Arne Bellstorf [Acht, Neun, Zehn]

One step inside doesn't mean you understand.
Das zunächst als Diplomarbeit angefertigte Comicalbum "acht, neun, zehn" verschaffte dem Autor Arne Bellstorf zurecht Beachtung auf der Frankfurter Buchmesse als "besten Newcomer", und der deutschen Comiclandschaft eine weitere erfreulich anspruchsvolle Nuance.


"vielleicht versuchst du einfach dich mit mir zu unterhalten?
(miriam)

"Es ist leider eine müßige Diskussion darüber, warum Comics in der öffentlichen Wahrnehmung als Kinderkram und Schund wahrgenommen werden. In Frankreich ist das anders, in Japan auch, und in Amerika gibt es mittlerweile doch einige Autoren, die für ein erwachsenes Publikum schreiben und zeichnen und damit auch ein größeres Publikum erreichen." Arne Bellstorf ist Jahrgang 1979 und hat gerade mit "acht, neun, zehn" sein erstes Comicalbum auf den übersichtlichen deutschen Markt gebracht. Es erzählt von dem jungen Christoph Bachmann der bei seiner getrennt lebenden Mutter in einer Vorstadtsiedlung lebt und die letzten Wochen seiner Sommerferien eben in jener ereignislosen Tristesse verbringt, bevor er die zehnte Klasse wiederholen wird. Zwar scheint sich einiges ändern zu wollen, als er zufällig die gleichaltrige Miriam kennen lernt, doch scheint "acht, neun, zehn" auf einer anderen Ebene zu funktionieren. Es sind nur ein paar Tage die hier in drei Kapiteln beobachtet werden, doch die Geschichte bewegt sich auf einem zeitloseren Terrain.

Arne Bellstorf gelingt es durch seine klaren Zeichnungen ein Gefühl hervorzurufen, das jedem geläufig sein dürfte, der seine Jugend in der kleinstädtischen Provinz verbrachte. Die Bildsprache, die hier gut überlegt und in Einklang mit Stimmung und Erzählrhythmus harmoniert, erinnert an Strukturen, die sich auch in Filmen von Hans-Christian Schmid oder etwa Andreas Dresens "Willenbrock" wieder finden. Es ist diese Beklommenheit die auftaucht, wenn die Kamera - oder hier die einzelnen Panels - Sekunden der Belanglosigkeit einfangen; die aufgeräumten Vorgärten, die menschenleeren Straßen, eine Treppe, über die eben jemand ging oder die Finger, die einen Stein auf der Fensterbank berühren. "Vor allem amerikanische Autoren wie Daniel Clowes, Adrian Tomine und Chris Ware", sieht Bellstorf als seine Vorbilder. "Diesen Vergleichen muss ich mich häufiger stellen, andererseits macht das auch deutlich, dass es eigentlich nur eine handvoll Comic-Autoren gibt, die inhaltlich und formal vergleichbar arbeiten."

Auch wenn der Protagonist ein pubertärer Jugendlicher ist, geht es doch um erwachsene Themen. Der Mangel an Kommunikation in unserer Gesellschaft, selbst in den kleinsten sozialen Einheiten dieser, steht im Vordergrund. Die Beziehungsarmut und Unfähigkeit sich aus bestehenden Strukturen herauszulösen. Der wortkarge Christoph, der wenig über sich zu erzählen weiß, oft teilnahmslos erscheint und die Zeit wie unerträgliches Warten auf etwas Unbestimmtes erträgt. Ganz beiläufig spielt er Videospiele, onaniert, liest. In den wenigen Gesprächen die er führt antwortet er so ökonomisch kurz wie es ihm möglich ist. Die Teilnahmslosigkeit, diese erdrückende Schwere während der Pubertät, einer Zeit in welcher man sich selbst kaum in der Welt verorten mag, erfasst Bellstorf mit der Figur des Christoph brillant. Dieser tristen Perspektivlosigkeit tritt Miriam gegenüber, die in den Ferien bei ihrem Vater in einer Gärtnerei arbeitet um Geld für eine Reise nach Kanada zu sparen. Auch als sich die beiden vorsichtig näher kommen, kann Christoph Miriams zukunftsorientierten und erwachseneren Ansichten nicht in seine Lethargie einbeziehen. Wo bei ihr Träume und Vorstellungen über ihr Leben bestehen, herrscht bei Christoph lediglich Unentschlossenheit und Stagnation. Es ist absehbar, dass die Beziehung zu einer weiteren Stufe des Entgrenzens führen könnte.

Reizvoller wird die Geschichte noch, wenn die gleichsam in einer frustrierenden Einsamkeit isolierte, getrennt lebende Mutter mit dem jugendlichen Leid ihres Sohnes parallelisiert wird. Sie trauert einer längst verlorenen Liebe nach, unfähig einen ernsthaften, länger währenden Kontakt mit Anderen aufzubauen. Beide haben sich mit der Zeit in einer Welt verfangen, in der Gefühlsausbrüche nur heimlich stattfinden können. Unsicherheiten sind allgegenwärtig. Christoph versteckt sich gar um wütend zu werden, seine Mutter weint allein auf einem Parkplatz.

Wie die ordentlich gepflegten Vorgärten, die peinlich genau gesäuberten Zwischenräume der Pflastersteine und gerade geschnittenen Hecken, ist auch das sichtbar geordnete Verhalten der Menschen nur ein oberflächlicher Glanz, hinter welchem sich unausgesprochene Verletzungen und Enttäuschungen verbergen, an die man nicht heranzutreten wagt. Vor allem Christoph befindet sich in der Zwischenwelt von Kindheit und Erwachsenendasein, auf einem Grad, der zu beiden Seiten mit der Unmöglichkeit des sicheren Integrierens in eine der beiden Welten gesäumt scheint. Arne Bellstorf weiß dies so trefflich mit einer trivialen Bildersprache zu kommentieren, wenn er die wenigen Szenen benutzt, in welchen ein kleines Mädchen mit Kreide ein Kinderspiel auf den Bürgersteig zeichnet. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn hüpft man dabei von der Hölle in den Himmel und wieder zurück.

Die wohl bedachten, doch bewusst spärlichen Zeichnungen bieten dem Leser eine sehr freie Sicht auf die Geschichte, wollen nicht grob auf einen Gedanken abzielen, bieten aber mit den vielen metaphorischen Momentaufnahmen Anstoß für eine methodische Betrachtung des Albums. "Vielen fehlt natürlich schon die Lesegewohnheit für Comics überhaupt", konstatiert der Autor. Ein Grund, weshalb nur ein überschaubarer Kreis an dieser Geschichte teilhaben wird. Und vielleicht ist "acht, neun, zehn" ja auch eine sorgsam überlegte, kleine Parabel auf die oberflächliche Betrachtung der Comic Kultur in unserem Land. "Ich versuche jedenfalls mit meiner Arbeit auch irgendwie die deutsche Comiclandschaft um einen neuen Tonfall zu bereichern. Damit man ein größeres Publikum erreicht, fehlen natürlich bessere Vertriebswege und vielleicht mehr Presse, aber ich glaube schon, dass die Nachfrage da ist." Dem kann ich mich anschließen.
foto: bellstorf.com / zeichnung: acht, neun, zehn




arne bellstorf
"acht, neun, zehn"
reprodukt verlag 2005
arne bellstorf