End Pilot Festival [Erfurt, 14.04.2007]

Die Bewegung wurde nicht nur durch die hinreißende Auswahl der auftretenden Künstler und ihrer Beiträge provoziert. Ganz im Gegenteil zum streng geordneten Verhalten in regulären Flügen, versprach das End Pilot Festival in Erfurt körperliche Ertüchtigung en masse.





"ich mag das ja nicht so, wenn die keinen refrain haben."
(zuhörer über ef)


Die Treppe hoch.

Das Sonic-Youth-Shirt abgestreift, begrüßt Victoria das zusammen gekommene Publikum mit freundlicher Geste. Ganz in schwarz gekleidet präsentieren sich die vier jungen Damen aus der Nähe von Göteborg, als würden sie in den Hintergrund treten wollen, um ihrer Musik die nötige Aufmerksamkeit zu überlassen. Es sei ein wunderschöner Abschluss für eine wunderschöne Konzertreise an diesem Abend für sie, werden sie am Ende anmerken, bevor sie ihr letztes Stück spielen werden. Das Publikum schwelgt, den Atem anhaltend, in der bizarren Schönheit der Musik, der tiefen Schwermut und spielerischen Leichtigkeit von Audrey.

Die Treppe herunter. Kurz zuvor.

Es bleibt nicht viel Zeit, um die Rahmenbedingungen, die schön gestalteten Räume und die wunderschöne Atmosphäre des kleinen End Pilot Festivals zu genießen, da es einen engen Zeitplan einzuhalten gilt. Im ersten Geschoss bestellt man noch schnell ein Getränk seiner Wahl - der Kult um das ökologische Getränk Bionade scheint sich hier noch nicht durchgesetzt zu haben - um dann durch die sich bewegende Menge herunter zur großen Bühne zu gelangen. SDNMT spielen auf und werden gebührend gefeiert, sind sie doch einer der ganz großen Namen am heutigen Abend. Postrock auf der einen und Elekronik auf der anderen Seite, alles gepackt in das zwar mittlerweile bedeutungslehre aber nicht unwichtige Kleid des Indie. Anfangs dachte ich noch darüber nach, ob ein solches Fest genügend Anklang finden würde, aber nicht zuletzt die Anwesenden, sowie ein kurzes Gespräch mit einem Freund darüber, ob Postrock nicht mittlerweile zum Establishment gehöre, im Mainstream angekommen sei, lehrten mich eines besseren.

Die Treppe hoch. Viel später.

Körper bewegen sich im Takt der puckernden Elektronik. Gitarren sind verschwunden und blinkende LCD Leuchten, Schieberegler und Datenströme haben die Oberhand gewonnen. Und dennoch muss keine klaffende Lücke geschlossen werden. Der vielleicht zu erwartende Bruch im Stil, in der Resonanz des Publikums ist ausgeblieben. Man hätte es ahnen können.

Die Treppe herunter. Etwas zuvor.

Nach langer Abstinenz spielen die Ingolstädter Slut wieder ein Konzert. In Erfurt seien sie noch nie zuvor gewesen, konstatiert Sänger Chris, dabei übersehend, dass das Highfield Festival ebenfalls hier verortet ist. Den großen Spaß, den ihnen ihr Auftritt sichtlich macht, teilen die zahlreichen Zuhörer vor der Bühne wie selbstverständlich und nach kurzer Zeit wird man kommunikativ und stellt sogar drei gänzlich neue Stücke vor. Was von einem möglichen neuen Album zu erwarten sein mag, spaltet die Zuhörer jedoch merklich. Die einen nehmen dankbar die Eingängigkeit der neuen Töne auf, strecken Fäuste in die Luft und verlieren sich in tobenden Bewegungen. Die anderen halten ob jener illustren, beinahe profanen Einsilbigkeit der neuen Töne inne, und beäugen die Musik kritisch. "Auf der Brust stand Slut", erklärt Chris, als die Band zur Zugabe auf die Bühne zurückkehrt, bezogen auf einen jungen Herrn im T-Shirt, der ihm vorher im Treppenhaus begegnete. "Und auf dem Rücken For Exercise And Amusement. Und jetzt soll er doch verdammt noch mal endlich auf seine Kosten kommen!". Als Bonbon, durfte man das Stück Cloudy Day so also verstehen.

Die Treppe hoch. Zurück zum Anfang.

Niklas schließt die Augen, den Kopf zur Decke gerichtet. Synchron formen seine Lippen die Worte, die Sänger Tomas spricht. Es ist ruhig geworden. Ein kurzes, zerbrechliches Intermezzo, bevor das Göteborger Quintett ein letztes Mal zu einer eruptiven Explosion ausholen wird. EF sind vielleicht die große Überraschung des kleinen Festivals. In der Hitze des stickigen, kleinen Raumes beherrschen sie souverän und doch verhalten die Bühne. Als wären sie eins mit dem Publikum, fiebern sie selbst jedem sich entfaltenden Stück entgegen. Lassen euphorisches Leuchten in den eigenen Augen zurück, wenn sie mit Trompete, Glockenspiel und Geigenbögen die grazilen, ausufernden Sinfonien heraufbeschwören. Vielleicht ist es auch eine Hommage an die eigenen Wurzeln, wenn sie ihr Hello Scotland betiteltes Stück ankündigen, dass sogleich mit Jubel aus dem Publikum empfangen wird, als sei es als bekannt vorausgesetzt. Und am Ende fallen sie sich selbst in die Arme, erfreut und erleichtert darüber, dass alles so wunderbar verlief.
foto: sonja berg



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