Justine Electra [Soft Rock]

„It’s a dog eat dog world“, weiß die junge Wahlberlinerin über die Musikindustrie zu sagen, ist mit City Slang aber vermutlich in guten Händen. Zumindest dann, wenn man bedenkt, dass ihr Bier, Kaffee, Essen, Freunde, Sex, und was einen sonst noch stimulieren mag genügte, um die ersten Winter in Deutschland zu überstehen. Bescheidenheit.

„for women with balls and men, who wish they had them.“
(justine electra über ihr debüt)


"Der durchgedrehten Souveränität ihrer Bühnenpräsenz, dem irrlichterndem Charme ihrer Lieder, deren Atmosphären voller Wärme & Gefahr, und den Melodien, die wie aus Träumen vertraut scheinen und doch so unberechenbar wie eben jene sind- all dem ähnelt nichts, was ich kenne." So maßlos übertreibt nur Jens Friebe, der dies ausgiebig in der taz tat. Die junge Dame, an welche diese ultimative Lobhudelei gerichtet wurde, bietet letztlich genügend Angriffsfläche, um solchen Luxusbeschreibungen zu trotzen. "Soft Rock" heißt das Debüt, was ja eigentlich fast gar nicht geht und überhaupt: allein der Name schon! Justine Electra. Aber mal ernsthaft. Was den Namen anbelangt, so kann man mit Sicherheit sagen, dass das wenig originell scheint, doch man muss einsehen, dass die Kritik hier nicht an die junge Dame selbst, sondern tatsächlich an ihre Eltern gerichtet werden müsste, die sie Justine Carla Electra Beatty tauften. Und auch der Plattentitel erscheint in der Betrachtung der in Berlin lebenden Exil-Australierin nur richtig. "Vom Geist her sind das schon alles Rocksongs", erklärt sie, doch sei sie längst zu tief in ihren Stücken verankert gewesen, als sie sich überlegte, eigentlich doch vielleicht ein Rockalbum zu machen.

Mit "Soft Rock" liegt jetzt ein passables Singer/Songwriter Album vor, welches zwischen klassischen Momenten und elektrifiziertem experimentieren mit Sounds, Samples und vor allem immer wieder mit ihrer ausdrucksstarken Stimme spielt. Darunter finden sich herrlich verschrobene Momente – das Stück Sandman zum Beispiel habe sie in Anlehnung an den italienischen Komponisten Niccolo Vaccai geschrieben, der sich als Musikpädagoge immer wieder Stücken zur Gesangsübung widmete - , eine äußerst originellen Interpretation des Jazzstandards Autumn Leaves bis hin zu der dysfunktionalen Familienhommage Mom & Dad & Me & Mom. Das skurrile Moment dieses Titels ist jedoch nicht aus der Luft gegriffen, sondern wurde bereits im zarten Alter von acht Jahren von Justine geschrieben, wuchs sie doch tatsächlich mit ihren Eltern und einer Pflegemutter in der australischen Einöde auf. Im urbanen Berlin fehle ihr auch am meisten diese Naturverbundenheit. Damals sei sie gelegentlich barfuss in die Schule gegangen, bzw. per Anhalter dort hin gelangt, und wenn sie nachts von einer Party nach Hause kam, liefen ihr Füchse über den Weg. Mit ihrem zurückgelehnten Song Motorhome möchte sie eben diese Diskrepanz aufgreifen. "Come and sit by me / Smell the leaves and feel the trees / Let's burn the television" heißt es dort. "Go back, what’s stopping you?", fragt sie berechtigt, und bemerkt ironisch, dass in unserer Kultur Vogelgezwitscher doch nur noch als Klingelton wahrgenommen würde.

Berlin mag sie inzwischen dennoch. Ursprünglich verließ sie ihre Heimat, um zu ihrer Großmutter nach Italien zu ziehen, "aber die Männer gingen mir auf die nerven", erklärt sie. "Sie wollten immer, dass ich diese engen Sachen anziehe, show my tits and stuff. Nach einer Zeit habe ich jedoch gemerkt, dass diese Männer meinen Intellekt niemals ernst nehmen würden." Also machte sie sich auf nach Deutschland – was man als Kompliment werten darf. Von einem Appartement in Treptow über besetzte Häuser bis hin zu dem Augenblick, als sie schließlich Christof Ellinghaus von City Slang traf, war ein weiter Weg, bei dem – und diesen Satz muss man einfach zusammenhangslos aus der Pressemitteilung übernehmen – "jedes Klischee natürlich stimmt".

Ihre musikalische Sozialisation sei eng mit ihrer Familie verwoben, gibt die im Interview immer wieder lachende Dame zu verstehen. Während sich der Vater unter anderem für die Oper interessierte und eine unerschöpfliche Kassettensammlung besaß, war ihre Mutter eine begeisterte Tänzerin. Addiert man das musikalische Interesse der Eltern und die Tatsache, dass diese ein Liebespaar waren, ergab das bereits für die kleine Justine in der Summe, dass Musik etwas mit Leidenschaft zu tun haben müsse. Diese Leidenschaft lässt sich auch in den 13, im Alleingang aufgenommenen, detailverliebten Stücken des Debüts wieder erkennen.

Den einen mag die Platte vielleicht zu verspielt sein, wenn Telefonklingeln, Straßenbahnen oder das Megaphon zum Einsatz kommen, den anderen wiederum eher zu zurückhaltend. Soft Rock funktioniert schließlich als Ganzes, zieht den Hörer für 44 Minuten in die bunte Spielwelt der Justine Electra, in der alle Stücke berechtigt scheinen. Und mit solch wunderbaren Songs wie Defiant & Proud, der mit Akustikgitarre und Glockenspiel vorgetragenen Abrechnung mit einer ignoranten Gesellschaft, oder dem Anti R’n’B Song Killalady – mit dem zweideutigen Titel, kokettiert er doch mit der Bedeutung einer Killer Lady und der "to kill a lady" Anspielung an den Roman "To Kill A Mockingbird“ von Nelle Harper Lee – hat sie gute Chancen dazu angenehmer Konsens zu werden. Wer statt bunter Popwelt eher Film Noir bevorzugt, greift zur ähnlich talentierten Sophie Michalitsianos, aka Sol Seppy. Für beide Damen gilt jedoch die Bemerkung Electras, die hier als Schlusswort fungieren soll: "There are some people you touched and there will always be people who touch you."
foto: city slang

justine electra
"soft rock"
city slang 2006 cd / lp
justine electra