Saint Jude’s Infirmary [Happy Healthy Lucky Month]

Mit dem Debüt der schottischen Band Saint Jude's Infirmary rollt ein schwerer, alter Zug auf uns zu, der lange auf dem Abstellgleis gestanden hat. Aber langsam ist es Zeit! Denn jede Generation braucht ihren Velvet Underground.



"if you love something, throw it away."
(happy healthy lucky month)


Der Blick in die CD-Hülle von "Happy Healthy Lucky Month" verschreckt erstmal, denn von der Platte selbst grinst einen ein weiß leuchtender Totenkopf an. Und hier offenbart sich auch schon eine mysteriöse Verbindung zu Deutschland seitens der Schotten: Auf der Bandhomepage findet sich diesbezüglich nämlich ein Link zum Hamburger Fußballverein St. Pauli. Was genau dahinter steckt, bleibt allerdings im Dunkeln.

So dunkel wie das nicht sonderlich umfangreiche Artwork der Platte. Und bevor wir diese endlich auflegen, reden wir doch noch kurz über die Band selbst. Das Herz von Saint Jude’s Infirmary bilden die Geschwister Grant und Ashley Campbell. Er schreibt die Texte, sie macht die Musik, und bei der Umsetzung hilft neben Schlagzeuger Mark Francis und Keyboarder Andy Dempster auch noch die Cousine der beiden, Emma Jane, am Mikrofon.

Ihre lieblich-süße Stimme ist sicher einer der Punkte, die die Musik dieser Band ausmachen. Ein weiterer mag der ewig nahe liegende Vergleich zu The Velvet Underground sein, aber wen juckt das schon? Schließlich bekommt "every generation the Velvet Underground it deserves". Die schottischen Kritiker fühlen sich außerdem an Blondie und den frühen Jonathan Richman erinnert, oder auch an The Jesus and Mary Chain. Dunkel klingt diese Musik auf jeden Fall, auch, wenn sie durchaus den beschwingteren Takt kennt. Das allerdings ausgerechnet in Remember Dresden, einem Lied, welches an den zweiten Weltkrieg erinnern soll und an "all die kleinen Dresdens" jeden Tag. Hier hätten wir übrigens den zweiten Wink in Richtung Deutschland.

Den Anfang des Albums macht aber die großartige Hymne The Church Of John Coltrane. Sie kommt angerollt auf Zuggleisen und mit dieser wunderbaren Stimme und endet, zumindest im Kopf, tatsächlich in einer hallenden Kirche, als ob die Band sich um einen Altar versammelt hätte. Und dieser Track ist nicht die einzige Ode an einen Künstler. Neben dem Jazz-Saxophonisten Coltrane werden in weiteren Songs auch noch dem schottischen Maler Jack Vettriano und der amerikanischen Schauspielerin Jean Seberg gehuldigt. Und dann gibt es da noch einen Gruß an Leonard Cohen, wieder ein unüberhörbares Vorbild des Quintetts, in Montreal. Die Geschichte zu diesem Lied mag mehr als verrückt klingen: "Ein Matrose in einer Bar in Utrecht sagte mir, Utrecht, Edinburgh und Montreal seien die einzigen Städte, die jemals sein Herz gewonnen hätten", erzählt Grant Campbell. "In einem Moment der Gutmütigkeit schwor ich, einen Song für jede dieser Städte zu schreiben. Als der Gin einmal gewirkt hatte, hatte ich einen Liebesbrief an eine Stadt, die ich nie gesehen hatte."

Diese verrückten Ideen und Zufälle prägen das Debüt von Saint Jude’s Infirmary ebenso wie die zarten Frauenstimmen und die allgegenwärtige Melodica. An dieser Stelle soll jedoch nicht das Höhepunktgefühl verschwiegen werden, das aufkommt, wenn zwischendurch auch mal poetischer Männergesang von Grant Campbell oder Mark Francis erklingt. Vor allem aber leuchtet Ashley Campbells großes Talent als musikalischer Mastermind der Band.

Am Ende von "Happy Healthy Lucky Month" hätte man vielleicht besser das grandios verzweifelte Liebeslied gleichen Namens stehen lassen sollen, zu dem selbst der Autor nicht mehr viele Worte findet. "Ich traf ein Mädchen und war so sicher, dass wir zusammen kommen würden. Dann schrieb ich einen Song über unsere Trennung." Das alte Thema also, aber so schön umgesetzt wie ein trauriger Kinofilm. So ein Lied lässt, besonders durch die sanft in den Text eingeflochtenen Weisheiten, abschweifen und in Gedanken verloren gehen, und wäre damit sicher ein pompöses Ende für eine kleine Platte. Vielleicht setze die Band deshalb das verstörend andere VVVampyre! an den Schluss, dass an schummrige Halloweenparties mit schlechten Zombieverkleidungen und Kopfschmerzbeleuchtung erinnert. Trotzdem: "Happy Healthy Lucky Month" ist düsterer Rock’n’Roll, eine Platte für melancholische Stunden in dunkler Einsamkeit, wenn mal etwas anderes als The Velvet Underground gebraucht wird. Man kann ja an der passenden Stelle die Stop-Taste drücken. Oder gerne auch Repeat.
foto: saint jude’s infirmary



saint jude’s infirmary
"happy healthy lucky month"
sl records 2006 cd
saint jude’s infirmary