600 Wörter [Achtjährige sind die ewigen 68er]


Achtjährige sind die ewigen 68er – was wir von Ihnen lernen können
ODER: Jetzt oder nie: Anarchie!




Die Welt ist schlecht. Soweit nichts Neues. Politiker sind korrupt, Manager gierig, Frauen immer schon vergeben. Gegenstrategien versprechen statt Veränderung höchstens Lob fürs Engagement und wenn’s schlimm kommt einen Platz in der Neon-Liste der 100 wichtigsten Deutschen. Geschenkt. Zeit sich zu besinnen. Wir feiern in diesem Jahr 40 Jahre 68, jener kruden Phase der Politikentschlossenheit, einer wie auch immer gearteten Kulturrevolution, eine Jahreszahl, die für mehr Assoziationen herhalten muss als manche Jahrhundert. Wie viele Bilder assoziieren wir mit dem 13. Jahrhundert?

1968 gab es in den USA einen Revoltefachmann namens Jerry Rubin. Er trug die Haare lang, nahm Drogen, setzte sich für die Black Panther ein. Ein agitierender Bud Spencer an der Seite von LSD-Guru Abbie Hoffmann. Zwar schnitt er sich nach dem Ende des Vietnamkriegs den Bart ab, wurde vom Yippie zum Yuppie, Börsenmakler an der Wall-Street und später vom Auto überfahren (Leben und sterben auf der Straße, sic!), doch eine Parole seines Agitprop-Bändchens „Do it – Scenario für die Revolution“ ist mir bis heute in Erinnerung geblieben. „Unsere Führer müssen die Achtjährigen sein!

Nun gut, nicht jeder Kevin-Leon und jede Britney-Jaqueline hätte das Zeug zum Che. Dennoch hat dieses Bild etwas Faszinierendes. Denn ja, die waren Anarchisten sind acht Jahre alt. Erinnern wir uns: Wir, ein paar Kinder aus dem Plattenbau, zusammengewürfelt wie Gemüsesorten beim mütterlichen Reste-Reis-Risotto. Wir stopften uns mehr Kaugummi in die Münder als hineinpasste, stahlen Smarties im Edeka Wucherpfennig („Wer so heißt, muss beklaut werden!“) tranken Cola bis wir durch die Nase sprudelten und rülpsten. Überhaupt rülpsen. Wir rülpsten in Supermärkten, wir rülpsten in der Fußgängerzone, rülpsten an Straßenbahnhaltestellen. Autoritäten waren uns fremd. Wenn wir nicht rülpsten spuckten wir, warfen mit Süßigkeiten und hauten „Ich muss um acht zu Hause sein“-Jochen eine rein. Nur zum Spaß. Wir traten Mülleimer um, warfen mit verfaulten Äpfeln und abends, wenn es dunkler wurde und Jochen sich ins holunderfarbene Bettzeug verkroch, gingen wir auf die Laternen los. Ein Knallen, ein Krachen, ein Kinderlachen!

Wir hatten Waffen, Bomben, Kriegspläne, wir hatten nichts zu verlieren. Wir versenkten unsere Köpfe in Wassermelonen und kruden Ideen, wir bauten aus Moddermatsch Panzer und aus Überraschungseierhüllen mit wenig Wasser und Backpulver kleine Sprengkörper. Wir waren nicht aufzuhalten. Wir waren Großstadtindianer und Häuserschluchtsoldaten, Panzerknackerrubbelbildträger und Barbiepuppenfrisöre, wir waren Kellerspielkinder und Straßentennisweltmeister, wir waren die bessere BMX-Bande (Nicole Kidman mit roten Locken ging ja mal gar nicht) und die Skatebordjugendgang, die immer zu laut war, wir waren Dosenfußballkoryphäen, Kaugummiautomatenkiller, Stromleitungsbewerfer und Telefonzellenpinkler, wir waren Autospiegelabtreter und Wandbeschmierer und vor allem waren wir nicht verantwortlich. Wir lebten Anarchie, unsere Träume, die Freiheit.

Unsere Eltern glaubten uns zu kontrollieren, dabei kontrollierten wir sie, bestimmten über ihren Tagesablauf, ließen uns von ihnen chauffieren. Die Politiker gaben uns Geld, allein weil wir Kinder waren, schafften Einrichtungen, in denen wir uns mit anderen Kindern zusammenschließen konnten, und versicherten immer wieder: Kinder sind unsere Zukunft!

Wir hatten längst gewonnen. Wir waren frei. Die Welt mochte schlecht sein, unsere war es nicht. Wir waren selbst korrupt und gierig genug, um alles zu bekommen, was wir wollten. Frauen? Sie küssten uns, schmusten und betonten immer wieder, wie groß wir schon geworden wären. Wir hätten sie alle haben können.

Zurück ins Jahr 2008. Rubin hatte Unrecht. Die Achtjährigen müssen nicht unsere Führer sein, sie sind es längst. Und uns Älteren bleibt nur die Kooperation. Wir können uns einschleimen und ihnen nacheifern.

Das macht die Welt vielleicht nicht besser – aber spannender. Leben wir unsere Träume, versenken wir unsere Köpfe in Wassermelonen und kleben wir uns Panzerknackerrubbelbilder auf die Arme. Und wenn uns 1968 und dieser kleine Erinnerungstrip etwas lehrt, dann das Frauen auf Outlaws stehen. Auf zum Klingelstreich!