Honig [Treehouse]

"Die Sonne geht auf über dem Baumhaus und begrüßt den neuen Tag mit goldenen, warmen Strahlen und süßem Duft. Willkommen in der Welt von Honig!" So steht es auf der Rückseite der Platte und dieses Wort zum Geleit darf man getrost unterschreiben.


"and tonight i will take a ride on my brand new bike."
(brand new bike)


Es gibt diesen Augenblick im Leben, wenn man das Kindsein verliert. Das hat nicht zwangsläufig etwas mit Unschuld zu tun. Oder dramatischen Einschnitten. Es ist der Augenblick, wenn man die Gabe verliert mit seinen Spielsachen zu spielen. Wenn man in dem Baumhaus nicht mehr die Festung sehen kann, die es doch eigentlich bis gestern noch war. Wenn die Actionfigur nur noch das Plastik ist aus der sie besteht und man sie mit einer Berührung nicht mehr zum Leben erwecken kann. Wenn das eigene Bett nicht mehr in der Lage dazu ist, nachts zu anderen Planeten zu reisen und ein paar Stühle und eine Decke darüber nicht mehr die heimelige Höhle darstellen. Dass dies tatsächlich ein Verlust ist, bemerkt man meist nicht während man diesen Moment durchlebt, denn an seiner statt stellt sich das neue Interesse und die damit verbundenen Probleme der Pubertät und ähnlicher Gemeinheiten. Erst viel später bemerkt man, dass das erklingen einer geliebten Fersehmelodie jener Tage ein sentimental melancholisches Gefühlt heraufbeschwören kann. Wer das als infantil abschreibt, hat die Bedeutung nicht verstanden.

Stefan Honig und Jan Sedgwick, die eigentlich für Gesang und Klavier bei der Kölner Band Benevolent sorgen - bzw. sorgten, Jan ist dort gerade ausgestiegen -, greifen gemeinsam als Honig eben dieses Gefühl konzeptionell auf. Das Debüt mit dem bezeichnenden Titel "Treehouse" bietet eine Fülle an kindlichen Verweisen, Thematiken und Träumen. Wenn von Rittern und Cowboys die Rede ist, von Raumschiffen und Flugzeugen, von der Biene, die sich plötzlich gefährlich nahe an einen schmiegt, oder einfach nur von dem Bedürfnis in den Arm genommen zu werden, bevor man ins Bett geht. Die mit Wasserfarben nicht ganz sauber ausgemalten Zeichnungen im Booklet belegen diesen Ansatz zusätzlich.

Bei all dem kindlichen Charme bricht aber auch immer eine reflektiertere Ebene durch, den kindlichen Denkenshorizont bei weitem übersteigend, die sich in den vorsätzlich verspielten Texten von Honig zeigen. „I should stop trying to save anyone from a life they chose to live. It does depend on who you are and what you've been through where your mind is at.“ (One) Kinderlieder im Sinne von für Kinder komponiert sind die Stücke jedoch bei weitem nicht. Es geht aber auch nicht um ironische Brechung, sondern eine ganz ehrliche Auseinandersetzung mit eben jenen Themen. Musikalisch ist man hingegen durchaus erwachsen. Erwachsen verspielt vielleicht. Im Sufjan Stevens Sinne. Im Sinne von Postal Service, Architecture in Helsinki, Adem oder Tunng. Spätestens wenn im Opener In Full Makeup nach ein paar Minuten die Bläser einsetzen weiß man, dass sich einem gerade jetzt, in diesem Augenblick, eine wunderschöne, ganz bemerkenswerte Platte in all seiner Unaufdringlichkeit eröffnet. Wenn der Kinderchor plötzlich im Refrain von Brand New Bike einsetzt, ganz unerwartet, aber dann doch wieder nur verständlich. Oder wenn im Hintergrund immer wieder diese kleinen Details zu erahnen sind, die sich vor einem beim ersten, zweiten hören noch versteckt zu haben scheinen.

Die zehn Stücke auf „Treehouse“ - plus einem kurzen Interlud und einem nicht überflüssigen Remix - funktionieren sicherlich, wie derzeit live zu bewundern, auch in reduzierter Singer/Songwriter Manier nur mit dem verhaltenen, beinahe zärtlichen Gesang und begleitender Akustikgitarre. So lies sie Stefan Honig auch ursprünglich reifen, bis er auf Jan Sedgwick traf, welcher den Stücken eine andere Wendung bescherte und sie mit Chören, Bläsern, Streichern, Flöten, Klavier, Perkussion und vielem mehr opulent verfeinerte ohne sie zu überfüllen. Oder wie es bei ihnen selbst zu lesen ist, schien Jan in der Lage den Songs „neue Ideen zu geben, ihnen Mut zu machen sich von einer ganz neuen Seite kennen zu lernen. Einige entdeckten ihre romantische Ader, andere wurden sich auf einmal erst so richtig ihrer selbst bewusst. Sie bekamen immer mehr Farbe und einige fingen sogar an zu tanzen, obwohl sie sich das früher nie so recht getraut hatten. Wieder andere blieben ein wenig zurückhaltender und schauten sich das ganze Spektakel eher aus dem Hintergrund an.

Bemerkenswert ist hierbei außerdem, dass die Musiker den Mut aufbringen einigen Instrumenten ausdrucksstarke Soli zuzugestehen, welche zwar in der jüngsten Popgeschichte, jedoch bei weitem nicht in der allgemeinen Anerkennung genügend Aufmerksamkeit erhalten. So bietet Choke On Bees – einer kurzen, fantasievollen Anekdote über eine Biene, die langsam in den Mund und die Kehle krabbelt – ein gut ein-minütiges Querflötensolo. Paperbag hingegen glänzt mit einem Perkussion- und einem Streicherintermezzo, und in One erlaubt man es schließlich der klassisch quietschenden E-Gitarre sich anstandslos in den Vordergrund zu spielen, ohne dass einem dabei „Rock“ in den Sinn käme. Das ganze wirkt so überzeugend, so gelungen und gelassen, dass man es sich nicht besser hätte wünschen können. So ist „Treehouse“ am Ende wie die zärtliche Umarmung bevor man schlafen geht, die sich Honig in Breakfast Cereals selbst wünschen. Bitte, bitte kaufen!
foto: honigsongs.de



honig
"treehouse"
babsies diktatur 2008 cd
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City Slang And Wichita Play Popkomm [Berlin, 08.10.2008]

Manchmal steht man am Rand eines Konzerts und sieht erstaunt, was im Publikum passiert. Und dann muss man sich entscheiden, ob man weiter nur am Rand stehen bleibt oder mitten rein will.


"huiuiui! hier ist aber was los!"
(h.obst)





Und manchmal entscheidet man sich doch für den Rand und macht Fotos. [Für die Fotogalerie bitte auf das Bild klicken]. Steht da und beobachtet auf der Bühne scheinbar wildgewordene Skandinavier, die gar keine sind (O'Death), während vor der Bühne der halbe Saal tanzt. Ausgelassen. Etwas schöneres kann es kaum geben, als dazu die Musik zu machen.

Und dann ganz zum Schluss findet man sich wieder mitten drin. Es ist schon nach Mitternacht, die Trompeten und noch mehr Geige und die bekannten Klänge der Band, wegen der man eigentlich da ist (Get Well Soon). Ruhiger stehen jetzt die Menschen da und hören. Und man hofft, dass sie sich genauso aufgehoben fühlen, wie man selbst und schließt die Augen.

Und vorher? Das hat man dann fast schon wieder vergessen. Das gefühlte Gedächtnis reicht nicht für sechs Konzerte an einem Abend. Aber das muss es auch nicht. Get well soon, Los Campesinos!, O'Death, Port O'Brien, Those Dancing Days und Sky Larkin beim City Slang and Wichita Play Popkomm Abend.
foto: uta bohls
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wichita records
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Get Well Soon

Was soll man Konstantin Gropper eigentlich noch fragen? Seit er als Get Well Soon im Januar sein Debütwerk veröffentlichte, überschlägt sich nicht nur die Musikpresse. Ein Konzert reiht sich an das nächste, und die Fragen sind auch alle zahlreich gestellt worden. Aber jetzt, fast ein Dreivierteljahr nach der ersten Euphorie, ist vielleicht Zeit, um zu sehen was bisher war, was ist und was werden wird. Und genau danach zu fragen…


"to the beat of my automatic heart you sing a song of life."
(tick tack goes my automatic heart)


Das erste Mal hörte ich Get Well Soon auf einem Konzert im April. Ich wusste nicht, was mich erwarten würde, denn ich kannte die Musik vorher nicht. Und dann kam nach dem Prelude das zweite Stück You/Aurora/You/Seaside. Die Trompeten setzten ein, der Rhythmus, die Stimme und plötzlich war es wie abgeholt werden. Es hat mich völlig getroffen. Das war wie in der Musik baden und sich da gut aufgehoben fühlen. Sich reinfallen lassen und erst danach wieder auftauchen. Wow.

Das ist für mich die Musik von Get Well Soon. Nach wie vor. Ein größeres Kompliment kann ich nicht machen. Etwas objektiver könnte man sie als sehr vielschichtig, orchestral, unerwartet, melancholisch-schön, tief, opulent-melodiös bezeichnen. Dazu Texte, die in ihrer Essenz hoffnungsvoll sein sollen. You will get well soon. Auch wenn es nicht immer danach aussieht.

Ich traf Konstantin Gropper Anfang Oktober im Berliner Postbahnhof, wo abends, im Rahmen der Popkomm, der "City Slang and Wichita play Popkomm" Abend stattfand, auf dem neben Get Well Soon unter anderem noch Los Campesinos!, O’Death und Port O’Brien spielten. Es war mittags, es wurde auf den verspäteten Soundcheck gewartet und der Auftritt war noch fast zwölf Stunden entfernt.

Konstantin, wie geht es dir heute?
"Ganz gut. Ich hatte jetzt auch zwei Tage frei, wo ich zuhause war. Nach zehn Tagen im Bus ist das immer sehr entspannt. Bin jetzt sozusagen etwas erholt."

Als deine Platte 'rest now, weary head! you will get well soon' im Januar rauskam, wurde deine Musik als international kompatibel bezeichnet. Jetzt seid ihr in Europa unterwegs und mich würde interessieren, ob deine Musik in den unterschiedlichen Ländern auch unterschiedlich ankommt. Ob man zum Beispiel bei Konzerten Unterschiede merkt.
"Also ankommen, würde ich sagen, tut sie überall ungefähr gleich. Wir haben nach der Veröffentlichung ja erst in Deutschland gespielt und da war ich schon immer sehr überrascht und ich find’s sehr gut, dass die Leute extrem aufmerksam sind. Ich kann mir das auch selbst gar nicht erklären. Sie sind sehr, sehr ruhig und hören zu und das ist wirklich auch überall so. Naja, es kommen unterschiedlich viele Leute, das ist halt auch so, aber eigentlich ist die Reaktion überall ähnlich."

Ihr habt ja wirklich eine große Anzahl Konzerte gespielt dieses Jahr. Gab es ein Konzert, das dir auffallend gut in Erinnerung geblieben ist? Und auch eines vor dem du richtig Angst hattest?
"Naja, also Angst nicht. Also am aufregendsten war wahrscheinlich schon so der größte Auftritt dieses Jahr beim Melt! Festival. Das war aufregend. Eigentlich auch der Auftritt selber, weil man da halt auch durchgepfercht wird wie so Schlachtvieh."

War das auch das schönste Konzert oder nur das aufregendste?
"Das war das aufregendste, das schönste war’s nicht. Das war eher extrem anstrengend. Weil eben auch der Sound ganz schwierig war. Das schönste… weiß ich gar nicht. Ich fand glaub ich auf der Tour… Heidelberg. Weil das vorher so mein Hausclub war, wo ich halt immer hingegangen bin. Das war ein schöner Abend. Da war ich auch extrem aufgeregt."

Wie geht es deinen sechs Musikern? Die wussten ja am Anfang des Jahres vermutlich nicht, dass sie das ganze Jahr komplett durchspielen müssen bzw. dürfen. Und es sind auch nicht alles Profimusiker. Sind sie noch munter dabei?
"Ja, aber sie spielen auch in wechselnder Besetzung. Es gibt mittlerweile, glaub ich, fast für jeden zwei oder sogar drei Besetzungen. Einfach aus dem Grund, weil die eben auch noch was anderes machen. Ich bin eigentlich mehr oder weniger der einzige, der sonst nichts macht. Also get well soon halt. Die haben dann nicht immer Zeit. Aber sie versuchen sich auf jeden Fall immer Zeit zu nehmen. Wir hatten Mitte des letzten Jahres die Diskussion, ja so in dem Rahmen, wenn’s so und so oft ist, können wir schon spielen, aber wenn es dann so richtig losgeht, dann wird das nichts. Aber irgendwie hat es trotzdem geklappt. "

Was fehlt dir am meisten wenn du jetzt so viel unterwegs bist und auch gar nicht zwischendurch nach Hause kommen kannst?
"Mh. Was fehlt mir am meisten. Meine Freundin? Ansonsten brauch ich schon auch genügend Zeit für mich. Ich bin auch gern mal allein, was auf Tour eher schwierig bis unmöglich ist. Man ist halt wirklich 24 Stunden zusammen. In dem Fall jetzt mit neun Leuten, das ist der Regelfall grad. Die ich alle sehr gern mag, es gab auch überhaupt nie Streit oder so was. Aber trotzdem brauch ich auch Zeiten, wo ich mal allein sein kann. Das ist auf Tour schon anstrengend. Aber das geht allen so. Die Rückzugsmöglichkeit ist manchmal nur der Vorhang, den Du vor Deiner Schlafkoje hast."

Ich frage mich ja, ob ihr nicht auch wahnsinnig angeschmachtet werdet, weil ihr auf der Bühne eine sehr schön anzusehende Band seid. Oder lässt man dich da in Ruhe?
"Also mich ja. Ich hab da kaum Erfahrungen mit. Aber wir sprechen auch glaub ich...also ich hab immer den Eindruck, wir haben ein musikliebendes Publikum. Ich glaub, denen geht’s weniger um die Personen als um die Musik. Es ist auch, find ich immer, ein verhältnismäßig altes Publikum. Das sind einfach eher Leute, denen es um die Musik geht, denk ich mir."

Nach Weihnachten willst du ja dein zweites Album in Angriff nehmen und dann auch erstmal eine Konzertpause einlegen.
"Ich hoffs, ja. Ich brauch dann irgendwann auch mal Pause. Auf jeden Fall erst mal mindestens drei Monate, vor allem auch in Deutschland. Vielleicht wenn noch was Gutes im Ausland ist. Aber eigentlich ist nichts geplant."

Wie ist das bei dir? Dein erstes Album hat sich ja in der Entstehung über längere Zeit hingezogen. Hast du jetzt schon die Lieder im Kopf, die du dann gerne aufnehmen würdest oder gibt es sogar schon fertige Lieder?
"Ich hab schon viele Lieder, aber ich weiß gar nicht, ob ich die da drauf haben will. Ich will nicht wieder über einen längeren Zeitraum Lieder ansammeln und die dann zusammenstellen, sondern wirklich einen konzentrierten Zeitraum haben, in dem ich das schreibe und das dann zusammenhängend mache. Das wär mein Plan. Dann kann es natürlich sein, dass mir dann nichts einfällt, dann muss ich doch die, die ich jetzt schon hab, nehmen. (schmunzelt)"

Wie ist das musikalisch? Ich kann mir vorstellen, dass du auch ganz andere Sachen machen könntest. Bisher ist deine Musik ja sehr vielfältig instrumentiert und…gefüllt.
"Ja, das ist wahr. Eigentlich ist das nicht unbedingt immer so gewollt, das passiert mir immer. Aber ich versuch natürlich schon was anderes zu machen, ich will mich da ja auch nicht wiederholen. Verschiedene Instrumente ist bestimmt auch nach wie vor wichtig. Ich versuch mich da vielleicht auch noch zu verbreitern. Aber wie gesagt, so richtig drüber nachgedacht, also ich versuche nicht drüber nachzudenken, sagen wir mal so. Weil ich es ja dann tun will, wenn ich das Album mache."

Die erste Platte hast du in Heimarbeit alleine am Computer "getippt" und auch die Instrumente später dort eingespielt. Kannst du dir noch vorstellen ohne Computer zu komponieren und willst du diesmal in einem Studio aufnehmen?
"Ich hab mir schon überlegt, das an einem anderen besonderen Ort aufzunehmen. Aber ich weiß es noch nicht. Wahrscheinlich so die Schreibarbeit wird schon nach wie vor wieder Zuhause sein und auch am Computer, einfach weil sich die Arbeitsweise für mich jetzt bewährt hat, weil es so meine Arbeitsweise ist. Und weil das Schreiben halt immer schon auch relativ weit geht, was Sachen wie Arrangement und Instrumentierung angeht und was ich dann am Computer alleine machen muss. Das heißt die Zeit nur so mit Gitarre bleibt sehr kurz eigentlich. Das geht dann relativ schnell schon in Richtung dem Klang, den es dann am Schluss auch haben soll. Das wird auch so bleiben. Ursprünglich bei der ersten Platte war ja auch schon der Plan, dass ich das erst mal für mich mache und dann vielleicht noch mit einer Band ins Studio gehe und die das dann sozusagen nachspielt. Dazu ist es dann nicht gekommen. Aber vielleicht mach ich das dieses Mal so. Das hatte ich auf jeden Fall vor. Das Ding ist, was den Sound angeht, will ich mich auch nicht unbedingt, was die Platte angeht, auf diese Besetzung der Band festlegen."

Wie sieht es mit Filmmusik aus? Im November läuft der neue Wim Wenders Film "Palermo Shooting" an, zu dem du zwei Stück beigesteuert hast. Du spielst aber nicht mit, oder?
"In dem Film? Neinnein. Der Film war ja dann auch schon relativ fertig, als die Musik dazu kam. Ich hab ihn auch noch gar nicht gesehen, den Film. Ich war jetzt auch nicht da bei der Pressevorführung. Ich hab nur einzelne Szenen bekommen zu denen ich dann was machen sollte, aber die sind sehr kurz und waren auch nicht so besonders aussagekräftig für den Film. Dann hab ich noch für einen Dokumentarfilm komplett die Musik gemacht. ('Der Entsorgte Vater' von Douglas Wolfsperger). Der wird auch nächstes Jahr irgendwann im Kino anlaufen. Und dann noch zum Teil für einen österreichischen. ('Contact High' von Michael Glawogger) Die haben einen Song verwendet und noch ein paar kleinere Stücke. Der wird glaub ich im Frühjahr anlaufen.

Hast Du schon mal einen Kinofilm gesehen, bei dem du gedacht hast, dass du dazu gerne die Filmmusik geschrieben hättest?
"Nein, das ist eher so, dass für mich Musik schon sehr wichtig ist in einem Film. Ich glaub wenn ich einen Film von der Stimmung her gut finde, dann muss die Musik auch schon gut sein. Dann denk ich nicht drüber nach, ob ich das gekonnt hätte."

Welche Filmmusik findest du besonders gelungen?
"Naja, also Kubrick hat ja meistens immer Originalmusik verwendet und die Art wie er mit Musik eben umgeht, fand ich immer sehr sehr spannend, vor allem weil er das auch sehr stark dramatisch macht. Oder musikalisch perfekt fand ich auch 'Punch-Drunk Love' von Paul Thomas Anderson. Da hat Jon Brion die Musik gemacht und die Musik war sozusagen Teil der Handlung. Sie war ständig so präsent, dass es dem Zuschauer das Gefühl vermittelt hat, das eigentlich der Hauptdarsteller ständig hat."

Was hörst du privat grad am liebsten? Hörst du überhaupt Musik wenn du unterwegs bist oder brauchst du Ruhe, wenn du selber Musik machst?
"Nee, ich hör viel Musik. Auch gerade auf der England Tour hab ich viele Platten gekauft, weil die da immer billiger sind. Also in letzter Zeit hab ich viel Beach Boys gehört. Und Bon Iver. Sind meine Entdeckung des Jahres. Kann ich sehr empfehlen."

Du hast eine gute Coverversion von Underworlds "Born Slippy" gemacht. Welche Coverversionen von anderen Künstlern findest du besonders gelungen?
"Mh….also das ist eher so dieses eine Beispiel, wo tatsächlich und bekannterweise die Coverversion besser ist als das Original: 'Hallelujah' von Jeff Buckley. Obwohl ich Jeff Buckley überhaupt nicht mag und dafür riesen Cohen Fan bin."

Leonhard Cohen, den du auch als einen deiner musikalischen Einflüsse benzeichnest, ist ja grad nach langer Abstinenz wieder in Europa unterwegs. Zeitgleich mit euch.
"Ja, ich hab’s ja leider verpasst, als er hier war, weil ich da unterwegs war. Ich wäre sehr gerne hingegangen."

Noch mal zurück zu euren Auftritten. Eure Bühnenkleidung ist anders als das, was ihr privat tragt. Ist dir das wichtig als Abgrenzung?
"Ja, also Abgrenzung einerseits schon. Andererseits kann man sich ja schon Gedanken dazu machen wie man… (schmunzelt) Also wenn man sich schon auf eine Bühne stellt, dann kann man sich auch überlegen wie. Und ich glaub das hilft auch irgendwie, wenn man sich umzieht. Dann kommt man besser rein. Als wenn man seine Arbeitsklamotten anzieht. Das ist genauso. Es ist auch tatsächlich so, die Sachen, die ich live anhabe, zieh ich privat nicht an."

In deinen bisherigen Videos orientierst du dich optisch an der Vergangenheit und du hast mal gesagt, dass du die Zeit um 1900 spannend findest. Was genau fasziniert dich an zurückliegenden Zeiten?
"Naja, ich würde nicht sagen, dass ich grundsätzlich von zurückliegenden Zeiten fasziniert bin oder sie faszinierender finde als die Gegenwart. Aber ich fand um 1900 war es vor allem was die Kunst angeht sehr spannend, weil die Kunst da einfach einen großen Sprung gemacht hat. Hin zur abstrakten Kunst und in der Musik zur atonalen Kunst. Das war halt einfach eine Zeit, wo Künstler mehr oder weniger gleichzeitig das Bedürfnis hatten, wirklich etwas Neues zu schaffen. Nicht wie die Romantik, die eher noch wieder die mittelalterlichen Bilder genommen hat und die Renaissance die antiken Bilder. Und wo wir uns selber ja auch jetzt wieder in diesen immer kürzer werdenden Retrozirkeln und -situationen befinden. Da fand ich halt an dieser Zeit diesen unbedingten Fortschritt, diese Avantgarde-Idee einfach spannend."

In dem Zusammenhang würde mich interessieren, wie du zu Traditionen stehst. Nicht nur in Bezug auf Kunst, sondern auch gesellschaftliche Traditionen und da du auf dem Land aufgewachsen bist, ländliche.
"Also ich bin kein traditioneller Mensch, aber ich find Traditionen irgendwie auch faszinierend, glaub ich. Gerade auch auf dem Land find ich sie dann immer eher amüsant. Also was so gesellschaftliche Traditionen angeht, davon halte ich eigentlich nicht so wahnsinnig viel. Ich weiß nicht, man kann ja auch sagen man steht 'in der Tradition von irgendwas'."

In welcher stehst dann du?
"Das weiß ich nicht, aber ich mein, es gibt ja immerhin die Binsen-Weisheit, die da sagt: man muss ja erstmal die Regeln kennen, um sie zu brechen. Also wenn man sozusagen in überhaupt einer Tradition steht, dann heißt es, dass man irgendwie weiß, was vorher da war und in welchem Zeit-Raum-Moment man sich selbst befindet. Das gilt vor allem in der Kunst, aber auch generell für die Gesellschaft. In der Kunst oder Gesellschaft find ich es auf jeden Fall wichtig um das Jetzt zu kennen, muss man auch die Traditionen kennen. Denk ich. Ob die immer gut sind, weiß ich nicht, wahrscheinlich nicht, aber kennen sollte man sie wahrscheinlich."

Zum Abschluss habe ich noch einige Entweder-Oder-Fragen. Sekt oder Selters heißt das, wie ich gestern gelernt habe. Deshalb fang ich damit auch an:
Sekt oder Selters?
"Selter, Sekt mag ich nicht."

Morgens oder abends?
"Morgens, zumindest was die Arbeit angeht. Früher anfangen, früher aufhören. Das liegt glaub ich an meinem Biorhythmus. Nach 18h krieg ich nichts hin."
Karibik oder Alaska?
"Alaska. Sonne vertrag ich nicht. Gar nicht."
Entscheiden oder noch ne Nacht drüber schlafen?
"Noch ne Nacht drüber schlafen. Ich bin sehr entscheidungsunfreudig."
Hier oder woanders?
"Eigentlich egal. Hier. Ich leg da nicht so viel wert drauf, wo ich bin."
Bunt oder schwarz/weiß?
"Bunt."
Geben oder Nehmen?
"Geben."
Strandkorb oder Berghütte?
"Berghütte, wegen der Sonne."
Schokolade oder Weingummi?
"Gar nichts Süßes."
Reden oder Schweigen?
"Schweigen."
Beatles oder der alte Mann?
"Beatles."
Scooter oder DJ Bobo?
"Scooter, geht gut ab."



foto: uta bohls



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Uzi & Ari [Headworms]

Uzi & Ari sind wie Wasser - und diese Assoziation ist keineswegs eine negative. Sie plätschern, knistern, rattern, sprudeln, glucksen, schmatzen und rauschen dahin, und was bleibt, ist ein Open End.


"if you stop breathing it, it breathes you out."
(magpie's monologue)


Nachdem ich mir die ersten Tracks angehört hatte, anschließend aus dem Haus ging und in den Himmel blickte, da erst wusste ich, dass dieses Album ein gutes sein muss. Da, hinter meiner Stirn, war ein Satz hängengeblieben. "I'm so much older than anyone, I'm so much older" (Wolf Eggs). Mir gingen weder die Worte, noch die Melodie aus dem Kopf. Dieser eine Satz hatte so sehr Besitz von mir ergriffen, dass ich ihn immer wieder wiederholte, auseinandernahm, analysierte, überdachte. Dieser Satz ist ein Gänsehautsatz. Weil er ein Geheimnis ist.

Das inzwischen dritte Album des amerikanischen Quartetts Uzi & Ari, "Headworms" betitelt, bei Own Records erscheinend, ist durch und durch geheimnisvoll. Nachdem der letzte Titel Paper Cuts, mit eigentlich widersprüchlichen Instrumenten wie einer Geige und einer Orgel, sanft ausgeklungen ist, bleibt der eben noch vollkommen glücklich lauschende Hörer wie im dunklen Keller stehen, dessen Tür zufällt und von außen verschlossen wird. Er hat viele Fragen, und fast alles bleibt ungewiss.

So auch die Wahl des Artworks des gerade erschienen Albums. Eigentlich scheint diese Frauenfigur auf dem Cover, die sich so frei, so losgelassen bewegt, zu passen, jedoch - irgendetwas stimmt da nicht. Etwas fehlt. Und das ist genau der Grund, warum das Artwork eben doch zu "Headworms" passt. Es fehlt ein Highlight, ein Höhepunkt, etwas Greifbares. Uzi & Ari schweben im Raum, sind eben da und doch wieder nicht, sind gespenstisch, entweichen und entwischen dem Verzauberten, der versucht, immer wieder zu verstehen. Wie Wasser. Bevor der Hörer weiß, was er da tut, ist "Headworms" auch schon vorüber, wie ein Rausch - wunderschön, aber im Anschluss kann man sich doch nicht mehr so recht daran erinnern.

Jedoch kann man sich bei diesen großartigen Musikern sicher sein, dass dieser Effekt kein Versehen ist, sondern ein Konzept. Denn einer dieser vier Musiker ist Bandgründer, Songschreiber und Sänger Ben Shepard. Er ist ein Genie, soviel steht fest, denn seine Band ist genau dazu bestimmt, wie Luft zu sein. Der Hörer atmet und atmet und atmet, und was er damit anfängt, darf er sich selbst aussuchen. Shepard fordert nur auf: "Lift up your spirits now! Lift up your spirits now! They're coming after us!" (Thumbsuckers).

Mit ihren bisherigen Aufnahmen, besonders dem ersten Album "Don't Leave In Such A Hurry", wurden Uzi & Ari oft als "tanzbar" abgestempelt. Damit war alles gesagt, unter "tanzbar" konnte sich wohl jeder etwas ungefähres vorstellen. Bei "Headworms" klappt das nicht mehr, denn tanzbar ist ein Adjektiv, das einem hier als letztes einfallen würde. Es ist viel zu beliebig. Zu "Headworms" kann man nicht tanzen, höchstens schweben, im Nirgendwo, lächelnd und glücklich berauscht. Von Basstönen, die auf dem Trampolin springen, von Gitarren und Keyboards, Akkordeon und Geige. Ja, die vier Musiker als Salt Lake City mögen Kontraste und Gegensätze, das spürt man auf "Headworms" jedoch nur unterschwellig. Es ist so komplex, so riesig und so gut, dass es wässrig-flüssig wird.

Der eine Satz hängt immer noch in meinen Ohren fest, wie ein Wurm im Kopf. Ich höre Wolf Eggs auf Dauerwiederholung, und mir fährt ein Schauer über den Rücken, als Uzi & Ari immer wieder zugeben, dass sie älter sind. Was das bedeutet, weiß wohl nur Herr Shepard. Er schafft es, eine Tür zu öffnen, nur einen Spalt weit. Nicht jeder, dem seine Musik zu Ohren kommt, bekommt Zugang zu dieser kleinen Wasserwelt, die Ben Shepard kreiert, ein Loslassen ist nötig. Um den Zauber, den man wahrlich knistern hören kann, zu begreifen, ist es nötig, die Augen zu schließen und zuzuhören. Denn Herr Shepard hat eine Menge zu erzählen - eine Menge Geheimnisse.
foto: own records




uzi & ari
"headworms"
own records 2008 cd
uzi & ari

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Sonntag Nachmittag [Oktober 2008]













fotos: manuel kaufmann

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Sprechstation Verlag

The points are not the point; The point is poetry.
Der viel zitierte Ausspruch des Slampoeten Allan Wolf weist auch den Weg des Sprechstation Verlages, der sich seit 2003 mit Künstlern aus der Poetry Slam- und Spoken Word-Szene befasst.



"und das plakat ist wie ein spiegel deiner selbst; zerrissen und kaputt und die reste treibt der wind."
(menschliche fackel)


Poetry Slams haben eine lange Geschichte, die man ihnen heute, wenn sie im Privatfernsehen oder als VHS Workshop daherkommen vielleicht nicht mehr ansieht. Zurück bis zur performativen und subversiven Kraft der Beat Generation in den 50er und 60er Jahre der USA – man denke etwa an Allen Ginsbergs Lesung seines brachialen Gedichtes "Howl" - bis schließlich zum Entstehungsmythos und Marc Smith, dem Slampapi, im Chicago der 80er Jahre, geht die Spoken Word Bewegung, bis sie in den frühen 90er Jahren auch in Deutschland angelangte. Smith, der als Schöpfer dessen, was wir heute als Poetry Slam kennen, gilt, war ein begeisterter Besucher von sowohl Jazzkonzerten als auch Lieteraturlesungen und bemängelte an letzteren das Ausbleiben der Spontaneität, Kreativität, Improvisation und Begeisterung ersterer. Durch das Aufstellen von Regeln, die bis heute Gültigkeit haben, gelang es ihm Open Mike Darbietungen mit eben jenen Mitteln zu würzen, die aus der verstaubten Tisch-und-Wasserglas-Borniertheit einen dynamischen, unvorhersagbaren, interagierenden Showcharakter heraus kitzelten. „My first rule was never allow a poet to overstay his or her welcome. I encouraged the audience to boo, hiss, groan and snap them off the stage“, lässt sich Smith zitieren. Das Publikum als Jury einzusetzen ist neben einem strikten Zeitlimit, der eignen Urheberschaft des dargebotenen Textes und der „No-Props-Regel“, die es dem Slammer untersagt Requisiten einzubinden, der formale Eckstein, derden Poetry Slam sowohl reglementiert als auch definiert. Die allein formale Beschränkung erlaubt eine immense Stilvielfalt, die von klassischen Stabreim-Gedichten, über rhythmischem Rap bis zum interagierenden Freestyle reicht und dem Slampoeten inhaltlich prinzipiell eben soviel Freiheiten zugesteht.

In der „sozialen wie kulturellen Gefriertruhe (Martin Büsser) Deutschland der 90er Jahre, entwickelte sich eine eigenständige literarische Bewegung, die in ihrer Heterogenität an die amerikanische Beat Generation erinnerte und gleichsam von dieser geprägt war: Social Beat. Das Anliegen war es, den akademischen Literaturbetrieb und dessen angeprangerte konservative Unbeweglichkeit aufzubrechen, nicht zuletzt mittels sozialkritischer Texte, die sich inhaltlich am Rand der Gesellschaft ansiedelten. Wenige Jahre später ging das Netzwerk Social Beat im emporkommenden Poetry Slam auf, der sich bis heute in den Städten des Landes etabliert hat und sogar als aufgepeppte Lyrikvariante im Schulunterricht der Mittelstufe Einzug gehalten hat.

Der 2003 gegründete Konstanzer Sprechstation Verlag, heute geleitet von Charlotte Rieber und Thomas Geyer, veröffentlicht unter anderem audiovisuelle Publikationen dessen, was an kreativem Potential bei Slammern und Spoken Word Poeten im deutschsprachigen Raum hervor sticht. Mit einer sehr gelungenen Dokumentation des German International Poetry Slams 2003 mit dem Titel "Poesie Auf Zeit" als DVD, nahm der kleine Verlag seine Arbeit auf. Die Auswahl der vertretenen Künstler auf den folgenden CD Veröffentlichungen - Bas Böttcher, Toby Hoffmann, Etta Streicher, Gabriel Vetter und Jaromir Konecny seien hier exemplarisch genannt – besticht nicht nur durch stets schön gestaltete Cover und Innovationen in rezeptionsästhetischer Hinsicht, sondern kann auch als zeitnaher Beleg dafür angesehen werden, dass Popliteratur nicht immer blasierte Attitüde und das unbedingte heraufbeschwören von generationsdefinierenden Kollektiverlebnissen sein muss. Sowohl im geschickten sprachlichen Erfindungsreichtum von Etta Streicher und Toby Hoffmann, als auch im gelungenen Verbinden von Musik und Lesung bei den Beatpoeten, zeichnen sich die jüngsten Sprechstation Veröffentlichungen durch eine anspruchsvolle Auswahl aus. Inhaltlich weiß man ebenfalls einen Kontrast zum comedyesken Literaturklamauk und seiner Beliebigkeit zu setzen, der das Format Poetry Slam bei oberflächlicher Behandlung recht schnell auf seine amphitheaterhafte Showattitüde reduzieren kann.

Als einige terminliche Schwierigkeiten überwunden waren, konnte ich ein ausführliches Gespräch mit Charlotte Rieber über den Stand der Dinge in Sachen Poetry Slam und Spoken Word führen.

Du betreibst den 2003 gegründeten Sprechstation Verlag gemeinsam mit Thomas Geyer. Ihr kommt beide aus dem akademischen Betrieb - Thomas als Soziologe, du als Literatur- und Medienwissenschaftlerin -, eben jenen vermeintlich festgefahrenen Mechanismen, von denen sich sowohl Slam Poetry als auch seine Vorgänger zunächst zu distanzieren versuchten. Betrachtet man dies, scheint es eine recht seltsame Konstellation zu sein.
"Gar nicht seltsam! Man könnte sagen, dass mit der Idee zum Poetry Slam der Versuch einher geht, eine literarische Welt abseits des elitären Literaturbetriebs zu etablieren, was auch halbwegs gelingt. Unabhängig davon erlebt das Veranstaltungsformat in Deutschland gerade einen großen Boom und wird mit steigendem Bekanntheitsgrad zunehmend auch von wissenschaflicher Seite rezipiert. Und dagegen konnte sich über kurz oder lang noch keine künstlerische Form wehren. Die Wissenschaft würde ich auch nicht als Mechanismus bezeichnen, eher als Werkzeug der Beobachtung. Und dazu kommen wir nicht über die Uni zum Slam. 2002 haben wir angefangen, Poetry Slams und Lese-Shows in Konstanz zu veranstalten. Und 2004 den Verlag gegründet."

Inwiefern spielen in der gegenwärtigen Poetry Slam Szene noch Wurzeln wie die Beat Generation der 1950er in den USA oder Social Beat der 1990er Jahre in Deutschland ein Rolle? Dass zumindest erstere in Einzelfällen noch im Bewusstsein sind, lässt sich aus Verweisen schließen, wie etwa der Ginsberg Homage "Allen Ginsberg Is Dead" von Toby Hoffmann oder der Nachempfindung des Covers der 1991 erschienen Ausgabe von Jack Kerouacs "On The Road" bei der aktuellen CD Veröffentlichung der Beatpoeten aus Eurem Hause.
"Das hängt sehr vom jeweiligen Autor ab. Poeten wie Toby Hoffmann oder Egge von den Beatpoeten stellen sich bewusst in diese Tradition und orientieren sich in ihrem Schreiben ganz klar an Beat-Autoren . Aber im Slam treffen so viele Einflüsse, Textformen und Vortragsstile zusammen, da ist der Beat nur eine von vielen literarischen Strömungen, die aufgegriffen werden. Die Slam-Szene zeichnet sich meiner Meinung nach vor allem dadurch aus, dass in ihr so viele verschiedene literarische Traditionen zusammenkommen und vermischt werden - total postmodern eben..."

Poetry Slam hat sich gerade in den letzten Jahren an vielen Stellen in den Alltag eingeschlichen oder - je nach Sichtweise - beispiellos vom Mainstream verwässern lassen. Inwiefern nehmen TV Sendungen wie "Slam Tour mit Sarah Kuttner" oder ähnliche massenmedialen Formate Einfluss auf Form und Inhalt des Poetry Slams dieser Tage und inwiefern ist dies begrüßenswert oder bedenklich?
"Da bin ich zwiegespalten. Ich selbst bin kein Freund von Slam im Fernsehen. Aber das liegt vielleicht auch daran, dass ich generell kein Freund vom Fernsehen bin. Letztendlich ist es mir egal. Klar dass ein weltweit funktionierendes, neuartiges Veranstaltungsformat auch von der Welt des Mainstream adaptiert wird, das hat aber in meiner Wahrnehmung keinen Einfluss auf die sonstige Slam-Veranstaltungswelt. Eher wird damit ein Slam-fernes Publikum an die Sache herangeführt, was nicht verkehrt sein muss und Projekten wie unserem Verlag nur dienlich ist. Die Szene im deutschsprachigen Raum ist nach wie vor recht übersichtlich, die Veranstalter von Slams sind in der Regel Privatleute mit viel Begeisterung für die Sache. Mein persönliches Horrorszenarium wäre ein Massen-Event-Slam in Berlins neuer O2-Arena, aber sowas schreckliches wird es bestimmt nie geben. Ich finde die Fernsehshows bestätigen: Slam ist mal besser mal schlechter, hat Ecken und Kanten, ist en gros nicht massentauglich und erscheint in der glatten Welt der Kai Pflaumes und Johannes B. Kerners fehl am Platz."

Was hätte man deiner Meinung nach wann anders machen sollen?
"Das Fernsehformat hätte vielleicht mehr Charme gehabt, wenn man in die Planung Szenekenner mit einbezogen hätte. In der WDR-Show stellt Jörg Tadeusz komische Fragen, die den Eindruck erwecken, dass er zum einen keine Ahnung von der Szene hat und sich auch nicht für die Leute interessiert. Und dann wird mit abartigen Schnitten und Kameraeinstellungen versucht, den Text noch visuell zu unterfüttern. Da entsteht aber leicht der Eindruck, dass man die vermeintlich mangelnde Qualität der Texte durch beeindruckende Kameratricks aufzuwerten trachtet. Kuttners Konzept geht wesentlich besser auf, da sie vor allem als Slam-Besucherin in Erscheinung tritt und tatsächliche Veranstaltungsorte aufsucht, also dahin geht wo Slam 'for real' stattfindet und funktioniert. Aber eine Slam-Show im Stil von Nightwash, moderiert von Markim Pause, das wäre sicher schön. Wobei das letztendlich auch keiner braucht, weil wer einen guten Slam sehen will, geht am besten einfach hin."

Ab wann könnte diese Entwicklung bedenklich werden?
"Eine Crew wie 'Drei glorreiche Hallunken', mittelmäßige Slammer die von einem großen Label gehyped werden, das finde ich – bedenkenswert? – naja, vor allem total unnötig."

Die Offenheit der gewählten Inhalte und der darstellerischen Methoden auf der einen Seite, und die Abhängigkeit des Erfolges vom Publikum auf der anderen Seite, werden von verschiedenen Beobachtern als zwei Seiten einer Medaille im Bezug auf Poetry Slams betrachtet: Größtmögliche Freiheit vs. inhaltlicher Manierismus. Inwiefern kann ein solches Format die subversive Sprengkraft der dargebotenen Literatur untergraben, im schlimmsten Falle sogar auflösen? Und: Inwiefern würde das überhaupt als Problem wahrgenommen, wird eine Gegenbewegung zum unbeweglichen Establishment überhaupt als notwendig erachtet?
"Der Erfolg beim Publikum spielt wohl doch eher nur eine kleine Rolle. Wie gesagt, die Szene ist immernoch übersichtlich, die Poeten freuen sich in der Regel bei Slams die Kollegen zu treffen, der Preis ist mit wenigen Ausnahmen ein symbolischer, eine Flasche Alkohol, Bücher oder CDs. Im Wesentlichen geht es beim Slam darum, Menschen zu ermöglichen kurze, selbstgeschriebene Texte einem Publikum zu präsentieren. Den Wettkampf nehme ich nur als den spielerischen Rahmen für diesen Kerngedanken wahr. Und die meiste Slampoetry zielt auch nicht unbedingt darauf ab, subversiv zu sprengen, sondern in irgend einer Weise als eine gute Show zu unterhalten ohne borniert zu sein."

Franz Dobler behauptet in einer Bemerkung: "Es gibt viel Literatur, die eigentlich nur live existieren will -- was ja auch okay ist. Aber was auf der Bühne fetzt und die Leute begeistert, weil jemand es intensiv bringt, so wie bei einer Band, das muss im Buch nicht unbedingt funktionieren." Disqualifiziert dieses Live-Argument auch Eure Verlagsarbeit, wenngleich ihr keine Bücher sondern CDs, bzw. DVDs veröffentlicht? Was hältst du dagagen?
"Genau darin liegt unser Ansatz: Live-Literatur die fetzt medial vermittelbar zu machen. Schon bei den ersten Slams, die ich gesehen habe, wollte ich am liebsten ein paar der Texte mit nach Hause nehmen. Als dann immer mehr Buch-Anthologien herauskamen, hat mir das nicht gereicht, weil ich eben auch überzeugt bin, der bloße Abdruck gibt häufig nur den Bruchteil eines Slam-Textes wieder. Von der live erlebten Poetry bleibt da oft beinahe nichts mehr übrig. Aus solchen Erfahrungen entstand die gemeinsame Idee einen eigenen Verlag zu gründen, mit dem Ziel Produkte zu schaffen, die einer von der Schriftlichkeit losgelösten literarischen Form gerecht werden. Mit unserer ersten Veröffentlichung, der DVD 'Poesie auf Zeit' haben wir einen Versuch unternommen, Slam audiovisuell einzufangen und auch im Wohnzimmer erlebbar zu machen. Vom Ergebnis waren wir nur mäßig überzeugt. Aus vielen Gründen haben wir danach nur noch CDs gemacht. Und auch wenn das Medium CD offensichtlich ausstirbt, denke ich, das Audioformat ist im Moment die beste und praktikabelste Lösung um grandiose Live-Literatur abseits der Bühne zu vermitteln, zu reproduzieren und damit nicht zuletzt auch zu archivieren."
foto: sprechstation


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