600 Wörter [Die Ersatzbank]

"Da haben Spieler auf dem Spielfeld gestanden; gestandene Spieler."
(Günter Netzer)





"Auf der Ersatzbank meines Lebens", irgendwie zieht es an mir vorbei. Das Leben, das Spiel, orientalische Schnellgerichte, Bundesliga Frontberichte und vor allem und nicht zuletzt, diese scheiß Rockmusik. Und immer wieder werden Spieler eingewechselt, bekommen eine Chance, schießen ihr Tor und werden gefeiert. Dann geh ich zum Trainer, sag ihm "Du, wechsel mal Thomas ein, der kann Flanken. Große Klasse. Ach ja, wann darf ich denn..." Aber da schießt Dirk schon einen Pass, der gleich in ein Tor verwandelt wird. Ausgerechnet Dirk, der sich nicht mal die Schuhe alleine zubinden kann, dem ich noch seinen Turnbeutel hinterher trug. Einmal, tumb wie er ist, steht er an der richtigen Stelle, betrachtet die Grasflecken auf seiner Schuhspitze und in just diesem Moment stoppt er mit dem leicht angehobenen Fuß den Ball. Passt ihn weiter und wird umjubelt. Zur rechten Zeit, am rechten Ort.

Dort bin ich auch, stets. Bei der Championsleague war ich dabei, DFB Pokal, jedem verschissenen Mannschaftsspiel. Aber eben nur dabei.

Und dann, dann wechselt mich der Trainer ein. Ich gebe mein Bestes. Euphorisiert wie ein junger Hund, voller Elan, unter Strom, aber aufgeregt, unsicher, ängstlich. Ich kaschiere das mit großen Worten. Kleiner Fingerzeig auf das Leder, dann auf das Tor. Meine Chance. Die Abwehr ist überrascht, der Torwart weit draußen. Ich hole aus, treffe den Ball, aber auch die Bande rechts neben dem Tor.

Chance vertan. So ist das Spiel. Noch 15 Minuten, zwei in der Nachspielzeit und aus. Die Fans schauen auf mich runter, zumindest kommt es mir so vor. Wie sollte es auch anders sein, die Tribüne ist stets über dem Spielfeld, zu jemandem raufschauen ist da nicht. Die Mitspieler schütteln den Kopf. Hier zu versagen, das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Und ich machte es dennoch möglich.

Ich dusche, nasse Handtücher schnappen auf meinen Po. "War doch nur Spaß", sagen die Mitspieler, die sich als Gegenspieler entpuppen. Welch Freude und Überlegenheit, die dort ausgespielt wird. Charlie kommt zu mir rüber, drückt mich und sagt, dass das jedem passieren kann. Wie nett, welch Trost. Später entdecke ich das Loser-Schildchen, das er mir anpappte, und ärgere mich über seine verlogene Feigheit.

Und dann sitze ich wieder auf der Ersatzbank. Sehe, wie es an mir vorbeizieht, das Spiel und vor allem diese scheiß Rockmusik. Ärgere mich über meinen Einsatz, dass ich zu aufgeregt war und wie ich zwanghaft versuche mitzuspielen, mich dem Pack anpasse. Okay, ich ziehe mir keine Lines rein, um noch mehr zu Powern. Aber das sehe ich nicht als Fehler.

Charlie sitzt neben mir und zieht die Nase wieder hoch und macht einen auf Kumpel:
"Auch was?"
"Nee, echt nicht."
"Ich hab da 'nen neuen Sponsorenvertrag. Außerdem 'ne gute Geldquelle. Das richtige für Dich, so wie du spielst, müsstest Du Dich nicht mal anstrengen. Du kennst doch den Robert, den Schiri. Wenn wir dafür sorgen, dass wir das Spiel hier verlieren, dann bekommen wir 'n paar Euros extra."

Ich verneine noch viel zu höflich. Charlie wird eingewechselt, schießt daneben und es ist allen egal. Er freut sich, hat ordentlich was verdient. Ich weiß das und die anderen scheinen es auch zu wissen. Und ich sitze auf der Ersatzbank meines Lebens. Sie ziehen an mir vorbei mit ihrem Erfolg, ihrem Geld, ihren Frauen, ihren Männern, ihren Jobs, ihrem Status, ihren Plattenverträgen, ihren Konzerten, Fans, ihren guten Liedern, Anerkennung, ihren Leben. Und ich merke, dass ich wohl nur darauf warte, in ihr Leben eingewechselt zu werden. Warten, dass ein anderer Spieler Dirk, Thomas, Charlie oder die anderen mit einer Blutgrätsche aus ihrem Spiel befördert, um ihren Platz einzunehmen. "I'm waiting for my real life to begin..."
Ende
Anfang
Text: Daniel Decker
illustration: heiko windisch