Slut [Berlin, 29.09.2004]

No need for conversation.
Introvertiert und doch mit unbestechlicher Leidenschaft, unterstreichen Slut vor kleinem Publikum live die Intentionen ihres neuen Albums.


"hope, i'm getting used to what i see."
(hope)


Überall in Berlin sieht man Plakate auf denen "Köln grüßt Berlin" in geradliniger Typographie zu lesen ist. Eine Anspielung auf den diesjährigen Ortswechsel der Popkomm von der Medien-, in die Bundeshauptstadt. Das bunte Treiben der Popkomm und ihrer Musikindustrie zentriert sich jedoch auf den Stadtkern, wo ohnehin Tag ein Tag aus, Touristen wie ferngesteuert von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten gehetzt werden. Die Revalerstraße in Berlin, Friedrichshain, glänzt hingegen nicht gerade durch Attraktivität, sondern eher durch die ungenutzten Bahn Baracken und das weitestgehend brach liegende Gelände des ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerkes. Ein Grund, weshalb dieser Ort weniger im Blickfeld beschriebener Unvermeidlicher liegt. Dennoch tummelt sich eine größere Menge Menschen am Abend vor dem Eingang eines kleinen, unscheinbaren Gebäudes. Das poprockin’ Rosis lädt zu einem Stelldichein mit den Ingolstädtern Slut ein, die an diesem Abend das Eröffungskonzert zu ihrer gerade anstehenden Tour geben werden.

Das, durch seine verwinkelte Architektur baulich verwirrende Rosis, bietet seinen Gästen zunächst Entspannung in loungemäßigen Separées an, und man ist überrascht, über die gute Musikauswahl aus der Konserve; Stilsicher wird nichts von Slut gespielt, aber man bekommt unter anderem die großen Norwegen Rocker und Ex-Labelmates Motorpsycho zu hören, was als kleine Überraschung im Raum mit einer Zugspitzentapete gedeutet wird. Die fünf Musiker treten überaus pünktlich auf die kleine Bühne, und wirken ein wenig schüchtern. Der Blick Neuburgerrs zielt oft nach unten, erst im Laufe des Abends verlieren sich seine Augen im Publikum. Ein zurückhaltendes Auftreten, dass, bei der gerade live so erfahrenen Band überraschend aufgenommen wird. Dennoch birgt es Sympathien ihnen Gegenüber, vermögen sie doch nicht eine überzogene Show abzuliefern, trotz des Bewusstseins, dass ihre Äußerungen in jedem Augenblick des Abends live auf Radio Eins übertragen werden. Ohne viele Worte beginnen sie die ersten Akkorde des Titelsongs ihrer neuen Platte zuspielen, und die wenigen Zuhörer, die eine der auf hundert Stück begrenzten Karten ergatterten haben, sind vom ersten Augenblick an auf ihrer Seite. Souverän spielen sie zunächst Stücke ihres großartigen neuen Albums "All We Need Is Silence", zur Freude der Menschen vor ihnen, greifen sie in ihrer Auswahl jedoch auch bis zu ihrer ersten Platte "For Exercise And Amusment" zurück. Virus haben sie ausgewählt, und man goutiert dies mit glücklichen Gesichtern.

"Und jetzt spielen wir ein bayerisches Volkslied", deutet Neuburger an, überraschende Blicke im Publikum säend, um kurz darauf mit den Akkordfolgen ihres, zumindest den Verkaufszahlen zufolge, erfolgreichsten Stückes des letzten Albums zu beginnen; Easy To Love. Selbst die Menschen im Publikum, die ihre Karten vielleicht bei einer Verlosung gewonnen haben und ansonsten wenig Bezug zur auftretenden Band haben, erhascht ein Gefühl des wieder Erkennens, und man bewegt sich kollektiv auf engem Raum.

Den eigenen Wunsch so formulierend, dass ihr Stück Wasted vielleicht einmal eine neue Singleauskopplung sein wird, möchte Chris Neuburger damit vermutlich nichts anderes zum Ausdruck bringen, als dass ihnen dieses kleine Stück Popmusik sehr am Herzen liegt. So wie die gesamte Platte, die einen emotionalen Höhepunkt, in der stets durch Emotionen geprägten Musik der Ingolstädter darstellt. Slut gelingt es auch live diese latente Schwermut in ihren Liedern zu transportieren, dieses wundersam entrückte Gefühl von Sicherheit und Verlorenheit Angesicht zu Angesicht, wenn die Musik aus detailverliebten, fragilen Gitarrenmelodien in die kraftvollen Momente überleitet, in denen Neuburger so emphatisch seine Gedanken herausschreit, wenn er sich mit Tatsachen hilflos konfrontiert sieht; so etwa, dass die Zeit kein Heilmittel ist, welches Wunden schließt, sondern einem oft als Feind gegenübertritt, als unvermeidliches Prinzip. Und nach jedem Stück, mit noch so glühender Intensität dargeboten, schaut er geradezu verlegen nach unten, während er sich über das Mikrofon bei dem Publikum bedankt. Die Augen schließend, hält er sich die Ohren zu, um mit Konzentration seine Gedanken in der Musik zu schildern. Nur vereinzelt ist das verschmitzte Lächeln auf den Gesichtern der Mitglieder zu sehen, nicht, weil sie sich nicht wohl fühlen an diesem Abend, sondern da sie auch nach all den Jahren an Live Erfahrung die überaus einhelligen Reaktionen des Publikums nicht als gegeben hinnehmen. Und doch lächeln sie, als sie sich nach dem kurzen Break im Stück Easy To Love verspielen, und Chris Neubauer und Bassist Gerd Rosenacker ihren Einsatz verpassen.

Kurz nachdem die Band am Ende des Abends von der kleinen Bühne gestiegen ist, kommt Chris Neuburger zurück, und erklärt, für den Abend ungewöhnlich entspannt und belustigt, dass sie sich jetzt off Air befänden, die Radioübertragung eine kurze Pause schaltet, und sie im Anschluss noch eine durchaus geplante Zugabe spielen werden. Und so verabschiedet sich die Band, nachdem sie das abschließende Stück Hope von ihrem Konzeptalbum "Lookbook" vorgetragen haben von der Bühne, und entlässt die verträumte Menschengruppe in das nächtliche Berlin.
foto: ju keutner

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