Pawnshop Orchestra [Dizzy]

Die unüberwindbare Last der Jugend.
Daniel Decker nimmt sich viel vor. Der Kampf gegen die Bedrohung machthungriger Mitmenschen, gegen Stagnation und Einöde in der Zukunft gestaltet sich alles andere als einfach.


"schiffeversenken mit sätzen die treffen."
(patronage)


Daniel Decker nimmt sich viel vor. Der Kampf gegen die Bedrohung machthungriger Mitmenschen, gegen Stagnation und Einöde in der Zukunft gestaltet sich alles andere als einfach. Und nun also steht ein 24-jähriger der geballten Gewalt des alltäglichen Frustes gegenüber, der Grundstein für Selbstmitleid-motivierte Schaudermusik scheint gelegt, doch hier kommt es ganz anders.

Mit "Dizzy", dem zweiten Album des Ein-Mann Orchesters nach "Vaudeville", legt uns Decker ein Understatement geliebter und gelebter Popkultur vor, alles dreht sich um die in jüngerer Literatur- und Musikkultur ewig kursierende Thematik: die Angst erwachsen aus einer Zeit herauszutreten die man nicht loslassen möchte. Die Komponenten sind bekannt; verlorene Beziehungen, kleinstädtische Langeweile, Unzufriedenheit mit sich und der Umwelt.

Eine schwierige Aufgabe also, aus diesem Sumpf als eigenständiger und eigenwilliger Künstler hervorzutreten ohne zu sehr in die Zitathölle der schon da Gewesenen zu greifen. Ein Anspruch, den Decker gerne auf sich nimmt, ist seine Ambition doch keine geringere als dem etwas eingestaubten deutschsprachigen Pop-Einerlei etwas entgegenzusetzen das überrascht und dennoch in beliebte Schemata passt.

Er möchte die kleine aber feine Ausnahme bleiben, und schon die Tatsache, dass Daniel fast eigenständig agiert und Auftritte nur mit Gitarre und Laptop bestreitet beweist eine wahrlich einzigartige Liebe zur Musik, die ihn fast schon außer Konkurrenz laufen lässt. In erster Linie ist Decker allein, nicht einsam, aber doch irgendwie Einzelkämpfer. Nicht im Studio, nicht in den Ohren der anderen, aber vor dem Papier mit dem Gedankengut eines Mittzwanzigers, der die profansten aber so reizvollen Höhen und Tiefen zur Sprache bring; er liebt sie, sie ihn nicht und andersrum, jeder kennt die unglaublich komplexe Problematik, die sich hinter ein solch banal klingenden Sachverhalt verbergen kann. An erster Stelle Daniel Decker, der stets nach sprachlichen Bildern sucht um der scheinbar so abgegriffenen Thematik neue innovative Gestalt zu geben. Oder sind die Metaphern, die bisweilen sogar in Insider-Witzen enden (Fantaundkotze) einfach die Sprache seiner Gefühle? Vermutlich beides, denn Ehrlichkeit muss hier niemand vermissen, Daniel singt und spielt nur über Dinge und Menschen die er kennt oder vermutet zu kennen.

Wie viele seiner deutschen Kollegen setzt er ganz klar auf den Mithörer Emotion, die Gefühlspalette reicht von hocherfreut bis hoffnungslos, immer mit leichtem Hang zum Pessimismus und zur Selbstkritik. Glücklicherweise verzichtet Decker auf eine wehleidige "Ach, was geht’s mir schlecht"-Mentalität, sondern spielt mit erfrischenden Sprachduktus immer wieder in die Arme der Ironie. Davon gibt’s im vorliegenden Tonmaterial reichlich, Decker scheut nicht davor die eigenen Gedanken als unreif zu entlarven und zielt mit seiner Kritik sogar schon im ersten Titel des Albums auf die eigenen Songschreiber-Qualitäten ab (Ein Schlechtes Lied). Auch in Mittelstand in der Nacht urteil Decker über sich "Deine Sorgen will ich haben" und stellt die eigenen Gedanken in Frage.

Es folgen kleine Liedchen zu großem und kleinen Lebensfragen, es wird gelacht, reflektiert und ein bisschen gejammert. Das konnten schon Liedermacher wie Tomte und Tocotronic, die schon vor Jahrzehnten Deutschland auf eine neue gedankenschwere und textlastige Musik vorbereitete. Neu ist die Machart also nicht, aber die eigentliche Überraschung des Albums liegt nicht im Text, sondern in der Ideenvielfalt der Musik begründet, denn hier zeigen Decker und Musikerkollegen (unter anderen Maximilian Stamm und Andreas van der Wingen) ihr zweifellos hohes kreatives Potential. Obwohl ihnen eine Vorliebe für handgemachten Indie-Pop nicht abzuschreiben ist, beschränkt man sich nicht auf das gewöhnliche Gitarren-Geschrammel sondern probiert sich ebenso an elektronischem Gerät aus, der Stilmix offenbart sich in jedem Song, kein grauer Mischmasch sondern 15 klar definierte Arrangements, und hier darf man wohl ohne falschen Scham sagen, Pawnshop Orchestra geht über Tomte hinaus, nicht in allen Belangen natürlich, aber im Hinblick auf den Reichtum musikalischer Einfälle allemal. Da wären Titel wie ohne Worte und Anrufbeantworter, klassische Indie-Hymnen, Wehmut und Gitarre im 4/4-Takt. Auf der anderen Seite sind Songs wie Dizzy, Are You Local? und Mittenstand in der Nacht, die etwas trashy mit elektronischem Frickeleien und Vollblut-Geschrei daherkommen und dem Album den Reiz verleihen den es ohne Frage besitzt. Decker legt in jeden Song Herzblut und liefert mit Die Kirschen sogar einen richtigen Sommerkracher.

Zugegeben, der größte Sänger ist Daniel Decker nicht, aber das ist Thees Uhlmann ebenso wenig, und wer weiß ob die Songs ohne Deckers unperfekten Gesang den selben ruppigen Charakter hätten, man bemerkt sofort die Proberaumatmosphäre, fühlt sich unmittelbar angesprochen, die leicht ungestimmten Gitarren tragen das Übrige dazu bei. Hier wird keine Musik aus der Retorte angeboten, das tut gut! Die Vielfalt des Albums lässt auf eine zukünftige Entwicklung Deckers schließen, er probiert rum, sucht noch nach seiner Lieblingsmelodie und seinem Lieblingsstil, ist noch ein bisschen auf dem Weg.

Das macht nichts, im Gegenteil, ist schön mitzuverfolgen, denn eines scheint sicher, hier tut sich etwas, das Pawnshop Orchestra steckt immer in Arbeit, will noch lange keine Auszeit. Daniel Decker geht das Wagnis ein sich in das Bild das so stereotypischen und stilisierten deutschen Songwriters einzufügen und kann als strahlender Sieger aus diesem Vergleich hinaustreten, er erschafft in "Dizzy" eine ewige Jugend mit dem Hintertürchen in die Welt der Erwachsenen, und unweigerlich schwelgt und leidet man mit, ohne wenn und aber.
foto: sibylle mall



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"dizzy"
lolila 2007 cd
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