Kolja Mensing [Wie Komme Ich Hier Raus?]

Kolja Mensing wirft einen essayistischen Blick auf die deutsche Provinz und födert ein unwohlsames Gefühl der Vertrautheit bei seinen Lesern.



"weihnachten nicht nach hause zu fahren wog mindestens soviel wie zwei umzüge."
(kolja mensing)


Es widerstrebt mir, während ich versuche mich als Individuum zu behaupten und mich auch als solches gegen Konformität zur Wehr zu setzen, mich in jüngsten literarischen Abhandlungen als Schicksal gebundenes Mitglied einer gleichgeschalteten Generation erkennen zu müssen. Als Inbegriff dessen, was wir versuchen mit Unabhängigkeit der Massenkultur abzugewinnen, wurden wir schemenhaft als Generation Golf definiert; als Konsument massenkompatibler Güter wie dem Playmobil Piratenschiff. Kolja Mensing versucht uns glücklicherweise in seinem Roman nicht als Generation Provinz zu betrachten. So gewinnt er mit dem Prolog schon einen Sympathiebonus, in welchem er in Auszügen den Liedtext zu Let there be Rock von Tocotronic aufführt und damit gleich auf eine zunächst unersichtliche Diskrepanz zum Buchtitel aufmerksam macht; "Wir haben gehalten, in der langweiligsten Landschaft der Welt. Wir haben uns unterhalten und festgestellt, dass es uns hier gefällt".

Der taz Kulturredakteur Kolja Mensing entfaltet das erste Kapitel noch als ein Treffen zweier fiktiver Charaktere - die vom Leser vermeintlich zu Protagonisten des Romans erkoren werden - nur um von nun an herrlich abstrahierend provinzielle Errungenschaften in reportagenhaften Essays zu kommentieren, wobei er ironisch, jedoch niemals arrogant anmaßend zu beschreiben weiß. Mensing unterlässt größtenteils den zu erwartenden Ich-perspektivischen Erzählstil persönlicher Anekdoten über Jugend und Adoleszenz im Angesicht der umgebenen provinziellen Tristes, stattdessen brilliert er durch gekonnte Beobachtungsgabe und detailreiche, hintergründig recherchierte Episoden über die Entwicklungsprozesse deutscher Kleinstädte und Vororte von den Bebauungsplänen der Siebziger Jahre bis zur aktuellen urbanen Angliederung. So werden viele im Wandel der Zeit aufgekommene Errungenschaften bissig disputiert; von der Fußgängerzone über das Jugendzentrum und dem Teeladen bis hin zum Weltkulturerbe Fury in the Slaughterhouse, der Achtziger Jahre Band, bei der man alkoholverschleiert Time to Wonder in der heimischen Dorfdisco noch Jahre später mitsingt.

Über die zehn Kapitel von "Wie Komme Ich Hier Raus?" wird der oft seltsam anmutende Weg kleinstädtischer Evolution der Bundesrepublik seit der Nachkriegszeit beleuchtet. In sicherer Distanz Platz nehmend beobachtet der Leser wie im Zeitraffer die oftmals vergeblich wirkenden Versuche, urbane Atmosphäre in kleinen, expliziten Dosen auf das familiär isolierte, vorstädtisch landwirtschaftliche Gebiet der Provinz und ihrer Bewohner zu versprühen. Oft wurde bei diesen Fortschritten die direkte Konsequenz zu Gunsten der Modernisierung außer Acht gelassen. So beobachtet Mensing den, aufgrund der großflächig angelegten Fußgängerzonen und dezentral gelegenen Einkaufszentren, fortschreitenden Verfall des Einzelhandels in Form kleiner Familienbetriebe, die mit der Zeit auch aus dem Antlitz der letzten deutschen Kleinstädte verschwinden. Ebenso spitzfindig kommentiert der Autor das mutmaßliche Eindringen befremdender Subkulturen in die wohlbehüteten heimischen Neubausiedlungen: Die Gothikszene fand in der nicht verstädterten Provinz ihren Sehnsuchtsmoment traditioneller Gemeinschaft, nur dass sie sich hier, als Grufties und Friedhofskinder betitelt, mit einem medialen Aufsehen im Bezug auf Satanismus konfrontiert sahen. Mediale Omnipräsenz, in Bildzeitung, dem Spiegel oder der Bravo, informierten so alle gesellschaftlichen Gruppierungen.

Wortgewand beobachtet der Neu-Hauptstädter Mensing, gebürtig aus einer niedersächsischen Kleinstadt, den jugendlichen Drang, die Provinz als Teil des Erwachsenwerdens zu Gunsten der Metropolen zu verlassen, um sich dort die ökonomische und kulturelle Potenz zu eigen zu machen. Dennoch fragt er resümierend "wohin man gehen soll, wenn überall Provinz ist", wohl wissend, dass die neuerliche Entwicklung und Vielfalt der Metropolen wie Berlin erst aufgrund der emigrierenden Provinzler zustande kommt, ging man doch ursprünglich in die Stadt, um der Provinz zu entkommen. Und so endet dieses Buch, wie es begann, mit der Provinz nicht als statisch-topographischer Ort auf einer Landkarte, sondern mit einem Lebensgefühl tief in einem verankert, welches man, wohin auch immer, sein Leben lang mit sich tragen wird.
foto: juliane henrich



kolja mensing
"wie komme ich hier raus?"
kiwi 2002

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Dana Bönisch [Rocktage]

Der Debüt Roman der jungen Studentin der Literaturwissenschaften spielt in einer Welt, in der die titelstiftenden Rocktage solchen stereotyp gegenüberstehen, die Gummispülhandschuhtage lauten.



"die liebe in der zeit der maul-, und klauenseuche."
(dana bönisch)


Rocktage ist der Debütroman von Dana Bönisch und behandelt in seinem sehr eigenen Stil einen Lebensabschnitt den viele kennen: das Leben eines jungen Menschen Anfang zwanzig, der sich gänzlich anders sozialisiert zu haben scheint, als es die Diktatur des medialen Mainstream für einen jungen Menschen vorgesehen hat. Tobias Puck lebt in der Zeit nach dem Abitur und im Anfang seines Studiums und trägt in sich die schwere Last der Suche nach einem Sinn und der grenzenlosen Sehnsucht nach dem Leben. Alles Dinge die man selbst irgendwann in sich transportiert hat oder dabei ist sie in sich auszufechten. Tobias Puck, der von allen stets auf seinen nach Sommernachtstraum klingenden Nachnamen reduziert wird, lebt in einer Welt die sich in zwei Möglichkeiten aufteilt: es gibt Rocktage und es gibt Gummihandschuhspültage. Die Ersteren repräsentieren das, was sich Puck unter dem Leben vorstellt, die letzteren stellen die Unerträglichkeit der Realität dar, wie sie schmerzlicher nicht sein können. Und diese sind in der Überzahl. Zwischen diesen beiden Aggregatszuständen des Seins balanciert Puck durch sein Leben, beseelt von einem sehr übersichtlichen Freundeskreis der ihn gänzlich missverstehen zu scheint, seiner Mutter mit ihrem neuen Lebensgefährten, dem Kioskbesitzer Herrn Hürdiye, und den Gefühlen die ihn immer wieder Auftrieb auf der Suche nach Zielen seiner Sehnsucht machen. Dann trifft er eines Tages Gwen, ein Mädchen, welches genauso zu fühlen scheint, und in die er sich vom ersten Anblick an unsterblich verliebt. Rocktage.

Dana Bönisch hat eine Welt in ihrem Roman erschaffen, die, wenn der Name Kafka fallen würde, nicht Franz sondern Markus meint. Der Protagonist lebt und verzweifelt in der Medienhochburg Köln an Werten, die er sich in seinem Leben selbst aufgelegt hat, und die alles ihn Umgebende zu zerstören ersucht. Das Sehnsuchtsmoment aus den Leiden des jungen Werther scheint mit den Ausbruchsversuchen aus der künstlichen Welt die Jim Carreys Charakter Truman im gleichnamigen Kinofilm veranstaltet, verschmolzen zu sein. Hochkultur trifft Popkultur. Puck fühlt sich stets so, als würde ihn eine Kulisse umgeben, die man ihm immer wieder aufs Neue versperrt, wenn er einen neuen Versuch startet, sie zu durchbrechen, um an das wahre Leben dahinter zugelangen. Ein großes Thema, welches sich die junge Autorin ganz bestimmt nicht dadurch erleichtert hat, dass sie das Leben durch die Augen eines Jungen betrachtet. Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit.

Die Autorin verspielt Mal um Mal die Chance einer tiefgründigen Auseinandersetzung mit dem Thema, zu Gunsten von oberflächlichen Gefühlsausbrüchen, ihrer Art die Interpunktion neu.zu.gestalten oder desolaten Wortkonglomeraten wie Gitarrenwandglücksschutzpanzer. Motive werden entwickelt, Metapher erschaffen, bleiben dann jedoch unberührt, während der langatmigen Beziehungsentwicklung zwischen Puck und Gwen, und die Autorin beschäftigt sich erst zum Ende hin nur unzulänglich mit ihnen. Auf diesen wenigen letzten Seiten entfaltet die Geschichte eine neue Perspektive, einen neuen charakterlichen Aspekt, welchem mehr Aufmerksamkeit hätte geschenkt werden sollen.

Und dann ist da noch das Identitätsstiftende Motiv der Musik. Dieses Thema der immensen Wichtigkeit dieses als Hobby verunglimpften Lebensinhaltes ist schwerlich zu beschreiben, wenn man nicht gerade Nick Hornby heißt. Auf dem neuen Album der Sportfreunde Stiller singen diese ironisch "Jetzt zum allerletzten Mal, wir waren nie die erste Wahl", und genau das ist der Punkt. Bönisch scheint Puck von dem vermeintlichen Hauptstrom der popkulturellen Wahrnehmung abgrenzen zu wollen, nur um seine Wünsche und Hoffnungen doch auf Texten der Songs basieren zu lassen, die sich in dem Spalt angesiedelt haben, welchen die Musikindustrie eröffnete, als man bemerkte, dass sich ein neuer, ertragreicher Markt jenseits des gecasteten Irrsinns erschließen ließe. In sakramentalem Eifer entdeckt Puck einen hell leuchtenden Stern am Himmel und Peter Brugger erscheint ihm als Prophet, woraufhin er das Bizarre Festival bereist, als wäre es sein Mekka, nur um die schmerzliche Erfahrung machen zu müssen, dass sein Messias (Ash Frontmann Tim Wheeler) ihm nicht den Weg zur Ewigkeit beschreiben kann. Eine überzogen unecht wirkende Religiosität, welche der Musik, oder vielmehr ihrer vermarktenden Umgebung aufgebürdet wird, hinterlässt einen unangenehmen Geschmack auf der Zunge
foto:



dana bönisch
"rocktage"
kiwi 2003

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