Morrissey [Ringleader Of The Tormentors]

"There’s A Light That Never Goes Out": Unerschütterlich ist die Faszination für Steven Patrick Morrissey und ebenso unerschütterlich ist sein Hang, das Extreme seiner Persönlichkeit mit jeder Veröffentlichung neu zu unterstreichen.


"there is no such thing in life as normal."
(the youngest was the most loved)


Morrissey ist ein Phänomen, das bindet und nicht mehr loslässt. Zumindest gilt dies für die Musikpresse: Über kaum jemanden ist in den letzten beiden Jahren so konsequent berichtet worden, ist seit der Veröffentlichung von "You Are The Quarry" die kleinste Neuigkeit noch eine große Meldung wert gewesen, wurde jedes der wenigen an die Öffentlichkeit dringenden Details über das neue Album aufgesogen und begeistert darüber berichtet. So viel Aufmerksamkeit wurde höchstens Pete Doherty zuteil, an dessen körperlichen und sozialen Abstieg sich insbesondere britische Schmierblättchen und sogar Spiegel Online labten.

Doch Morrissey wird vielmehr gewürdigt, seine nach außen als extremer Charakter inszenierte Persönlichkeit ist anziehend und stößt gleichermaßen ab. Es ist die Faszination an den Niederungen des eigenen Seins, in die sich der Mensch immer wieder begibt, die gerade bei ihm vorzufinden ist. In Morrissey spiegelt sich die Perversität menschlicher Existenz wider, Profilneurose und das Gefühl von Marginalisierung, Verletzlichkeit, pathologische Selbstverstümmelung der Seele und die verzweifelte Sehnsucht nach Liebe, welche den Geist endlich zur Ruhe kommen lässt.

Der Titel des neuen Albums kündigt Großes an: "Ringleader Of The Tormentors" scheint vordergründig anzukündigen, dass Morrissey auch weiterhin nicht gewillt ist, einen positiven Standpunkt einzunehmen oder sich gar in Demut und Bescheidenheit zu üben. Vielleicht auch, weil er in der Pose des ungeliebten Egomanen zu lange verharrt ist, nähert er sich immer mehr scheinbar immer mehr der Persönlichkeit an, die er zu sein vorgibt. Die Anspruch von Größe, welche der Titel verspricht, wird direkt im Opener I Will See You In Far Off Places durch den monumental-orchestralen Einsatz geltend gemacht, von Beginn an werden alle Register gezogen, die John Visconti bei der Produktion zur Verfügung standen.

Nobody knows what human life is. Why we come, why we go, so why then should I know.” Sofort wird deutlich, hier soll nicht nur Persönliches verhandelt werden, Morrissey setzt sich selbst in einen Gesamtkontext, dessen bestimmendes Element er doch selbst bleibt. Und wieder geht es um die Liebe und den Tod. Doch diesmal ist alles anders, so heißt es im beigefügten Pressetext. Steven Patrick Morrissey singe über das, was er in den letzten 23 Jahren nur angedeutet habe. Dabei ist der Satz „Now I'm spreading your legs with mine in-between” nichts als der konsequente Ausspruch dessen, was vorher mehr oder weniger klar umschrieben wurde, es ist kein Bruch mit der Vergangenheit. Morrissey gewinnt an Deutlichkeit, eine Kehrtwende vollzieht er aber nicht. Und der grundsätzlich pessimistische Unterton der letzten 23 Jahre bleibt, wenn auch in abgeschwächter Form, ein vertrauter Gestus, der aus der Tiefe des Morrissey’schen Seelenlebens zu uns herauf schreit. Kleinere und größere positive Zeichen finden sich aber immer wieder am Wegesrand, Morrissey scheint verliebt, wenn dies auch nur einen Teil seiner Persönlichkeit affektiert.

Vielleicht ist dies auch der Grund, weshalb sein Umgang mit dem Tod, der das noch präsentere Thema ist, einer Wandlung unterworfen ist. Das überhebliche Spiel mit der Todessehnsucht ist der Angst vor ihm gewichen, er wird nicht auf den Altar der Erlösung gehoben. Er begreift den Tod als Verlust, der morbide Charme ist nicht mehr mit jugendlicher Koketterie zu erklären, die in seinem Alter auch mehr als aufgesetzt wäre.

Für die Jugendlichkeit sorgt stattdessen ein Kinderchor, der bei zwei Stücken zur Unterstützung eingesetzt wird. Musikalisch wird der Weg, den er auf "You Are The Quarry" einschlug, weitergegangen, doch die Arrangements sind bombastischer, das Songwriting ist noch ausladender. Die Handschrift Tony Viscontis wird deutlich spürbar, eine gewisse Erhabenheit über den Popsound legt sich wie ein Schleier auf die Songs. Gleichzeitig ist das Album nicht mehr über die gesamte Länge so eingängig, Melodielinien winden sich bei Stücken wie Dear God Please Help Me und Life Is A Pigsty über Minuten hinweg, die musikalische Essenz tritt erst mit den Schlussakkorden deutlich heraus. Im Gesamtentwurf ändert sich jedoch das Grundlegende nicht: Eine Menge Popappeal gepaart mit einer Rock ’n’ Roll-Attitüde, die sich deutlich mehr an James Dean als an Elvis Presley orientiert, die Gitarre bleibt weiterhin das bestimmende Element. Die symphonisch ausufernden Momente der Platte sind um klare, eingängige Stücke gruppiert, in denen sich bei Morrissey eine ungeahnte Entspannung entfaltet, I’ll Never Be Anybody’s Hero Now läuft ins Ohr wie warme Butter sich aufs Brot streichen lässt. Die Singleauskopplung You Have Killed Me klingt jedoch ein wenig zu glatt und überproduziert, sämtliche Ecken und Kanten scheinen herausgenommen worden zu sein. Auch ist die Nähe zu First Of The Gang To Die unverkennbar, doch ist dies nicht ein viel beschworenes Sequel sondern vielmehr ein mäßig gelungene Kopie des Songprinzips. Der einzig wirklich schwache Song ist aber The Father Who Must Be Killed, der mehr als alle anderen Stücke versucht, musikalisch an alte Smiths-Zeiten anzuknüpfen. Der Refrain wirkt aber wie aufgesetzt, es wird eine künstliche Spannung erzeugt, die dazu noch von einem unsäglich affektierten Text getragen wird. Im Gegensatz dazu steht The Youngst Was The Most Loved, ein Song, in dem alles zusammenpasst. Eine wahnsinnig einnehmende Melodielinie packt den Hörer, das Arrangement mit Kinderchor stützt das Songwriting, ohne es unnötig aufzuladen oder in die Länge zu ziehen.

"Ringleader Of The Tormentors" ist ein Gesamtwerk geworden, ein insgesamt rundes und vor allem in sich stimmiges und großartiges Album. Letztendlich ist es der Nachfolger zu "You Are The Quarry", den so viele von ihm erwarteten und erhofften, ohne sich dabei in völliger Vorhersehbarkeit aufzulösen. Morrissey bietet das gewohnte Bild, doch gleichzeitig vollzieht er weiterhin einen sanften Wandel, eine Weiterentwicklung die notwendig ist, um nicht auf der Stelle zu treten und sich der Gefahr der Beliebigkeit auszusetzen. Er scheint phasenweise ins Reine gekommen zu sein mit sich selbst und Welt, auch wenn Morrissey genauso lamentiert und sich selbst der Verzweiflung des Bewusstseins über die eigene Existenz preisgibt, wie er es schon immer tat. Aber war das nicht auch schon immer die Quintessenz der Faszination die ihn überhaupt ausmacht und uns in seinen Bann zieht?
foto: sanctuary



morrissey
"ringleader of the tormentors"
sanctuary 2006 cd / lp
morrissey