Sarah Kuttner [Mängelexemplar]

Karo ist 27 Jahre alt, versinkt im Arbeitslosen- und Liebeskummertief und steht schon direkt vor ihrem nächsten Tief: einer ordentlichen Depression in jungen Jahren. Aktuelles Tabuthema, behandelt von Quasselstrippe Sarah Kuttner und die Frage: Muss das sein?


"ich bin keiner von diesen trend-psychos. ich bin the real shit."
(karo hermann)


Die Moderatorin Sarah Kuttner hat ein Buch geschrieben. Nachdem in "Das oblatendünne Eis des halben Zweidrittelwissens" (2006) und dessem nahtlos anknüpfenden Nachfolger "Die anstrengende Daueranwesenheit der Gegenwart" (2007) eine Auswahl ihrer Kolumnen für die SZ und den Musikexpress zusammengestellt wurden, legt sie nun ihren ersten vollständigen Roman vor. Mit "Mängelexemplar" hat sich die junge Moderatorin dem allseits bekannten, aber selten behandelten Tabuthema Depression gewidmet.

Ihre Hauptfigur Karo Hermann befindet sich im ersten Kapitel des Buches bei ihrem sogenannten „Popstarpsychiater“ in Behandlung und erzählt ihm chronologisch wie alles vor einem Jahr begann: Was der Grund für die Notwendigkeit eines Psychiaters ist und wie es überhaupt soweit mit ihr kommen konnte. Und schon hier frage ich mich, ob es wirklich so neu und erschreckend ist, dass auch junge Menschen unter Depressionen leiden können. Oder ob ich zu sehr an der direkten Quelle sitze, um mich nicht zu wundern, dass sich so manches junge Leben heutzutage verloren fühlt.

Sarah Kuttner rechtfertigt ihre Themenwahl in einem Interview mit der „Märkischen Allgemeinen“, dass in ihrem Freundeskreis das Thema groß und wichtig wurde und sie sich damit konfrontiert gefühlt habe. Also, Pluspunkt für Kuttner: sie hat sich dem Thema Depression aus persönlicher Motivation heraus angenähert und es in einem Roman versucht aufzuarbeiten. Minuspunkt: man bekommt allerdings den Eindruck als läge dennoch das Interesse nicht an dem Thema „junger Mensch mit Depression und wie damit umgehen“, sondern „Ich schreibe doch noch einen Roman und nach der Roche-Sexwelle wäre Depression ein gutes Tabuthema. Frag ich mal meine Freunde wie sich sowas anfühlt.

Im Groben geht es, wie schon erwähnt, um die junge Karo Hermann, keine 30 Jahre alt und neben ihrer Hassliebschaft mit Bald-Exfreund Philipp ist sie eine arbeitslose Eventplanerin. Dass ihr zwei Konstanten im Leben nun fehlen ist für Karo mehr als sie ertragen kann. Sie bricht zusammen. Dank ihrem betont unschwulen besten Freund Nelson, der selbst eine Bilderbuchbeziehung mit seiner überaus toleranten und anspruchslosen Freundin Katrin führt, hat Karo immerhin einen verlässlichen Freund gefunden, der immer und überall für sie da ist. So wie es sein sollte! Zeitweise wird Karo bewusst, dass sie nicht nur Nelson und professionelle Hilfe benötigt, sondern auch die Liebe ihrer Eltern. Besonders ihre Mutter steht fürsorglich hinter Karo und deren Depression, zumal sie dasselbe wie ihre Tochter auch schon erlebt hat. Panikanfälle, Angst vor der Angst, körperliche sowie psychische Zusammenbrüche, das Gefühl es ginge nicht mehr weiter und zurück schon gar nicht.

Dank Kuttners bestechend ironischem Schreibstil, der keinen Spruch, sei er noch so schlecht, auslässt, wird die Ernsthaftigkeit dieses Themas leider nur oberflächlich angekratzt und Tiefgang fehlt an allen Ecken. Der Leser wird mit platten Attitüden überhäuft, die Karo als eine junge Frau charakterisieren sollen, die sich nicht eingestehen möchte und kann, dass sie psychische Probleme hat und sich lieber mit einer aufgesetzten Lässig- und Schnelligkeit durch alle Lebenslagen zu schlagen versucht. Allerdings bewirkt diese Herangehensweise, dass sich die Autorin zusehens in Witzeleien verliert und der Charakter von Karo somit schwer zu fassen ist.

Wäre ich nicht so ungeduldig, könnte ich vermutlich springreiten, singen und sehr belesen sein. You can get it if you really want. Ich wante vermutlich nicht really genug. Auf der anderen Seite wante ich zumindest genug, um ordentlich unzufrieden zu sein, es nicht zu getten.“, ist ein Paradebeispiel für Kuttners Stil im Schreiben. Und was sie mit der sogenannten „Karmapolizei“ ständig hat, verstehe ich auch nicht: „[...] mein persönlicher Karmapolizist hebt seinen Verkehrsregelstab und sagt: 'Nanana, Frau Herrmann! Überstürzen Sie nichts!' Entschuldigung, Officer! Natürlich haben Sie recht.

Stilistisch bedient sich Kuttner immer wieder an Personifikationen, die wiederum weniger für Qualität als für Quantität stehen. „Ich packe die Saugnapfhandtuchhalter aus und bringe sie ins Bad. Die Handtücher sollen sich freuen bitte. Aber ich kann ihre Reaktion nicht abwarten, ich habe das Gefühl, wahnsinnig zu werden.“ Hier dient die Personifikation der Überleitung zu Karos akut psychischem Zustand, aber erneut: Muss das sein? Das sind sinnlose Sätze, die sich lässig anhören sollen und klingen, als seien sie von einer zwölfjährigen geschrieben worden. Nach der Trennung von Philipp, die „das stinkende Fass Karo zum Überlaufen gebracht hat“, versucht die Hauptfigur auf ihr Innerstes zu hören: „Mein Kopf, mein Herz und ich legen, während Philipp inzwischen über neue innerstädtische Flächen zum Besprühen sinniert, Wut und Trauer auf meine Emo-Waage. Wut wiegt einiges mehr. Darf es noch ein bisschen mehr sein? Warum nicht.

Sarah Kuttner ist wie Helge Schneider. Beim Zusehen und Zuhören ist man begeistert, aber Geschriebenes verliert einfach am gewohnten und geschätzten Humor. Und bei „Mängelexemplar“ verliert es streckenweise auch an Geist. Möglicherweise ist Sarah Kuttner ein so viel mehr optimistischer Mensch, der das Leben leichter zu nehmen versteht, als ich es tue. Deshalb gibt sie ihrer depressiven Hauptfigur vielleicht diese dann doch sehr verkrampfte Witzigkeit mit auf dem Weg, aber für meinen Geschmack passt das Buch hinten und vorne einfach nicht zusammen. Ich bewundere die Autorin, dass sie sich solch ein komplexes Thema für einen Roman ausgesucht hat, aber ich hätte einfach mehr erwartet. Zumindest weniger dieser platten Sprüche und dafür mehr Ernsthaftigkeit im Umgang mit dem Thema. Schließlich ist es nicht nur ein komplexes sondern auch ein sensibles, dass weitaus mehr Menschen beschäftigt, als man es sich immer noch vorstellt. Kuttners Hauptfigur fühlt sich sichtlich überrumpelt von ihrer Depression, gibt mir allerdings im Nachhinein eher den Eindruck, als hätte die Autorin schlicht und einfach nicht genug Ahnung und Empfinden gehabt, um dem Leser Tiefgang in diesem Thema bieten zu können. Vielleicht ist dies auch die Begründung zu Kuttners Aussage „Ich hatte keine Botschaft im Kopf, als ich geschrieben habe“. Wenn sie damit zufrieden ihr Buch veröffentlichen und verkaufen lassen kann, in Ordnung. Nur merkt man es dem Buch leider an, dass sie keine Botschaft hatte. Außer vielleicht der, dass irgendwo immer noch ein Spruch reinpasst. Für mich leider zu viel des Guten (oder auch des Schlechten).
foto:



sarah kuttner
"mängelexemplar"
s.fischer 2009
sarah kuttner
interview in der märkischen allgemeinen