Nicolas Mahler [Die Zumutungen Der Moderne]

In der Fortsetzung zu "Kunsttheorie Vs. Frau Goldgruber" hält Mahlers Comic Alter-Ego wieder Einzug in die minimalistisch gestaltete Welt mit den sperrigen Strichzeichnungen und trockenen Bemerkungen.


"hell is also life."
(jyrki heikkinen)


Erneut kehrt der österreichische Comiczeichner und Autor Nicolas Mahler mit seinen auto- biographischen Anekdoten zurück, die schon in "Kunsttheorie Vs. Frau Goldgruber" zu überzeugen wussten und an deren Erzählung sich der Band "Die Zumutungen Der Moderne" anschließt. Wieder erzählt Mahler aus dem Leben eines Comicautors im Allgemeinen und seinen persönlichen Erfahrungen auf Comicmessen, Trickfilmfestivals, Kunstausstellungen und ein ums andere Mal bei skurrilen Telefongesprächen, im Besonderen. Dabei lässt er nicht nur die Kollektiverfahrung von und für unterschätzte Künstler aufleben, sondern macht diese in nachvollziehbaren Zügen auch für Außenstehende erfahrbar. Wieder begegnen wir in den minimalistischen Zeichnungen den windschiefen, augenlosen Figuren mit ihrem kugelrunden oder spindeldürren Äußeren, die absurder Weise vielleicht gerade aufgrund ihrer mimischen Beschränktheit und ihrer urwüchsigen Hässlichkeit an Ausdrucksstärke und Plastizität gewinnen.

Nun sind die latent kauzigen Geschichten, die Mahler in seinem episodenhaften Stil entwickelt nicht grundsätzlich witzig, doch sicherlich komisch. Wenigstens in mindestens einer der beiden Verwendungen des Wortes, und eben dieser Moment des deadpan Komischen in der Beobachtung von Alltagsbanalitäten scheint mir die große Gabe des Österreichers zu sein, welche er mit wenigen Strichen und Worten zu Papier bringt. Das weiß er sicherlich, weshalb sein langnäsiges, immer in schwarz gekleidetes Comic Alter-Ego auch fast ausschließlich als Beobachter auftritt. Meist verharrt er stoisch, wie ein ausgedienter Leuchtturm im hektischen Treiben um ihn herum und löst sich nur selten aus seiner Passivität, etwa wenn er aufgeregt den Kunstdiebstahl – eines seiner Werke! - an der Rezeption des Hotels Schweizerhof meldet. Ansonsten erfahren wir nach einem kurzen Rückblick in die Jugend des Herrn Mahlers, Portraitskizzen dessen, was ihm nach dem Erfolg von "Kunsttheorie" und seiner Animationsfilmadaption von "Flaschko" als jetzt renommierten Künstler widerfährt: er begegnet Finnen mit übermäßigem Alkoholkonsum – die in den Anmerkungen mit „You did a very good portrait of our country, it is us“ von Mahler zitiert werden –, Craig Thompson und Marjane Satrapi auf Festivals, teilt in einem Traum mit H. R. Giger ein Hotelzimmer, wird ad hoc für zehn Tage als Artist in Residence zum Fumetto Comix Festival nach Luzern eingeladen und wir lernen, dass sich Trickfilm zu Film verhält, wie Comic zu Literatur.

Durch das Belegen von Details, das Ergänzen durch Fußnoten und Materialien am Ende des Buches, wird dem Leser eine Authentizität der Geschichten vorgespielt – in "Kunsttheorie" hieß es im Vorwort noch plakativ "Dennoch ist kein Wort frei erfunden, alles ist genau so passiert" -, der man gern gewillt ist zu glauben. Wohlweislich, dass es sich hier um eines der verführerischsten Medien von allen handelt, denn die suggestiven Wort-Bild-Verschmelzungen scheinen sich einer rationellen Argumentation zu entziehen: Wie können wir schließlich bezweifeln, was uns vor Augen geführt wird?

In den "Zumutungen der Moderne" fasst Mahler seine scheinbar wahllos zusammengewürfelten Beobachtungsfragmente, die sich meist über vier bis acht Panels erstrecken, unter diesem zunächst kryptisch anmutenden Titel zusammen. Erst im Verlauf seiner Erzählungen stellt sich heraus, was hiermit gemeint ist und man muss auf zwei höchst befremdliche Dinge zurückgreifen, um die Bezeichnung nachvollziehbar zu machen: DJ Bobo und den Eurovision Song Contest. Aufklärende Wirkung in diese seltsame Verflechtung bietet ein im Anhang abgedruckter Zeitungsartikel vom 21. April 2007 mit der Schlagzeile "DJ Bobo darf singen": "Der Bundesrat will und kann den Song 'Vampires Are Alive' von DJ Bobo nicht verbieten. Dies schrieb die Landesregierung in ihrer Antwort auf eine Petition der EDU (Eidgenössisch-Demokratische Union, Anm. des Verf.). Der Entscheid, welcher Song die Schweiz am Eurovision Song Contest vertrete, werden von einer Jury gefällt. Die EDU ist von der Antwort enttäuscht und schreibt von einer 'Kapitulation des Bundesrates'." Der campy Umgang der wertkonservativen und bibeltreuen Partei mit dem Thema Pop führt schließlich in erwähnter Petition zum titelgebenden Zitat. Dort schrieb man empört bezüglich des boboschen Vampir Songs: "49000 Leute haben genug von den gottlosen Zumutungen der Moderne". Durch den Blick des Beobachters Mahler wird in seinem Buch diese Perspektive geschickt dekonstruiert, entblößt Mahler seinerseits jene konservative Haltung als an ihn, im Alltäglichen immer aufs Neue herangetragene Zumutungen der Moderne, welche er in seinen Beobachtungen porträtiert, sammelt, katalogisiert. Vielleicht hat im Nachhinein auch einer der Petitionsunterzeichner aufgrund dieser "Beflegelungen" Mahler wütend angerufen und ihm, wie der anonyme Anruf eines in Wien lebenden iranischen Monarchisten, der sich bei Mahler über Satrapis "Persepolis" beschwerte, mitgeteilt: "Ich habe das Buch gelesen und ich habe mich darüber so aufgeregt ... ich habe Blut geschissen!" Sollte dies so sein, werden wir es hoffentlich als Randnotiz im nächsten Band der mahlerschen Reihe gelungener Selbstportraits erfahren.
portrait: ulli lust/ zeichnung: die zumutungen der moderne



nicolas mahler
"die zumutungen der moderne"
reprodukt verlag 2007
nicolas mahler