Jörg Buttgereit [Gabba Gabba Hey. Kassel, 25.10.2005]

One, two, three, four.
Das in Berlin gefeierte Punk Trash Musical um die Musik der Ramones tourt durch das Land. Doch lassen sich straßenkredibile Punk Attitüde und theatralische Musical Arrangements verbinden?


"komm her und ich zeig dir, was die speisekarte des lebens noch zu bieten hat."
(der blinde)


Auch wenn es Einige überraschen wird, andere hingegen in ihrem Verdacht bestätigen und Hartgesottene wenig beeindruckt, aber: Punk ist tot. Das hat nichts mit Geruch zu tun, das ist so. Und daran wird auch das in Australien produzierte Punk Rock Musical Gabba Gabba Hey nichts ändern, sondern vielleicht eher noch einen weiteren Nagel in den modrigen Sarg rammen. Die Geschichte selbst ist wenig tiefsinnig, speist sich aus verschiedenen Stücken der New Yorker Legende Ramones, und soll dies auch gar nicht sein; schließlich geht es hier um eine Visualisierung der Musik, mehr um Groove als um Theatralik, mehr um ein "Anti-Musical" (Pressezettel) als um Broadway Pathos. Doug (Jürg Plüss) und Sheena (Katja Götz) sind ein Paar, jedoch will sich Sheena von ihm trennen, nachdem er von der Schule suspendiert wurde und immer empfänglicher für Rauschmittel wird. So betrügt sie ihn kurzerhand mit einem snobistischen Football Hünen (amüsant gespielt von Tim Eberts). Doug streift durch die Lower East Side von New York um im Laufe der Inszenierung – und mit Unterstützung eines schillernden, und mit schwarzen Flügeln engelsgleichen Johnny Thunders, dem Ex New York Dolls Gitarristen – seine Katharsis zu finden und am Ende zu Sheena zurückzukehren.

Der deutsche Trash und Slasher Regisseur Jörg Buttgereit zeigt sich für die deutsche Inszenierung des in Australien uraufgeführten Musicals verantwortlich und sorgt mit einer spärlichen Kulisse und einer Videoleinwand mit urbanen New Yorker Impressionen für spröde Atmosphäre. Subterranean Jungle. Dem Thema angemessen ist das Musiktheater nicht bestuhlt. Man befindet sich vielmehr unter einer Menge von Konzertbesuchern, raucht und trinkt und unterhält sich. Die Darbietung selbst weiß natürlich stilgerecht mit expliziter Sprache und bildlicher Umsetzung den geneigten Musical Freund zu entsetzen. (Was nicht schwer sein dürfte.) Zwar sind die Baseballschläger mit denen ein paar Rechtsradikale auf Doug einschlagen nur aufgeblasen, und der Penis, den Doug in der Gosse gelandet oral befriedigt aus Gummi, dennoch ist Buttgereit mit seiner Version von Gabba Gabba Hey eine Aufführung gelungen, die tatsächlich wenig mit Musicals zu tun hat.

Die Relevanz einer solchen Inszenierung ist natürlich fraglich und die angestrebte Zielgruppe, wenn auch im Info für die Sponsoren "Erwachsene, 18 bis 50 Jahre, 'Young Rebels', musik- interessiert, lifestyle-orientiert, werberelevant" steht, schlecht auszumachen. Kann eine Darbietung dieser Art über ihren eigenen Schatten des beliebigen Zelebrierens einer Musik hinausgehen? Das Gefühl und die gesellschaftliche Bedeutung einer Subkultur für eine neue Generation zu übersetzen, für die Punk oft nicht mehr als ein schickes Branding einer globalen Bekleidungsmarke oder Löcher in der Designerjeans darstellt; zu zeigen, dass Punk weit mehr war als Bier verschütten und sich beim tanzen rumschuppsen. Bei den meisten Schauspielern erinnert dies jedoch mehr an eine choreographisch inszenierte Reminiszenz an eine vergangene Ära. Da wird hysterisch herumgehüpft, headgebanged und Faust erhoben wo es nur gerade passt; was es jedoch nicht immer getan hat.

Katja Götz welche die weibliche Hauptrolle der Sheena besetzt, gelingt dieser Sprung jedoch überraschend gut. Nicht so aufgezwungen wie die schrille Stefanie Heller (Judy), die bisweilen wie eine gecastete und überambitioniert agierende Popstars Punk Version wirkte (Was auch an der involvierten No Angels Choreografin Regina Weber liegen mag), konnte sie mit ihrer zwar ausgelassenen, jedoch weniger karikierend übertriebenen Darstellung der Sheena glänzen. Götz's Schauspiel wirkte nicht aufgesetzt sondern vielmehr wie eine heutige Interpretation der Jugendkultur der späten siebziger Jahre; irgendwo zwischen einer juvenilen Mia Wallace und einer schnoddrigen Sarah Kuttner. Auch das kann heute irgendwie Punk sein und wirkte durchaus authentischer als so manch aufgesetzter Ramones Fan im Publikum.

Alles in allem überzeugte jedoch Schauspieler Rolf Zacher; ganz gleich ob als spießiger Schuldirektor, schmieriger Nachtclubbesitzer oder dem drogenabhängigen Wrack eines Stiefvaters. Vor allem mit letzterer Rolle charakterisierte er nicht nur farblos eine Figur, sondern transportierte eben diese in unsere Gegenwart; mit abgewetzter NVA Trainingshose und fettiger Frisur nuschelt und spuckt einem Zacher seine Wortfetzen in Gesicht. "Couldn't shut up you're an imbecile / you're an ugly dog there's / nothing to gain / you couldn't shut up got a bad bad brain / mama's boy", beschämte er nicht nur in der Rolle des Alkoholiker Vaters seinen Sohn, sondern geiferte mit obszöner Gestik auch zynisch über die gegenwärtige Jugendkultur. Mit seinem Spiel ist er dicht an Joey Ramones Wörter verschlingendem Slang herangetreten. "Sex, Drugs und Rock 'n' Roll, die heiligen drei Könige der Lower East Side", sinnierte er hingegen später als nachdenklicher Obdachloser, ohne dabei seinen enragierten Habitus einzubüssen. "Haltet die Schnauze", fährt er so auch bissig impulsiv eine Gruppe von lärmenden Zuschauern an und ist somit mehr Punk als alle Beteiligten der Inszenierung zusammen.

Leider lies zumindest an diesem Abend der Ton des öfteren zu wünschen übrig, und vielleicht wirkten auch aus diesem Grund die Backingband Forgotten Idols zunächst wie eine wenig inspirierte Tanzband bei einem ihrer zahllosen Jobs. Dennoch konnten sie als Live Begleitung der Geschichte die von Tommy Ramone geleitete musikalische Gestaltung wacker umsetzen. Überhaupt ist die große Punk Legende Tommy Ramone jedoch eine eher fadenscheinige Prominenz hinter dem Ensemble. Zwar ist er das einzige noch lebende Mitglied der Urbesetzung, doch schied der Schlagzeuger bereits 1977, nur drei Jahre nach Bandgründung wieder aus. Und die übrigen Ramones erklärten sogar, dass Tommy für die Band selbst von keiner Bedeutung war. Vor diesem Hintergrund wirkt auch seine, ob der Popularität des Musicals in Australien gemachte Aussage über seine ehemaligen Bandkollegen etwas fraglich: "Joey würde es lieben, Dee Dee fände es amüsant, und Johnny hätte gesagt: Wenn es mir Geld bringt - klasse!"
Adios Amigos, lang lebe Punk. Oder so ähnlich.
foto: shuntrock promotion



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