Musika 77 [Brave Your Free May] / The Book Of Daniel [Songs For The Locust King]

Zweimal Schweden. Zweimal Göteborg. Zweimal Singer/Songwriter. Zweimal orchestraler Begleitung. Zweimal Intensität. Und doch ganz Verschieden.



"i saw a newspaper fly in the draft from a butterfly's wing."
(paper birds, the book of daniel)


Es erscheint an dieser Stelle oft so - und darüber unterhielt ich mich erst kürzlich mit Kollegin Eva -, als würden wir gnadenlos alles abfeiern, was wir in die Finger bekommen. Ganz im Gegenteil ist es jedoch, denn was hier tatsächlich besprochen wird, ist letzten Endes nur eine kleine Auswahl dessen, was man erhält. (Das soll keinesfalls zu einem arroganten Kommentar werden, wie ihn etwa von Stuckrad-Barre überflüssig anführt, um sein Dasein als elitärer Musikjournalist in einem seiner Bücher zu charakterisieren.) Dennoch ist es so, dass man sich zwischen gut produzierten, ambitionslosen Platten und belanglosen Kompilationen über die wirklich guten Veröffentlichungen, die sind wie – um es mal überschwänglich zu sagen – die Oblate, die man sich auf der Zunge zergehen lässt, sehr wohl in seiner Subjektivität verlieren und freuen darf.

Im Vorliegenden Fall sind das zwei Veröffentlichungen aus Schweden, aus dem Umfeld der Göteborger Musikszene, aus der ja auch Boy Omega entstammt. Da in Schweden auf "vier Einheimische etwa drei Songwriter" kommen, wie das Komakino letztlich erörterte, führt das zwangsläufig dazu, dass man sich untereinander nicht nur kennt, sondern auch gemeinsam an Musik arbeitet und sich somit eine recht homogen wirkende Szene etablieren konnte. Ein Privileg, welches in den letzten Jahren neben Skandinavien auch Kanada zu Gute kam. Im schwedischen Fall scheint vor allem eine gewisse Melancholie zu prägen.

Ähnliches gilt auch für Johann Krantz, der gemeinsam mit Therese Engström an Piano und Schlagzeuger Jimmy hinter Musika 77 steht. Im Schein eines klassischen Trios verdichtet sich ihre Musik stellenweise zu geradezu orchestralen Ausmaßen, treten Pauken, Bläser, Piano, Filedrecordings und andere Elemente an die Seite von Johann Krantz akustischer Gitarre und seinem zarten und flehenden Gesang. Wie der spätherbstliche Wald mit den kahlen, düsteren Bäumen auf dem Cover ihres zweiten Albums, erscheint auch die Musik; Zunächst überwiegt diese Dunkelheit, bis man voller Freude die wenigen Sonnenstrahlen erblickt, die einem Trost in dieser tristen Landschaft spenden können. Dann aber bemerkt man, und das ist das wichtige an dieser Platte, dass auch die Tristesse eine ganz eigene Schönheit birgt.

Aber es sind am Ende die Details, welche die Platte wirklich als bemerkenswert erscheinen lassen. Wenn in May, A Magpie, The Softest Forest schmerzlich von einer Trennung, einer unüberbrückbaren Entfernung zwischen zwei Menschen gesungen wird, dann wird nicht einfach die vielmals verwendete Metapher von "a thousand miles away" verwendet; Um die Distanz spürbar zu machen, wiederholt Johann Krantz das Wort Miles einmal, zweimal, dreimal, wiederholt sich die Musik gefangen in einer Schleife, bricht in ihrem Fluss und verdeutlicht sinnbildlich, was sprachlich so lapidar klingt. So ist der Zugang zu dieser Platte vielleicht vor allem über den klugen Umgang mit der Sprache zu erreichen. Erst im Detail wird die Melancholie deutlich und hinterlässt den Hörer mit diesem wundersam schwermütigen, aber ermutigendem Gefühl, einer Wärme im ganzen Körper.

Mountain, Rhine, Ball entfaltet sich, ausgehend von einem sanft artikulierten "shh", ganz langsam, gesellen sich Trompete und Pauken zur Gitarre, um das Stück anzureichern und auszufüllen. In diesem Stück nun, platziert Krantz eine Zeile, die so beachtenswert, so bemerkenswert in ihrer Tiefe ist, wie selten ein Satz in einem Pop Song. Wenn er "Those were the best days of my life" singt – eine Zeile, die die ein oder andere verwirrte Seele vielleicht aus anderem Munde kennen mag - dann ist er so weit von einer beschönigenden Verklärung und nostalgischen Schwermut entfernt, wie sie überhaupt sein kann. Das ist kein rückwärtsgewandter Zukunftspessimismus, sondern vielmehr scheint es wie das schmerzliche Resümee eines ganzen Lebens. Nicht pathetisch, sondern soviel Erinnerung und selbstreflexive Wahrheit transportierend, wie man überhaupt nur in eine einzige Zeile hineinlegen kann. Ich sage, allein aufgrund dieser einen Zeile, so beiläufig in ihrer Dringlichkeit, sollte man "Brave Your Free May" besitzen!

Daniel Gustafsson hingegen weiß von anderen Gegebenheiten zu berichten. Lässt man den Musiker, der unter dem Namen The Book Of Daniel arbeitet, selbst zu Wort kommen, dann klingt sein Debüt Album folgendermaßen: "Nun, es beginnt mit einem Gebet an einem Flughafen. Dann erzählt ein Betrunkener Lügengeschichten über seine angebliche Boxerkarriere und Kamele wandern in den Sonnenaufgang, während ein junger Mann einen Karton mit Erinnerungen füllt. Seine Ex-Freundin sitzt im Fernsehsessel und beobachtet ihn dabei. Dann geht es um einsame Dezembernächte und einen Hasenjungen, der durch die Straßen huscht, als ein Wildhead sich einer Marschkapelle anschließt. In der selben Nacht befinden sich ein junger Taxifahrer und ein Mädchen, das Regentropfen zählt, im hinteren Teil einer Bar, während ein Schwarm Papiervögel auf dem Fenstersims landet. An der Wand schreit ein Graffiti, während ein verwirrter Grabsteindichter und ein Mädchen, das versucht, ihre Kalorienzufuhr mit Amphetaminen und Süßigkeiten zu kontrollieren, sich treffen, um gemeinsam das sonntägliche Baptistentreffen zu besuchen." In diesem Auszug aus dem Gespräch mit Ina-Simone Mautz (Neon Magazin) wird klar, dass wir es hier mit einem großen Erzähler zu tun haben. Wenn Daniel selbst, nach dem zunächst gesprochenen Gebet in Early Morning Prayer mit den Zeilen "Oh my lord / I will call your bluff" einsetzt, und später von einem Chor, Bläsern und Piano begleitet wird, lässt sich vielleicht schon erahnen, dass hier Großes angedacht ist.

Um dieses Panoptikum an Skurrilitäten umsetzen zu können bedarf es mehr als einer Akustikgitarre, weshalb gleich ein ganzes Orchester engagiert scheint, zu dem unter anderem Daniels kleiner Bruder Martin Gustafsson (aka Boy Omega) und Björn Kleinhenz zählen. Dass Daniel Gustafsson im Gegensatz zu Martin eher in einer Jazz und Folk Tradition steht, bemerkt man rasch, sind die meisten Stücke doch von eben solchen Rhythmus und Harmonie Elementen durchzogen. Was zunächst jedoch Abwechslung hervorruft – wie im treibenden und eindrücklichen The Camels Parade -, führt im Ganzen jedoch zu einer weniger homogenen Inszenierung. Zu sehr treten Instrumentalparts in den Vordergrund, überlagern Saxophon Soli, Chöre und gar Musical Anleihen (Dead Ringer Dead Ringer) die den Stücken vielleicht innewohnende, intimere Singer/Songwriter Atmosphäre. Wenn die Stücke auf "Songs For The Locust King" melancholisch erscheinen, werden sie nie ganz melancholisch sein, wenn sie fröhlich sind, werden sie nie ganz fröhlich und wenn sie bezaubern, wissen sie nie ganz den Atem zu rauben. Das kann eine Stärke sein, aber auch zu Brüchen führen. Und gerade diese oft übergangslosen Momente von groonendem Barjazz zu Gospel Anleihen, Big Band Elementen und akustischen Kleinoden verhindern immer wieder, das Debüt des 30 Jährigen tatsächlich emotional in einem Kontext zu hören. Zu sehr scheint da konstruiert zu sein, zu viel scheint Daniel Gustafsson in seinen Songs unterbringen zu wollen. Was nicht bedeutet, dass die Platte schlecht wäre. Keineswegs. Bleibt sie doch mit den einzelnen, für sich sprechenden Songs weit, wirklich weit über dem Niveau der eingangs erwähnten Veröffentlichungen. Nur schafft sie es eben nicht als Ganzes etwa mit "Brave You Free May" in Augenhöhe zu verweilen.
foto: killbotfactory

musika 77
"brave your free may"
mi amante records 2006 cd
musika 77

the book of daniel
"the objects don't need us"
riptide records 2006 cd
the book of daniel