The Good Life [Giessen, 02.02.2005]

It's different, when you're desperate.
In veränderter Live-Besetzung zeigen The Good Life, dass ihre Musik nicht nur in 1:1 Übertragung vom Studio auf die Bühne funktioniert.


"i wrote these songs to fulfill a story."
(tim kasher)

Dass Clubs in Industriegebieten liegen, wo sich abends kein Nachbar gestört fühlt, ist durchaus nicht ungewöhnlich. Selten jedoch liegen sie irgendwo in der Nähe der Autobahn, fernab von jeder nachtaktiven Zivilisation. Das MuK in oder besser gesagt bei Giessen ist so ein Club. Zwischen einer Reihe Autohäuser jüngeren Jahrgangs steht das Gebäude, das einem alten Bauernhof nicht un-ähnlich ist und dessen Adresse sinnigerweise den romantischen Namen An der Automeile trägt. Das Innere wirkt gemütlicher als die Umgebung, auch wenn es ein wenig an Sitzgelegenheiten mangelt.

Den Abend im mäßig gefüllten Veranstaltungs-raum eröffnen The Velvet Teen aus Kalifornien. Der Sound ist gewöhnungsbedürftig, wobei dies weniger am Mischer sondern eher an der Band liegt. Sie spulen ihre Songs zwar mit einer gewissen Abgeklärtheit herunter, dabei klingen sie allerdings, als wären sie gerade erst dem Proberaum in der elterlichen Garage entsprungen. Eine American Standard Band sozusagen, die musikalisch mit hohem Tempo durch das dreißigminütige Set düst, aber dennoch einfallslos vor sich hindümpelt und allenfalls durch die körperliche Aktivität des Sängers auf der Bühne ein wenig Energie vermitteln kann. Letzterer zeichnet sich zudem durch einen hohen Alkoholpegel aus, durch welchen seine Ansagen kaum noch verständlich sind. An jeden Satz hängt er ein immerhin klar artikuliertes "Fuck It!", dessen Sinn sich dem Publikum jedoch nicht so recht erschließen will.

Ganz anders The Good Life. Vom ersten Moment an besticht Frontmann Tim Kasher durch seine unheimlich starke Bühnenpräsenz, die den ganzen Raum zu erfassen scheint. Bassistin Stefanie Drootin hingegen ist nicht anwesend, da sie sich gerade mit den Bright Eyes auf US-Tour befindet. Erst vor dem zweiten Song schleicht sich Ersatzmann Dan Brennan auf die Bühne, um seinen Platz in der zweiten Reihe hinter den festen Bandmitgliedern einzunehmen. Symbolhaft mag zunächst diese Geste erscheinen, doch fügt er sich musikalisch wie auch optisch gut in die Band ein. Paradoxerweise ist es gerade Tim, der frisch rasiert die Bühne betritt, während die restliche Band die Gesichtsbehaarung in Grandaddy Ästhetik spriessen lässt. Zudem scheint der Dresscode, dem sich nur Schlagzeuger Ryan Fox entziehen kann, Hemd und Krawatte vorzuschreiben. Tim sucht immer wieder die Blicke des Publikums und bleibt selten einen Moment lang ruhig stehen. Es ist nicht zu übersehen, dass er nach einer auskurierten Erkältung wieder voller Energie ist, die er gewillt ist, auf der Bühne einzusetzen.

"You never fell for me, you fell for how it felt." The Good Life verzaubern das Publikum. Sie spielen ihr Set zwar mit ungeheurer Routine, sie sind Musiker die etwas von ihrem Handwerk verstehen. Doch es gelingt ihnen gleichzeitig, die Zuhörer zu verzaubern, sie binden sie emotional in ihre Stücke ein. Tim wirkt dabei wie ein Sprachrohr zwischen Band und Musik auf der einen und dem Publikum auf der anderen Seite. Während die restlichen Mu-siker manchmal völlig versunken und auf ihre primäre Aufgabe konzentriert zu sein scheinen, kommu-niziert er mit dem Publikum auf unglaublich einnehmende und char-mante Art und Weise. Sein Gesang ist eindringlich, er spannt immer wieder seinen gesamten Körper an, der unter dem überwältigenden Druck der Musik zu verkrampfen scheint. Dabei wirkt seine Stimme bedeutend mächtiger und füllender als auf Tonträger.

Stefanies Abwesenheit nimmt jedoch ein wenig von der Ausgeglichenheit, die dem aktuellen "Album Of The Year" durch das stimmliche Gegengewicht zu Eigen ist. Auch wird durch fehlende Bläser manchem Stück wie Under A Honeymoon oder You’re No Fool ein Teil ihrer markanten Charakteristik genommen. Dies wird allerdings durch die unglaubliche Eindringlichkeit und die Intensität des Zusammenspiels ausgeglichen. Beim Titelstück des "Album Of The Year" wird schließlich auch phasenweise mitgesungen, das Publikum lässt spätestens ab diesem Moment die Musik Herr über ihre Gliedmaßen werden. Dementsprechend groß ist der Applaus nach etwas über einer Stunde. Die Band dankt es mit zwei Zugabeblöcken und einer sehr langen und berauschenden Version von You’re Not You, die Tim fast in Ekstase zu versetzen scheint. Zu guter letzt wird auch noch völlig unerwartet die Metal-Keule ausgepackt und Gitarrenhälse fliegen durch die Luft, als wollten sie sagen: "We decide to hold nothing back – We’ll act how we want to act".
foto: simon traut