Wunderwerk heraufbeschwört.


"if you always get up late, you never gonna be on time."
(swimmers)

"Here’s a theory for you to disregard completely. Music, True music, not just Rock 'n' Roll. It chooses you." So weiß der große Rock Kritiker und Berufszyniker Lester Bangs alles zu erklären. Jedenfalls wenn man Cameron Crowe glauben schenken möchte, der ihn diese Worte in seinem Film "Almost Famous" sagen lässt. Aber es ist ein spannender Ansatz, eine Erklärung dafür, weshalb sich manche Menschen bemühen können, aber ihnen dennoch der Zugang zu den wirklich großen Stücken dieser Welt auf ewig verwehrt bleiben wird. (Um es mit Nick Hornby zu sagen: "Ich war schon ein Musiksnob, bevor ich mich damit auskannte".)

Our Faces Spilt The Coast In Half lautet der erste Titel des Albums und ist damit gleichwohl sperrig wie ehrlich. Sie werden die Hörerschaft mit diesem Album teilen. Der, ob der gleichgeschalteten, maroden Medienstruktur desillusionierte Hörer muss sich vielleicht das ein oder andere Mal bemühen, muss dem Album vielleicht einen zweiten, dritten, fünften oder achten Durchgang gewähren, muss sich vielleicht darauf einlassen, sich das Album zu erarbeiten. Und dann beginnt man die Platte ganz unprätentiös zu lieben. Für alle anderen wird sich die Frage wohl nie erklären, was sie hier mit der Broken Social Scene verpasst haben.

"Windsurfing Nation" sollte sie bis kurz vor Veröffentlichung noch heißen. Ein Name der unweigerlich an die stilprägende Sonic Youth Veröffentlichung "Daydream Nation" von 1988 erinnert, mit der man sich jedoch nicht anmaßen möchte verglichen zu werden. Stattdessen ruht man in sich selbst, verleiht dem dritten Album den eigenen Namen und setzt damit zugleich ein Statement.

Das große Name Dropping, was der Supergroup aus Mitgliedern von Do Make Say Think, den Stars, Feist, Apostle Of Hustle, den Weakerthans oder den Dears unschwer möglich wäre, steht im Hintergrund, ist nicht von tatsächlicher Bedeutung. Wenngleich die involvierten Musiker auch verlorene Vokabeln sein könnten, Koordinaten, mit deren Hilfe man die Musik greifbar machen möchte. Auch auf diesem Album erscheint es, wie schon auf dem schier alles ausschöpfenden Vorgänger "You Forget It In People", als hielte man ein wunderschönes Mixtape in den Händen, so wenig homogen erschienen damals zunächst die Stücke. Dennoch ist dieser überbordende, verschwenderische Umgang mit Stilen und Attitüden, vom knisternden LoFi, über symphonische Klangcollagen, von fragilen Popperlen bis zu instrumentalen Postrock Arrangements, allesamt in leuchtenden Klangfarben gemalt, ist die Vielheit der eigentliche rote Faden im Werk der Band. Dieser Zusammenhalt in der Vielheit, diese Momente, in denen alles so erscheint, als würde es gleich auseinander brechen, als hielt ein Kind so viele Glasmurmeln in den Händen wie es zu tragen vermag, sich dann aber doch beugt, um diese eine weitere bunte Kugel aufzunehmen und so unschuldig kindlich alles aufs Spiel setzt; in diesen Momenten ist die Band am stärksten, hadert sie an der Perfektion ohne zu scheitern. Immer wieder wähnt man sich in dem Gefühl zum Mark eines Songs vorgedrungen zu sein, ihn festhalten zu können, nur um kurz darauf wieder verwundert einen Schritt zurück zu machen, und sich ein weiteres Mal überraschen zu lassen.

Die Fäden für diesen sperrigen Meilenstein hielt Produzent David Newfeld in den Händen, obgleich er die Band ein ums andere Mal zum straucheln brachte, erklärt Kevin Drew. Wie ein penibeler Phil Spector arbeitete dieser versessen an den Spuren, bis am Ende diese opulente Großtat zum Vorschein kam. Man habe wenig gemeinsam an den Stücken gearbeitet, viel mehr sei es so gewesen, dass einzelne Mitglieder immer wieder ins Studio kamen, um an ihren eigenen Spuren, ihren Bestandteilen des Panoptikums zu arbeiten. Aus dieser ausschweifenden Fülle an individuellem Teilzeitenthusiasmus entstand jedoch keine vielköpfige Hydra, verdarben viele Köche nicht den Brei, sondern ergänzten sich die Klanggebilde zunehmend zu eben jener kollektiven Vielheit. Wie die Mitspieler eines Exquisite Corpse, dem spielerischen Geschichtenschreiben der intellektuellen Surrealisten, bei welchem jeder die Geschichte des Vorgängers durch seine eigenen Gedanken ergänzt und weiterführt ohne das Gesamtwerk vor Augen zu haben, entfalteten sich die üppigen Kompositionen. Immer wieder kann man beim Hören diese kleinen Spannungen nachempfinden, diese Augenblicke, wenn sich das Stück nicht recht zu entscheiden weiß, in welche Richtung es sich entfalten will. Und immer wieder entdeckt man neue Details die so hingebungsvoll, so ergiebig sind, dass sie immer aufs Neue zu begeistern, zu verwunden wissen. Wenn sich Leslie Feist’s Stimme etwa den Weg durch Gitarrenwände bahnt, wenn sich die Bläsersektion über einem brodelnden Gewitter von burlesken Klangeskapaden erhebt oder wenn einer Geige im Hintergrund fast unbemerkt vereinzelte Töne entlockt werden. Versunken in Klang. Ein leises Knacken im Hintergrund, eine scheppernde Snare Drum, Geräusche, die sich bei der Aufnahme ergaben und die andere Bands peinlichst genau zu retuschieren versuchen, werden hier zu Charaktermerkmalen, zu Wesenszügen der einzelnen Stücke. Souverän bewegen sich Broken Social Scene zwischen exzentrischen Mini Epen und diffusen Soundfragmenten von weniger als einer Minute Dauer. Wie Finish Your Collapse And Stay For Breakfast - wieder einer dieser wunderschön skurrilen Titel – das sich wie sonniges Morgenlicht im Schlafzimmer entfaltet nur um Sekunden später wieder zu verschwinden. Broken Social Scene begnügen sich nicht einfach damit Musik zu machen, sie wollen wahre Musik machen. Musik, die gewaltige Landschaftsbilder vor deinem geistigen Auge abbilden will, die in deinem Auto, in deinen Kopfhörern oder in dir lebt, wenn du allein bist. Sie wollen Musik machen die dich erwählt. Das ist Alles, nur nicht Easy Listening
foto: debra friedman


broken social scene
"broken social scene"
arts&crafts / city slang 2005 cd / lp
broken social scene

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Jörg Buttgereit [Gabba Gabba Hey. Kassel, 25.10.2005]

One, two, three, four.
Das in Berlin gefeierte Punk Trash Musical um die Musik der Ramones tourt durch das Land. Doch lassen sich straßenkredibile Punk Attitüde und theatralische Musical Arrangements verbinden?


"komm her und ich zeig dir, was die speisekarte des lebens noch zu bieten hat."
(der blinde)


Auch wenn es Einige überraschen wird, andere hingegen in ihrem Verdacht bestätigen und Hartgesottene wenig beeindruckt, aber: Punk ist tot. Das hat nichts mit Geruch zu tun, das ist so. Und daran wird auch das in Australien produzierte Punk Rock Musical Gabba Gabba Hey nichts ändern, sondern vielleicht eher noch einen weiteren Nagel in den modrigen Sarg rammen. Die Geschichte selbst ist wenig tiefsinnig, speist sich aus verschiedenen Stücken der New Yorker Legende Ramones, und soll dies auch gar nicht sein; schließlich geht es hier um eine Visualisierung der Musik, mehr um Groove als um Theatralik, mehr um ein "Anti-Musical" (Pressezettel) als um Broadway Pathos. Doug (Jürg Plüss) und Sheena (Katja Götz) sind ein Paar, jedoch will sich Sheena von ihm trennen, nachdem er von der Schule suspendiert wurde und immer empfänglicher für Rauschmittel wird. So betrügt sie ihn kurzerhand mit einem snobistischen Football Hünen (amüsant gespielt von Tim Eberts). Doug streift durch die Lower East Side von New York um im Laufe der Inszenierung – und mit Unterstützung eines schillernden, und mit schwarzen Flügeln engelsgleichen Johnny Thunders, dem Ex New York Dolls Gitarristen – seine Katharsis zu finden und am Ende zu Sheena zurückzukehren.

Der deutsche Trash und Slasher Regisseur Jörg Buttgereit zeigt sich für die deutsche Inszenierung des in Australien uraufgeführten Musicals verantwortlich und sorgt mit einer spärlichen Kulisse und einer Videoleinwand mit urbanen New Yorker Impressionen für spröde Atmosphäre. Subterranean Jungle. Dem Thema angemessen ist das Musiktheater nicht bestuhlt. Man befindet sich vielmehr unter einer Menge von Konzertbesuchern, raucht und trinkt und unterhält sich. Die Darbietung selbst weiß natürlich stilgerecht mit expliziter Sprache und bildlicher Umsetzung den geneigten Musical Freund zu entsetzen. (Was nicht schwer sein dürfte.) Zwar sind die Baseballschläger mit denen ein paar Rechtsradikale auf Doug einschlagen nur aufgeblasen, und der Penis, den Doug in der Gosse gelandet oral befriedigt aus Gummi, dennoch ist Buttgereit mit seiner Version von Gabba Gabba Hey eine Aufführung gelungen, die tatsächlich wenig mit Musicals zu tun hat.

Die Relevanz einer solchen Inszenierung ist natürlich fraglich und die angestrebte Zielgruppe, wenn auch im Info für die Sponsoren "Erwachsene, 18 bis 50 Jahre, 'Young Rebels', musik- interessiert, lifestyle-orientiert, werberelevant" steht, schlecht auszumachen. Kann eine Darbietung dieser Art über ihren eigenen Schatten des beliebigen Zelebrierens einer Musik hinausgehen? Das Gefühl und die gesellschaftliche Bedeutung einer Subkultur für eine neue Generation zu übersetzen, für die Punk oft nicht mehr als ein schickes Branding einer globalen Bekleidungsmarke oder Löcher in der Designerjeans darstellt; zu zeigen, dass Punk weit mehr war als Bier verschütten und sich beim tanzen rumschuppsen. Bei den meisten Schauspielern erinnert dies jedoch mehr an eine choreographisch inszenierte Reminiszenz an eine vergangene Ära. Da wird hysterisch herumgehüpft, headgebanged und Faust erhoben wo es nur gerade passt; was es jedoch nicht immer getan hat.

Katja Götz welche die weibliche Hauptrolle der Sheena besetzt, gelingt dieser Sprung jedoch überraschend gut. Nicht so aufgezwungen wie die schrille Stefanie Heller (Judy), die bisweilen wie eine gecastete und überambitioniert agierende Popstars Punk Version wirkte (Was auch an der involvierten No Angels Choreografin Regina Weber liegen mag), konnte sie mit ihrer zwar ausgelassenen, jedoch weniger karikierend übertriebenen Darstellung der Sheena glänzen. Götz's Schauspiel wirkte nicht aufgesetzt sondern vielmehr wie eine heutige Interpretation der Jugendkultur der späten siebziger Jahre; irgendwo zwischen einer juvenilen Mia Wallace und einer schnoddrigen Sarah Kuttner. Auch das kann heute irgendwie Punk sein und wirkte durchaus authentischer als so manch aufgesetzter Ramones Fan im Publikum.

Alles in allem überzeugte jedoch Schauspieler Rolf Zacher; ganz gleich ob als spießiger Schuldirektor, schmieriger Nachtclubbesitzer oder dem drogenabhängigen Wrack eines Stiefvaters. Vor allem mit letzterer Rolle charakterisierte er nicht nur farblos eine Figur, sondern transportierte eben diese in unsere Gegenwart; mit abgewetzter NVA Trainingshose und fettiger Frisur nuschelt und spuckt einem Zacher seine Wortfetzen in Gesicht. "Couldn't shut up you're an imbecile / you're an ugly dog there's / nothing to gain / you couldn't shut up got a bad bad brain / mama's boy", beschämte er nicht nur in der Rolle des Alkoholiker Vaters seinen Sohn, sondern geiferte mit obszöner Gestik auch zynisch über die gegenwärtige Jugendkultur. Mit seinem Spiel ist er dicht an Joey Ramones Wörter verschlingendem Slang herangetreten. "Sex, Drugs und Rock 'n' Roll, die heiligen drei Könige der Lower East Side", sinnierte er hingegen später als nachdenklicher Obdachloser, ohne dabei seinen enragierten Habitus einzubüssen. "Haltet die Schnauze", fährt er so auch bissig impulsiv eine Gruppe von lärmenden Zuschauern an und ist somit mehr Punk als alle Beteiligten der Inszenierung zusammen.

Leider lies zumindest an diesem Abend der Ton des öfteren zu wünschen übrig, und vielleicht wirkten auch aus diesem Grund die Backingband Forgotten Idols zunächst wie eine wenig inspirierte Tanzband bei einem ihrer zahllosen Jobs. Dennoch konnten sie als Live Begleitung der Geschichte die von Tommy Ramone geleitete musikalische Gestaltung wacker umsetzen. Überhaupt ist die große Punk Legende Tommy Ramone jedoch eine eher fadenscheinige Prominenz hinter dem Ensemble. Zwar ist er das einzige noch lebende Mitglied der Urbesetzung, doch schied der Schlagzeuger bereits 1977, nur drei Jahre nach Bandgründung wieder aus. Und die übrigen Ramones erklärten sogar, dass Tommy für die Band selbst von keiner Bedeutung war. Vor diesem Hintergrund wirkt auch seine, ob der Popularität des Musicals in Australien gemachte Aussage über seine ehemaligen Bandkollegen etwas fraglich: "Joey würde es lieben, Dee Dee fände es amüsant, und Johnny hätte gesagt: Wenn es mir Geld bringt - klasse!"
Adios Amigos, lang lebe Punk. Oder so ähnlich.
foto: shuntrock promotion



jörg buttgereit
"gabba gabba hey"
musiktheater
gabba gabba hey

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Hansen Band [Keine Lieder Über Liebe]

"Und erst recht nicht dieses hier".
Die Hamburger Band Hansen, eigentlich dem Film Keine Lieder Über Liebe des Regisseurs Lars Kraume entsprungen, bewegt sich zwischen gekünstelt real und authentisch gespielt.



"na klar hab ich angst. die können mich trotzdem am arsch lecken!"
(markus hansen)


Die "Rocklopedia Fakebandica" von T. Mike Childs beschäftigt sich biographisch mit denjenigen populären Bands, welche nur in dem Paralleluniversum des Films existieren. Dazu gehören natürlich Spinal Tap genauso wie Fuck You Yankee Blue Jeans aus Kevin Smith’s "Clerks" oder Barry Jive and the Uptown Five aus "High Fidelity". Was die Hansen Band anbelangt, so sind diese ein hochspezieller Fall, der sich zwischen unserer Wirklichkeit und eben jener Scheinwelt bewegen. Keiner der vielen Konzertbesucher der inszenierten Clubtour der Band aus dem Hamburger Grand Hotel Van Cleef kann deren Wahrhaftigkeit bestreiten. Dennoch leben sie auch in und durch den pseudodokumentarischen Film "Keine Lieder Über Liebe" von Lars Kraume. Wenn dort Sänger Markus Hansen sagt, dass sich das letzte Album der Band nicht sonderlich gut verkauft habe und sie auf der anstehenden Tour einfach nur eine gute Zeit haben wollen, dann klingt das selbstverständlich authentisch, bis auf den Aspekt, dass das vorliegende Album der Hansen Band in unserer Welt tatsächlich deren Debüt Album ist. Und es fraglich sein dürfte, ob diesem noch ein weiteres Folgen wird. Nicht, weil es sich wie das fiktive Vorgänger Album schlecht verkauft, sondern vielmehr, weil es fraglich ist, ob die einzige fiktive Person der Band, eben jener namengebende Markus Hansen, in unserer Welt als Schauspieler Jürgen Vogel tätig, tatsächlich Zeit für eine weitere Aufnahme mit der Band haben wird. Das alles nur zur einleitenden, allgemeinen Verwirrung.

Selbstverständlich ist jedem, der sich mit dem auseinandersetzt, was weitläufig als deutschsprachiger Indie Rock subsumiert wird klar, dass sich hinter dem Namen Hansen keine Geringeren als Tomte’s Thees Uhlmann, Kettcar’s Marcus Wiebusch, Olli Schulzes Hund Max Martin Schröder und Home Of The Lame Singer/Songwriter Felix Gebhard verbergen. Und eben Jürgen Vogel, aka Markus Hansen als Sänger. Somit sind Hansen ein wenig wie die Blues Brothers, eine aus einem Film herausgewachsene Band, die es mit der echten Welt aufzunehmen weiß.

Hansen erscheinen zwar wie ein Allstar Projekt des Hotel Labels, schließlich sind die drei Köpfe des Hauses, Uhlmann, Wiebusch und Reimer Burstorf – letzterer nicht leibhaftig, aber als Liedschreiber anwesend – involviert. Da sich im allgemeinen jedoch die Stimme als überblendendes Charakteristikum durchsetzt, klingen sie auch ein wenig nach einer tomtekettcaraffinen Coverband, einer jener Bands, die es sich auf dem Trittbrett einer populären musikalischen Ausrichtung bequem gemacht haben, um hier und da Aufmerksamkeit und Verträge einfahren zu wollen. Dies dürfte unzweifelhaft daran liegen, dass die Stücke von Thees Uhlmann nun einmal eindeutig nach Tomte klingen, selbst wenn der notorisch mürrisch daherkommende Uhlmann nicht persönlich am Mikrofon steht; Jürgen Vogel hat eindeutig von ihm gelernt, denn diese melancholisch gequälte Stimme intoniert auch dieser in Frankreich einwandfrei. hansen Und Marcus Wiebusch, der als Songschreiber schon Parallelen zwischen seiner alten Band …but Alive und der Jetzigen kaum von der Hand weisen kann, erfindet sich für Hansen ebenfalls nicht neu. Das wäre auch schwer vorzustellen, schließlich fischt man mit der Band in den gleichen Gewässern wie eben erwähnte. (Mit Strand hat man sogar ein Stück im Programm, welches nicht nur wie ein Alternate Take des alten Non-Album Tracks Hippie von Kettcar klingt, sondern tatsächlich bis auf ein paar Detail Veränderungen am Text und einem überarbeiteten musikalischen Arrangement Kettcar ist.) So erinnern Zeilen wie "Und niemand ist gerne alleine / Wenn ein Krieg ausbricht / Und niemand ist gerne zu dritt / wenn eine Träne fließt" (Frankreich) nicht von ungefähr an den kantigen Seelenschmerz von Tomte Songs, oder "Und was man verdient / Ist nicht was man bekommt / Willkommen an der Front" (18. Stock) an die optimistische Midlifecrisis Theatralik von Kettcar Stücken. Lediglich die von Max Martin Schröder geschriebenen Beiträge klingen ein wenig neu, ein wenig nach dem Stil, den man Hansen vielleicht zuschreiben möchte, würden sie denn tatsächlich existieren. Dies liegt aber vermutlich eher daran, dass Schröder mehr als Backgroundmusiker hinter seinem Bandkollegen Olli Schulz steht, und sein persönlicher musikalischer Output weniger geläufig ist.

Das Songwriting ist natürlich nicht alles, und so sticht Jürgen Vogel als Besonderheit ins Auge. Nur vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte der Band, des Films, seiner selbst als Figur des Markus Hansen, kann Vogel tatsächlich überzeugen. Kann damit überraschen, dass man es ihm nicht zugetraut hätte. Dass man die vielen singenden Schauspieler und Schauspielerinnen kaum ernst nehmen möchte, ob der vielen gescheiterten Versuche, auch wenn sich darunter immer wieder unerwartete Überraschungen wie zuletzt Julia Hummer verbergen. Fühlt mit, wenn er hinter der Bühne Salz in Wunden gestreut bekommt und dann doch raus muss. Freut sich über den Enthusiasmus der so authentisch rüberkommt und der Angst die sich lampenfiebrig in seinen Augen spiegelt. Lässt man all dies jedoch beiseite ist Vogel ein mittelmäßiger Sänger, der kaum wirklich zu überzeugen weiß. Das ist aber genau der Aspekt, den es zu betrachten gilt. Während man im Film mit großen Augen die Akteure auf den Clubbühnen unseres Landes verfolgt, verlieren sich diese visuellen Bestandteile des Konzeptes Hansen auf Platte gepresst. Kein zwischenmenschliches Drama hinter der Bühne nachdem Markus Hansen mit Tränen in den Augen trotzig auf die Bühne kommt, ganz der Profi, ein pflichtbewusstes "Ich muss da jetzt raus" auf den Lippen.

Was hier also mit dem Album "Keine Lieder Über Liebe" vorliegt ist mehr eine Zusammenfassung, eine originell arrangierte Best Of Kompilation des Grand Hotel Van Cleefs, als eine eigenständige, innovative Neuerrungenschaft. Und über die Existenzberechtigung von Best Of Platten außerhalb ökonomischer Perspektiven darf man getrost streiten. Dann lieber die Tour besuchen oder gleich auf das neue Tomte Album warten, welches im Frühjahr erscheinen wird.
foto: felix gerhard


hansen band
"keine lieder über liebe"
grand hotel van cleef 2005 cd
hansen band

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Kay Pollak [Wie Im Himmel]

Als bei der Premiere seines letzten Filmes „Love Me“ der schwedische Premierminister auf schockierende Weise ermordet wurde, entschied sich Regisseur Kai Pollak, vorerst keine Filme mehr zu machen. Fast zwanzig Jahre später meldet er sich mit großem Erfolg zurück: „Wie im Himmel“ sahen allein in seinem Herkunftsland Schweden über 2 Millionen Menschen.


ich bin gekommen, um zuzuhören.
(daniel dareus)


Eigentlich wollte Daniel Dareus (Michael Nyqvist) nur eines: Seine Ruhe. Nach einem Herzinfarkt kann der berühmte Dirigent seinen Beruf nicht weiter ausüben und zieht sich in sein schwedisches Heimatdorf zurück, wo er einst eine schwierige Kindheit verbrachte und nun zur Ruhe kommen will. Diese Pläne durchkreuzt jedoch der kleine, aber vor liebenswerten Charakteren strotzende Kirchenchor. Daniel nimmt die Stelle des Kantors an und beginnt, den Chor auf Vordermann zu bringen. Doch während er anfangs nur mit dem Misstrauen der Sänger und der Unruhe während der Proben zu kämpfen hat, wird schnell klar, dass hier jeder seine ganz speziellen Probleme hat.

Da wäre zum Beispiel die zweifache Mutter und begabte Sängerin Gabriella (Helen Sjöholm), die von ihrem trinkenden Mann geschlagen wird. Oder der Pastor Stig, dessen religiöse Ansichten sich allzu sehr von denen seiner Frau Inger unterscheiden, was zu einer schweren Krise führt. Und natürlich die hübsche Lena (Frida Hallgren), die hinter ihrem herzlichen Wesen eine tiefe Traurigkeit verbirgt und so ganz besonders mit Daniel verbunden ist. Die Leistungen des Chors entwickeln sich durch Daniels Wirken und mit ihnen die Gemeinschaft der Menschen, sodass es letztendlich weniger um die Musik als um Toleranz, Miteinander und große Gefühle geht. Diese weckt der Film ohne Zweifel auch beim Zuschauer.

Ein wichtiger Grund dafür ist sicher, dass es sich bei "Wie im Himmel" um einen typisch skandinavischen Film handelt: Er ist grundehrlich und so besonders realitätsnah. Die Protagonisten sind wie die Menschen, denen man auch im wahren Leben begegnet, ungeschminkt, in ganz normalen Klamotten, mit Fehlern und verrückten Macken. Obschon die einzelnen Rollen unterschiedlicher nicht sein könnten, kann der Zuschauer sich doch mit jeder irgendwann identifizieren. Dies ist an erster Stelle sicher den wunderbaren Schauspielern zu verdanken, welche oftmals gar keine großen Erfahrungen und Projekte vorweisen können und vielleicht gerade deshalb so Großartiges leisten. Doch auch die fünf Drehbuchautoren mögen daran teilhaben. Sie geben dem Ganzen durch die dörfliche Ruhe und landschaftliche Weitläufigkeit, in der sich alles abspielt, außerdem einen gemütlichen Schwung.

Man möchte rein in dieses Dorf, wo sich jeder duzt und alle Türen offen stehen, rein in den Chor, der wild tanzt und spielt und sich findet im eigenen Ton, laut und impulsiv und von ganz tief innen drin. Dieser Chor, der sich in seinen Dirigenten verliebt, während der auch noch mit sich selbst fertig werden muss, um endlich sein Herz verschenken zu können. Während er Radfahren lernt. Während er andere rettet und umwirft und alles verändert.

Und trotz der vielen Facetten von "Wie im Himmel", trotz der vielen Geschichten, die er erzählt, trotz der zahlreichen Lehren und Weisheiten, die er enthält, wirkt er doch niemals überladen, sondern vielmehr reich. Regisseur Kay Pollak schenkt dem Publikum ein kleines Meisterwerk voller natürlicher Dialoge und wunderbar beobachteten Charakterzügen. Dafür heimste er zurecht eine Oscar-Nominierung für den besten ausländischen Film ein.
foto: paramount


kay pollak
"wie im himmel"
(så som i himmelen)
2005

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