The Marble Man [Sugar Rails]

Mit nicht einmal zwanzig Jahren spielt The Marble Man aus Traunstein ein Album ein, dass ihn zu einem der größten Hoffnungsträger der deutschen Singer/Songwriter-Szene macht. Die Süddeutsche Zeitung nennt ihn gar „den bayrischen Conor Oberst“.


"and after all it's just a slowly dying star / if anything, it's the escape from what we are."
(slowly dying star)


The boy with his hat has left the ring to sit and think [...] there’s no-one cause they all went out [...] he’s just a stupid, young naive kid”. So singt es Josef Wirnshofer alias The Marble Man in seinem eingängigen Lied The Boy With His Hat. Und ja, womöglich singt er da ein bisschen über sich selbst. Gilt er doch allgemein als eher schüchtern, zurückhaltend und eindeutig als jemand, der sich gern mal zurückzieht, um sein eigenes Ding zu machen. „Stupid“ kann er jedoch auf keinen Fall sein – sonst wäre bei diesen Rückzügen niemals ein so schönes Album entstanden wie das gerade veröffentlichte "Sugar Rails“.

Vielleicht fand er einfach niemanden, der die musikalische Wellenlänge mit ihm teilte, oder er ist ein Perfektionist, der am liebsten alles selbst macht – so oder so entschloss sich The Marble Man, sämtliche Instrumente für seine erste Demo-CD selbst einzuspielen. Die zu bedienen hat er sich auch noch im Alleingang beigebracht, ebenso wie das Komponieren und das Aufnehmen am Computer. Letzterer steht zwischen Bass, Schlagzeug und mehreren Gitarren auf dem Dachboden seines Elternhauses. Hier und in einem alten Wohnwagen, der etwas außerhalb seines Heimatortes Erlstätt bei Traunstein steht und von einem guten Freund „bewohnbar gemacht“ wurde, findet Wirnshofer Inspiration zu neuen Songs. Das klappte scheinbar so gut, dass bald eine Demo-CD mit neun Tracks fertig war.

Dieses Demo landete unter anderem in der Zündfunk-Redaktion des Bayerischen Rundfunks und begeisterte dort die Jury. Sie lädt den Oberstufenschüler ein, im Dezember 2006 auf dem Bavarian Open Festival zu spielen, zwischen Top Acts wie Cat Power und The Thermals. Da hat er noch nicht mal eine Handvoll Auftritten hinter sich - trotzdem (oder gerade deswegen?) bezaubert er das Publikum. Kurz darauf – mitten in den Abiturvorbereitungen – nimmt Josef für das kleine Label Schinderwies seine erste richtige Platte auf.

Den Titeln von seiner Demo-CD werden noch drei weitere hinzugefügt, sodass nun zwölf herrliche Songs Platz finden auf "Sugar Rails", und die handeln nicht von jugendlicher Liebe oder kindlichen Problemen, sondern von Selbstzweifeln und Selbstfindung, sodass man manches Mal glaubt, der Sänger sei nicht erst zwanzig, sondern womöglich doppelt so alt. Die schwerwiegenden Themen verpackt The Marble Man in wunderbar leichte Gitarrenklänge und bindet mit feinem Gespür für den richtigen Moment, die richtige Stimmung, eine Schleife aus Orgel- und Akkordeonklängen drum herum. Und wie sonst auch gilt hier: Die selbst gebastelten Geschenke sind doch oft die schönsten! Denn den Homerecording-Charakter wollten auch die Produzenten auf keinen Fall verlieren. Schön, dass man sich so beim Hören den Dachboden, auf dem das alles entstanden ist, nahezu bildlich vorstellen kann. Da verzeiht man auch kleine Ausfälle, wie zum Beispiel Stand Or Fall, das man am Ende einen Ticken leiser drehen muss, weil der Höhepunkt des Songs so laut geworden ist. Dieser Schreck ist schnell vergessen, wenn schon wenige Sekunden später die wunderbare Ballade Slowly Dying Star ertönt.

Die hat The Marble Man (der seinen Namen übrigens von einem Nico-Album abgeleitet hat) auch 2006 gespielt, bei den Bavarian Open. Auf der Website des Festivals findet sich eine Videoaufnahme davon. Zu sehen ist der blutjunge Musiker, wie er ganz allein auf der dunklen Bühne sitzt und mit leicht zitternder Stimme diesen so tief verzweifelten Song singt. Wie er plötzlich, ob vor lauter Endorphinen oder Unsicherheit oder wovor auch immer, ein Kichern nicht zurückhalten kann, mitten im Text, und anschließend die Augen schließt für den ganzen Rest. Zu sehen ist die Zukunft des Songwritertums, voller Poesie und voller gitarrenlastiger, aber trotzdem unterscheidbarer Melodien. Zu sehen ist, ziemlich sicher, der kleine Anfang von etwas ganz Großem.
foto: themarbleman.de



the marble man
"sugar rails"
schinderwies productions 2007 cd
the marble man

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Wiebke Hövelmeyer, Mathias Ahrberg [Fairliebt]

Vom Suchen und Finden der Liebe.





"ich wäre gern dov charney, minus patriotismus."
(mathias ahrberg)


Als er gerade ins politisierungsfähige Alter kam, erreichte die globalisierungskritische Bewegung ihren medialen Höhepunkt. Die Nachrichten waren voll mit Bildern vom Schwarzen Block, von Randalierern und anderen kreativen Arten des Protests. Diese Dinge waren und sind es, die ihn beeindruckt und somit dazu bewogen haben, mit seiner guten Freundin Wiebke Hövelmeyer die Welt zu retten. Ein bisschen jedenfalls. Die Rede ist von Mathias Ahrberg, der geduldig Rede und Antwort stand, darüber hinaus leidenschaftlicher Kaffeetrinker ist und eine Schwäche für Wortspiele hat.

"Es geht darum, etwas zu machen", sagt er und tut es sogleich, indem er gemeinsam mit Wiebke das Modelabel fairliebt gründet und laufend vergrößert. Von T-Shirts über Buttons bis hin zu Tragtaschen ist alles dabei. Und – besser noch – man weiß, was man da auf der Haut trägt: Fair gehandelte Ware nämlich.

Resolut machen der überzeugte Vegetarier und die beste Kuchenbäckerin der Welt sich dafür stark, dass jeder, der an der Herstellung ihrer Kleidung beteiligt ist, zu seinem gerechten Anteil kommt. Dabei sind ihnen verschiedene independente Kontrollinstitute behilflich, die die Ware zertifizieren.

"Natürlich kann man sich nie sicher sein, was man da kauft. Aber ich persönlich denke, man könne eher einer unabhängigen Institution vertrauen, als einem globalen Multi, der eine Seriositätskampagne startet", so Ahrberg.

Wie kommt man als junger Mensch dazu, seine Baggy Jeans zu hinterfragen und sich nach ebendieser fair gehandelten Ware umzusehen? "Die momentane Weltlage ist wie geschaffen, ein gewisses inhaltliches Vakuum zu füllen", findet Mathias und fügt hinzu: "Ich war recht überrascht, als ich versuchte, in Deutschland Kleidung zu finden, die dieser modernen Bewegung gerecht wird. Da gibt es nichts, was nicht nach Rettet-den-Regenwald-Agitations-Textilien aussieht". Der Zufall wollte es, dass er ein paar Jahre später in Hamburg auf Wiebke traf; gemeinsam machten sie sich kurz darauf an die konkrete Planung eines Labels mit Hintergrund.

Während Mathias sich vorwiegend um Geschäftliches kümmert, deckt Wiebke, die ein abgeschlossenes Studium als Modejournalistin vorzuweisen hat, den kreativen Part ab, indem sie designt, entwirft und modelliert. "Viele glauben, die herrschende Verwertungslogik wäre gottgegeben und es wäre der einzige Sinn und Zweck des Lebens, innerhalb diesen Systems Glück und Erfolg zu finden", kritisiert der VWL-Student und Musikliebhaber die der Take-Away Bewegung und Euphemismen unterworfene Gesellschaft.

Um nicht völlig unterzugehen in einer Generation, wo der Kapitalismus immer widerstandsloser akzeptiert wird, halten er und Wiebke an ihrem Projekt fest, investieren jeden Euro in neue Artikel und sorgen somit dafür, dass diese Welt ein kleines Stückchen besser wird.

Und jetzt? Unsere Herzen sind nach wie vor Plastiksäcke im Wind. Aber immerhin haben sie es jetzt schön warm. Und gut aussehen, das tun sie auch. Fazit: Wir sind verliebt in fairliebt.
foto: fairliebt



fairliebt
fühlt sich gut an

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Sonntag Nachmittag [Juni 2007]










fotos: manuel kaufmann

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Explosions In The Sky

Ein Gespräch nicht mit sondern über die vier Texaner von Explosions In The Sky.


"das talent, in instrumentaler form zu kommunizieren."
(jan erik waider)


"Wenn ich aus welchen Gründen auch immer, auf alle Alben bis auf eines verzichten müsste, wäre es die Scheibe 'The Earth Is Not A Cold Dead Place', die ich am Ende in den Händen halten würde - das Album ist einfach unbeschreiblich und hat mich schon durch so viele Lebenssituationen begleitet. Es gehört irgendwie mittlerweile einfach fest zu meinem Alltag." Da liegt Leidenschaft in der Stimme, wenn Jan Erik Waider über die vier Texaner spricht. Um etwas mehr über die Band und über deren Wirkung und Ausstrahlung zu erfahren, habe ich mich mit Jan Erik unterhalten, der nicht nur für ein gefragtes Forum zum Thema Postrock verantwortlich ist, sondern auch die einzige deutschsprachige Fanseite der Band betreibt.

Wie bist du das erste Mal auf Explosions In The Sky gestoßen? Kannst du dich daran erinnern, was du bei ihrer Musik empfunden hast?
"Ich kann mich leider nicht mehr genau erinnern... Allerdings weiß ich, dass es eine Weile gedauert hat, bis der Funken übergesprungen war – ähnlich wie bei Godspeed You! Black Emperor, die ich ungefähr zur gleichen Zeit entdeckte. Für mich war Postrock 'damals' ein weitgehend unbekanntes Terrain und anfangs habe ich mich auch nicht richtig auf die Musik eingelassen, sie als relativ anstrengend bzw. schwer zugänglich empfunden. Doch irgendwann hat es mich dann gepackt und ich habe mir direkt alle verfügbaren CDs bestellt – naja und diese Faszination hält bis heute an."

Was machen EITS für dich aus? Was ist das charakteristische an dieser Band, bzw. inwiefern grenzt du sie von anderen Bands aus dem Postrock bereich ab?
"Die Frage lässt sich für mich nur schwer beantworten, da ich generell von Post-Rock absolut besessen bin – man kann es nicht anders sagen. Und jede Band hat für mich ihren vollkommen eigenen Reiz und auch ihre eigene Sprache - von Mono über Mogwai und Godspeed bis eben zu Explosions In The Sky. Wenn ich auch ungern die Bands wertend übereinander stellen möchte, ist EITS dennoch auf Platz eins, da die Band irgendwie etwas besitzt, das ich noch bei keiner anderen Band so intensiv entdecken konnte. In erster Linie ist es wohl Ihr Talent, in instrumentaler Form zu kommunizieren. Daneben begeistert mich immer wieder aufs Neue die Intensität und Gewalt Ihrer Musik, die nur durch vier relativ schmächtige und unscheinbare Jungs erzeugt wird."

Die Band selbst ist noch relativ jung, sie lassen sich vergleichsweise viel Zeit für ihre Platten. Wie schätzt du ihre Entwicklung ein?
"Ich weiß von der Band, das Ihnen das Songwriting sehr schwer von den Händen geht und teilweise ziemlich frustrierende Phasen hat. Oftmals versuchen Sie es einfach „auf gut Glück“, in der Hoffnung dass am Ende etwas Hörenswertes dabei entsteht. Dafür finde ich es umso beeindruckender, dass in nunmehr sieben Jahren vier Alben, ein Mini-Album sowie ein Soundtrack zu einem Hollywood-Film entstanden sind und darüber hinaus andere Titel zu mehreren Independent-Filmen. Ganz nach dem Motto „Gut Ding will Weile haben“, sollte man den Jungs die Zeit lassen – bisher konnte jede Scheibe die sie am Ende aus dem Studio gebracht haben, absolut überzeugen."

Die Platten - auch das vielleicht ein Grund, weshalb man EITS gut in Vergleich mit Bands wie Godspeed, Do Make Say Think oder Mono setzen kann - tragen, ähnlich wie die einzelnen Stücke, eher kryptische Titel. Ich will es nicht als Slebstläufer abtun, dass Bands, die (fast) ausschließlich instrumentale Stücke schreiben vielleicht das Bedürfnis haben, sich durch Titel mitzuteilen. Wie schätzt du die Titel ein? In welcher Verbindung könnten sie zu den Werken stehen und was bedeuten sie letztendlich für dich?
"Einer der Hauptgründe, weshalb mich Explosions In The Sky – speziell das Album 'The Earth Is Not A Cold Dead Place' – so faszinieren, ist deren Talent, vollkommen ohne Worte 'Geschichten' zu erzählen. Das Beste Beispiel ist für mich das Stück First Breath After Coma, das vom Aufbau und dem Einsatz der Instrumente so strukturiert ist, dass die Assoziation zu einem Menschen, der aus einem Komaschlaf erwacht, für mich auch wirklich nachvollziehbar ist. Ein Mensch erwacht und realisiert erst allmählich was passiert ist und wo er sich befindet - sieht sich langsam um und wird sich seiner Umwelt bewusst, von der er gleichzeitig fasziniert wie verängstigt ist. Das habe ich bisher bei keiner anderen Band so intensiv erlebt wie bei EITS und beinahe jeden Track-Titel konnte ich mit dem musikalischen und meinen Emotionen, die ich während dem Hören hatte, in Verbindung bringen. Ich finde die Titel von EITS im Gegensatz zu beispielsweise Godspeed You! Black Emperor weniger kryptisch, sondern für mich persönlich in der Regel stimmig und nachvollziehbar bzw. zugänglich(er). Ich denke, für EITS haben die Titel eine sehr große Bedeutung und werden mit viel Bedacht gewählt – es ist quasi die Chance, die 'Botschaft' Ihrer Titel (sofern sich das so sagen lässt) zu unterstreichen. Wobei ich Ihre Musik sicher auch vollkommen ohne Titel auskommen würde – das hätte seinen vollkommen eigenen Reiz, wie beispielsweise das Album 'Untitled' von Sigur Rós beweist."

Dass EITS 2002 eine der legendären Peel Sessions aufnehmen durften, ist gleichbedeutend mit einem gewissen Ruhm. Dennoch sind sie in der Öffentlichkeit eher unscheinbar. Dann kam der Soundtrack zu einem Film über American Football in den USA. Du beobachtest die Band schon relativ lang, wie schätzt du ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit, zu Erfolg ein? Und wie den Kreis der Rezipienten der Band gegenüber?
"Ich denke, dass der Teenager-Footballfilm 'Friday Night Lights' von Peter Berg für die Band quasi eine Art Durchbruch darstellte. Der Streifen und die auf dem Film basierende, gleichnamige NBC-Serie genießen in den USA eine sehr hohe Beliebtheit. Der Kinofilm ging dagegen in Europa mehr oder weniger unter, was sicherlich größtenteils auf die Thematik 'American Football' zurückzuführen ist. Aber durch die nun vorhandene Präsenz im TV, fand/findet EITS nun auch verstärkt Erwähnung in Medien wie Radio, Internet-Blogs oder populären Musikmagazinen – für die Band eher unübliche Kanäle. Ich selber bin auch ein großer Fan vom Kinofilm und neuerdings auch der Serie und meistens fügt sich Ihre Musik genial in die bewegten Bilder ein und nicht selten mit Gänsehauteffekt, wenn Your Hand In Mine einmal wieder anklingt oder das Team bei Have You Passed Through This Night über das Spielfeld jagt. Ihr Auftritt bei John Peel war sicher sehr bedeutend für die Band, aber ich denke Ihrer Popularität hat das im Gegensatz zu Friday Night Lights nicht zu großen Sprüngen verholfen. Die Peel Sessions hatten doch ein recht spezielles Publikum und John Peel folgte (glücklicherweise) niemals dem Massengeschmack. Die Band geht mit dem zunehmenden Erfolg und den ausverkauften Konzerten eher bescheiden um, als ich Sie darauf angesprochen haben, wirkten sie beinahe verlegen... Aber trotz allem habe ich das Gefühl, dass sie definitiv glücklich sind mit dem Verlauf der Dinge und anhand der ständig steigenden Zahl der Tourtermine sieht man auch, dass sie das nicht im Stillen Kämmerlein feiern wollen..."
foto: explosionsinthesky.com


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