Kitty Solaris [My Home Is My Disco]

Erste Assoziation: Außen auf der Platte Boxhandschuhe, innen Musik wie flauschige Kissen und Marzipanschokolade im Mund. Da kann man sich verlieben, aber nur, wenn man über die Boxhandschuhe hinwegsieht.



"she's like a honeybee, she's always teasing me."
(positive/negative)


Der Ort eines jeden Künstlers, der Ort der good vibrations, der Ort, an dem in jeder Ecke eine Idee lauert ist - nein, kein Café, und auch nicht das Wohnzimmer oder ein Wald bei Nacht, sondern die Küche. Frau Solaris tut es nur da. Komponieren. Mitten im Prenzlauer Berg, mit Berlin vor dem Fenster, sitzt Frau Solaris nachts neben dem Herd und schreibt. Romantik kann dieser Vorstellung niemand abstreiten.

Diese Musik ist groß wie Berlin, bloß versteckt hinter schüchternen Xylophonklängen, sanften Bässen und einer zerbrechlichen Stimme. Manchmal, da traut sich Kitty plötzlich etwas, da vernimmt der Hörer auf einmal ein Schlagzeug oder sogar zwei mutig scheppernde Gitarren miteinander und auffallende Lautstärkekontraste. Besonders Turn On The Light On Me legt nach wenigen Minuten richtig los, mit Liebe zum Detail, aber die Zerbrechlichkeit der Küche bleibt zwischen den Tönen hängen, die Unberührbarkeit, die Gänsehaut mit den nackten Füßen auf den kalten Fliesen. Die klappernden Weingläser mit Freunden. Ein schönes Gefühl.

Man nennt es Lo-fi-Pop. Namen wie Cat Power und PJ Harvey bleiben im Unbewusstsein hängen, und wenn man später liest, dass die Künstlerin auch ein Faible für AC/DC und die White Stripes hat, meint man sogar, auch irgendetwas von selbigen irgendwo da zu vernehmen. Kittys Musik ist eben vielseitig, und sie hört sich für jeden anders an. Sie ist frisch und anders, befreiend, abwechslungsreich und erleichternd, wie ein kühles Bad im Sommer.

Dennoch ist "My Home Is My Disco" eine der wenigen Platten, bei denen der erste Eindruck trügt. Das Artwork glänzt nicht von der besten Seite, auch das Cover nicht, es bleibt zu blass und nichtssagend. Beim ersten Aufschlagen ein Stirnrunzeln: Kitty Solaris schaut mich auf ihrer eigenen CD herausfordernd mit roten Boxhandschuhen an den Händen an. Ob Kirsten Hahn - Mrs. Kitty sozusagen - einfach nur starke Kontraste mag oder sie tatsächlich so ist, wird mir auch beim Anschauen ihrer Videos nicht klar - aber so ist es eben, ihre Musik hört sich für jeden anders an.

Kitty Solaris werden auf ihrer Homepage die "ganz großen Bühnen" vorhergesagt. Dieses Zitat stammt von 2005. Die Künstlerin scheint es sich zu Herzen genommen haben - denn was folgte, war harte Arbeit. Nachdem ihr erstes Album "Different People" schon 2003 erschienen war, wurden daraufhin zwei EPs geboren. Die zweite Platte "Future Air Hostess" wurde 2007 veröffentlicht, "My Home Is My Disco" ist wiederum ihr drittes Album und erscheint am 24. April diesen Jahres beim selbstgegründeten Label Solaris Empire/Broken Silence. Für letzteres hat sie sogar Strokes-Produzent Gordon Raphael sowie Liars-Produzent Holger Müller an Land ziehen können. Damit hat sie innerhalb weniger Jahre eine stolze Diskographie aufgebaut, die sich sehen lassen kann.

Die "ganz großen Bühnen" sind jedoch eine Sache der Interpretation - sicher ist, dass Kitty Solaris schon sehr viele Berliner Bühnen von oben gesehen hat, die Bühnen ihrer Heimatstadt, und mit ihrer neuen Platte wird sie auch Magdeburger, Ulmer, Baseler, Badener und Freiburger Bühnen von der ganz besonderen Perspektive betrachten können. Bestärkt wird sie dabei von Steffen Schlosser an ihrer Seite. Für diese Berlinerin bleibt aber immer Platz nach oben, und dass sie dem gewachsen ist, ist überhaupt keine Frage. Hiermit seien ihr also auch von der Lichter-Seite die großen Bühnen vorhergesagt.

Kittys Home ist ihre Küche, also ist die ihre Disco. Der Hörer kommt nicht umhin, den Rest der laufenden Platte den minimalistischen, englischsprachigen Texten zu lauschen, die eine Musik ganz für sich sind, und sich nach jedem Satz zu fragen: Würde ich das in meiner Küche denken?
Aber er wird schnell merken, dass diese Texte Fragmente des Alltags sind, diese Textzeilen, die einem plötzlich auf einer Party oder an der Ampel oder im Supermarkt im Kopf blümen. Frau Solaris hat das Talent, sie festzuhalten, und deshalb hat jeder Song sein ganz eigenes Gefühl, jeder Song seine eigene Jahreszeit, seinen eigenen Ort, an den er gehört.

Wie gut, dass die Boxhandschuhe verschwinden, sobald sich die CD-Klappe der Anlage darüber schließt.
foto: bergen


kitty solaris
"my home is my disco"
solaris empire, 2009 cd
kitty solaris