BootBooHook Festival [21. + 22. August 2010, Hannover]

Natürlich war die zuletzt geschriebene Ankündigung nicht nur ein bisschen Werbung, sondern auch eine Hypothese – und ein bisschen Hoffnung. Das BootBooHook hat sich der Prüfung unterzogen und sich, zumindest auf das Nötigste, bewährt.

„BootOoKooHooTooHook – or what?“ (Ninja, The Go! Team)



Unser Festivalwochenende beginnt nicht mit der euphorischen Bändchenabholung. Es beginnt mit dem Drücken der Klingel an einer Neuner-WG, denn: Das BootBooHook ist nur mit raren Campingplätzen ausgestattet, und weil das Campingticket auch noch studentischruinöse acht Euro extra kostet, haben wir uns fürs Couchsurfing entschieden, wobei man bemerken muss, dass wir eigentlich nicht so richtig wussten, auf welchen Host wir uns da einlassen.

Letzteren bekommen wir während des Wochenendes in Hannover in der Wohnung auch gar nicht zu Gesicht, dafür einige andere nette Menschen, die WG ist eigentlich eher ein persönlich eingerichtetes Hostel als ein persönlich belebter Raum – und ist und bleibt deswegen harte Konkurrenz für das schnuckelige Festival, wegen dem wir ja eigentlich von Berlin hierher getuckert sind. Nach Niedersachsen.

Dafür treffen wir auf dem Gelände, das wenige Minuten von unserer Unterkunft entfernt mitten im Studentenviertel Linden liegt, gleich ganz viele Freunde. Das ist ein undiskutierbarer Vorteil jeglicher kleiner Festivals, und auch der Grund aus dem ich sie einfach lieber mag als ihre großen Brüder. Die Musik wird, wie auf jedem Festival, ziemlich schnell eine besonders schöne Nebensache; das Publikum, auf dessen großer Anteil die Bezeichnung Hipster unüberraschenderweise sehr gut passt, die Location, die alte Bettfedernfabrik zwischen Wohnhäusern in Straßen, auf denen kleine türkische Kinder fangen spielen, und der Pizzastand sind mindestens genauso interessant. Wir verlieren uns schnell im Strudel des verlaufenden Tages, der mit Sonne gesegnet ist, und die Auftritte von Friska Viljor und The Notwist rauschen auf der Hauptbühne an uns vorüber. Sie sind legendär feuerwerksähnlich wie erwartet (und erhofft) und fabrizieren Gänsehaut sogar in den Gesichtern.

Als wir am nächsten Mittag ausgeschlafen und gutgelaunt zu unseren Bekannten treffen, die noch verkatert zwischen den Zelten hocken, gibt es Neuigkeiten, die ganz offensichtlich die Stimmung trüben: Nachts hat es Diebstähle gegeben, ganze Zelte wurden komplett ausgeräumt, Wertgegenstände wurden teilweise trotz Anwesenheit der Schlafenden aus den Zelten geklaut – zumindest ist es das, was gemunkelt wird. Jetzt gibt es mehr Ordner und mehr Zäune, die Organisatoren sind selbst schockiert und tun ihr Bestes; das muss man ihnen zugestehen. Es kann wohl nur besser werden. Wir werfen uns eindeutige Blicke zu: Unser Host klaut nicht. Es lebe das Couchsurfing.

Als wir neben der Hauptbühne das erste Bier erwerben, kommt statt Bambi Kino Teles Frontsänger, Francesco Wilking, auf ebendiese. Bambi Kino fallen aus, aber der Ersatz ist nicht schlecht, also: Alle zufrieden. Bernd Begemann hebt befreiend die Stimmung noch weiter hoch, denn er ist lustig und dreht ganz nebenbei auf dem BootBooHook den Trailer für den Bundesvision Song Contest, an dem er dieses Jahr augenscheinlich aktiv beteiligt ist. Dafür muss das Publikum sich natürlich von seiner besten Seite zeigen, deswegen ziehen wir uns mit unseren Pornobrillen in den Schatten zurück und jubeln von weiter hinten.

Den ganzen Nachmittag verbringen wir auf der großen, vollen Wiese vor der Blue Stage und freuen uns ganz besonders über The Go! Team: Die Briten beweisen wieder einmal, dass Gott sie auf der Bühne sehen will. Während der ersten drei Lieder ist Fotografieren im Graben erlaubt, und natürlich können es nur fantastische Bilder werden. Diese Frontsängerin! Sie kann nicht von dieser Welt sein. Ihre Energie ergreift die leuchtenden Gesichter der Menge, die fasziniert von unten heraufstarren und gar nicht verstehen, wieso ihre Beine sich ganz von selbst bewegen.

Die „Atmo“, wie Frank Spilker (Die Sterne) sagt, verändert sich, sobald Hot Chip die Bühne betreten – natürlich, die Jungs sind eben keine Ninjas, aber die Musik wirkt erfüllend und irgendwie befriedigend. Kurz bei Fertig, Los! Reingehört, zwei Lieder genügen, wir sind glücklich. Wir denken, nach diesen Auftritten kann es eigentlich nur schlechter werden, denn eine Steigerung ist kaum noch möglich – und leider haben wir auch Recht damit. Denn von der übrigen Musik sehen wir nicht mehr viel.

Die Hauptbühne wird geschlossen. Ein Hereinkommen in die Green Stage, die Bratze und Egotronic bereichern sollen, ist schier unmöglich. Wir versuchen es zwischen 24 und 3 Uhr ständig, aber die Schlange wird nur länger. Bratze wird, spontan scheinbar, auf eine Leinwand übertragen, die auf der Hauptbühne draußen hängt, aber wegen der Anwohner wird der Ton auf kaummehrhörbar gedreht. Wie sie aussehen wissen wir doch.

Tatsächlich schaffen wir es kurz bevor Egotronic Good-Bye sagen doch noch, uns irgendwie hereinzuquetschen, und das Quetschen hat sich gelohnt. Egotronic überziehen als könnten sie unsere Gedanken lesen, und wir kommen in den Genuss eines fast kompletten Konzerts. Wir kommen verschwitzt und euphorisiert zurück in die WG und freuen uns, dass wir am nächsten Tag an einem riesigen Tisch in Ruhe frühstücken können und kein Zelt abbauen müssen. So ein Festival mitten in der Stadt stellt alle anderen in der Pampa in den Schatten.

Tapete Records, die das BootBooHook-Festival dieses Jahr zum dritten Mal auf die Beine gestellt haben, entschuldigen sich auf ihrer Homepage offiziell für alles, was so schiefgelaufen ist. Natürlich läuft auf einem Festival immer etwas schief, aber meistens ist es vor allem das Wetter, zumindest in dieser Hinsicht ist das BootBooHook 2010 davongekommen. Aufgrund des Staus vor der Green Stage soll zu 2011 das Konzept nochmals stark durchdacht werden; was das für das BootBooHook, das sich ja gerade durch seine Lage und die Location definiert und außerhalb dieser Gemäuer kaum vorstellbar ist, bedeutet, wird sich wohl in naher Zukunft klären. Wie auch immer: Solang sich der tolle Name nicht ändert, werde ich auch nächstes Jahr wieder dort sein.

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Ankündigung: BootBooHook Festival [Hannover, 20.+21.08.2010]

Aller guten Dinge sind drei. Das BootBooHook wird beim dritten Mal nicht nur gut, sondern immer besser: In aller Hinsicht steigert sich das Festival in der Hannoveraner Innenstadt im Vergleich zum Vorjahr.



„Boot Boo Hook! Boot Boo Hook!“

(Montag, BootBooHook 2009)


In Linden-Nord, dem alternativen Studentenviertel der niedersächsischen Hauptstadt, wackeln in einer Woche die Wände. Direkt neben Supermärkten, Dönerbuden und der Straßenbahnhaltestelle findet – versteckt und geschützt – ein Festival statt, das immerhin 5000 Leute und 32 Bands beherbergen kann. Im Gebäude einer alten Bettfedernfabrik, der FAUST, finden drei Bühnen Platz für alteingesessene, kleine, große, neue, laute und leise Bands.

Dabei aufzuzählen sind zum einen Hot Chip, pflichterwähnenswert, wenn es um die britische Electroszene geht. Mit ihnen ziehen The Notwist, Die Sterne, Friska Viljor, Anajo und Superpunk aufs Gelände; Tocotronic und Bonaparte ließen sich 2009 unter anderem blicken. Bratze müssen angesichts ihrer Festivalauftrittsrate 2010 kaum erwähnt werden – der Auftritt von Bernd Begemann & Die Befreiung ist da doch eher überraschend, wenn man bedenkt, dass Herr Begemann ja eigentlich nicht nach Hannover wollte. Egotronic pumpen den Bass durch die Boxen. Als bunt, aber fein darf man diese Veranstaltung durchaus beschreiben.

Organisiert wird das Festival vom Label tapeterecords, die natürlich auch einige ihrer Schützlinge, die bereits Erwähnung gefunden haben, voraus schicken. Wie auch Men Among Animals, die sich schon auf dem Rokskilde beweisen konnten, beehren Bambi Kino das Festival mit einem Besuch. Diese Band, die sich aus ehemaligen Mitgliedern von Nada Surf, Maplewood und Cat Power zusammensetzt, interpretiert die Beatles neu: Vor dem Festival spielen sie in Hamburg die originale Setlist des ersten Hamburg-Gigs der Beatles am 17. August 1960.

Für nur 41 Euro (inkl. VVK-Gebühren) darf man, vorausgesetzt man verzichtet auf einen Fleck für sein Zelt, das Spektakel bewundern, für acht Euro mehr ist man einer der Auserwählten, die den Campingplatz direkt an der Ihme nutzen dürfen. Wer die acht Euro sparen will, kann sich auf der Website eine Liste billiger Hostels und Jugendherbergen runterladen – dort gibt es auch die Tickets, bei spät-dranner Ticketbestellung empfielt sich aber doch der Kauf an örtlichen VVK-Stellen.

Es darf gebootboohookt werden!
Und hoffentlich sieht man sich dann dort.

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Herpes [Das Kommt Vom Küssen]


"Herpes? Hatte ich auch schon mal. War keine gute Erfahrung!" Heute wird das alles anders. Versprochen.




"wir tanzten bis zum ende / zum herzschlag der besten musik / jeden abend jeden tag / wir dachten fast es wär ein sieg." (fehlfarben, "das war vor jahren")


Alles dreht sich. Wirklich alles. Ich stehe nur stumpf herum und staune. Über das, was dort passiert. Über die Reibungswärme im Publikum. Die zuckenden Leiber. Die Punks. Die Mädchen. Über die, die noch nicht genug bekommen haben vom Bier und nochmal nachlegen müssen. Und über die, die noch immer über den Namen der Band kichern: "Herpes? Hatte ich auch schon mal. War keine gute Erfahrung!“ Heute wird das alles anders. Versprochen.

Mit dem ersten Basston schmilzt der Raum zwischen Bühne und Tanzfläche. Wird immer kleiner. Verschwindet. Es wird noch eilig zugeprostet bevor die ersten quietschenden Turnschuhe auf dem Parkett eine Art Tanz hörbar machen. Überlagert werden diese ersten Gehversuche im Saal von Herpes und ihrem hysterisch-verspulten Artpunk, der sich Note um Note aus den Boxen schält und dabei immer wieder an 30 Jahren Musikgeschichte nach Punk vorbeischrammt: Von Devo die Reduktion, von den Fehlfarben die Gleichsetzung von Banalität und Politik, von der neuen deutschen Welle die Ironie. Herpes verwuseln diese Elemente auf Das Kommt Vom Küssen in zehn Songs, die so dringlich daher kommen als hätte man schon immer auf sie gewartet. Mit den Fehlfarben und 1000 robota teilt man sich nun auch das gleiche Label (Tapete), worauf man sicherlich sehr stolz sein wird. Für die Erstgenannten und das sollte man durchaus als Kompliment auffassen, dürfen Herpes sogar als Support einspringen.

Herpes haben sich also für 2010 prächtig positioniert. Und dennoch: sieht man von diesen ganzen internen Labelbefruchtungen und dem zunehmenden Fahrtwind ab, mit dem die Berliner auf der Spree in Richtung Ozean schippern, so ist dieser ganze Trubel keinesfalls unbegründet. Auf Tapete blüht ein Pflänzchen, das sich arg nach einem größeren Topf sehnt. Da passt einfach alles: der PR-Gag mit dem Namen, zusammenhängend damit, all die ganzen Infektionsmetaphern, die sich herrlich in Sätze packen lassen und letztlich auch die druckvollen Songs.

Weniger ist mehr. Und besser.

Sinn macht auch der musikalische Ansatz von Herpes. Dieser dreht sich um die Pole Reduktion und Verdichtung. Ein Kniff, den auch schon Devo vom Punk und Dadaismus gelernt und noch weiter verfeinert haben. Gut, dass das heute auch noch funktioniert. Doch wohingegen Devo den Minimalismus zum alleingültigen Prinzip erhoben haben, ist die Verkürzung bei Herpes nur ein Versatzstück aus einem großen Ganzen und fungiert als ausbalancierte Betonfläche für die hysterischen Worthülsen von florian pühs, der es versteht Intelligenz und Banalität auf kongeniale Weise miteinander zu verbinden. Pühs bettet zweckentfremdete lebensphilosophische Phrasen in Sätze, welche keine Angst vor Milieus oder Klischees haben. Und obgleich Zeilen wie "Der Kühlschrank ist leer / und ich nehm alles schwer" (Verzettelt) im ersten Augenblick den Reim-Dich-Oder-Ich-Hau-Dich-Knopf zum Aufleuchten bringen werden, so stimmig sind diese Floskeln im musikalischen Kontext. Denn was bei dieser Reduktion übrig bleibt ist das Wesentliche, in das sich auch keine Metaebene mehr einziehen lässt. Was gesagt werden soll, wird gesagt. So deutlich wie möglich.

An anderer Stelle ist genau das Gegenteilige der Fall. Während Synthesizer und Bass die immer gleichen Töne von sich geben und dabei keineswegs langweilig werden, schafft es Pühs sich in Rage zu reden und holt die Postmoderne für circa zwei Minuten an ihren angestammten Platz zurück. Wie eilig zusammengefügte Collagen wirken daher die Berlin-Stücke von Herpes (An Einem Sonntag Im August, Galeristin, Very Berlin), die das Banale dem Politischen gegenüberstellen. Das kennt man natürlich von den Goldenen Zitronen oder von Peter Hein, aber Herpes bewahren sich hier ihre eigene Ausdrucksweise, ohne als billige Epigone durchzugehen.

foto: tapete records



herpes
"das kommt vom küssen"
tapete records, 2010, cd
herpes

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600 Wörter [Nachbarn]

Sorry, aber du hast den geilsten Arsch der Welt.






Als die beiden einzogen, es war gegen elf Uhr abends, fielen sie uns zunächst durch die lebendige Art auf, in der sie ihre Sachen – vermutlich riesige Kisten mit tonnenschwerem Inhalt – die Stufen des Treppenhauses hinauf in ihre Wohnung wuchteten.

Nach den ersten beiden Wochen sporadischem doch gleichwohl konstantem Lärmens – welches ich fälschlicher und wie ich später eingestehen musste auch unvorsichtiger Weise als Eingewöhnungszeit abtat – klingelte ich das erste Mal an der Wohnungstür. Es war nur ein paar Tage nachdem der Lange seinerseits bei uns klingelte und bat unser WLan mitbenutzen zu können, da das Ihre noch nicht eingerichtet sei. Nachdem wir dies arrangierten, wähnte ich mich – völlig fehleingeschätzt – in gewisser nachbarschaftlicher Solidarität. Ich wies ihn, nachdem der Lange die Tür öffnete, auf das Übertragen des dumpfen Basses aufgrund der häuslichen Bauweise hin und bat ihn darum die Musik leiser zu drehen. Sicher, das sei kein Problem. "Aber", fügte er hinzu als ich bereits im Begriff war mich zu bedanken und umzudrehen, er höre nun einmal gern Elektro und dabei wären die Bässe eben notwendig.

Als ich eines nachts aus dem Schlaf gerissen wurde, kapitulierte mein Unterbewußtsein längst davor, die Geschehnisse wie sonst üblich, in meinen Traum einzuarbeiten. Als ich soweit wach war zu verstehen was sich begab, hatte sich diese eine Zeile bereits irgendwo in meinem Hinterkopf festgesetzt: Du hast den geilsten Arsch der Welt. Ich konnte, obgleich mir das seltsame Stück zuvor niemals begegnet war, jedes Wort des unerträglich eingängigen und gleichwohl unseligen Textes verstehen; schließlich spielte sich alles so ab, als fände es tatsächlich in unserem Zimmer statt. Hellwach und gleichwohl mürrisch stieg ich die Treppe hinunter, klingelte und der Kleine betrachtete mich nach dem Öffnen der Tür mit seinem stets aus einer Mischung von Unsicherheit, Angst und Abwesenheit zusammengesetzten Blick. Noch bevor ich etwas sagen konnte wendete er sich nach hinten: "Deine Musik". Der Grund meines nächtlichen Besuchs schien offenkundig, sicherheitshalber stellte mir der Lange dennoch die vermeintlich rhetorische Frage: "Zu laut?" Als ich erwiderte, das Stück problemlos in unserem Zimmer mitsingen zu können, ließ er es zum ersten Mal fallen, dieses salopp hingenäselte "Sorry", welches so vielversprechend wie das Schaben von Fingernägeln auf einer Tafel klang.

Als ich einmal Vormittags die verschiedenen Angebote von Klingeltonvertreibern durch den Fußboden unseres Wohnzimmers wabern hörte, wusste ich zwar, dass die beiden fern sahen, dass dies allerdings die musikalische Untermalung beim Duschen war ergab sich mir erst, als mir der Lange in Unterhose und nassen Haaren aus dessen Bad anstelle - wie von mir erwartet - aus dem Wohnzimmer, wo sich der Fernseher – mitsamt der Subwooferei - befinden musste, entgegen trat. Das "Sorry" entglitt ihm, ohne dass ich etwas sagen musste.

Die vielversprechende Hoffnung die bei meiner Freundin an einem sonnigen Frühlingsmorgen aufkeimte, als wir vom donnernden Rumpeln unter uns geweckt wurden, glich zunächst dem süßen Wunsch, die beiden würden überraschend ausziehen – und diese Hoffnung erhellte sich noch einmal, als wir beim aus dem Fenster schauen tatsächlich einen Umzugswagen sahen, nur um alsbald einzusehen, dass dieser zu jemand anderem gehörte - nicht jedoch das Geräusch. Wir konnten niemals tatsächlich in Erfahrung bringen, was dieses ungewöhnliche, mit dem ein oder anderen freudigem Jauchzen begleitete Rumpeln, Quietschen und Poltern war, doch würde ich noch immer eine gehörige Summe darauf verwetten, dass die beiden sich an besagtem morgen einen elektrischen Bullen gekauft und in Betrieb genommen hatten.

Marcel Proust bemerkte einmal, es gäbe etwas, „das einen so sehr zur Verzweiflung treiben kann, wie ein Mensch es niemals könnte: ein Klavier“. Ich freue mich nachträglich für ihn, dass er nur einen Klavierspieler als Nachbarn hatte.
Text: Cosmo Kramer
illustration: j.e. støresund

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Teen Vogue [An Insider's Guide to Careers in Fashion]

Ein buntes und wild bebildertes Buch über Mode als Branchenzweig. Der selbsternannte „Insider's Guide“ gibt durch Berichte über Designer, Redakteure & Co preis, wie man sich einen Platz im Modebusiness erkämpfen kann und gibt dabei Ratschläge, die teilweise so banal sind, dass man sie von Mama nie ernst genommen hätte, es jetzt aber tut. Danke Karl, Anna und Stella.

"i think it's very important to be open and listen to other people's advice. but you have to make a judgment about what makes sense for you. you have to go with your instincts."
(alexander wang)


Mode ist ein kurzes Wort das gut klingt und einen jeden betrifft. Ob gewollt oder ungewollt, man hat mit ihr zu tun und kann ihr nicht entkommen. Selbst Nacktheit gilt streckenweise als Mode, betrachtet man Bilder des amerikanischen Fotografen Terry Richardson, die nur selten Getragenes zur Geltung bringen. Mode existiert schon immer, auch wenn es nie sofort diesem Titel zugeordnet wurde, und wird es immer geben. Das, was mit der Zeit entstand und sich immer ändern wird, sind die Geschmäcker, wie man Mode definiert. Was gilt als schön und trendbewusst und was als einfach untragbar.

Und weil es jeden betrifft, lässt sich auch so scheinbar einfach darüber schreiben. Eine Tatsache, die sich in den letzten Jahren in Form von etlichen Modeblogs verdeutlicht zu haben scheint. Weltweit präsentieren Kids, Jugendliche und zumeist junge Erwachsene sich und ihr Verständnis von Mode im Internet. Outfitposts, Laufsteganalysen, Kleidungswunschlisten und die neusten Errungenschaften werden online gestellt für jedermann. Und so lautet auch die Devise: jedermann. Denn jeder kann es sehen, jeder kann sich beteiligen und jeder kann es selbst machen. Die einen erfolgreicher als die anderen, die einen mit mehr Geist als die anderen, aber jeder kann es nun mal machen und das ist die Krux am weltweit grenzenlosen Internet. Könnte man meinen. Doch ist Mode nicht erst mit dem Internet interessant geworden, denn Mama trug schon vorher Moschinogürtel und wusste, was sich schickt.

Zudem bietet das Internet dem jungen Mensch von heute die Möglichkeit sich von der schwer greifbaren und schnelllebigen Welt abzuheben. Sein Ding zu machen und sich dies beispielsweise durch einen eigenen Blog zu visualisieren. Nämlich dass man etwas ist in dieser Welt und eigentlich gar nicht so alleine ist, wie man oft meinen könnte. Zumindest mit den Dingen, die einen alltäglich, sowie kulturell interessieren und inspirieren. Man fühlt sich gewissermaßen mit anderen verbunden, die ähnlich in der Mode ticken und es entsteht dadurch eine weltweite Gemeinschaft von jungen Menschen, für die das Hobby Mode entstanden ist.

In einer Zeit, in der der Arbeitsmarkt durchweg mies gemacht wird und es womöglich auch ist, haben junge Erwachsene dennoch den Anspruch einen Beruf zu finden, der sie erfüllt. Der ihren Interessen entspricht und auch Spaß bringen könnte, komme was wolle. Nur wie kommt man beruflich überhaupt dahin, wenn Mode mehr als nur ein Hobby sein soll?

Dieser Tatsache hat sich Big Boy Condé Nast angenommen und Ende letzten Jahres das "Teen Vogue Hand Book – An Insider's Guide to Careers in Fashion" rausgebracht. Knapp 270 buntgestaltete Seiten sollen dem Leser einen Eindruck davon geben, welche zahlreichen Berufsmöglichkeiten man im Modebusiness finden und wie man womöglich selbst ein Teil davon werden kann. Bekannte und weniger bekannte Gesichter der Branche erzählen von ihrem Werdegang, ihrem Arbeitsalltag und betonen strikt und oft, dass man an sich glauben und hartnäckig sein muss, um erfolgreich zu sein. Letzteres überrascht zwar nicht wirklich, dennoch kann ich nicht verleugnen, dass mir der ein oder andere Bericht Mut und Lust gemacht hat. Das Meer an Berufsmöglichkeiten dieser Branche zeigt sich in Interviews und Berichten der für das Buch ausgewählten Rubriken Designers, Editors, Stylists, Models, Beauty oder Photo. Die Liste der Designer ist die wahrscheinlich Gängigste von allen, bei der man an Namen wie Karl Lagerfeld, Stella McCartney, Philipp Lim, Marc Jacobs oder Alexander Wang nicht umher kommt. Doch wie schon erwähnt, nicht nur bekannte Persönlichkeiten geben etwas aus ihrer Arbeitswelt preis, auch weniger bis hin zu unbekannte Gesichter, wie beispielsweise Praktikantinnen, geben ihre Erfahrungen an den Leser weiter.

Für jemanden ohne Erfahrungen und wenig Wissen über die Modebranche, ist dieses Buch durchaus ein lesenswerter und informativer Einstieg und mit Sicherheit ist es auch für Modeaffine besonders spannend zu erfahren, was beispielsweise Designer Marc Jacobs oder US-Vogue Chefin Anna Wintour über die Branche und sich selbst zu sagen haben. Allerdings sollte man mit genug Abstand und Ernsthaftigkeit seine angestrebte Karriere in der Modewelt in Angriff nehmen und dieses Buch nicht als tägliche Bibel für seinen Traumberuf ansehen. Zudem ist es mit der Modebranche wie mit den meisten kreativen Branchen auch: es führen viele und viele verschiedene Wege zum Ziel, man muss nur Talent, Zielstrebigkeit, Leidenschaft und manchmal eine Portion Glück haben. Und auch mal auf Mamas Rat hören.
foto:


teen vogue
"the teen vogue handbook - an insider's guide to careers in fashion"
teen vogue

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Woog Riots [Interview: "Ein bisschen Frieden"]

Wie subversiv sind Irokesen? Warum lachen Amerikaner über Elefanten? Und warum kann man mit Nicoles „Ein bisschen Frieden“ keine Revolte mehr starten? Die Woog Riots haben sich für uns die Zeit genommen, um diese und andere Fragen zu beantworten. Mehr nach dem Klick!


"once i made a record / i did it for you all"
(woog riots)


Der Akt der juvenilen Verweigerung gegenüber dem – nicht immer im Einklang mit dem eigenem Weltbild befindlichen – Kodex der Elterngeneration wird zugegebenermaßen immer schwieriger. Selbst Irokesen verlieren ihren Reiz in einer dezidiert heterogenen Gesellschaft. Womit soll man noch schocken, wenn selbst der Schock ins Nachmittagsprogramm überführt wurde? Gestern erst wieder einen tapezierten Bankier mit mittellangen Haaren gesehen. Endlich, will man da sagen! Doch: gegen was und womit soll man nur rebellieren, wenn selbst Frisuren keinen subversiven Charakter vermitteln können? Geschlechterdispositionen? Anbiederung? Niedlichkeit? Nichts? Bitte kreuzen Sie an!

Die Formelhaftigkeit der Rebellion tragen Silvana Battisti-Rudow und Marc Herbert alias Woog Riots bereits im Namen und mag man den vielen Rezensenten ihres aktuellen Albums PASP vertrauen, so scheinen sie auch eine aktive, kritische Ader für sich gepachtet zu haben. Das will man gerne glauben, denn hinter PASP (People, Animals, Society, Places) verbergen sich wahrlich unumgängliche kritische Positionen, die es erst einmal aufzuzeigen gilt. Der Song „People Working With Computers“ ist in etwa eine stoische Allegorie auf den Fabrikarbeiter, der seinen Blaumann gegen eine Tastatur eingetauscht hat; ein anderes Beispiel ist „Paul McCartney“ – ein Abgesang auf den Patriotismus. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Und sie fortzusetzen würde bedeuten den eigentlichen Akteuren hinter den Texten nicht gerecht zu werden. Denn die Woog Riots sind weit mehr als bloße Problemaufzeiger und weit mehr als systemkritischer DIY-Riot-Pop. Silvana Battisti-Rudow und Marc Herbert haben sich ihr eigenes Referenzsystem geschaffen, in dem es vor allem um gleichberechtigte Bereiche geht. Da steht Kritik neben Komik neben Authentizität und der eigenen musikalischen Sozialisation. Ständig blinzelt es von der Bühne, ständig wird versucht einen ebenen Raum zwischen Künstler und Publikum zu schaffen, ja die Grenzen aufzuweichen. Um diese Bereiche geht es auch in unserem Interview, dass wir mit den Woog Riots geführt haben.

Live

Ihr ward vor kurzem für ein paar Gigs auf der Insel. Im Prinzip war das ja nicht euer erster Ausflug in das vereinigte Königreich. Wie werdet ihr in England aufgenommen?
Woog Riots: Das war unsere dritte Woog Riots Tour durch UK, abgesehen von ein paar vereinzelten Konzerten, die wir zuvor bereits in London hatten. Gerade die letzte Tour wurde sehr euphorisch vom Publikum aufgenommen. Die „Crowds“ waren nicht riesig, was aber eher daran lag, dass wir die Tour über Freunde und befreundete Bands organisiert hatten, ohne große PR Unterstützung.

Gibt es Unterschiede zwischen dem deutschen und dem englischen Publikum?
WG: Die „native speaker“ freuen sich über die Texte und wir werden ganz oft nach den Konzerten begeistert angesprochen. Da kommen Doppeldeutigkeiten zutage, die uns selbst noch gar nicht aufgefallen sind. So geschehen auf unserer diesjährigen USA-Tournee, wo der Song „Elephants & Mirrors“ wegen der Textzeile „my trunk is so long“ besonders gut ankam. Im UK hat die Popkultur einen viel größeren Stellenwert als bei uns. Da kann man noch mit der Oma des Veranstalters über z.B. The Smiths fachsimpeln.

Wenn man euch live erlebt, kommt man nicht um den Begriff der Intimität umhin. Ihr erzählt persönliche Anekdoten, verteilt Instrumente und sucht den Kontakt zum Publikum. Dass allerdings ganz unkonventionell und unprätentiös – was durchaus als Kompliment aufzufassen ist. Das Ganze mutet auch oft wie ein Versuch an, die Grenzen zwischen Publikum und Künstler aufzuheben. Den Raum, sozusagen in einen ebenen zu verwandeln, in dem die Größenunterschiede nur noch anatomischer und nicht mehr künstlicher Natur sind. Ist das ein bewusster Akt?
WG: Es ist ein bewusster Akt, da wir uns nicht mit gespielter Coolness über unser Publikum stellen möchten. Je mehr Publikum vorhanden, desto schwieriger wird das dann allerdings. Das Publikum soll teilhaben an dem, was auf der Bühne geschieht. Das finden wir auch gut, wenn wir selbst im Publikum stehen, da wir sehr oft auf Konzerte anderer Künstler gehen. Da wird das Rock’n’Roll Schema schnell mal langweilig. Am liebsten ist es uns natürlich, wenn wir es schaffen, dass alle tanzen.

Wie wichtig ist euch Authentizität auf der Bühne? Oder anders gefragt: was versteht ihr unter Authentizität?
WG: Die eigene Ausstrahlung ist wichtig. Was nützt ein aufgesetztes Hochglanz-Image, wenn es nicht zu unseren kritischen Texten passt. Wir verstehen uns in gewisser weise ja auch als politisch. Manchmal sind wir allerdings schon hin- und hergerissen und überlegen, ob wir mal so auftreten sollten wie Kraftwerk oder Who Made Who. Wir hatten bereits ein Arbeitsgespräch mit einer befreundeten Theater-Regisseurin und da kam genau diese Frage auf, wie authentisch wir sein möchten. Schafft man eine Kunstfigur geht der enge Kontakt zum Publikum verloren. Da spricht dich keiner mehr an nach dem Konzert, das wäre dann auch schade.

Wie wichtig ist euch der Dialog mit dem Publikum?
WG: Nach dem Konzert unterhalten wir uns sehr gerne und sind offen für Fragen und Gespräche. Während des Konzerts animieren wir, mit uns in musikalischen oder tänzerischen Dialog zu treten. Der Dialog mit dem Publikum ist uns also sehr wichtig.

PASP

Auf eurem aktuellen Album PASP nehmt ihr vielfach Stellung zu zeitgeschichtlichen oder prekären Fragen. Das allerdings in einer ziemlich ungewöhnlichen Art und Weise. Manchmal werden Geschichten erzählt. Manchmal verhandelt ihr ziemlich hintersinnig alltägliche Probleme und stellt diese in einen ungewöhnlichen Kontext. Und des Öfteren erhält der Text häufig durch die musikalische Umsetzung eine durchaus ironische Brechung. In „People Working With Computers“ oder „Backstage Lemonade“ kann man das beispielsweise sehr schön nachhören. Habt ihr solche Interpretationsansätze im Kopf, wenn ihr an den Songs arbeitet?
WG: Wir mögen es, in unseren Songs, Position zu beziehen. So werden Themen und Sichtweisen vorgegeben, wobei noch Raum für weitere Interpretationen bleiben soll. In „Backstage Lemonade“ beschreiben wir Rollenerwartungen an Mütter und wie diese angeblich nicht mit einem Leben als Künstlerin zu verbinden sind. Im catchy Refrain singen wir dann aber nur über die Limonade, die Backstage zusammen mit der Mutter getrunken wird.

Wie entstand eigentlich die Idee euer aktuelles Album in die vier Kernbereiche People, Animals, Society und Places einzuteilen bzw. was bezweckt ihr damit?
WG: Die Kernbereiche haben sich beim Schreiben der ersten Songs bereits herauskristallisiert. Es gab Stücke über Menschen, Tiere und Orte. Die Idee daraus ein Konzept zu machen entstand also in der ganz frühen Entwicklung des Albums. Dank des roten Fadens, kann man die Platte als Gesamtwerk sehen. Wer PASP verstehen will, braucht mehr als nur einzelne Downloads der besten Songs.

Wie erarbeitet ihr euch eure Texte?
WG: Zuerst gibt es Akkordfolgen, die mit Blindtext zu Melodien zusammen gefügt werden. Der Blindtext besteht aus Fantasie-Englisch und hat schon den passenden Flow zum Groove. Im nächsten Schritt wird der Blindtext mit Worten gefüllt. Die Themen ergeben sich aus alltäglichen Erfahrungen, Beobachtungen und Gesprächen zwischen uns. Wir schreiben die Texte dann tatsächlich im Zwiegespräch.

Welchen Stellenwert hat Komik bei den Woog Riots?
WG: Wir sind humorvolle Menschen. Daher tragen wir ernste Themen auch gerne mit einem Augenzwinkern vor. Reines Lamentieren und Anklagen ist nicht unser Ding.

Musikalische Sozialisation

Wo würdet ihr eure Wurzeln verorten? Was sind eure Einflüsse?
WG: Da gibt es vielfältige Wurzeln und Einflüsse. Vom musikalischen Pop und Underground der Sechziger bis hin zur Gegenwart. Beeindruckt sind wir von der Gegenkultur der 60er Jahre als Kunst, Literatur, Komik und Musik mehr miteinander verwoben waren. Beim Punk gab es zum ersten Mal die Ermächtigung Musik mit einem Do-It-Yourself Ansatz zu machen. Die Bandvorbilder reichen von Velvet Underground, Television Personalites bis zu LCD Soundsystem und Hot Chip.

Ich würde gern noch ein wenig bei eurer musikalischen Sozialisation verweilen. Unter anderem habt ihr 2004 eine eigens initiierte Compilation in die Wege geleitet und herausgebracht auf der ihr The Fall und im Speziellen Mark E. Smith huldigt („Perverted by Mark E“). Ein Blick in das Booklet und auf die Riege der vertretenen Künstler (u.a. Barabra Manning, Jeffrey Lewis, Rockformation Diskokugel, Preston School of Industry und Tocotronic) lässt erahnen, dass ihr in dieses Projekt eine Menge Herzblut und Zeit investiert habt. Was ist das Besondere an The Fall?
WG: Wir haben schon seit den 80ern The Fall gehört und waren fasziniert von Mark E. Smith. Die Radikalität seines nöligen Sprechgesangs, die permanente Repetition in Text und Musik, das Offensein für diverse Stilmittel wie z.B. Elektronika und Danceelemente ist wohl einzigartig. Die Idee zum Sampler kam nach einer Woog Riots Probe zustande. Wir stellten damals fest, dass wir schon einige Songs von befreundeten Bands über The Fall kannten. Zusammen mit unserem damaligen Bassisten Mathias Hill (Rockformation Diskokugel) haben wir dann alle möglichen Bands angeschrieben und um Songs über oder Coverversionen von The Fall gebeten. So kam dann schnell eine Doppel-CD zusammen.

Eure Zuneigung zum New Yorker Anti-Folk lässt sich nicht verheimlichen. Für den Song „Backstage Lemonade“ konntet ihr sogar Kimya Dawson gewinnen. Wie kam zu dieser Kooperation?
WG: Die Zuordnung zum New Yorker Antifolk ist eigentlich nie beabsichtigt gewesen. Wir mögen Moldy Peaches, weil die Art und Weise, wie der Gesang zwischen Kimya Dawson und Adam Green aufgeteilt wurde, uns sehr gut gefiel. Das interessanteste an der Antifolk-Szene ist das „Networking“. Man tauscht sich aus, geht gegenseitig auf Konzerte und hilft beim Buchen von Konzerten. Als Kimya auf Deutschland-Tournee war, hat sie einen „childsafe“ Übernachtungsplatz gesucht. Silvana hatte angeboten, dass sie bei ihr übernachten könne, da sie selbst Kinder hat. Der Song „Backstage Lemonade“ hat Kimya gleich gefallen, sie kannte die Problematik aus eigener Erfahrung. Wir haben ihre Vocals dann direkt nach dem Frühstück aufgenommen.

Mit wem aus der New Yorker Anti-Folk-Riege würdet ihr sonst noch gerne eine Kooperation eingehen?
WG: Am ehesten noch mit Beck, weil er es geschafft hat, klassisches Songwriting mit Dance- und Elektro-Elementen zu verbinden. Adam Green haben wir ja bereits auf unserer ersten Single mit „Friends of Mine“ gecovert.

In einem Interview soll Jonathan Richman mal gesagt haben: „Es gab in den Siebzigern keine größere Provokation, als nett zu sein!“ Etwas Ähnliches hat Intro-Redakteur Benjamin Walter über euch gesagt. Auf der einen Seite, beschreibt er einige eurer Songs vom Inhalt her als gesellschaftskritisch und auf der anderen Seite lobt er, dass man euch vordergründig auch einfach nur charmant finden kann. Liegt gerade in der Niedlichkeit ein Akt der Rebellion?
WG: Uns hat die Zuschreibung „Niedlichkeit“ eher geschadet. Wir hatten den Eindruck, dass wir in Deutschland dadurch weniger ernst genommen wurden und der Hörerkreis begrenzt blieb. In den Siebzigern mag das vielleicht noch provokant gewesen sein, aber seit Nicoles „Ein bisschen Frieden“ kann man damit auch keine Riots mehr starten.

Vielleicht verbirgt sich hinter dieser „Niedlichkeit“ auch eine sehr subversive Art der Kritik. Da kommt zum Beispiel so ein Song wie „People Working With Computers“, der unheimlich rhythmisch und tanzbar ist. Vom Text her wirkt er jedoch fast stoisch und beschreibt den modernen Fabrikarbeiter, der seinen Blaumann gegen eine Tastatur eingetauscht hat. Doch auch dieses Konzept geht auf, denn die Vortragsweise passt sich vielmehr dem Inhalt an. Wie schwierig ist es direkte Kritik zu üben?
WG: „Autobahn“ von Kraftwerk wurde nie als niedlich bezeichnet, obwohl der Text sehr einfach und eingängig war. So gesehen finden wir den Begriff „stoisch“ passender. „Click, Click, Click“, der Refrain von „People Working with Computers“ ist sehr einprägsam und funktioniert mittlerweile unter Fans wie ein Code. Gleichzeitig beschreibt „Click, Click, Click“ aber tatsächlich auch die Monotonie an vielen Bildschirmarbeitsplätzen. Also liegst Du ganz richtig mit Deiner Vermutung, dass wir eher subversive Kritik üben wollten, als falsch verstandene Niedlichkeit zu vermitteln. Direkte Kritik klingt dann eher nach Polit-Barde oder Deutsch-Punk, das ist uns zu wenig Pop. Direkte Kritik nach Art der Goldenen Zitronen finden wir allerdings sehr gut.

Noch eine Frage zum Schluss: Wann wird man wieder ein neues Album von den Woog Riots erwarten können?
WG: Im Herbst 2010 soll unser neues Album „Futurology“ erscheinen. Natürlich auch wieder ein Konzeptalbum ...

Danke für das Interview!
fotos: per schorn



woog riots
"pasp"
what's so funny about / indigo, 2008 CD
woog riots zuhause







woog riots
"strangelove tv"
what's so funny about / indigo, 2006 CD

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Telekaster [The Silent Anagram]

The Silent Anagram ist ein Gebilde aus Klangräumen, das beruhigender in seiner Unruhe kaum sein könnte. ‚All is sound’. Und so verliert sich auch die Stille im Klang und lässt das, was zwischen Kopf und Herz ist, im Gleichklang aus dem Takt schlagen.

"all that is solid melts into noise."


Es ist Nacht. Ich greife meine Kopfhörer, lege die Platte vorsichtig auf den Plattenspieler, warte bis die Nadel sich senkt und höre. Der erste Raum öffnet sich. Es fängt an zu Klackern, zu Rasseln. Ein Klavier schleicht sich dazu und beginnt ein niemals enden wollendes Intervall. Immer wieder finden sich dazu neue Klänge, Geräusche. Eine Melodica spielt eine scheinbare Melodie, die doch keine ist. Rauschen, Klappern, es regnet, drückende Störgeräusche, Instrumente. Sie spielen, stehen nebeneinander und bilden darin ein verlässliches Gefüge, das in seiner Monotonie beruhigend klingt (A Shift Full Of Shapes). Dann plötzlich der nächste Raum. Noch im Nachhall des vorigen wird es sphärischer, dröhnender. Dann Klangspiele. Tief und voll wie Kirchenglocken, hoch und metallisch hallend wie kleine Glöckchen. Es klingelt ruhig aber scheinbar willkürlich aus allen Richtungen. Doch auch hier findet sich ein Gerüst, das verhindert ins Haltlose zu fallen und das mit der Zeit unterschiedliche Assoziationen und Erinnerungen wachrufen kann (We Are All Balloons).

Im dritten Raum (Pyramids) ist es ruhiger. Er steht für sich, umgrenzt von den anderen. Wieder ein Klavier. Ein neues ewiges Intervall. Der Fall ist tiefer, die Geräusche dazu wieder rauschig und elektronisch, aber angepasster. Warm und wohlig. Entspannung. Zurücklehnen. Und wirken lassen. Das Klavier pendelt wie eine Lebensader ruhig vor und zurück. Immer weiter, wie tiefe Atemzüge. Ich sitze da, schließe die Augen und werde aufgesogen. Das Rauschen und Flirren nimmt zu und übertönt fast das Klavier, aber es findet zurück zur einfachen Melodie einer Geige. Der Raum ist erfüllt und es gelingt nur schwer in den nächsten einzutauchen.

In diesen werde ich hineingeworfen. Tauche wieder auf und höre den Lebensklang vom Klavier zuvor auf elektronischen Saiten. Es hat sich umgekehrt. Klingt fordernder. Dann gebrochene Gitarrenakkorde, wieder keine wirkliche Melodie. Aber auch hier das Gefühl bleiben zu wollen. Doch der Raum zieht sich plötzlich in sich zusammen und verschwindet (A World Full Of Ordinary Things). Die Nadel hebt sich und ich sitze da und höre die Stille. Sie rauscht.

Auf der zweiten Seite tauchen neue Räume auf. Sie kommen mir bekannt vor und sind doch neu. Stille Anagramme. Manches verdichtet sich noch mehr, anderes löst sich. Es wird orchestral und kurz hallt eine Stimme fern zwischen all dem Klang, wie ein Klagelied. (All That Is Solid Melts Into Noise). Dann wieder Knistern und Flirren. Ein Raum mit schönen Klängen und Störgeräuschen die an entfernte Presslufthammer erinnern (Where Driving Bells Are Ringing). Dann, nach einem Dröhnen im Kopf, wieder das ambientartige elektronisch Schwebende. (Your Fireworks Brighten My Sky). Zum Schluss der letzte Raum. Man betritt ihn nach einem sanften Übergang und wird dann durch diesen Klang überrascht. Etwas das so vertraut klingt und doch nicht einordbar ist. Ein bisschen wie knirschende Frösche an einem Sommerabend. Aber eben auch nicht wirklich. Es ist anders und mehr. Afrikanische Insekten sind es in Wirklichkeit. Ein unglaublicher Klang. In dem Raum wirkt alles schneller und lebendiger als vorher. Wie ein Aufbruch und ein Finale. Die Ruhe darin geht trotzdem nicht verloren. Klangspiele, die Frösche, gezupfte Saiten, Klingeln, die ewigen Wiederholungen. Nach vier Minuten reduziert sich langsam alles und zurück bleibt die Konzentration auf dieses Geräusch, bis sich die Nadel erneut hebt (No Moving Parts Contained). Die Stille rauscht immer noch. Aber sie ist sehr bewusst.

Eine unruhig beruhigende Platte. Sie bewegt sich zwischen geerdet warm und elektronisch kühl, ist schön und beschleichend, rauschig störend, melodiös ohne Melodie, tonal und atonal. „Monotony is intensity“ – die Intensität der Monotonie. Je genauer man hinhört, desto mehr wird es. Je weiter man sich entfernt, desto einheitlicher wirkt es. Und manchmal ist es auch umgekehrt. Immer wieder neue Geräusche, neue Klänge. Sie bilden Räume ohne feste Wände und letztlich immer auch Gefühl. Denn es gibt keinen Text, keine konkreten Melodien an denen man sich festhalten kann. Es gibt nur das, was die Musik mit einem macht. Es ist Musik für die Nacht, denn die Dunkelheit schluckt alles was ablenken könnte. Und so kann zwischen dem Störenden und Rauschenden in der Musik das gefunden werden, was sich durch alle Klangräume durchzieht. Etwas universell Lebendiges und gleichzeitig Verwurzeltes. Ein Klang für sich alleine. Teilbar, aber allein vielleicht doch am schönsten.

Telekaster ist ein Projekt von Matthias Grübel. Als phon°noir hat er bereits zwei Platten veröffentlicht, arbeitet an verschiedenen Theaterprojekten mit und geht mit seinem neuen Soloprojekt Telekaster einen weiteren eigenwilligen Weg. Unterstützt wird er dabei von dem Videokünstler Stefan Bünnig, der auch bei Liveauftritten die Musik visuell untermalt. Das Album The Silent Anagram ist ausschließlich als Vinyl auf dem britischen Label Panic Arrest erschienen.

Das naheliegendste und vielleicht auch schönste Anagramm von silent ist übrigens listen. So listen. Silently…
foto: mike ruiz


telekaster
"the silent anagram"
panic arrest, 2009 lp
telekaster

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3 Kurze [Culture Reject, Eamon McGrath, Clorinde]

Immer wieder schön, wenn man in den allmonatlichen Veröffentlichungen noch kleine Perlen entdeckt, die von solcher Strahlkraft sind, dass man sie am liebsten an einem bedächtigen Ort für die Nachwelt ausstellen möchte.


"come culture reject expect respect / you protect what is good ."
(inside the cinema, culture reject)



Immer wieder schön, wenn man in den allmonatlichen Veröffentlichungen noch kleine Perlen entdeckt, die von solcher Strahlkraft sind, dass man sie am liebsten an einem bedächtigen Ort für die Nachwelt ausstellen möchte. Platten, auf die man verweisen kann, wenn wieder die Rede ist vom Nachlassen der Qualität in der Popkultur. Platten, die nicht nachträglich als Staubfänger im Regal landen. Eine Platte wie zum Beispiel das selbstbetitelte Album des Kanadiers Michael O’Connell, der unter dem Pseudonym Culture Reject sein Debütalbum kürzlich bei White Whale Records vorgelegt hat.

Bei Culture Reject bekommt man wirklich Lust die LP wieder als Ganzes wahrzunehmen, anstatt sich von Single zu Single zu hangeln und sich im Vorfeld erst einmal durch halbgare bis mittelprächtige Songs wühlen zu müssen. Dieses ganze Selektieren wird man bei Culture Reject vermissen, denn konzeptuell dreht sich bei dem Kanadier alles um einen homogen Sound, um Anknüpfungspunkte zwischen den Songs und um Motive, die in veränderter Form von Track zu Track getragen werden. "Fast schon klassisch" könnte man da in den Raum werfen. Und so intuitiv diese erste Vermutung auch anmuten mag, um den Sound von Culture Reject zu beschreiben, so greifbar und triftig ist sie jedoch auch. Schon der Opening Track "Ain’t it on the Floor" wird von einem durchaus präsenten Glockenspiel begleitet, welches immer wieder durch andere Instrumente durchbrochen wird. Nicht mehr ganz so minimalistisch wirkt "Inside The Cinema" – direkt im Anschluss. Das Glockenspiel hört man hier vergeblich, ansonsten aber Bombast und repetitive Motive, die nacheinander von verschiedenen Instrumenten aufgenommen werden, sich ablösen, wiederkehren und später für immer im unteren Frequenzbereich der Lautsprecher verstummen.

Die einzige Komponente, die in dieses Schema nicht so ganz reinpasst ist der Bandname. Culture Reject beschreibt, im übertragenden Sinne, ein kulturelles Abfallprodukt, das man in den 11 Songs des Albums vergeblich suchen wird. Ein anderes kleines Manko mag sich auch bei der Umsetzung der Songs ergeben, denn Culture Reject ist in erster Linie der Multiinstrumentalist Michael O’Connell, der einfach gerne seine Bekannten zu sich ins Studio einlädt, um dann die inspirierendsten dieser Momente auf Band festzuhalten. Auf Tour wird er, wenn er nicht gerade mit allerlei Samplern und Sequenzern solo unterwegs ist, von Benji Perosin und Bernardo Padron (verantwortlich für die Bläsersektion), Paul Costello (Bass/Percussion) und Dylin North (Schlagzeug) unterstützt.

Bleibt nur noch abzuwarten, wie sich Michael O’Connell im November hierzulande präsentieren wird. Der Bonus im gleichem Atemzug mit Chad VanGaalen genannt zu werden, wird ihm hoffentlich volle Häuser bescheren. Culture Reject Live: 01.11. Galao (Stuttgart) /// 03.11. Mme. Claude (Berlin) /// 04.11. Keller Kunsthochschule (Kassel) /// 05.11. Schokoladen (Berlin)

Eamon McGrath hat mit Michael O’Connell jedoch nur wenig gemeinsam. Na klar, beide sind Kanadier, beide haben sich einen Ehrenplatz in der Riege von White Whale Records verdient und beide werden sich den Herbst über in Europa den Arsch abspielen. Aber so allmählich versickern auch schon die Argumente des Vergleichbaren. Eamon McGrath ist im Gegensatz zu Michael O’Connell ein bierseliger Geschichtenerzähler, der sich vielmehr in zwielichtigen Kaschemmen zuhause fühlt, als in der Gesellschaft von Kunststudenten jenseits der Festanstellung.

Gerüchten zufolge soll der nicht mal Zwanzigjährige McGrath schon unglaubliche 18 Alben mit gerade mal 100 Songs in seinem Kämmerlein produziert haben. Davor sollte man getrost den Hut ziehen, das heißt wenn diese Infos ihre Richtigkeit besitzen. Was man jedoch ohne Zweifel sagen muss, ist der Fakt, dass McGrath auf "13 Songs of Whiskey and Light" eine unglaublich rohe, alles vereinnahmende Energie versprüht, die hoffentlich der Anfang einer großen Karriere als erdiger Singer-Songwriter mit Hang zum psychedelischem Punk und Karohemden sein wird. Vergleichsweise könnte da der junge Bruce Springsteen herhalten, dessen Alben "Greetings from Asbury Park, N.J." (1973), "The Wild, the Innocent & the E Street Shuffle" (1973) und "Born to Run" (1975) so etwas wie ein Blaupause für bluesige Singer-Songwriter sind. Doch wobei Springsteen in diesen Jahren immer wieder die Nähe zum Soul gesucht hat, gibt es bei Eamon McGrath soulige Momente nur als Reibungswärme auf der Tanzfläche: roh, kurzweilig und kathartisch. Gitarre einstöpseln. Gain hoch drehen. Einzählen. Fertig.

Doch das soll nicht heißen, dass McGrath nur Testosteron und juvenile Energie versprüht und dass nach der großen Verpuffung keine großen Taten folgen. Ganz im Gegenteil. McGrath ist, wie auch sein herbeizitiertes Vorbild Springsteen, ein exzellenter, bisweilen sogar ausdrucksstarker Geschichtenerzähler, der seine Zuhörer durch lebensnahe Berichte von der Talsohle des Lebens in den Bann zieht. Addiert man dazu noch seine charismatischen Live-Performances wird man sicherlich besser verstehen, warum McGrath seine Texte eher schreit als singt. Er will sich Gehör verschaffen, obwohl er das eigentlich nicht müsste. Die betörende Lautstarke ist eher ein Nebenprodukt. Notfalls lässt sich die Bedächtigkeit, die die Geschichten, wie McGrath sie erzählt, eigentlich verlangen, zuhause herstellen - auf der heimischen Stereoanlage.

Bedächtigkeit ist allerdings auch ein gutes Stichwort, um den Ansatz des italienischen Ambiet-Duos Clorinde zu beschreiben, die derzeit auf "The Creative Listener" die Rückkehr zur Langsamkeit feiern.

Clorinde haben ihren Namen vermutlich einem Asteroiden zu verdanken, der 1889 von Auguste Charlois entdeckt wurde. Falls das jedoch nicht der Fall sein sollte, dann haben sich die Brüder Andrea Salvatici and Simone Salvatici wenigstens einen wirklich wohl klingenden Namen für ihr Projekt ausgewählt. Homogen ist auch ihr Ansatz von Musik, der immer wieder verschiedene Instrumente miteinander kombiniert, die in dieser Form höchstens bei den experimentellen Isländerinnen von Amiina oder bei Hauschka zu hören sind. Da finden sich neben den herkömmlichen Saiteninstrumenten, die die Popmusik für sich gepachtet zu haben scheint unter anderem auch Xylophone, Glockenspiele, analoge und digitale Synthesizer und auch diverses Schlagwerk.

In der Summe fallen die kleinsten Teile jedoch nur noch als bloße Geräusche auf. Als Versatzstücke, die miteinander spielen und sich umkreisen, die sich ohne Herkunft in den cinemascopen Sound von Clorinde einspeisen lassen. Bei der Fülle an Instrumenten, die auf "The Creative Listener" verwendet werden, hört man auch irgendwann auf, nach ihren eigentlichen Namen zu forschen und gibt sich ganz der Versenkung hin. Man lässt sich in den Strom hineinziehen.



Culture Reject
"s/t"
white whale records, cargo 2009 cd
Culture Reject





Eamon McGrath
"13 songs of whiskey and light"
white whale records, cargo, 2009, cd
Eamon McGrath





Clorinde
"the creative listener"
etruscan records, 2009, cd
Clorinde

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кожа [Lebensborn]

Lebensborn fordert heraus und bringt seinen Hörer an die Grenzen dessen, was man sich selber zumuten möchte. Denn mit Lebenbsborn zieht кожа den Hörer hinab in die schattig-schwarzen Abgründe, die unsere Gesellschaft heute, ebenso wie in der Vergangenheit, zu bieten hat. Lebensborn holt einen mitten hinein in alles, vor dem es viel einfacher ist die Augen zu verschließen.

"There is no control of what can’t be controlled."
(meatmarkets II)


Mit Lebensborn betitelten die Nazis Heime, in denen "erbgesunde", "reinrassige" Kinder verschwiegen geboren werden konnten. Ziel dahinter war es die "arische" Rasse anwachsen zu lassen. Ein absurdes wie beklemmendes Vorhaben. Ebenso beklemmend breitet sich Lebensborn als zweites eigen -ständiges Album des Musikers und Produzenten Mirco Dalos aus, der zunächst als Koza und mittlerweile unter dem Namen кожа (russisch: Haut) arbeitet. Musikalisch wird er unterstützt von einer, von ihm selbst so bezeichneten, Biomasse an Musikern, bei der es sich zum Großteil um von ihm bereits produzierte Künstler handelt.

Sich Lebensborn zu nähern bedeutet sich in erster Linie inhaltlich einzulassen. Nur musikalisch verfehlt es seinen Sinn. Denn in sieben Stücken leitet кожа in sieben Abgründe, in die der Hörer mal subtil mal sehr deutlich gelenkt wird. Die Musik tritt dabei fast in den Hintergrund, ist aber dennoch präsent und wohl gewählt. Sie zu greifen ist schwer. Jedes Stück hat nicht nur inhaltlich sondern auch musikalisch einen eigenen Charakter. Mal düster, mal stampfend, mal kriechend, mal barsch. Die jeweils unterschiedlichen Sänger unterstützten diesen Eindruck zusätzlich.

In den ersten Abgrund (Meridian) fällt man blindlings und ahnt nicht, wie tief der Fall wird. Zunächst spricht Adorno in einer Art Prolog über die nahezu Unmöglichkeit wirklicher Kunst in der verwalteten Welt nach der europäischen Katastrophe in Form des Holocaust. Es kann keine wirkliche Kunst geben ohne die Auseinandersetzung mit dem was geschehen ist. Und nach Adorno schafft es kaum jemand, sich dieses Hinsehens zu stellen. Aber dann wird hingesehen und erzählt. Zu stampfendem Rhythmus von dem Geburtstag eines kleinen Jungen. Es geht um schwere Kindesmisshandlung und die Hölle, die ein Elternhaus sein kann. Und die Narben, die niemals wirklich verschwinden. Zu ahnen, dass eine Last an autobiographischen Erinnerungen in diesem Text verarbeitet ist, lässt einen kaum aushalten, was in die Ohren drückt. Es ist vielleicht der härteste Einstieg, den man für eine CD wählen kann. Nicht weiter hören wollen ist ein großer Impuls. Aber in Verbindung mit den Worten Adornos erhält Meridian nach mehrfachem Hören eine weiterreichende Fragestellung, die über die CD hinaus wirkt. Ist das ‚Abnormale’ doch gewollt in einer verwalteten und kontrollierten Welt, und gilt dann selbst Kindesmisshandlung als tolerierte, aber kontrollierte Nische? Und wenn ja, wer profitiert dann davon? Etwas das jeder für sich selber beantworten muss. "Lebensborn" widmet sich dem scheinbar Abnormalem und gleichzeitig dem verwaltet Normalen und es wird deutlich, wie milchig die Grenzen dazwischen liegen.

Nach Meridian wird die Platte anders. Nicht leicht, nicht hell, das wird sie nie, aber anders. Melodischer, musikalischer. Die Themen bleiben weiter bedrückend. Der gewollt genormte identitätslose Mensch (Lebensborn), die Indoktrinierung durch medial verfügbaren Dreck (Your Televangelist), die Fäulnis zwischenmenschlicher Beziehungen (Sound fingers).
In Fearsome Freezone mischen sich vordergründig harmlose Volkslieder mit Zeitzeugen-Aussagen über das KZ Treblinka sowie Auszügen aus einem Interview mit Raul Hilberg zu einem grotesken Blick auf das, was Menschen bereit sind zu verdrängen, obwohl es so deutlich vor ihnen liegt.

кожа scheut sich nicht den Finger gesellschaftskritisch in die Wunden zu legen, verzichtet dabei aber darauf den moralischen Zeigefinger in die Höhe zu recken. Im Gegenteil fordert "Lebensborn" den Hörer heraus sich nicht nur bedienen und beschallen zu lassen, sondern sich mit dem Gehörten auseinander zu setzen und schließlich auch sich selbst zu hinterfragen. Denn es ist sicherlich nicht verwerflich sich gegen Lebensborn zu entscheiden. Manchmal kann man nichts anderes als die Augen zu schließen. Zu verschließen. Weil es unaushaltbar ist immer hin zu sehen, hin zu hören. Aber letztlich sind wir auch erfahren genug um zu wissen, dass das, vor dem man die Augen verschließt, dennoch da ist.
foto:


кожа
"lebensborn"
data file music, 2009 cd
кожа

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Essay [Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?]

Morbides Kinderspiel oder kollektive Angstpsychose? Die Figur des schwarzen Mannes ist ein ambivalenter Topos in der Literatur- und Filmgeschichte. Ob als Gewaltverbrecher in M – Eine Stadt sucht einen Mörder oder als Sandmann bei E.T.A. Hoffmann, der schwarze Mann ist stets pathologisch.


welches Recht habt ihr zu urteilen! wer seid ihr denn… alle miteinander? verbrecher!
(peter lorre in m – eine stadt sucht einen mörder)


Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? ist der Titel eines Kinderspiels, welches sich in mehreren Variationen bis in die heutige Zeit gerettet hat. Der schwarze Mann ist dabei der Häscher. Derjenige, der die anderen Mitspieler immer wieder auffordert, in die Ecke drängt und auf seine Seite zieht. Und obwohl seine Gegner auf die Frage, ob noch jemand Angst vor ihm hat, beständig mit „Niemand“ antworten, so zieht der schwarze Mann im Spielverlauf seine Kreise, tippt seine Gegner an, die dann durch Aufforderung für ihn agieren.

Psychoanalytisch gilt der schwarze Mann jedoch als Inbegriff der kindlichen Angst – eines kollektiven Unbewussten. Jener wird deshalb auch von manchen Eltern eingesetzt, um die Kinder zur Raison zu bringen und sie im Endeffekt auch einzuschüchtern. Das Szenario wird vermutlich jeder kennen: Nach dem Sandmännchen kommt die allseits bekannte Frage: „Darf ich noch ein bisschen fernsehen?“ Mutter und Vater suchen dann händeringend nach Formeln, um das Kind ins Bett zu bewegen. Wenn gar keine Argumente mehr fruchten, versuchen sie es mit dem schwarzen Mann oder einer anderen Kinderschreckfigur: „Tu was ich sage oder der schwarze Mann wird dich holen.“ Das Kind wird dann nörgelnd die Segel streichen und sich fügen. Was die Autorität der Eltern nicht vermochte, wird durch eine fiktive Gestalt erreicht.

Eine Figur ähnlicher Prägung ist der Sandmann, der entgegen der heutigen Annahme, im 19. Jahrhundert noch deutlich abgründigere Charakterzüge trug. In E.T.A. Hoffmanns gleichnamiger Erzählung ist der Sandmann ein Schreckgebilde mit wandelbarem Gesicht, das nachts den Kindern Sand in die Augen streut und im schlimmsten Fall diese dann herausreißt. Was an dieser Erzählung fehlt, ist die Illusion einer intakten Welt: der lange schlohweiße Zottelbart des kleinen Männchens, das wir heute Sandmann nennen, die Heimeligkeit beim Betrachten desselben und die darauffolgenden Kindergeschichten vor dem Fernseher. Der Sandmann Hoffmanns ist ein albtraumhaftes Gegenstück, das nicht viel mit seinem modernen Vertreter gemeinsam hat.

In Jon J. Muth Graphic Novel M (erstmalig 1990 publiziert, seitdem leider vergriffen, jüngst wiederveröffentlicht bei Cross Cult) fehlt ebenso die Illusion einer intakten Welt, denn der schwarze Mann ist in diesem düsteren Szenario in der Gestalt eines Kindermörders Realität geworden. Während Hoffmanns Figur des Sandmanns noch Teil einer psychotischen Traumwelt zu sein scheint, tritt der schwarze Mann in M als ein Albtraum in die reale Welt.

Nach Klaus und Klara Klawitzky wird nun auch Elsie Beckmann vermisst, die mit ihren Freundinnen Ball spielen war und danach nicht zurückgekehrt ist. Alles deutet auf ein Verbrechen. Die städtische Bevölkerung gerät daraufhin in einen andauernden Alarmzustand, doch er, der schwarze Mann ist nicht aufzufinden, denn er hat kein Gesicht. Alle sprechen darüber und keiner weiß, was geschehen ist. Es folgen psychotische Szenen auf der Straße. Bekannte werden denunziert etwas mit dem Morden zu tun zu haben, Passanten werden auf dem Bürgersteig angehalten, weil diese sich mit Kindern unterhalten haben. Als die Polizei weiterhin im Dunkeln tappt, obgleich sie den Fahndungsbereich bin ins Unermessliche ausweitet und immer öfter Razzien im Rotlichtviertel durchführt, beschließen die Barone der Unterwelt selbst nach dem Täter zu suchen. Daraufhin werden an jeder Straße und an jedem öffentlichen Ort Posten aufgestellt, um die Umgebung zu scannen. Mit verschiedenen Mitteln kommen Kriminalisten sowie Kriminelle auf die Spur des Täters. Doch wohingegen die Polizei lediglich die Wohnung und den Namen des Täters ermittelt hat, wird der Mörder von den Baronen der Unterwelt gestellt und soll in einem Prozess der Schuld überführt werden.

In diesem film noir-ähnlichen Setting verbirgt sich ein düsteres Sittengebilde, das Jon J. Muth in gedeckten Braun- und Grautönen nachzeichnet. Inspiriert wurde die Graphic Novel von der gleichnamigen, filmischen Vorlage von Fritz Lang aus dem Jahre 1931. Textlich hält sich Muth dabei sehr stark an das Originaldrehbuch von Lang und Thea von Harbou. Doch M ist – bildlich gesehen – keineswegs eine Kopie des Originals, denn Muth hat die prägnantesten Szenen und Einstellungen aus Langs Film mit einer Gruppe von Schauspielern in Cincinnati nachgestellt. Diese Eindrücke hat er fotografiert und später mit Tusche und Pinsel reinszeniert. So treffen in der Graphic Novel fotorealistische Szenen auf nachgefärbte Hintergründe und einzelne Figuren und Objekte erhalten so eine völlig neue Akzentuierung. Im letzten Kapitel beispielsweise, in dem die Geschichte ihren Höhepunkt erreicht und der Mörder Hans Beckert verurteilt werden soll, scheinen sich die Panels mehr als sonst aus dem Seitenkontext herauszulösen. Sie verschwimmen in einem Film aus Ölfarbe, zwischen Mimesis und Verfremdung, zwischen Ohnmacht und Angst.

Fritz Langs filmische Vorlage

M ist ein wahrer Motivschatz – bildlich wie inhaltlich – und überaus interessant für Comic-Liebhaber. Doch dies ist nicht einzig Jon J. Muth zu verdanken, sondern resultiert auch aus der wirklich dichten Atmosphäre des Films von Fritz Lang. Lang wiederum ist einer der großen Regisseure des europäischen Kinos (Metropolis, Das Cabinett des Dr. Caligari, Die Frau im Mond) und kreierte mit M – eine Stadt sucht einen Mörder nicht nur einen der ersten Tonfilme, sondern auch ein klaustrophobisches Meisterwerk des expressionistischen Kinos.

Bei der Recherche interessierte Lang vor allem das gesellschaftliche Klima der Weimarer Republik und im Speziellen die Auswirkungen von Gewaltverbrechen auf das gesellschaftliche Miteinander: „In den meisten Fällen findet man eine fast gesetzmäßige sich wiederholende Erscheinung der Begleitumstände, wie die entsetzliche Angstpsychose der Bevölkerung, die Selbstbezichtigung geistig Minderwertiger, Denunziationen, in denen sich der Hass und die ganze Eifersucht, die sich im jahrelangen Nebeneinanderleben aufgespeichert hat, zu entladen scheinen, Versuche zur Irreführung der Kriminalpolizei teils aus böswilligen Motiven, teils aus Übereifer.

Daher beginnen Film und Graphic Novel mit einer befremdlichen Sequenz. Man erblickt die Skyline einer unbekannten Stadt – vom Dialekt ihrer Bewohner durchaus mit Berlin vergleichbar –, im nächsten Strip sieht man spielende Kinder, die dabei ein morbides Lied singen: „Warte, warte nur ein Weilchen, / bald kommt der schwarze Mann zu dir, / mit dem kleinen Hackebeilchen, / macht er Schabefleisch aus dir.“ Vorlage dieses schrecklichen Liedes ist Fritz Haarmann, der von 1918 bis 1924 24 Jungen ermordet hat. Die breite Berichterstattung des Falles Haarmann alarmierte die Öffentlichkeit in der Mitte der 1920er Jahre und schuf, neben einer Sensibilität für das Thema des sexuellen Missbrauchs, eine flächendeckende Angstpsychose in der Bevölkerung, denn was Haarmann getan hatte, schien auf einmal überall möglich.

M – Ein moralischer Appell?

Der Haarmann in M ist ein Mann aus der Mittelschicht, der eine ganze Stadt in den Alarmzustand versetzt. Als Hans Beckert (In Fritz Langs Film wird dieser durch Peter Lorre verkörpert) erhält er seine bürgerliche Identität, sein wahrer Charakter ist jedoch weitaus psychotischer und absolut gefährlich. Beckert ist klar ersichtlich ein Wahnsinniger mit einer multiplen Persönlichkeit. Während sein bürgerliches Ich unter seinen Taten leidet, sichtet sein psychotisches Ich schon das nächste Opfer. Dieser Umstand verleiht der Figur eine moralische Ambivalenz, die sich am Offensichtlichsten in der Gerichtsverhandlung zeigt. Beckert wird von den Baronen der Unterwelt zur Rede gestellt. Die Absicht des Wortführers Schänker – selbst wegen Totschlag in drei Fällen gesucht – ist klar ersichtlich: „Wir wollen dich unschädlich machen.“ Doch Beckert zweifelt an der Glaubwürdigkeit des Gerichts: „Welches Recht habt ihr zu urteilen! Wer seid ihr denn… alle miteinander? Verbrecher!“ Folgt man dieser Argumentation so ist die Schuld auch auf der Seite des Klägers zu suchen. Der moralischen Ambivalenz dieser Szene folgt ein Zusammenbruch der Ordnungen von Gut und Böse, von falsch und richtig. „Am Ende“, so schreibt der Filmwissenschaftler Georg Seeßlen „sind alle schuldig, aber niemand ist verantwortlich (schon weil wir niemandem begegnen, der in der Lage wäre, Verantwortung zu übernehmen)“.

Die Figurengeschichte des schwarzen Mannes wird also auch in M – Eine Stadt sucht einen Mörder fortgesetzt. Doch im Gegensatz zum ungreifbaren, weil konturlosen Sandmann bei E.T.A. Hoffmann tritt der schwarze Mann in M wie ein zum Leben erweckter Albtraum in die wirkliche Welt. M ist zugleich jedoch auch ein Rekurs auf die kollektiven Ängste, die nicht nur die Weimarer Republik geprägt haben, sondern beinahe zeitlos sind. Muth und Lang greifen diese Ängste auf und verpflechten sie in eine moribde Geschichte, die leider genauso zeitlos ist wie die Figur des schwarzen Mannes.

oberes Foto: Peter Lorre als Hans Beckert
Portrait: Fritz Lang (Bild von goldenageofhollywood.co.uk)



jon j. muth
"M"
cross cult, 2009







fritz lang
"M - Eine Stadt sucht einen Mörder"
UFA
peter lorre







e.t.a: hoffmann
"Der Sandmann"
Reclam

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