Sol Seppy [The Bells Of 1 2]

Film Noir Ästhetik.
Die Mulitintrumentalistin Sophie Michalitsianos debütiert mit einem zurückhaltendem, doch vielfältigem Album, welches einer seltenen Auferstehung entspringt.


"hello, my name is human."
(human)


Die sinnbildliche Verbindung mit dem mythologischen Phoenix liegt so nahe, dass man kaum umher kann, sie nicht auch zu strapazieren. Das Auferstehen aus der eigenen Asche, die Wiedergeburt, aber eben auch eine Art Katharsis ist damit verbunden. All das lässt sich auch auf die junge, in England geborene, in Australien und Griechenland aufgewachsene und heute in den USA lebende Sophie Michalitsianos beziehen. Sogar ganz direkt. Nach einer klassischen musikalischen Ausbildung an Cello und Klavier studierte sie Komposition und Orchester am Sydney Conservatorium of Music, zog mit 23 Jahren in die USA und spielte dort für zwei Alben bei Sparklehorse und widmet sich der musikalischen Bearbeitung von Dokumentationen. Nach dieser Zeit baute sich die ambitionierte Multiinstrumentalistin ein eigenes Studio in New York wo sie an ihrem Debüt arbeitete jedoch immer wieder unzufrieden mit ihren eigenen Werken war. "Ich hatte keinen Toningenieur an meiner Seite und so habe ich alles, was ich an Musik kreierte, wieder zerstört. Zu meiner Bestürzung geriet meine geliebte Musik zu einem riesigen negativen Spiegelbild." Gar mit einer "Kriegszone" verglich sie ihre Herangehensweise zur damaligen Zeit, doch dann sollte die Phoenix Metapher greifen: ihr gesamtes Studio explodierte eines Nachts und mit ihm alle aufgezeichneten Kompositionen. Tabula Rasa. Dieser Einschnitt scheint als dekonstruktiver Katalysator auf Sophies kreativen Output gewirkt zu haben. "Ich kann mir nicht mehr vorstellen, ein Album vor diesem Ereignis veröffentlicht zu haben", erklärt die smarte Exil Australierin heute gelassen.

So veröffentlicht Miss Michalitsianos ihr Debüt "The Bells Of 1 2" eigenständig und neu inspiriert, musikalisch irgendwo zwischen K’s Choices Sarah Bettens (Come Running), Hope Sandoval (Injoy) und Stina Nordenstam (Farwell Your Heart) verortet. Im Gegensatz zu erwähnten Referenzen steckt hinter ihrem Pseudonym Sol Seppy jedoch ausschließlich Michalitsianos selbst. Souverän spielte sie alle Instrumente ein und fand danach auch noch die Muse ihre eigene Produzentin und Toningenieurin zu sein. Und "alles selbst eingespielt" ist hier nicht im Thom York Sinne zu verstehen, der auf seinem Debüt Album zwar das gleiche Statement abgeben kann, dort jedoch eher an einer spärlichen Auswahl von Instrumenten dilettierte. Auf "The Bells Of 1 2" umschmeicheln den Hörer ständig neue Klänge in einer mal verspielten mal exaltierten Weise, tragen Klaviermelodien und Gitarren Akkorde Luftschlösser und Abgründe gleichermaßen vor, jagen sich melancholische Streicher und Elektrorhythmen vor einem Film Noir Horizont. Zwischen zaghaften Fieldrecordings, elektronisch unterstrichenen Folksongs und verletzlichen Kinderliedern, so scheint es, ist "The Bells Of 1 2" arrangiert, ohne sich dabei jedoch klar für eine infantil optimistische oder eher reflektiert düstere Stimmung zu entscheiden. Bei all der Professionalität bleibt noch genügend Raum für Lo-Fi Charme und vor allem den unaufdringlich dringlichen Gesang. Ganz gleich, ob die Stücke, wie das von harten, fast sterilen Beats getriebene Move, beinahe klaustrophobisch, oder eher märchenhaft verspielt, wie Wonderland mit seiner kindlich naiven Melodie ausfallen, die Künstlerin weiß ihre Stimme in jeder Lage als markantes und letztlich prägnantestes Merkmal zu inszenieren.

Nach dem Untergang fand also eine äußerst produktive Läuterung statt, eine grundlegende Veränderung, aus welcher die bezaubernde und äußerst fotogene junge Dame "das Entdecken von Schönheit als Quelle [ihrer] Inspiration" zog.

Die dabei entstandenen Kompositionen bewegen sich munter zwischen potentiellen Lieblingsliedern und ambitionierterer Hintergrundmusik. Sie sind dabei jedoch nicht in sich ambivalent, sondern wechseln zwischen äußerst aufregend und leider belanglos. Beachtet man jedoch, dass es sich hierbei um ein Debüt Album handelt und dieses bei weitem nicht für den großen Markt produziert wurde, sondern vielmehr hedonistisch genug ausgefallen ist, um für sich allein sprechen zu können, darf man unter Umständen von dem Nachfolger viel erwarten!
foto:



sol seppy
"the bells of 1 2"
groenland records 2006 cd
sol seppy

weiterlesen...

Die Deutsche Radioquote - Eine Betrachtung

Die Rettung der Popkultur durch den Staat.
Während sich die Musik des Öfteren kritisch mit der Politik auseinander setzt, ist ungewiss, ob sich die Politik auch mit der Musik auseinandersetzen sollte.


"ich subventioniere ndr2, ich bezahle wirklich gez damit die ihren auftrag erfüllt bekommen. dafür will ich ein gut aufbereitetes radio hören."
(thees uhlmann)


Wie eine landesweite Umfrage von soizioland.de zum Thema Musik vor kurzem mit rund 2500 Teilnehmern ergab, tummeln sich Independent, Punk, deutsche Rockmusik und Elektronik auf den vordersten Plätzen. Weit abgeschlagen dagegen befanden sich die aktuellen Charts gemeinsam mit Volkstümlicher Musik auf den letzten Plätzen. Dass diese Erhebung wenig repräsentativ war, bedarf kaum näherer Betrachtung. Dass sich jedoch etwas an der derzeitigen Musikkultur speziell im Radio etwas ändern soll, dafür machen sich zur Zeit gänzlich unterschiedliche Stimmen stark, und ein Ausdruck, der vor einigen Jahren schon einmal die Runde machte, ist wieder präsent; die Radioquote. Eine staatliche Regelung für die öffentlich rechtlichen Sendeanstalten soll per Gesetz eingeführt werden, wonach die mit einem Bildungs-, und Kulturauftrag belegten Sender ihr Programm dementsprechend umgestalten müssten.

Ganz klar beanstanden dürfte jeder Radiohörer, dass er, wo auch immer er sich gerade in unserem Land befindet, auf Konsensmusik stößt, welche mit dem eigentlichen Auftrag der Öffentlich Rechtlichen Radiostationen wenig zu tun haben dürfte. Im Dualen System der Privaten und Öffentlichen Sender regiert wie so oft der Absatz und der Marktanteil, und hier orientieren sich Letztere zunehmend an den Privaten. Wie der HR vor kurzem die wenigen niveauvollen Musikprogrammsendungen entweder ersatzlos gestrichen, oder in einen wesentlich unattraktiveren Sendebereich ("Der Ball Ist Rund" läuft auf HR2 mittwochs ab 23:05 Uhr!) verschoben hat, versuchen die Öffentlich-Rechtlichen den Kulturauftrag weitestgehend ihren Vorstellungen anzupassen, die staatliche Bindung so weit es geht auszudehnen. Kultur am Rande der Legalität.

Heiligt der Zweck aber die Mittel? Schließlich bedeutet ein solches Gesetz ganz klar einen Eingriff in die absolute Autonomie der Programmgestaltung der Sender. Und vor allem, ist dieser Zweck wirklich so honorabel wie er vielleicht auf den ersten Blick erscheinen mag? In den Reigen derer, die das Schüren dieser Diskussion zurzeit maßgeblich vorantreiben, sind natürlich in erster Linie die Majors und eine Auswahl deutschsprachiger Musiker herein getreten, die mit einer solchen gesetzlichen Rahmenbedingung ihre Musik wieder vermehrt im Radio hören wollen. Wer dies wahrscheinlich sein wird, konnte man im Besucherbereich des großen Anhörungssaales im Berliner Regierungsbezirk ersehen, als dort über das Thema Quote debattiert wurde: unter anderen Udo Lindenberg, Klaus Lage, Xavier Naidoo und Heinz-Rudolf Kunze. Letzterer jedoch nicht im Zuschauerbreich, sondern am Konferenztisch als außerparlamentarisches Ausschussmitglied der CDU/CSU Fraktion.

Und hier kommen wir schon zu einem argen Problem, bei welchem man nicht einfach die Radiostationen bzw. verantwortlichen Intendanten als böse darstellen kann. Wird eine Quote für deutschsprachige Musik per Gesetz verabschiedet, so bedeutet das mehr Absatzmöglichkeiten für die großen Plattenkonzerne und nicht etwa die erwünschte verstärkte Ausstrahlung junger Talente. Die Radiosender werden den von der Quote geforderten Prozentanteil an "deutscher Musik" (What the hell?, Anm. d. Red.) durch etablierte deutsche Konsensmusik ersetzen, welche dann eben statt zehn mal am Tag, fünfzehn mal am Tag gesendet wird, was zum einen den Sendebereich für die tatsächlich fördernswerte Subkultur weiter verringern wird, und zum anderen dazu führt, dass die Majors eben auf deutschsprachige Produktionen setzen, um ihren Marktanteil auszubauen.

Die Quote in Frankreich wird immer wieder als gut funktionierendes Beispiel angeführt, was so jedoch nicht ganz richtig ist. Natürlich stimmt es, dass 1994, ob der ähnlich brach liegenden Radiokultur in Frankreich, eine Quote eingeführt wurde, welche es gesetzlich den Radioanstalten vorschrieb, französische Künstler zu einem gewissen, in diesem Fall 40prozentigen Anteil, auszustrahlen, um der "angloamerikanischen Übermacht" im Lokalen Radio entgegen zu wirken. Man kann dies jedoch nicht isoliert betrachten. Zum einen wurden diese 40 Prozent aufgeteilt, denn die Hälfte davon sollten auf neue, talentierte Bands entfallen, und zum anderen herrscht in Frankreich, wie auch zum Beispiel in den skandinavischen Ländern, eine viel breiter gefächerte Gliederung zur Etablierung "nationaler Künstler". So werden etwa Gelder, die anteilsmäßig aus Einnahmen von Konzertkarten eingenommen werden, zur Unterstützung von jungen Künstlern verwendet. Staatlich werden Musiker durch eine Art Künstlerarbeitslosengeld und durch Tourneezuschüsse bzw. Subventionen bei der Plattenproduktion unterstützt. Über Jahre hat sich dort ein komplexes System entwickelt, welches nicht auf die Quotierung im Radio zu beschränken ist. Wenn auch nicht gleich "unsere Identität, unser geistiges Erbe" auf dem Spiel steht, wie Inga Humpe von 2Raumwohnung argumentiert, ist es natürlich erstrebenswert, dass sich an dem öffentlichen Interesse an der kulturellen Vielfalt der Popkultur etwas ändert. Doch scheint sich seit all den Jahren, in denen sich diese musikalische Monotonie im Radio heraus kristallisiert hat, nichts von allein geändert zu haben, was den Schrei nach einer hart durchgreifenden Hand in Form des Staates laut werden lässt.

Ist deutsch aber gleichbedeutend mit anspurchsvoll? Ist Popkultur überhaupt ein an einen Ort gebundenes Phänomen? Handelt es sich nicht vielmehr um das Zusammenspiel unterschiedlichster Internationaler Strömungen, die Kultur wachsen lässt? Mit dem quotieren deutscher Musik, haben wir das minderwertige Niveau unserer Radiokultur noch lange nicht vom Tisch. Die aktuellen Album Charts sehen schon nach Deutsch Quote aus, schließlich stammen fünf Interpreten der Top Ten nach Media Control aus Deutschland (Stand April 2006). Doch sind die Toten Hosen, Rammstein, Juli, Silbermond und Pur wirklich die Rettung der Radiokultur? Und was ist mit deutschen Produktionen, die sich aber nicht der deutschen Sprache bedienen oder gar gänzlich auf Sprache verzichten, im Elektronik Bereich etwa? Und was ist mit nicht wegzudenkenden nicht-deutschen Einflüssen? Was wäre denn die "deutsche Musik" ohne Rock'n'Roll, Beat, Jazz oder HipHop, allesamt Strömungen, die weit ab der deutschen Kultur entstanden? Die Beteiligten sind sich uneins. Smudo von den fantastischen Vier fühlt sich aufgrund der Trostlosigkeit genötigt die Quote zu befürworten, während Dirk von Lowtzow von Tocotronic eine Quote ablehnt und die resultierende Problematik sarkastisch auf den Punkt bringt. "Wir sagen ganz deutlich, wie so oft in unserem Leben, Wir sind dagegen! Und fragen: Lebt denn der alte Holzmichel noch?" Was jedoch zu bedenken gibt, und somit vielleicht auch ein überschnelles Handeln rechtfertigen könnte, ist, dass ab dem ersten Januar 2005 eine europäische Regelung für ein Mediengesetz in Kraft treten wird, welche es einem einzelnen Land nach Verabschiedung nicht gestatten wird, ohne weiteres seine nationalen Gesetze für einen internationalen Markt zu verändern. Betrachtet man die Quoten Regelung vor diesem Hintergrund als Fuß in der Tür, kann man nach erwähntem Termin dieses Gesetz natürlich noch durch unterschiedliche Auslegung modifizieren, ohne damit wegen Wettbewerbsverzerrung verklagt zu werden. Wer jedoch dabei glaubt, durch jedwede Auslegung des Gesetzes eine kulturelle Niveau Steigerung der Radiolandschaft zu erzielen ist ein hoffnungsloser Zweckoptimist.

Man kann diese Diskussion natürlich auch aus den Augen eines Dieter Bohlen betrachten, der in einem Bild Interview sagte, "Man sollte das Radio auch nicht überbewerten. Ob da Radio Klingelbingel dreimal von Karl Schneckenschiss eine Nummer spielt – wen interessierts?" Vielleicht ist es ja tatsächlich so, wie Carol von Rautenkranz sagte: "Jedes Land bekommt das Radio, das es verdient."
foto: photocase.de/laborant

Radioquote
In Eigener Sache
Der Ball Ist Rund
Media Control Album Charts
FAZ Beitrag
I Can't Relax In Deutschland Beitrag

weiterlesen...

600 Wörter [Müdigkeit]

Ich würde gern den Menschen hinter Gott kennenlernen.






Die Müdigkeit ist ein Hund. Sie bellt und wenn sie nass wird stinkt sie. Genauer betrachtet ist die Müdigkeit kein Hund. Hunde sind stark. Müdigkeit nicht. Außerdem will ich auch kein schlechtes Wort über die Vierbeiner verlieren, denn sie sind unterschätzte Helden des Alltages. Dies wird jedoch noch kaum angesprochen. Jeder berichtet zwar über Hundekot verdreckte Schuhe, jedoch muss man die positiven Seiten der Tiere sehen. Was sie für die Volkswirtschaft tun. Hunde geben tausenden Menschen, insbesondere den Alten, seelischen Beistand und leisten ihnen Gesellschaft. Stellen Sie sich vor, das müsste der Staat bzw. die Krankenkassen zahlen. Das wäre eine phänomenale Belastung des Budgets. Komisch ist eigentlich, dass sich so ziemlich alles ums Budget dreht. Egal worum es geht, es wird der dramaturgische Bogen zum Staatsetat gezogen. Vielleicht deshalb weil es um ihn so schlecht bestellt ist und jeder irgendwie helfen will.

Meine Hilfe in Sache Budgetsanierung wird nie ernst genommen. Mein Vorschlag wäre, dass man auf die Euromünzenrückseiten, die ja jedes Euroland selber bestimmen kann, Werbung druckt. Großkonzerne hätten daran sicher Interesse und wer hätte schon was gegen Ronald McDonald auf der 2 Euro Münze wenn’s dem Staatshaushalt hilft? Aber auf mich hört ja keiner! Ich bin halt kein Staatsmann und wenn ich einer wäre, würde es etwas komischer im politischen Alltag zugehen. Wenn ich eine Ansprache an die Nation halten würde, würde ich immer die Staatsflagge mit einer anderen austauschen. So würde ich manchmal vor einer Piratenflagge und ein anderes Mal mit einer Alkoholfahne sprechen. Mein ganzes Tun wäre sicher ein ziemlich amüsantes Ding für mich. Außerdem würde ein Gesetz erlassen, dass jeder Mann einen Hut aufhaben muss und ich würde alle diplomatischen Verbindungen mit dem Vatikan abbrechen, mit der Begründung, dass dies die letzte Diktatur in Europa wäre. Zwar würde ich das nie ausführen, wenn ich die Chance hätte die Macht zu übernehmen, jedoch ist es ein schönes Gedankenspiel.

Aber wollte ich eigentlich nicht über die unfassbare Müdigkeit schreiben, die mich nun schon so lange wie die Stimmen in meinem Kopf verfolgen? Manchmal glaube ich, dass ich unter Narkolepsie leide, denn Kaffee, Red Bull oder Koffeintabletten zeigen bei mir kaum Wirkung. Das bestialische an der Sache ist, dass der ewige Schlaf mein Leben verkürzt. Ich schlafe cirka 15 Stunden am Tag. Normale Menschen 9 Stunden. Also verliere ich pro Tag 6 Stunden aktive Lebenszeit. Ein Kettenraucher, der sechzig Zigaretten raucht, aber einen normalen Schlaf hat, wird zwar nicht älter als ich Nichtraucher, aber er hat eine längere aktive Lebenszeit als ich. Ist das nicht unfair? Es gibt anscheinend keinen Gott oder er ist schlichtweg nicht lieb und raucht Kette.

Apropos Gott. Ich nehme nun einmal an, dass es ihn gibt. Aber warum weiß man so wenig von ihm? Zwar kennt man sein angebliches Wirken und so, allerdings würde ich gerne den Menschen dahinter kennen lernen. Mag Gott lieber die Beatles oder die Rolling Stones? Was ist sein Lieblingsfußballverein? Verwendet er den Internet Explorer, Firefox oder gar Opera? Isst er Schwarz- oder Weißbrot? Warum war er noch nie bei Beckmann oder Kerner und hat diese Fragen geklärt? Warum beschäftigt sich die Kirche nicht damit? Jetzt könnte man fragen warum ich annehme, dass Gott ein Er ist. Dazu kann ich nur folgendes sagen: Gott ist ein Mann! Oder haben Sie schon einmal eine Frau mit langem weißem Bart gesehen?

Übrigens Bärte. Wussten Sie, dass in Supermärkten die Rasierklingen deshalb neben den Kassen hängen, weil das der am öftesten gestohlene Artikel ist? Denn Rasierklingen sind klein und teuer. Ein perfektes Diebesgut für Leute die sich in diesem Business auskennen. Aber ob sich Rasierklingen wirklich finanziell auszahlen ist eine andere Frage...
Text: David Sowka
illustration: heiko windisch

weiterlesen...

Gregor Samsa

Als Gregor Samsa eines Morgens ...
Ein Gespräch mit Sänger und Gitarrist Champ Banner über Ästhetik, Literatur, Selbstverständnis, Tradition und Innovation.



"how long 'till i fall in love?"
(the points balance)


Wenn man in einem deutschsprachigen Land lebt kommt man kaum umher, sich früher oder später mit Franz Kafka zu konfrontieren. Sei es in der Schule, im Privaten, in der Universität, im Alltag, bei einer nächtlichen Diskussion oder bei einer Reise nach Prag. Dass der gebürtige Österreicher weltweit rezipiert wird, lässt sich nicht zuletzt mit fünfzehneinhalb Millionen Treffern bei Google nachprüfen. Und einer der einflussreichsten aber eben auch abgründigsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts beeinflusst selbstverständlich auch das Treiben der hedonistischen Popkultur. Neben den schottischen Post-Punks Josef K - benannt nach Kafkas Der Prozess, oder auch den umtriebigen Blumfeld - nach der Erzählung Blumfeld, ein älterer Junggeselle benannt - wählten auch die Postrocker Gregor Samsa einen von Kafkas undurchsichtigsten Charakteren als Namensgeber aus.

"Wie die meisten", so erklärt mir Sänger und Gitarrist Champ Banner, "lernte ich Kafka und andere Existentialisten in der High School durch einen meiner absoluten Lieblingslehrer kenn (beachte, dass ich die meiste Zeit zu Hause unterrichtet wurde, und dass die Liste der Lehrer daher sehr kurz ist). Als ich die Verwandlung in der Schule gelesen habe, rahmte ich den Namen Gregor Samsa ein und kurz darauf begann ich damit, unter diesem Namen Musik zu machen. Ich habe mich damals mit Gregor Samsa identifizieren können und tue das heute noch. Nach einigen Monaten wurde aus Gregor Samsa eine richtige Band und wir behielten diesen Namen jetzt seit über sechs Jahren."

Eine gute Wahl, schließlich findet sich auch in Gregor Samsas Musik dieser unwirkliche Schwebezustand wieder, in welchem sich die Erzählung bewegt. Und vielleicht ist die Musik auch ebenso wenig eingängig, bietet aber eine Fülle an Emotionen, wenn man sich ihr tatsächlich nähert. Man muss ihr Zeit schenken, um ihr gerecht zu werden; zu fragil sind die Details, als dass man sie nebenbei erahnen könnte.

Ich muss gestehen, dass ich einen ganzen Tag verstreichen lies, bevor ich die CD das erste Mal in den Player gelegt habe. Ich wartete auf den richtigen Moment. Denkst du, dass es einen richtigen Moment für eure Musik gibt?
"Viele Leute strapazieren dieses Klischee wenn sie über ihre Platten sprechen, aber ich denke in unserem Fall stimmt es einfach tatsächlich: das Album muss als Ganzes gehört werden. Und vielleicht magst du es auch erst, wenn du es das dritte oder vierte Mal gehört hast. Wenn du es das fünfte Mal hast durchlaufen lassen und es dir immer noch nicht gefällt, dann wird das vielleicht auch nicht mehr eintreten und du solltest versuchen es bei eBay zu verkaufen."

Zunächst fällt die Aufmerksamkeit natürlich auf das äußerst schlichte, aber gerade in dieser Einfachheit wirkungsvolle Cover von "55:12", bei welchem eine helle Banderole schwarzen Karton umschließt.

Es erscheint mir offensichtlich, dass euch auch außerhalb der Musik der künstlerische und ästhetische Aspekt wichtig ist. Ein Punkt, der gerade im Zeitalter der Digitalisierung immer mehr in den Hintergrund gerät.
"Traditionell sehe ich in Artwork und Verpackung den letzten Schritt der nötig ist, um aus einer Sammlung von Stücken ein vollständiges Produkt zu machen. Es ist etwas, dass du in der Hand halten und dein eigen nennen kannst. Offensichtlich geht der Gedanke des physischen Besitzes im Download Zeitalter langsam verloren, aber so lange die Leute noch Platten kaufen, werden wir die Gestaltung so spannend wie möglich machen."

Versucht man sich an dem alten Kategorisierungsspiel von Musik, fallen mir Bands wie Godspeed You! Black Emperor, My Bloody Valentine oder Slowdive ein. Postrock prangt da in großen Lettern. In welcher Tradition seht ihr euch selbst?
"Es steht außer Frage, dass Bands wie Mogwai, Godspeed oder Explosions In The Sky und besonders die älteren wie My Bloody Valentine, Ride, Cocteau Twins oder Slowdive jenen Bands den Weg geebnet haben, die heute Aufmerksamkeit in diesem Bereich bekommen. Ob wir es zugeben wollen oder nicht, wir hängen alle von den Trends ab, in denen wir uns bewegen. All diese Bands hatten einen Schlagzeuger, einen Bassisten und mindestens einen Gitarristen, aber das bewegt sich innerhalb der Toleranzschwelle, wenn es darum geht, Musik und ihre Originalität zu beurteilen. Hätte ihnen jemand zugehört, wenn My Bloody Valentine anstelle der verzerrten Gitarren 20 Spuren mit Bongo und Conga Rhythmen verwendeten? Wahrscheinlich nicht. Es gibt ein Schema dem wir auf die eine oder andere Weise folgen. Mit der Zeit kommt aber das eine zum anderen, und das ist der Moment wo es spannend wird. My Bloody Valentine haben die Grenze ein weniger weiter geschoben, als sie jemals zuvor war, und das ist der Grund, weshalb es funktionierte. Es ist uns eine Ehre, wenn wir in einem Zusammenhang mit den erwähnten Bands genannt werden, aber schließlich versuchen auch wir die Sache immer etwas weiter zu führen, dabei aber auch immer wieder zurück zu schauen; auch wenn wir noch längst nicht da sind."

Im Spannungsfeld zwischen Tradition und Innovation hebt ihr euch tatsächlich deutlich von anderen Bands ab, die zurzeit ebenfalls stilbildend sind. Kaum eine andere Band aus dem Postrock Umfeld legt so viel Wert auf den Gesang, der in seiner zweistimmigen Form ganz klar ein wesentlicher Charakterzug eurer Musik ist.
"Gesang und Melodien sind für uns selbstverständlich sehr wichtig und ich glaube auch, dass sie dazu beitragen, und von anderen Bands abzusetzen, die ähnliche Musik machen. Ganz ehrlich glaube ich (und sie weiß nicht, dass ich das jetzt sage), dass Nikki mehr als andere mit ganzem Herzen singt. Da sind keine Tricks oder technische Spielereien; es ist ganz einfach ihre Stimme – ganz gleich ob auf oder hinter der Bühne – und das kann über die wenigsten Sängerinnen und Sänger gesagt werden; die meist versuchen irgendwie Björk oder Thom York nachzuahmen."

Betrachtet man eure Texte, fällt zunächst auf, dass ihr scheinbar oft ein großes Maß an Pathos strapaziert. Im Kontext hingegen erscheinen Zeilen wie "How will we save ourselves? / We must remain as one" aus What Can I Manage absolut gerechtfertigt und harmonisch. Wie gelingt euch dieses schwierige Spiel mit den Worten?
"Ich denke, dass man Songtexten nicht gerecht wird, wenn man sie aus dem Kontext herausgenommen kritisiert. Das ist auch der Grund, weshalb wir unsere Texte niemals abdrucken. Außerhalb des Studios habe ich noch niemanden fragen hören, ob man eine bestimmte Piano Linie auch dann mögen würde, wenn nicht die Gesangsmelodie dazu käme. Wenn es um die Texte geht, wertet man jedoch nach zweierlei Maß. Für uns sind alle Elemente – und so auch der Gesang – Teil des Ganzen und sollen auch so wahrgenommen werden. Der Song den du angesprochen hast, handelt weder von alltags Erfahrungen noch von einem existentialistischen Märchen, in welchem eine Gruppe von Kindern auf einem Segelboot um das Leben ihrer Eltern kämpft. Ursprünglich sollte es den Titel „Fight Tonight“ tragen und man kann hervorragend in einer kleinen Gruppe von Leuten mitgesungen werden, wenn es zu dem 'Come on, let’s fight tonight …' Teil kommt."

Eine seltsame Vorstellung, die introvertierten Gregor Samsa von einem grölenden Chor begleitet zu sehen.
"Try to push things forward!"
foto:


gregor samsa

weiterlesen...

Sonntag Nachmittag [April 2006]










fotos: manuel kaufmann

weiterlesen...