The Album Leaf [Into The Blue Again]

„Into the Blue Again“, das neue Werk von The Album Leaf, ist keineswegs eine einfache Platte. Es ist schon schwierig, die passende Gelegenheit, den Moment zu finden, zu dem diese Musik ganz eindeutig passt – so wie Jack Johnson nur bei Sonne und Fröhlichkeit gehört werden kann und Coldplay fast gezwungenermaßen melancholisch macht. Für „Into the Blue Again“ muss man sich auf Reisen begeben. Und dann aufdrehen.



"in the air i flew / through the clouds i fall."
(always for you)


Hinter dem kryptischen, einem Chopin Stück entnommenen Bandnamen The Album Leaf, verbirgt sich der Multiinstrumentalist Jimmy LaValle. Er veröffentlichte seit 1999 unter dieser Kennung bereits drei Alben, von denen die beiden ersten allerdings bei weitem zu wenig Aufmerksamkeit bekamen. Immerhin hörten aber Sigur Rós von dem bärtigen Kalifornier und luden ihn ein, Support ihrer US-Tour zu sein. Anschließend holten sie den Künstler nach Island, um dort mit ihm sein drittes Album "In A Safe Place" aufzunehmen, das sowohl von Kritikern als auch Fans gefeiert wurde. Letztere vermehrten sich stark, als die Platte dann noch in nicht weniger als sechs Folgen der amerikanischen Erfolgsserie O.C. California zu Gehör kam. Das brachte allerdings auch Probleme mit sich: "Viele langjährige Fans sprachen von Ausverkauf oder so. Dabei ging es mir nie darum, viel Geld zu verdienen, sondern die Musik machen zu können, die ich mag", sagt LaValle.

Ohne viel Zeit verstreichen zu lassen, kehrte er dann ins Sigur Rós-eigene Studio, einem ehemaligen Swimmingpool, zurück – into the blue again quasi - um dort ein neues, wunderbares Werk zu schaffen. Und beide Fanlager, sowohl die Fernsehzuschauer als auch das alteingesessene Elektro-Publikum, dürften damit mehr als nur zufrieden sein: Konsequent wird hier fortgesetzt, was auf "In A Safe Place" begann, ohne dabei auf Massenkompatibilität abzuzielen.

Man muss sich schon Zeit nehmen für diese Musik, allein, um eine passende Umgebung für sie zu finden. LaValle, der fast alle Instrumente selbst einspielte, scheint sich Klangfelder zu schaffen auf Basis von langen Synthieakkorden und schlichten Beats, die eigentlich nicht besonders weit gefasst sind. Auf diesen Feldern tobt er sicht aus, vornehmlich mit elektronischen Tasten, gern aber auch durch Streicher und sanfte Gitarren, und scheint so doch wieder unendliche Weiten zu eröffnen. Dazu kommt immer wieder dieser dumpfe, schwummrige Unterwassereffekt – vielleicht hat das Swimmingpoolstudio tatsächlich seinen Teil beigetragen.

"Into The Blue Again" ist aber keineswegs verschwimmende Musik, sondern eine klar definierte. Sie ist treibend, immer in Bewegung, in eine bestimmte Richtung und mit einem klaren Ziel, das sie aber doch nie zu erreichen scheint. Dabei kommt sie nie aus der Ruhe und hat oftmals einen wehmütigen Hauch, als steckte sie voller Erinnerungen. Das Stück Red-Eye beispielsweise scheint eine Frage zu stellen, ohne Antworten zu erhalten, und am Ende, nach sechs Minuten, doch irgendwie weitergekommen zu sein. So sind alle zehn Tracks der Platte. Niemals gleich! Aber alle tragen LaValles eindeutige Handschrift. Grazile Elektronik ist das, zu der man sich trotzdem auch eine schwebende Ballerina vorstellen kann.

Beim Hören sollte man sich bewegen wie die Musik selbst, man sollte bewegt werden, in einem Zug oder Auto oder Flugzeug. Denn schon vor dem geistigen Auge ziehen Landschaften und Lichter vorbei, wenn der Opener The Light erklingt, er ist wie eine Reise in der Dunkelheit, sei es ganz früh morgens oder spät in der Nacht. Im Verlauf der Platte scheint manchmal geradezu die Sonne aufzugehen, irgendwo weit weg am Horizont. Jimmy LaValle muss mit sich im Reinen gewesen sein, als er das schuf, und gleichzeitig gewusst haben, dass alles weitergeht, gut weitergeht, ohne jedoch zu wissen, wo er am Schluss landet. Eine Reise nun mal, ins Glück vielleicht und auf alle Fälle durch viele kleine Glücksmomente. Er muss sehr zufrieden gewesen sein.

Das können alles völlig falsche Gedanken sein. Vielleicht war es ganz anders. Aber das ist eine der vielen Qualitäten von "Into The Blue Again": Es stupst die Fantasie an und entführt in Kopfwelten, nimmt mit auf eine Reise und lässt ausführlich träumen. Selbst bei den wenigen Tracks, in denen LaValle die (eigene!) Stimme erhebt, lassen die Texte noch mächtig Interpretationsspielraum.

Also, den Kopf freimachen und Platz schaffen für zehn große Lieder. Und dann auf Reisen gehen, vielleicht nach Island, wo es diesen alten Swimmingpool gibt.
foto: bill zelman



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"into the blue again"
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