Guy Delisle [Aufzeichnungen Aus Birma]

Was wissen wir eigentlich über Birma? Wie lebt es sich dort? Schon der Name des Staates, über den in Europa nur Schreckensmeldungen von quasi-diktatorischen Armeegenerälen kursieren, gibt Anlass zum Nachdenken. Heißt das jetzt Birma, Burma oder Myanmar?

"au weia, ist das schlecht! heutzutage würden die so einen mist nicht mehr veröffentlichen. halt's maul. ich mach, was ich will."
(guy delisle)

Na klar. Myanmar, auch Birma oder Burma genannt, ist ein Vielvölkerstaat in Südostasien und grenzt an Thailand, Laos, der Volksrepublik China, Indien und Bangladesh. Das liegt doch auf der Hand. Ebenso der Fakt, dass das Land seit 1962 unter einer Militärjunta steht und sein Staatsoberhaupt Than Shwe sich auch gerne mal als Vorsitzender des Staatsrates für Frieden und Entwicklung bezeichnet, was im politisch korrekten Wortlaut so viel heißt wie Diktator. Birma hat auch eine Friedensnobelpreisträgerin zu vermelden, namentlich Aung San Suu Kyi. Sun Kyi informiert die Weltöffentlichkeit seit Mitte der 1970er Jahre über die politische Lage in Birma.

Erwähnenswert sei dies in zweifacher Hinsicht. Suu Kyi eröffnet mit der National League for Democracy (NLD) ab 1988 einen demokratischen Gegenpol zum totalitären Regime des Landes. Schnell wird ihr Anerkennung in der birmanischen Bevölkerung zuteil. Ihr Einsatz für ein unabhängiges und demokratisches Birma überzeugt letztlich auch das Komitee des Friedensnobelpreises. Doch die Biografie der Suu Kyi ist auch eine schmerzhafte. Seit 1990 steht die ikonische Friedensnobelpreisträgerin unter Hausarrest, welcher von Zeit zu Zeit aufgehoben und wieder eingesetzt wird. Jüngst auch wieder im Mai 2009, als ein US-Amerikaner sich Zutritt zu ihrem Anwesen in Rangun verschafft. Wegen Missachtung der Hausarrestbestimmungen wird ihr seitdem der Prozess gemacht und das nur wenige Wochen vor Auslaufen ihres Hausarrestes. Es folgten Protestmärsche in Europa, Nordamerika und Australien, doch die unbestimmte Zukunft der Suu Kyi wird damit nicht verändert.

Über Birma reden heißt die Welt einteilen. In ein Gut und Böse, in ein Wir und Die. Condolezza Rice beispielsweise prägt während ihrer Amtszeit als Außenministerin der Bush-Regierung das Schlagwort der "Vorposten der Tyrannei". Diese Klassifizierung wendet sich in erster Linie gegen korrupte und despotische Systeme wie Iran, Kuba und eben auch Myanmar. Mit welcher Absicht Rice dies tut, muss man letztlich differenziert bewerten. Doch letztlich ändert dieses Werteurteil nichts an der Tatsache, dass das Wissen um Birma – wenn man von den politischen und sozialen Gegebenheiten absieht – noch recht unzureichend ist. Dies führt uns zurück zu unserer ersten Frage: Wie lebt es sich in Birma?

Der franco-kanadische Comizeichner Guy Delisle versucht diese Frage in seinem aktuellen Comic "Aufzeichnungen Aus Birma" auf 262 Seiten zu beantworten. In zahlreichen, lakonisch-bebilderten Panels zeichnet Delisle ein Alltagsgemälde der birmanischen Kultur, dass er am eigenen Leib erlebt hat. "Chroniques Birmanes", so der Originaltitel des Werks, entstand während eines 14-monatigen Aufenthalts in der birmanischen Stadt Rangun und ist die Fortführung einer Reihe von immanent-politischen Comics (siehe "Shenzhen" und "Pjöngjang" via Reprodukt) über das Leben in autoritären Regimes in Asien.

Fingerzeig und Kulturpoetik

Doch das Werk, des 1966 in Quebec geborenen, Franco-Kanadiers mit amtlichem Wohnsitz im französischen Montpellier lässt sich nicht nur auf figurative Fingerzeige beschränken. Neben seinen politischen Comics bietet Delisle eine breite Palette an Themen und Stilmitteln, die er eloquent und fassettenreich einzusetzen weis. Auf der Erzählebene arbeitet Delisle häufig mit alltäglichen Begebenheiten, die detailliert und oft auch sehr subtil ausgefüllt werden. Damit nimmt er seinen Charakteren zwar häufig ihre ikonografisch-überhöhte Stellung, dennoch führt er sie zurück zu ihren Ausgangspunkten: dem "wirklichen" Leben, welches sich wie eine große schicksalsträchtige Blaupause über alles andere legt und erst einmal bewältigt werden muss. Verwunderlich ist daher auch nicht, dass dadurch einige sehr witzige Begebenheiten erzählt werden können, die im ersten Augenblick zwar ziemlich banal erscheinen, aber im zweiten Anlauf von einem tiefer greifenden Verständnis der geschilderten Situationen begleitet werden.

"Aufzeichnungen Aus Birma" beginnt daher nicht etwa mit einem Exkurs über die politische und gesellschaftliche Lage in Myanmar, sondern mit einem zappenden Protagonisten, der sich – nicht ganz kommunikativ – mit seiner Frau Nadège über die Abreisevorbereitungen unterhält. Nadège arbeitet bei Médecins Sans Frontières und wird in unregelmäßigen Abständen in Krisen- und Kriegsgebiete versetzt, um dort medizinische und aufklärerische Hilfe zu leisten und Krankenschwestern und Hebammen zu rekrutieren und auszubilden. Diesmal wird es also nach Birma gehen. Erst nachdem der stressige Umzug überstanden ist, beginnt Delisle allmählich kleine Schnipsel der birmanischen Kultur mit in das Erzählgeschehen einzuweben.

Teils autobiografisch, teils fiktiv eröffnet Guy Delisle danach in weiteren Episoden einen kulturpoetischen, hauptsächlich mit Anekdoten über den Alltag gespickten, Dialog über Birma, in dem sich das Nachdenken über Land und Leute in gewissem Maße über die unbewussten stillen Dinge des Lebens erschließt. Von den pragmatischen Zensurmethoden der staatlichen Autoritäten bis hin zum exotischen Blick in das zuerst fremde Supermarktregal in Rangun, Delisle schichtet Banalitäten auf politische Unheimlichkeiten und entwirft dadurch ein vielschichtiges gesellschaftliches Abbild von Myanmar.


guy delisle
"aufzeichnungen aus birma"
reprodukt 2009

empfehlung:
pjöngjang
shenzhen