The Polyphonic Spree

Wenige Bands geben so viele Rätsel auf wie The Polyphonic Spree. Tim DeLaugther, Gründer und Mastermind dieser imposanten Gruppe, kämpft mit manchen Vorurteilen, doch auch für ihn scheint nicht alles zu 100% geklärt zu sein.


"don't get me wrong, i'm not a treehugger!"
(tim delaughter)


Eigentlich lässt sich von dem Namen eines Menschen nur sehr wenig auf dessen Wesen schließen. Der Name ist nicht mehr als eine Hülle, die auch in ihrer Ästhetik häufig völlig losgelöst vom Charakter der Person ist. Doch bei Tim DeLaughter ist dies anders. Er macht seinem Namen alle Ehre und strahlt eine grundständige Freude aus, seine Herzlichkeit ist umwerfend. Er verkörpert auf den ersten Blick genau die Klischees, mit denen The Polyphonic Spree, sein Projekt, zu kämpfen hat: Eine sektenähnliche Gruppe texanischer Hippies, die ihre Botschaft einer, als anbetungswürdiges Objekt geehrten Sonne, mit Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung und Musical-Einlagen a là Hair verbinden. Interessanterweise führt er sämtliche Interviews gemeinsam mit seiner Frau durch, die bei The Polyphonic Spree als Teil des Chores fungiert. Also ein Guru-Ehepaar, das einige Jünger um sich geschart hat, um die Welt zu bekehren?

Da werden schnell mal ein paar faszinierend klingende Erklärungen für ein Projekt angeführt, dass nicht so einfach in ein gängiges Muster gepresst werden kann. Die Wirklichkeit ist viel banaler. Ich bin nun mal der Initiator, The Polyphonic Spree ist so etwas wie mein Kind. Ich schreibe die Songs und die Texte, da ist es selbstverständlich, dass ich der bestimmende Faktor bin, im klassischen Bandkontext ist das ja häufig auch nicht anders.

Doch wo liegt eigentlich der Ursprung dieser Band, die sich zu einem 23-28köpfigen und orchestral anmutenden Gebilde entwickelt hat? „Ich hatte die Idee bereits vor vielen Jahren, als ich noch in Trippin’ Daisy meinen kreativen Output kanalisieren konnte. Sie schien dabei noch unglaublich weit weg zu sein, es war nicht mehr als ein Gedanke, der erst in vielen Jahren umgesetzt werden wollte. Nach dem tragischen Ende von Trippin Daisy fiel ich in ein unglaublich tiefes Loch. Umso stärker wurde der Drang, etwas Positives zu schaffen, ich wollte Hoffnung in einer für mich sehr düsteren Gedankenwelt. Der Anstoß dazu kam aber von außen, ohne mein Wissen wurden The Polyphonic Spree als Support für eine Grandaddy-Show engagiert, obwohl die Band noch gar nicht existierte. Also mussten innerhalb von zwei Wochen eine Band und ein paar Songs auf die Beine gestellt werden.

In den laufenden Jahren änderte sich die Besetzung immer wieder, die Zahl der Mitglieder stieg konstant an. Mittlerweile sind neben der bewährten Bandinstrumentierung ein Chor mit acht und mehr SängerInnen sowie klassische Orchesterinstrumente wie Blechbläser, Violine und Harfe Teil des Ganzen. „Die Zusammensetzung der Gruppe hat sich in der letzten Zeit aber mehr und mehr gefestigt. Seit der Gründung gab es verschiedene Wechsel, da die Band sich lange in einer Positionierungsphase befand, niemand wusste, wie sich die Sache entwickeln würde.“ Musikalisch war die Zielsetzung jedoch von Anfang an klar. „Natürlich ist gerade dieser Sunshine-Sound a là 5th Dimension ein sehr wichtiger Bezugspunkt, es ist ein bisschen wie eine Reise zurück in meine Kindheit. Der Grundgedanke von The Polyphonic Spree basiert auf dem Wunsch, Musik in diesem Stil zu machen. Aber ich bin kein ausgebildeter Musiker, sondern ein einfacher Songwriter. Gemeinsam mit der Band arrangiere ich dann die Songs. Dabei versuchen wir nicht, die Musik der damaligen Zeit nach formellen Kriterien möglichst genau nachzuahmen. Vielmehr soll das Gefühl, diese unglaublich positive Stimmung übertragen werden.

Gerade diese positive Grundstimmung schlägt sich textlich in starken Bezügen zur Natur wieder. Insbesondere die Sonne wird in diversen Stücken besungen, ihr fällt quasi die Rolle als heilsbringendes Element zu, „Hey, it’s the sun and it makes me shine“ (It’s The Sun, aus dem Vorgänger Album zum aktuellen "Together We're Heavy"). Tim DeLaughter möchte dies jedoch nicht wörtlich verstanden wissen: „Don’t get me wrong, I’m not a treehugger! Aber die Natur ist nun mal der einzige Lebensaspekt, der durchgehend positiv besetzt ist. Gerade die Sonne steht für so viele wunderbare Dinge, sie ist ein unglaublich starkes Symbol. Wir beten sie nicht an, aber sie ist unheimlich wichtig, da sie einen großen Einfluss auf uns Menschen hat.

Bei solch einer klaren Aussage lässt sich ein gewisser spiritueller Touch nicht mehr leugnen. Gerade weil The Polyphonic Spree nach außen hin durch ihre Roben und die Bühnenshow als eine Einheit auftreten, erwecken sie unwillkürlich den Eindruck einer religiösen Gemeinschaft. Da mag es so gar nicht hineinpassen, dass Tim DeLaughter scheinbar kein allzu ausdifferenziertes religiöses Weltbild hat: „Ich bin zwar kein Christ, aber dennoch ein sehr spiritueller Mensch. Ich glaube, dass es eine höhere Macht gibt, die in welcher Form auch immer Einfluss auf die Welt ausübt. Vielleicht steckt diese Macht auch in uns und in der Natur, ich weiß es nicht. Ich bin mir nur sicher, dass es etwas gibt, das über unsere Wahrnehmung hinausgeht, was wir mit unserem Denken nicht richtig fassen können.

Wichtiger als ein religiös-spiritueller Konsens ist innerhalb der Band der Wunsch nach dem gemeinsamen Erleben: „Wir haben innerhalb der Band ein unglaubliches Gemeinschaftsgefühl aufgebaut. Zusammen wollen wir Musik machen, die uns Hoffnung gibt und unsere Herzen erwärmt.“ Vielleicht liegt auch gerade darin der Grund für den Erfolg von The Polyphonic Spree. In einer von vielen als kalt und einsam empfundenen Zeit bauen sie Luftschlösser, in denen man zwar nicht wohnen kann, die aber wenigstens einen Silberstreifen am Horizont erkennen lassen.
foto: polyphonicspree


the polyphonic spree

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Wortartisten [Lesereise]

Vom Sinn der sinnlosen Wortaneinanderreihung oder der Tragie-Komik des Erwachsen Werden.Die Kabarettisten Jochimsen, Gieseking und Grosche geben ihre Texte zum Besten; und mal ehrlich: "Gibt es etwas schöneres als Geschichten erzählt zu bekommen?"



"vielleicht sollte ich mehr honig sagen und dabei langsam weich werden."
(erwin grosche)

Es ist halb fünf am Nachmittag. Das Kleinkunstzelt des Open Flairs ist fast am Bersten ob der Massen an Menschen die sich aufgrund des strömenden Regens hinein schieben. Mit Mühe ergattert man als Interessierter noch einen Sitzplatz, letzte Bank, passable Sicht. Kurz bevor das plätschernde Nass seinen Höhepunkt erreicht, betreten drei Männer die kleine, schlicht ausgeleuchtete Bühne. Der Mittlere ist ein etwas untersetzter Mitvierziger, der ein T-Shirt mit der Aufschrift "Randgruppe" trägt, der Kabarettist und Autor Bernd Gieseking, Wahl-Kölner mit Wg-Zimmer in Kassel, welcher auch sofort das Wort ergreift. Er stellt sogleich sich und seine Nachbarn vor: auf der einen Seite Jess Jochimsen, 32, ebenfalls Kabarettist und Autor, Vater eines Sohnes, geboren im provinziellen München-Ost und wohnhaft in Freiburg; auf der anderen Seite Erwin Grosche, 48, Kabarettist, Schauspieler und Autor aus Paderborn.

Eine Vorliebe für das Eschweger Publikum scheinen die drei angesichts ihrer teils provinziellen Herkunft zu haben. So erzählt Gieseking zu Anfang von seiner Kindheit als Sohn eines Zimmerers auf dem Land in der Nähe von Minden, woraufhin er mit einem scharfzüngigen "Bei uns im Handwerk sagte man damals: Wir sind doch nicht aus Zucker" die Zuschauer, welche nur wegen des Regens das Zelt aufgesucht haben, auffordert, mit denen zu tauschen, die angesichts der Überfüllung nicht mehr hinein durften. Unzweifelhaft versteht er es mit dem Publikum zu kommunizieren und hält sich auch nicht – ganz zum Vergnügen der Zuschauer – mit spöttischen Bemerkungen hinsichtlich der auffällig in orange gekleideten Austeilern von Jägermeister-Werbegeschenken zurück. Doch um Kommunikation mit dem Publikum geht es eigentlich nicht an diesem Nachmittag. Vielmehr sind die drei Kabarettisten heute angereist, um – frei nach Jochimsens Motto "Gibt es etwas schöneres als Geschichten erzählt zu bekommen?" – ihren Zuhörern die bissigsten Kommentare, zynischsten Texte und lustigsten Geschichten aus ihren Werken vorzulesen.

Schon bald haben die Drei ihr Publikum in den Bann gezogen. Während Bernd Gieseking sich vorzüglich über Männer, Frauen und ihre Probleme beim Aufeinandertreffen oder alltägliche Kuriositäten auslässt, verarbeitet Jess Jochimsen seine Kindheit als "Sohn der beiden einzigen bayerischen 68er" in Form von pointierten Geschichten rund um das Erwachsenwerden, Erwachsensein und Erwachsen handeln. So erzählt er von seinen ersten Kusserfahrungen beim Flaschendrehen, einer Taxifahrt mit einem unglücklich verliebten Taxifahrer (und schwärmt dabei ausgiebig von Winona Ryder in Jim Jarmuschs Episoden-Taxi-Film "Night on Earth") oder davon, wie er voller Stolz sein erstes Buch im Buchladen (direkt zu finden vor James Joyce) signiert und es daraufhin wegen Beschädigung auch gleich kaufen muss. Seine Schilderungen ernten tosenden Applaus, reichlich herzhafte Lacher und stellenweise auch zustimmendes Kopfnicken.

Giesekings Texte sind weniger ausgearbeitete Erzählungen, als vielmehr Tagebücher zu verschiedenen Themengebieten. So gibt er einerseits Einblicke in sein Medientagebuch mit skurrilen, jedoch nach eigenen Aussagen wahren Schnipseln aus der Medienlandschaft. Er lässt sich hierbei ausgiebig über die angebliche Heilkraft von Pizza gegen Krebs aus, und versucht zu erörtern, welche Sorte nun welches Krankheitsbild bekämpft. Andererseits gibt er in seinem Künstlertagebuch bizarre Schöpferphanstasien zum Besten, indem er weißes Papier kopiert um seine Nachahmer in die irre zu führen oder versucht, das Farbspiel in seinem Kopf zu interpretieren: "Gelb. Ich denke gelb. Was will ich mir damit sagen?" … "Heute Blau. Ich kann mich auch an sonst nichts mehr erinnern." Den Höhepunkt der Unvernunft erreicht er wohl mit seiner Idee, einen bestimmten Zebrastreifen zu signieren: "Von da an sind alle anderen bloß Imitate". Im starken Kontrast zu seinen Mitstreitern steht der vielmehr Wort- und Rhythmus-Akrobat Grosche, dessen Komik absonderliche Lieder wie der Nudel-Song - zu dessen Hilfe er zwei Packungen eifrig schüttelnde Nudeln mitgebracht hat ("die dunklen für den Rhythmus, die hellen für den Swing") - oder phrasenhafte Gedichte und Erzählungen wie das phantastische finale „Worte vor Winterlandschaften“ ausmachen. ("Vielleicht sollte ich mehr Honig sagen und dabei langsam süß und weich werden. … Wenn ich einmal Ruhe suche, gehe ich auf den Friedhof. Dort sind keine lärmenden Motorradfahrer, jedenfalls keine lebendigen. Dort sind Höchstens pensionierte Golfspieler, weil die Löcher so schön groß sind. Wenn ich einmal Ruhe suche, gehe ich auf den Friedhof. Oder ich lasse mich dahin tragen. Honig, Honig, Honig…"). Seine Stärken liegen in Sinn- und Satzbaufreien Wort-Aneinanderreihungen mit höchstem Unterhaltungswert. Die Verschiedenheit der drei Kabarettisten macht das Programm aus. Es wird nie langweilig und bietet für jeden Geschmack den passenden Humor. Als die Besucher nach eineinhalb Stunden feinster Unterhaltung das Zelt verlassen, kann man auf dem ein oder anderen Gesicht ein zufriedenes Lächeln erkennen. Von draußen strömt einem eine angenehm frische Luft entgegen. Es hat aufgehört zu regnen.
foto:



bernd gieseking
erwin grosche
jess jochimsen
open flair festival

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Jim Jarmusch [Coffee And Cigarettes]

Von Arnold Schönberg stammt das Zitat: "Kaffee und Zigaretten gehen einfach gut zusammen. Komponieren ist ein einsames Geschäft, und sie leisten mir dabei Gesellschaft." Jim Jarmusch weiß dies in seinem neuen Film episodenhaft zu unterstreichen.


"i like to drink coffee just before i go to sleep, so i can dream in indy500 speed."
(steve wright, strange to meet you)

"Ich erinnere mich noch an meine erste Zigarette. Freunde von mir hatten die Packung in einem Laden geklaut. Erinnere mich gut. In der Nähe von Akron, Ohio, wo ich aufgewachsen bin. Wir liefen die Schienen lang. Öffneten die Packung, ich weiß noch, war eine Packung Newports. Erst rochen wir daran. Das Menthol, weißt du, wie Süßigkeiten. Dann zündeten wir sie an, inhalierten, fingen an zu husten. Ein Paar Minuten später war allen schlecht. War aber so cool. Wie richtige, durch und durch verkommene Zehnjährige."

Jim Jarmusch formulierte diese romantisierten Gedanken eines Rauchers, der kurz davor ist, seine letzte Zigarette zu rauchen, und danach ein für alle Mal damit aufzuhören als sich selbst darstellende Figur in dem Film "Blue in the Face" von Regie Kollegen Wayne Wang und Paul Auster. "Zigaretten und Kaffee, verstehst du? Das werde ich vermissen. Das Heldenfrühstück." Dieses Heldenfrühstück serviert Jarmusch seit beinahe zwanzig Jahren Prominetnen in kleinen schwarz-weiß ästhetischen Kurzfilmen, welche dieses Jahr als Spielfilm im Kino veröffentlicht werden.

Erste Gehversuche dieses Projekts führen zurück in das Jahr 1986, als die später auch vom deutschen Fernsehen übernommene Comedytalentschmiede Saturday Night Life bei Jarmusch anfragte, einen Kurzfilm für die Show zu schreiben. Damals setzte er den Regisseur Roberto Benigni und den Kabarettisten Steve Wright an einen Café Tisch und ließ sie sich unter dem Titel Strange To Meet You bei Kaffee und Zigaretten begegnen. Aus dieser Idee entwickelte sich eine detailverliebte Leidenschaft, für welche namhafte Größen aus Film, Kunst und Musik, absurde und philosophische Gespräche zu und über Kaffee und Zigaretten führen, in welchen die Darsteller zwar stets sich selbst spielen, die Inhalte jedoch immer fiktional sind. Coffee and Cigarettes.

In seiner unnachahmlich mürrischen Art beschäftigt sich Bill Murray als Kellner in einer der jüngsten Episoden mit den Wu-Tang Köpfen RZA und GZA, die ihn vor den Gefahren der beiden Psychopharmaka warnen, und stattdessen für alternative Medizin begeistern wollen. Murray quittiert ihre Bemühungen auf plakative Weise, in dem er seinen Kaffee am Tisch direkt aus der Kanne trinkt.

Ebenfalls in der Rolle eines Kellners brilliert der amerikanische Independent Star Steve Buscemi im Gespräch mit zwei uneinigen Zwillingen, und berichtet von dem Streit zwischen Elvis Presley und dessen unbekannten bösen Zwillingsbruder, den Buscemi auch für den Untergang des Kings verantwortlich macht. In einer weiteren Episode unterhalten sich Tom Waits und Iggy Pop über die Jukebox im Café, die Songs keiner der beiden Musiker spielt, und Waits offenbart Pop als Endschuldigung für die Verspätung, dass er morgens am Rand eines Highways bei einem Notfall ein Baby zur Welt brachte, da er nicht nur Musiker sondern auch Mediziner sei. Sie sprechen darüber, wie wundervoll es ist, mit dem Rauchen aufzuhören, besonders, so Waits, da man schließlich wieder damit anfangen könne. Kate Blanchet überzeugt in einer Doppelrolle, in welcher sie bei einer Drehpause bei einer Tasse Kaffee auf ihre neidische, desaströs sozialisierte Cousine trifft, und Jack White erklärt seiner White Stripes Partnerin Meg die brillanten Entwicklungen des kroatischen Erfinders Nikola Tesla.

In jedem der elf Gespräche tasten sich die Protagonisten gegenseitig ab, suchen nach Schwächen im Gegenüber, und versuchen sich dann zu profilieren. Meist sitzen sie dabei wie Gegenspieler an einem kleinen quadratischen Café Tisch, auf dessen Schachbrettmuster Kaffeetassen und Zigaretten wie Läufer und Springer positioniert sind. Mental verbales Schach, wie Jarmusch selbst einräumt. Auf diese Weise dokumentiert er unsere intimen Schwächen, Verlangen und Obsessionen im Umgang mit anderen Menschen auf völlig unprätentiöse Weise in alltäglichen Situationen aus außergewöhnlicher Perspektive. Es gelingt ihm in Coffee and Cigarettes immer wieder nicht nur seine Leidenschaft für das Heldenfrühstück zu gustieren, sondern beweißt auch auf charmante und intelligente Weise, dass diese, wenn auch gesundheitsschädlichen Genussmittel, ähnlich eines Katalysators die Gedanken eines intimen Gespräches vorangetrieben und entfaltet werden wie der Rauch der Zigaretten. Rauch ist nichts fixiertes, er befindet sich in ständiger Bewegung und Umgestaltung, wie unsere Gedanken, die sich frei Bewegen. Und dann haben Zigaretten auch noch etwas Existentielles; sie erinnern dich an deine eigene Sterblichkeit. Jeder Zug ist ein flüchtiger Moment, ein flüchtiger Gedanke. Du weißt, du rauchst, der Rauch verschwindet und erinnert dich daran, dass Leben auch Sterben bedeutet.
foto: united artists


jim jarmusch
"coffee and cigarettes"
2004

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Yann Samuell [Liebe Mich Wenn Du Dich Traust]

Kinderspiel.
In dem Film des belgischen Regisseur Yann Samuell zieht sich das Stück La vie en rose von Eidth Piaf wie ein roter Faden durch die turbulente, bittersüße Beziehung der beiden Protagonisten.


"ich wäre gern ein pudding. ein pudding mit aprikosen."
(sophie)


"Cap ou pas cap?" Die Wörter die den Film ausmachen. Die Wörter die am häufigsten fallen und die Wörter die den beiden Hauptfiguren das Leben, das Herz und das Lieben schwer machen. Seit sie Acht Jahre alt sind, zerstören Sophie und Julien ihre Herzliebe. Ohne es zu wollen, ohne es zu merken und ohne dabei zu denken. Ihr Kinderspiel - "Top-oder-Flop" in der deutschen Übersetzung - ist der Anfang ihrer Freundschaft und das Ende ihrer Liebe. Ihr junges Leben ist gezeichnet von jährlichen, monatlichen, täglichen und von stündlichen Top-oder-Flop Fragen. Das ganze Leben war für sie ein Spiel. Die Liebe auch. Doch irgendwann hat jedes Spiel ein Ende und man ist einfach davon überzeugt, dass es mit dem gemeinsamen Ende von Julien und Sophie zu enden hat. Es muss einfach so enden. Top oder Flop.

Julien (Guillaume Canet) und Sophie (Marion Cotillard) wachsen in den aller verschiedensten Umgebungen auf. Julien in einer feinen Gegend mit seinem Vater und seiner kranken Mutter, die für ihn sein Ein und Alles ist. Sophie hingegen lebt in einer Plattenbausiedlung in einer weniger gut situierten Gegend. Doch trotz ihrer Unterschiede, verbringen sie die meiste Zeit miteinander. Ihr Spiel Top-oder-Flop ist wohl ihr roter, leitender Faden, der eine lange Linie durch ihr Leben zieht.

Der rote Faden des Spiels ist eine rote Blechdose. Sie wird hin und hergereicht. Mutproben jeder Art werden von einer Person gestellt und die Andere muss sie mit dem Wort "Top" bestehen. Hat sie es geschafft, bekommt sie die rote Spieldose und darf selbst eine neue Top-oder-Flop Aufgabe stellen. Es geht darum, wer sich mehr traut. Wer mehr wagt und wer am Ende mehr gewinnt oder verliert. Früher waren es harmlose Kinderspiele, doch mit der Zeit wurden daraus Erwachsenen Spiele. Als Kind spielte man um witzige Dinge, die Keinem weh taten und die das Herz nur leicht berührten. Man streichelte des Gegners Herz allerhöchstens mit der Fingerkuppe. Doch als Erwachsener achtete man nicht mehr auf kleinen Fingerkuppen. Als Erwachsener stößt man seine ganze Hand ins Herz hinein. Man drückt zu und presst. Man zupft es wie Watte auseinander und läßt es dann alleine zurück. Man spielt nicht mehr nur um eine Spieldose, nicht mehr nur um ein Lachen und nicht mehr nur um ein nächstes Top-oder-Flop. Man spielt um das Herz, um den Verstand und um den Gegner.

Die beiden Schauspieler Thibault Verhaeghe und Joséphine Lebas-Joly, welche die Hauptfiguren als Kinder spielen, sind die wohl schönsten Kinder, die ich je gesehen habe. Sie sehen nicht nur wunderbar aus, sie spielen auch wunderbar. Ob im französischen Original oder in der deutschen Fassung. Vielleicht liegt es aber auch einfach an den Figuren die sie spielen müssen. Denn allein der Gedanke, dass Kinder in so einem jungen Alter schon so tolle Dinge sagen können, lassen mein Herz hoch hüpfen.

Was willst du mal werden, wenn du groß bist? - Tyrann. - Wow. Ein Tyrann der sein ganzes Volk knechtet? - Der Schlimmste von allen […] und du Sophie? - Mhm. Ich wäre gern ein Pudding. Ein Pudding mit Aprikosen. Oder aber auch ohne alles. Noch ein bisschen warm. In der Bäckerei. Im Schaufenster.

Man merkt dem Film an, dass es viele fiktive Gedanken sind, die immer wieder in den Raum geschmissen werden. Dass es Träume, Wünsche oder Gedanken sind. Ich beneide den Menschen sehr, der auf all diese Ideen gekommen ist. Gerne würde ich Yann Samuell, den Regisseur des Filmes, sehen und mir hoffentlich von ihm sagen lassen, dass Liebe niemals so kompliziert werden wird, wie in diesem Film. Kein Mensch hält so ein hin und her aus, wie es Julien und Sophie erlebten. Kein Mensch. Jedenfalls hoffe ich das. Es soll einfach fiktiv sein und bleiben. So etwas gehört nicht in die Welt hinein. Man soll sich nicht 10 Jahre aus dem Weg gehen und dann erst merken, wie das eigene Herz nach dieser einen Person schreit. Wie sehr es drückt und piekt. Wie kleine, feine Nadelspitzen sticht es dann auf den Brustkorb und man kann es einfach nicht abstellen.

Mit der ganzen Zeit die verstreicht, sieht man der Dose ihre Erlebnisse förmlich an. Man sieht ihr an, dass sie schon viel durchgemacht hat und etliche Schäden in sich trägt. Genauso wie Julien und Sophie, deren ganzes Leben fast nur ein Kinderspiel war. Sie packten ihre Gefühle immer wieder ein und versuchten sie so zu verbuddeln, damit sie niemand fand. Auch wenn es eine Zeit lang andere Menschen in ihren Leben gab, hatten sie immer schon tief in sich drinnen die Gewissheit der Liebe des anderen. Man wusste, dass man sich liebt. Hat sich aber nie getraut, die Worte "ich liebe dich" auch ernsthaft, ohne Top-oder-Flop, herauszubekommen.

Mit "Liebe Mich Wenn Du Dich Traust" bekommt man ein Stück "Die fabelhafte Welt der Amélie" und letztendlich merkt man doch, dass Frankreich wohl das Land der wahren Herzgeschichten ist. Top-oder-Flop.
foto: alamode


yann samuell
"liebe mich wenn du dich traust"
(jeaux d'enfants)
2004

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Trashmonkeys [The Maker]

Export und Import im Garagen Stil.
Die Trashmonkeys verlagern Bremen rockmusikalisch in das Vereinigte Königreich der wilden Sechziger.



"you say no? i say yes!"
(song no. 1)


Als ich ein Kind war, hegte ich immer eine geheime Bewunderung für die beiden Hanse Städte, dessen Grund ich mir nie erklären konnte. Hamburg hatte letzten Endes nur die Nase vorn, weil meine Eltern mir 1982 ein frisch bedrucktes Meisterschafts T-Shirt vom HSV mitgebracht hatten, welches ich von nun an stilsicher auch zu der Zeit ihres erneuten Titelgewinnes tragen sollte. Vielleicht steht Bremen musikalisch auch immer in Hamburgs Schatten, weil die Beatles in den Sechzigern eben am Hamburger und nicht am Bremer Hafen strandeten. Auf diese Weise entwickelte sich auf jeden Fall eine eher stiefmütterliche Beziehung zu Bremen und seiner Musik. Und irgendwie glaubt man es auch gar nicht, wenn man die Band Trashmonkeys hört, dass sie aus Bremen kommen sollen, klingen sie doch vielmehr nach dem britischen Königreich, als nach dem ältesten Hafen Deutschlands. Und auch wenn die vier Herren um Gitarrist und Sänger Andreas Wolfinger bereits 1998 mit ihrer Musik in Bremen begannen, macht die Geschichte der Band tatsächlich einen Umweg über England. Ihr zweites Album "Clubtown", aus dem Jahre 2002, wurde nämlich auf der Insel vom Acid Jazz Label veröffentlicht, und konnte dort weitaus mehr Erfolge feiern, als in ihrer Heimat selbst.

Mit "The Maker" brachten die Hanseaten gerade ihr drittes Album auf dem stadtstaatnachbar Label Lado heraus, und spielen eine schroffe Garagen Mischung aus Sixties Rock und Seventies Punk, bei der das Wörtchen Pop auf keinen Fall deplaziert erscheint. Dass dieses Album mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird als die Vorgänger, liegt allein schon an besagtem Label; Carol von Rautenkranz, Labelchef und Produzent der ebenfalls gerade debütierenden Von Spar, hat bereits dafür gesorgt, dass die Trashmonkeys in die Rotation des, mittlerweile zum Sehnsuchtsobjekt deformierten Programms Fast Forward kommen.

Keine Trashmonkeys Rezension ohne die Kinks. Wie Wolfinger selbst angibt, haben die Kinks einen größeren Stellenwert beim Songwriting, als alle anderen Einwirkungen, welche die Musik der Band prägen. Und das hört man nicht nur bei dem Tribut zollenden Coverstück I Need You, dass mit den Kinks typischen, bretternden Gitarren lospoltert. Der Geist der Sechziger schwebt nicht zuletzt auch aufgrund der wabernden Hammond Orgel, gespielt von Offer Stock, über den 15 Stücken. Besonders der Titelsong, ein in die Beine gehendes Instrumentalstück, mit nach vorn drängelndem Beat, schwitziger Gitarre und eben besagter, unanständig gut ausufernder Orgel, weist alle nötigen Referenzen auf. Gleich die ersten drei Stücke diktieren ein abgeklärtes Kopfnicken und Fußstampfen, selbst wenn man sich beim Hören im Wartezimmer seines Urologen befände. Danach wird zurückgeschaltet, Midtempo, dann wieder Kracher, aber bis auf vielleicht das sehr noisige Lo-Fi Stück Tape, wissen die anderen Songs nicht so prägnant zu überzeugen. Auch wenn Punk, Ska und aktueller Franz-Ferdinand-Wave Einflüsse in den folgenden Titeln auftauchen, ist das Schema der Songs doch zu schnell durchschaut, als dass sie über das gesamte Album hinweg zu überzeugen wüssten.

Das Problem der Trashmonkeys ist, das der Markt an Garagenbands aus allen popkulturell namhaften Ländern gesättigt ist. Seit dem 2001er Debüt der, als Retter des Rock'n'Roll gehypten Strokes, hat eine nicht enden wollende Schwemme an "The" Bands Einzug in unsere Ohren gehalten, aus der man willig versucht, die wirklich überzeugenden herauszufiltern, von denen nur wenige eine Weiterentwicklung ihrer Musik offenbaren. Alles spielt sich auf der Ebene der Querverweise und Referenzen ab, und jede Neuauflage der The Kinks, MC5, The Cramps, The Creeps, The Make-Up und eben später The Strokes, The Libertines, The Hives etc. – um es einigermaßen chronologisch zu gestalten – führt zu dem Wunsch nach mehr Eigenständigkeit.

Das Wechselspiel mit krachigem Rock 'n' Roll und den obligaten Balladen – bei den Trashmonkeys eher britpoporientierten Stücken - wenden sie nicht ganz so verkauforientiert an wie die Australier Jet, oder die Schweden The Legends, dennoch werden sie es, diesen beiden Bands ähnlich, sehr schwer haben, sich nachhaltig neben anderen Größen in den Synapsen unseres Gedächtnisses zu verankern. Im Richtigen Kontext vermutlich tanzbar ohne Ende, keine Frage, aber niemals Lieblingsband. Dennoch kann Bremen nun endlich - und jetzt erwähne ich sie doch – musikalisch mehr bieten als die Bremer Stadtmusikanten, denen ein kleiner Trashmonkey vielleicht ganz gut gestanden hätte.
foto:



trashmonkeys
"the maker"
lado 2004 cd
trashmonkeys

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