Cloroform [Hannover, 30.01.2006]

"What can we say about Germany? Warm beer and a warmer welcome. All the shows were the best and we can honestly say that we have never felt an energy like we did while we were out there. The people at shows were a delight."
(John Erik Kaada)

"what can we say? the tour was a blast!"
(j. e. kadaa)


"The Good Times Are Killing Me", konnte im Laufe des Abends noch des Öfteren als rot leuchtender LCD-Schriftzug auf dem Gürtel von John Erik Kaada zu lesen sein. Wie Pete Townsend, dem Mastermind hinter den legendären Who, traten die drei Herren von Cloroform nebst ihrem Gastmusiker in Arbeiter-Overalls gekleidet im hannoveranischen Chez Heinz, zum Abschluss ihrer ersten Deutschland Tour auf. Und ganz wie in den sechs anderen Orten zuvor konnten sie auch an diesem Abend das Publikum – bunt gemischt zwischen Altrockern, Indie Nerds und Leuten in dem Outfit was man heute Punk nennt und dem was man vor zwanzig Jahren als Punk ansah – mit der Zeit für sich gewinnen. Bedingungslos.

Man muss sich erst an die ironische Art gewöhnen, die John Kaada bis zur Perfektion in seiner Performance auslebt; die heuchlerischen Gesten in den Liebesliedanleihen, das überspielt maskuline Auftreten, das kurzweilige Headbangen zwischen den beiden gleichzeitig bedienten Keyboards, und der Wechsel von fiepsigem Flüstern und megalomanischen Geschrei.

Auch wenn sich der Club nur langsam füllt und die Vorband eher auf lokalpatriotischer Ebene begeistern konnte, ist der Auftritt der Norweger berauschend. Die vorgetragenen Stücke sind fast ausnahmslos von dem aktuellen Album und dessen Vorgänger "Hey You Let’s Kiss" und bewegen sich irgendwo zwischen Deathmetal, Pop und Free Jazz. Filigran und Roh in gleichem Maße.

Øyvind Storesund malträtiert seinen Bass einstweilen mit Faust und Drumstick und entlockt ihm dabei einen so treibenden aber präzise auf den Punkt gebrachten Groove, dass es eine Freude ist ihm zuzusehen. Børge Fjordheims Schlagzeugspiel ist ähnlich berauschend; die Energie und den Druck eines Heavy Metal Drummers mit dem Feingefühl und der Ästhetik eines Jazz Schlagzeugers kombiniert, perfektioniert er die Rhythmusarbeit an diesem Abend. Der große Aufwand der musikalischen Abwechslung und spielerischen Sorgfalt der Platten begegnet einem live so lässig aus dem Ärmel geschüttelt, dass es anderen Bands vermutlich schwarz vor Augen werden dürfte.

"Wir sind nicht mit leeren Händen nach Deutschland gekommen", grinst John Kaada und weist darauf hin, dass Cloroform das größte Rockriff aller Zeiten in Petto hätten. "Vergesst Led Zepplin und AC/DC", lässt er großspurig verlauten und zählt dann während des Stückes die letzten Takte herunter bis ein brachialer Gitarrensound begeistert, für welchen sich der kleine Mann mit der Gitarre verantwortlich zeigt.

Raldo Useless, eigentlich als Gastmusiker der sich im letzten Jahr aufgelösten Band Gluecifer anwesend, erscheint manches mal etwas verloren in seinem weißen Overall. Einen Kopf kleiner als jedes andere Bandmitglied steht er da und verliert sich selbst in begeistertem Grinsen, wenn er versucht seinen Einsatz nicht zu verpassen. Keine leichte Aufgabe bei einer Band, die sich ganz offensichtlich so blind versteht, dass die stellenweise ausufernden Improvisationen – gleich wohl von Schlagzeug, Kontrabass, Keyboard oder sogar einem sensationell gepfiffenen Solo von Øyvind Storesund – durch winzige Details wieder zum Einsteig der anderen Instrumente auffordert. Dennoch war es definitiv dieser kleine Mann in dem weißen "Service Team" Anzug der eine Lanze für die Band brechen konnte. War er als gefeierter Gitarrist doch der Überzahl der Zuschauer bekannt. Und aus sicherer Quelle weiß ich, dass einige Fans fast ausschließlich wegen ihm an diesem Abend vor Ort waren. Allerdings sollte dies nicht der einzige Grund bleiben weshalb zum Ende kein Bein mehr still stehen konnte, wenn man seinen Blick durch die Mengen wandern lies.

"Genau so war es an jedem Abend", erklärt mir Daniel Theuerkaufer an dem Tisch, auf dem die bereits fünf veröffentlichten Platten der Band zum Verkauf ausliegen. Zunächst sei das Publikum verständlich etwas distanziert gewesen, wusste man doch wenig mit den vier Herren anzufangen. Und die wenigsten kannten ihre Stücke bereits im Vorfeld. Im Laufe der Zeit tummelte man sich jedoch allerorts vor den Bühnen und Begeisterung machte sich auf den Gesichtern breit, beschreibt er den Verlauf der Tour. Und so zeigt sich auch ein zufriedenes Lächeln im Gesicht des jungen Labelbosses. "Den Jungs hat es irren Spaß gemacht." Und so sind auch wir empfänglichen Rezipienten der Band glücklich und freuen uns auf ein baldiges Wiedersehen.
foto: nina solheim

cloroform
chez heinz

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My Morning Jacket [Z]

In 80 Tagen um die Welt.
Oder in weniger als fünfzig Minuten durch Raum, Zeit und Traditionen. Doch manches Mal verlangt das Verfolgen der eigenen Ideen ein weit aus couragierteres Selbstverständnis, als vielleicht vorhanden ist.


"and all that ever mattered will someday turn back to batter like a joke."
(dondante)


Z. Z ist der letzte Buchstabe des lateinischen Alphabetes. Z steht symbolisch für komplexe Zahlen in der Mathematik. Z ist auch das Pseudonym des ermordeten Oppositionsführers im gleichnamigen französischen Film von Regisseur Constantin Costa-Gavras aus dem Jahre 1969. Dass Zed tot sei, haben wir aus Quentin Tarantinos Gangster Farce "Pulp Fiction" gelernt, während Z im altgriechischen Alphabet für "Er lebt" steht. Die fünfköpfige Band My Morning Jacket aus dem amerikanischen Lousiville, Kentucky, hat sich also einen mystisch aufgeladenen und nur schwer fassbaren Titel für ihr viertes Album ausgewählt. Ebenso schwer fassbar und zu kategorisieren ist die darauf eingespielte Musik. Versuchen auch die drei blauen Vögel auf dem Coverbild am offenen Bauch eines weiteren Vogels die Organe auszumachen und mittels gezücktem Skalpell zu operieren, müssen sie doch feststellen, dass Herz, Lungenflügel und Magen munter und willkürlich in grotesk urban anmutenden Innereien mobil sind. Nichts ist so wie es scheint und alles geschieht dennoch einfach so. Oder mit Sänger Jim James Worten "I went over the river and into the woods. Where did I go?" (Into The Woods).

Das affektiert wirkende Namedropping im Pressetext darüber, dass Produzent John Leckie bereits mit Pink Floyd, den Stone Roses und Radiohead zusammen gearbeitet habe – meines Erachtens nach sollen große Namen, die ohne direkte Verbindung zu dem Werk Erwähnung finden, nur notdürftig vorhandene Makel kaschieren – und die nur oberflächlich ausdrucksstarken Zitate der großen internationalen Musikpresse scheinen mir jedoch ebenfalls nur wenig Greifbares gefunden zu haben. Wenn das britische Magazin Uncut also logisch zu folgern versucht, dass alles Fehlende auf dem jüngsten Coldplay Album "X&Y" auf dem My Morning Jacket Album "Z" zu finden sei, so ist dies ebenso wenig gerechtfertigt wie die seltsam daherkommende Idee des Rolling Stone Magazine, das hier die amerikanischen Radiohead ausruft. So funktioniert moderner Musikjournalismus; Bands werden durch Bands erklärt. Ich sage: In den besten Momenten klingt die Band nach den Flaming Lips, was jedoch auch nichts weiter als metadiskursive Mutmaßung meinerseits wäre. Wie armselig begrenzt man doch ist.

Auf "Z" wagen sich My Morning Jacket in die unterschiedlichsten Genres, verbinden Folk mit Country, Americana und sogar Reggae, ohne ihre eigenen Wurzeln zu vernachlässigen. Einflüsse von solch großen Namen wie Neil Young, The Band oder den Allman Brothers liest man, wenn man sich umschaut. Heute möchte man vielleicht Ryan Adams, Wilco oder Spiritualized ergänzen. Elektronische Klänge, Off Beats und Keyboard Arrangements bereichen ihre Musik seit der letzten Platte. Das eingangs erwähnte Into the Woods, bei dem man sich neben einer singenden Säge plötzlich mit einem skurrilen Männerchor konfrontiert sieht, ist ein gutes Beispiel dafür, wie viel in der Band steckt. Dondante hingegen ist ein sich langsam enthüllender, sehr auf Gefühl bedachter Opus, bei welchem die Band all ihre Stärken und ihr Hinwenden zum Detail ausspielt und vor allem durch Jim James reichhaltige stimmliche Qualitäten überzeugt.

Doch das Album bewegt sich zwischen jenen beiden Polen, die auch der Titel "Z" selbst suggeriert; die bedeutungsschwangere Vielfalt die Eingangs Erwähnung fand und die schlichte Reduzierung auf sich selbst. Zum Verhängnis scheint mir letzten Endes eben auch diese unausgeglichene Bewegung zwischen den beiden Richtungen zu werden.

Zum einen überschattet eine beinahe zwanghafte Stilvielfalt die guten Ideen – etwa das mit Reggae Allüren vorangetriebene und eher platte Off The Record. (Auch wenn das Ende zu überraschen weiß, entwickelt sich das Stück doch plötzlich in eine an Air erinnernde, verspielte Pop Ambient Nummer). Dass es sich hierbei um ein wirklich großes Album handelt wird noch durch ein anderes Extrem verhindert; die häufige und bei der Begabung überflüssige Rückbesinnung zum Rock. Im ganz klassischen Sinne. Gitarrensolo, Basslinie halten, Schlagzeug auf die Zwei und die Vier. Anytime und Lay Low sind Beispiele, in welchen man an alte Tage des stadionfüllenden Rockkonzertes erinnert wird, was leider nicht unbedingt das Erstrebenswerteste ist. Klar geradeaus gerichteter Southern Rock, schnörkellos und wenig einfallsreich und so auch die letzten Nickelback, Bon Jovi und unkritischen U2 Mitläufer mobilisierend. Das macht "Z" leider zu einer Platte, um welche die Rolling Stone Redaktion vermutlich noch lange herum tanzen wird, doch all die Vergleiche und angezeigten Verweise belegen eben auch, dass hier zwar ein gutes Album, aber leider auch nicht mehr vorliegt. In zu viele Richtung streckt man die Arme, zuviel wird angerissen aber doch nicht innovativ genug ausgekostet. Wo Radiohead sich um Meilen vom limitierten Rock aus "The Bends" Zeiten entfernt haben, werden My Morning Jacket mit eben diesen Tagen verglichen. Nicht oft genug führt die Band ihre wirklich guten Ideen konsequent aus und produziert so neben beeindruckenden Kompositionen enttäuschende Platzfüller. Es geht nicht darum sich zwanghaft neu zu erfinden und eine kopernikanische Wende nach der anderen zu proklamieren, aber im Großen und Ganzen ist vieles auf diesem Album an anderer Stelle schon gehört und vielleicht auch besser umgesetzt worden. Oder wie es der Guardian treffend benannte: "intensely lovely, but essentially conservative".
foto: danny clinch



my morning jacket
"z"
red ink 2006 cd
my morning jacket

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Architecture In Helsinki [In Case We Die]

SuperMelodyWorld.
Die Musik ist wie ein erster Kuss: chaotisch, leidenschaftlich, aufregend und flüssig. Das weiß die neue Supergroup aus Australien jedenfalls selbst über sich zu sagen.

"i've got problems, i'm gonna use them."
(in case we die parts 1-4)


"Auf den Birken und Weiden da wachsen die Semmeln und Brötchen frischbacken und unter den Bäumen fließen Milchbäche; in diese fallen Semmeln und Brötchen hinein und weichen sich selbst ein für die, so sie gern einbrocken." So beschrieb der deutsche Schriftsteller Ludwig Bechstein im neunzehnten Jahrhundert das Schlaraffenland, diesen ungewöhnlichen Ort an dem Alles im Überfluss vorhanden sei. Ganz ähnlich erscheint die Musik von Architecture In Helsinki, deren zweites Album mit Verzögerung nun auch in Deutschland veröffentlicht wird. Die drei Damen und fünf Herren aus der näheren Umgebung von Melbourne versammeln – so die Pressemitteilung – ein "Tischfeuerwerk aus frechen Popeffekten". Tatsächlich präsentiert die Band ein überbordendes Sammelsurium an verspielten Melodien und entrückten Rhythmen, dass einem ob der Vielfalt schwindlig werden kann. Akribisch sind im Booklet die verwendeten Instrumente aufgeführt und zu jedem einzelnen Song zugeordnet. 41 an der Zahl. Da wird schnell klar, dass neben den acht Mitgliedern noch über vierzig Freunde an den Aufnahmen der Platte beteiligt waren, die im eigenen Studio mit dem klangvollen und überaus passenden Namen Super Melody World produziert wurde.

So zahlreich wie das Instrumentarium sind auch die Anekdoten die sich um die Stücke, die Platte und die ganze Band ranken. Der seltsam anmutende Name entspringt einer recht spontanen Begebenheit; Cameron Bird - der Kopf, Dirigent oder vielleicht Architekt der Band – schlug einfach eine Zeitung auf und kombinierte Wörter miteinander, welche seines Erachtens nach einen guten Klang ergaben. Architecture In Helsinki war das Resultat als man sich kurz vor einem Auftritt auf einen Bandnamen einigen musste. Ähnlich diesem Schema, so erklärt Sängerin, Keyboarderin und Percussionistin Kellie Sutherland, sei auch die Herangehensweise von Bird beim Schreiben der Texte; der Klang der Worte und Sätze steht im Vordergrund, die Interpretation überlässt man lieber den Hörern. "Blue and red up I'm fed, you're upset almost dead, tongue twisted." (In Case We Die Parts 1-4)

Auch zu den einzelnen Stücken ist man um kleine, skurrile Geschichten nicht verlegen; Das bereits auch visuell arrangierte Stück Do The Whirlwind – vielleicht der eingängigste, wenn nicht zumindest tanzbarste Song des Albums - sang Cameron Bird aus Mangel an Aufnahmemöglichkeiten zu Hause auf den Anrufbeantworter, nachdem ihm die äußerst eingängige Melodie während dem Fahrradfahren in den Kopf kam. Die Folge war, dass jeder Anrufer über Wochen hinweg mit dieser Melodie konfrontiert wurde. Eine Idee, die sich die Band vielleicht noch schnell als Werbewirksames Marketingkonzept patentieren lassen sollte.

Das bunte Pop Panoptikum mit dem leicht morbiden aber auch ironisch lebensfrohen Titel "In Case We Die" ist eine Zusammenstellung von Popmusik Liebhabern. Manche Stücke erscheinen geradezu, als würde man durch die mittlerweile unzähligen Musikkanäle im digitalen TV Zeitalter zappen. Es gibt zahlreiche Künstler, welche die verschiedensten Musikrichtungen in ihren Stücken verarbeitet haben. Doch erst in der letzten Zeit haben sich Bands hervorgetan, welche aus allen Zutaten einen homogenen Stil herausarbeiteten. Und wenn man dann solch allumfassende Verknüpfungen wie "Rocky Horror Picture Show, Bangles, Smith meets Queens Of The Stone Age und Cure mit einem A Capella Breakdown" heraufbeschwört um einen Song zu beschreiben, erscheint dies nur folgerichtig. Gerade Australien und Neuseeland mit Künstlergemeinschaften wie den Avalanches oder jüngst Fat Freddys Drop scheinen hierfür prädestiniert zu sein. Toby, Trompeter letzterer Band, beschreibt diese Herangehensweise damit, dass man solch ein Wagnis nur dort ohne sich zu verlieren sinnvoll durchführen kann, wo der Markt begrenzt ist und man Teil einer Szene als Ganzes sein muss. "Wenn du Musiker sein willst, musst du dich in verschiedene Stile einbinden – was eine andere Art von Musikern hervorbringt, mit breitem Geschmack, Interesse und Verstand unterschiedlichster Arten von Musik." Ganz ähnlich verhält es sich seit geraumer Zeit in Kanada, allen voran auf dem stilsicheren Label Arts & Crafts, welches mit Bands wie Broken Social Scene, den Stars und demnächst der Most Serene Republic diesen Allroundstil vorantreibt. Während man sein Augenmerk also in kontinental Europa und den USA auf Altbewährtes legt, bringen die Außenseiter aus der Not geboren den frischen Wind. Vor diesem Hintergrund ist auch die eigene Beschreibung der Architecture In Helsinki ganz klar; "A group of people with influences and tastes spanning the last 183 years of pop music, coupled with the isolation of Australia."

Die zwölf Stücke, die letzten Endes auf "In Case We Die" zu finden sind, scheinen allesamt nur Momentaufnahmen von sich selbst zu sein. Was zunächst widersprüchlich klingen mag, ist aber nur die dynamische Arbeitsweise des Oktetts. Während Cameron Bird den Großteil der Stücke schreibt, entwickeln sich diese im Laufe der Zeit durch das jeweilige Zutun der Beteiligten und ihrer Instrumente. So kann es schon einmal dazu kommen, dass ein Song zunächst nach Fatboy Slim klingt, später eher nach einem Beach Boys und Animal Collective Mix und zu guter Letzt zu einem "enrico-moriconesquen Epos mit cheesy Soundeffekten" heranreift. Das sagt zumindest James Cecil über Nevereverdid, dem ersten Stück des Albums.

Alles in allem überrascht die Platte immer wieder aufs Neue, sei es aufgrund der vielen kleinen Details, welche man erst mit der Zeit entdeckt, oder der abwechslungsreichen Gesangs- und Melodieführung und nicht zuletzt wegen der Instrumentenvielfalt, welche man in diesen Konstellationen – Marimba, Saxophon, Flöte und Wurlitzer E-Piano in Need To Shout - wirklich selten zu hören bekommt. Trotzdem stößt man sich das ein oder andere Mal auch an eben diesen charmanten Kanten. Vielleicht auch, weil etwas zuviel Melodie in jedem Stück steckt, ein Übermaß an Impulsivität aus ihnen herausplatzt, lange nachdem sich das Sättigungsgefühl bereits eingestellt hat.
foto: aih



architecture in helsinki
"arms down"
moshi moshi records 2006 cd
architecture in helsinki

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Sonntag Nachmittag [Januar 2006]










fotos: manuel kaufmann

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Bilderdisko [Idioteque]

Take the money and run.















"We are not scaremongering
This is really happening
Mobiles Squirking
Mobiles Chirping
Take The Money And Run"


"Idioteque"

Radiohead
aus: "Kid A"
Parlaphone, 2000
Umgesetzt von
Ansgar Dlugos
Münster


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Sonntag Nachmittag [Dezember 2005]









fotos: manuel kaufmann

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David Sowka [Schätzchen, Verfälschen Wir Die Geschichte]

"Zynismus ist die Kunst, die Dinge so zu sehen, wie sie sind, und nicht, wie sie sein sollten", konstatierte Oscar Wilde. Der junge Österreicher David Sowka überspitzt diese Betrachtung und macht sie zum Programm in seinem ersten Buch.


"nicht nur das buch ist super, der autor sieht auch noch super aus."
(david sowka)


Betrachtet man die vielen Nischen der Popkultur wird schnell klar, dass es besonders schwer für jene Akteure ist, die sich im Bereich der Literatur bewegen wollen. Musikalisch kann man sich dem potentiell begeisterten Hörer als Support Band nähern oder seine Musik zum download im Internet anbieten. Auch visuelle Ideen können über das Internet veröffentlicht, Ausstellungen an den unwahrscheinlichsten Orten veranstaltet oder Werke im Foyer des lokalen Kulturzentrums ausgehangen werden. Bücher hingegen fristen aufgrund ihrer weniger raschen Konsumierbarkeit immer mehr das Dasein einer Randerscheinung, was ihnen weder gut zu Gesicht steht noch würdig erscheint.

Einen solchen Bereich der kreativen Entfaltung hat auch der junge Österreicher David Sowka gewählt, der nach Beiträgen für die Satire Zeitschrift Titanic und als Redakteur des Online Magazins Raketa.at jetzt sein erstes eigenes Buch veröffentlicht. "Schätzchen, Verfälschen Wir Die Geschichte" ist eine Sammlung von skurrilen Kurzgeschichten, Lebensweisheiten, Anekdoten und Anachronismen. Letter-Konglomerate nennt es der Buchrücken und verbindet die Attribute "knallharte Romantik“ und "herzzerreißende Brutalität", den Inhalt treffend widerspiegelnd.

Meist spielen bodenständige Charaktere die Hauptrolle in den Geschichten; Metzger, Polizisten, Bankbeamte, Bauern oder Rentner. Plump wirken sie in ihrem Umfeld und Sowka reduziert sie ganz beliebig auf wesentliche Merkmale. Und auf unterschwellige Triebe. Mordlust, Neid und Habgier werden des Öfteren so arglos beiläufig geschildert, wie der Besuch beim McDrive – an welchem überraschend Helmut Schmidt bedient – oder das Horoskop. Zu keiner Zeit wandelt der Autor aber auf Pfaden der Kriminalliteratur. "Diese vielen Leichen sind wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass einige Geschichten das ganze Leben des Protagonisten beschreiben und da gehört auch der Tod dazu", verdeutlicht Sowka. "Und weil ich beim Schreiben gerne mit dramaturgischen Brüchen arbeite, ist der Tod auch ein gutes Stilmittel."

Die Wortspiele, verdrehten Ansichten und haarsträubenden Argumente sind ein Genuss. "Es gibt keine dummen Fragen, nur dumme Antworten", zitiert er die altbackene Pädagogenweisheit unter der Überschrift "Fragen kostet nichts". "Nach langen Recherchen bin ich zu dem Befund gekommen, dass diese Aussage richtig ist. Nehmen wir als Fallbeispiel Joseph Goebbles. Er fragte 1943 im Berliner Sportpalast, ob die Zuhörer nicht einen totalen Krieg wollten. Die Frage an sich ist nicht dumm. Es war eine Frage. Die Antwort war dann schon eher dumm, aber hinterher weiß man ja immer alles besser." Eine entwaffnende Betrachtung die Sowka mit einfachster Sprache macht und damit oft Dinge ganz naiv auf den Punkt bringt. "Leider ist es so, dass sich die meisten Menschen dumm halten", erläutert er auf die Frage nach dem Bezug seiner proletenhaft skizzierten, tumben Gesellschaft zur real Existierenden. "Ansonsten wäre die hohe Auflage der Bild in Deutschland und der Kronen Zeitung in Österreich nicht verständlich. Wenn sich die Menschen bilden würden gäbe es auch nicht für Paris Hilton 86.300.000 und bei Elfriede Jelinek nur 1.690.000 Treffer bei Google. Sogar so außergewöhnliche und bekannte Persönlichkeiten wie Fidel Castro liefern um 74.100.000 weniger Ergebnisse als Paris Hilton. Ist das nicht schockierend?"

Neben diesen besonderen Betrachtungen der Alltäglichkeiten konfrontiert der 1986 in Wien geborene Sowka in einer seiner stärksten Erzählungen auch Jesus (Christoph) mit den Banalitäten unserer Gegenwart, stellt ihn homosexuellen Priestern gegenüber, zeitgenössischen Haarmoden und auch der Frage, ob man Jesus jetzt duzen oder siezen solle. Gerade zur jetzigen Zeit, in der sich überspitzte religiöse Äußerungen von der Zensur bedrängt sehen, erscheint "Schätzchen, Verfälschen Wir Die Geschichte" die gesamte Diskussion zu einer Farce zu machen. Vielleicht zu Recht? "Theoretisch bin ich katholisch. Ich bin getauft. Aber ich bin aus der Kirche ausgetreten. Wie man an meinen Texten sieht bin ich mit der Politik der katholischen Kirche nicht einverstanden. Gegen das Christentum an sich habe ich aber nichts. Jesus war ein Revolutionär und ein guter Mensch, aber ich finde nicht, dass die Kirche ihn verkörpert", beäugt Sowka kritisch. "Heutzutage wäre Jesus als Linkspopulist verschrien und von der Kirche gehasst."

Dieses satirische Polemisieren gegen Kirche, Staat, Politik und Gesellschaft zieht sich durch weite Teile des Buches. Was zunächst äußerst amüsant und überraschend wirkt, nutzt sich mit der Zeit jedoch ab. Viele der Handlungen verlaufen nach ähnlichen Mustern, der Ausgang der Geschichten lässt sich immer schneller erahnen, wenn auch nicht im Detail, so doch zumindest in seiner Absurdität. Der erfrischend groteske Humor schafft es nicht über das ganze Buch hinweg zu überzeugen, wird hin und wieder von flachen Scherzen knapp ober- oder unterhalb der Gürtellinie verwässert. Rechtschreibfehler als Bewertungskriterium anzuführen sparen wir hier mal aus. Nichtsdestotrotz sind viele der Geschichten besonders bei der ersten Konfrontation erhellend. Zur gelegentlichen Lektüre scheint mir "Schätzchen, Verfälschen Wir Die Geschichte" wunderbar geeignet, zum kurzen Innehalten und um über Dinge zu lachen, über die man sich sonst nur grämt oder dafür in den Keller gehen muss.
foto: david sowka


david sowka
"schätzchen, verfälschen wir die geschichte"
novum verlag 2005

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Sonntag Nachmittag [November 2005]










fotos: manuel kaufmann

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Broken Social Scene [Broken Social Scene]

Drowned in sounds.
Mit jedem Durchlauf des neuen Albums des vermeintlich dysfunktionalen kanadischen Band Kollektives nährt man sich ein wenig diesem wunderbaren Schwebezustand, den die Broken Social Scene mit ihrem Wall of Sound Wunderwerk heraufbeschwört.


"if you always get up late, you never gonna be on time."
(swimmers)

"Here’s a theory for you to disregard completely. Music, True music, not just Rock 'n' Roll. It chooses you." So weiß der große Rock Kritiker und Berufszyniker Lester Bangs alles zu erklären. Jedenfalls wenn man Cameron Crowe glauben schenken möchte, der ihn diese Worte in seinem Film "Almost Famous" sagen lässt. Aber es ist ein spannender Ansatz, eine Erklärung dafür, weshalb sich manche Menschen bemühen können, aber ihnen dennoch der Zugang zu den wirklich großen Stücken dieser Welt auf ewig verwehrt bleiben wird. (Um es mit Nick Hornby zu sagen: "Ich war schon ein Musiksnob, bevor ich mich damit auskannte".)

Our Faces Spilt The Coast In Half lautet der erste Titel des Albums und ist damit gleichwohl sperrig wie ehrlich. Sie werden die Hörerschaft mit diesem Album teilen. Der, ob der gleichgeschalteten, maroden Medienstruktur desillusionierte Hörer muss sich vielleicht das ein oder andere Mal bemühen, muss dem Album vielleicht einen zweiten, dritten, fünften oder achten Durchgang gewähren, muss sich vielleicht darauf einlassen, sich das Album zu erarbeiten. Und dann beginnt man die Platte ganz unprätentiös zu lieben. Für alle anderen wird sich die Frage wohl nie erklären, was sie hier mit der Broken Social Scene verpasst haben.

"Windsurfing Nation" sollte sie bis kurz vor Veröffentlichung noch heißen. Ein Name der unweigerlich an die stilprägende Sonic Youth Veröffentlichung "Daydream Nation" von 1988 erinnert, mit der man sich jedoch nicht anmaßen möchte verglichen zu werden. Stattdessen ruht man in sich selbst, verleiht dem dritten Album den eigenen Namen und setzt damit zugleich ein Statement.

Das große Name Dropping, was der Supergroup aus Mitgliedern von Do Make Say Think, den Stars, Feist, Apostle Of Hustle, den Weakerthans oder den Dears unschwer möglich wäre, steht im Hintergrund, ist nicht von tatsächlicher Bedeutung. Wenngleich die involvierten Musiker auch verlorene Vokabeln sein könnten, Koordinaten, mit deren Hilfe man die Musik greifbar machen möchte. Auch auf diesem Album erscheint es, wie schon auf dem schier alles ausschöpfenden Vorgänger "You Forget It In People", als hielte man ein wunderschönes Mixtape in den Händen, so wenig homogen erschienen damals zunächst die Stücke. Dennoch ist dieser überbordende, verschwenderische Umgang mit Stilen und Attitüden, vom knisternden LoFi, über symphonische Klangcollagen, von fragilen Popperlen bis zu instrumentalen Postrock Arrangements, allesamt in leuchtenden Klangfarben gemalt, ist die Vielheit der eigentliche rote Faden im Werk der Band. Dieser Zusammenhalt in der Vielheit, diese Momente, in denen alles so erscheint, als würde es gleich auseinander brechen, als hielt ein Kind so viele Glasmurmeln in den Händen wie es zu tragen vermag, sich dann aber doch beugt, um diese eine weitere bunte Kugel aufzunehmen und so unschuldig kindlich alles aufs Spiel setzt; in diesen Momenten ist die Band am stärksten, hadert sie an der Perfektion ohne zu scheitern. Immer wieder wähnt man sich in dem Gefühl zum Mark eines Songs vorgedrungen zu sein, ihn festhalten zu können, nur um kurz darauf wieder verwundert einen Schritt zurück zu machen, und sich ein weiteres Mal überraschen zu lassen.

Die Fäden für diesen sperrigen Meilenstein hielt Produzent David Newfeld in den Händen, obgleich er die Band ein ums andere Mal zum straucheln brachte, erklärt Kevin Drew. Wie ein penibeler Phil Spector arbeitete dieser versessen an den Spuren, bis am Ende diese opulente Großtat zum Vorschein kam. Man habe wenig gemeinsam an den Stücken gearbeitet, viel mehr sei es so gewesen, dass einzelne Mitglieder immer wieder ins Studio kamen, um an ihren eigenen Spuren, ihren Bestandteilen des Panoptikums zu arbeiten. Aus dieser ausschweifenden Fülle an individuellem Teilzeitenthusiasmus entstand jedoch keine vielköpfige Hydra, verdarben viele Köche nicht den Brei, sondern ergänzten sich die Klanggebilde zunehmend zu eben jener kollektiven Vielheit. Wie die Mitspieler eines Exquisite Corpse, dem spielerischen Geschichtenschreiben der intellektuellen Surrealisten, bei welchem jeder die Geschichte des Vorgängers durch seine eigenen Gedanken ergänzt und weiterführt ohne das Gesamtwerk vor Augen zu haben, entfalteten sich die üppigen Kompositionen. Immer wieder kann man beim Hören diese kleinen Spannungen nachempfinden, diese Augenblicke, wenn sich das Stück nicht recht zu entscheiden weiß, in welche Richtung es sich entfalten will. Und immer wieder entdeckt man neue Details die so hingebungsvoll, so ergiebig sind, dass sie immer aufs Neue zu begeistern, zu verwunden wissen. Wenn sich Leslie Feist’s Stimme etwa den Weg durch Gitarrenwände bahnt, wenn sich die Bläsersektion über einem brodelnden Gewitter von burlesken Klangeskapaden erhebt oder wenn einer Geige im Hintergrund fast unbemerkt vereinzelte Töne entlockt werden. Versunken in Klang. Ein leises Knacken im Hintergrund, eine scheppernde Snare Drum, Geräusche, die sich bei der Aufnahme ergaben und die andere Bands peinlichst genau zu retuschieren versuchen, werden hier zu Charaktermerkmalen, zu Wesenszügen der einzelnen Stücke. Souverän bewegen sich Broken Social Scene zwischen exzentrischen Mini Epen und diffusen Soundfragmenten von weniger als einer Minute Dauer. Wie Finish Your Collapse And Stay For Breakfast - wieder einer dieser wunderschön skurrilen Titel – das sich wie sonniges Morgenlicht im Schlafzimmer entfaltet nur um Sekunden später wieder zu verschwinden. Broken Social Scene begnügen sich nicht einfach damit Musik zu machen, sie wollen wahre Musik machen. Musik, die gewaltige Landschaftsbilder vor deinem geistigen Auge abbilden will, die in deinem Auto, in deinen Kopfhörern oder in dir lebt, wenn du allein bist. Sie wollen Musik machen die dich erwählt. Das ist Alles, nur nicht Easy Listening
foto: debra friedman


broken social scene
"broken social scene"
arts&crafts / city slang 2005 cd / lp
broken social scene

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Jörg Buttgereit [Gabba Gabba Hey. Kassel, 25.10.2005]

One, two, three, four.
Das in Berlin gefeierte Punk Trash Musical um die Musik der Ramones tourt durch das Land. Doch lassen sich straßenkredibile Punk Attitüde und theatralische Musical Arrangements verbinden?


"komm her und ich zeig dir, was die speisekarte des lebens noch zu bieten hat."
(der blinde)


Auch wenn es Einige überraschen wird, andere hingegen in ihrem Verdacht bestätigen und Hartgesottene wenig beeindruckt, aber: Punk ist tot. Das hat nichts mit Geruch zu tun, das ist so. Und daran wird auch das in Australien produzierte Punk Rock Musical Gabba Gabba Hey nichts ändern, sondern vielleicht eher noch einen weiteren Nagel in den modrigen Sarg rammen. Die Geschichte selbst ist wenig tiefsinnig, speist sich aus verschiedenen Stücken der New Yorker Legende Ramones, und soll dies auch gar nicht sein; schließlich geht es hier um eine Visualisierung der Musik, mehr um Groove als um Theatralik, mehr um ein "Anti-Musical" (Pressezettel) als um Broadway Pathos. Doug (Jürg Plüss) und Sheena (Katja Götz) sind ein Paar, jedoch will sich Sheena von ihm trennen, nachdem er von der Schule suspendiert wurde und immer empfänglicher für Rauschmittel wird. So betrügt sie ihn kurzerhand mit einem snobistischen Football Hünen (amüsant gespielt von Tim Eberts). Doug streift durch die Lower East Side von New York um im Laufe der Inszenierung – und mit Unterstützung eines schillernden, und mit schwarzen Flügeln engelsgleichen Johnny Thunders, dem Ex New York Dolls Gitarristen – seine Katharsis zu finden und am Ende zu Sheena zurückzukehren.

Der deutsche Trash und Slasher Regisseur Jörg Buttgereit zeigt sich für die deutsche Inszenierung des in Australien uraufgeführten Musicals verantwortlich und sorgt mit einer spärlichen Kulisse und einer Videoleinwand mit urbanen New Yorker Impressionen für spröde Atmosphäre. Subterranean Jungle. Dem Thema angemessen ist das Musiktheater nicht bestuhlt. Man befindet sich vielmehr unter einer Menge von Konzertbesuchern, raucht und trinkt und unterhält sich. Die Darbietung selbst weiß natürlich stilgerecht mit expliziter Sprache und bildlicher Umsetzung den geneigten Musical Freund zu entsetzen. (Was nicht schwer sein dürfte.) Zwar sind die Baseballschläger mit denen ein paar Rechtsradikale auf Doug einschlagen nur aufgeblasen, und der Penis, den Doug in der Gosse gelandet oral befriedigt aus Gummi, dennoch ist Buttgereit mit seiner Version von Gabba Gabba Hey eine Aufführung gelungen, die tatsächlich wenig mit Musicals zu tun hat.

Die Relevanz einer solchen Inszenierung ist natürlich fraglich und die angestrebte Zielgruppe, wenn auch im Info für die Sponsoren "Erwachsene, 18 bis 50 Jahre, 'Young Rebels', musik- interessiert, lifestyle-orientiert, werberelevant" steht, schlecht auszumachen. Kann eine Darbietung dieser Art über ihren eigenen Schatten des beliebigen Zelebrierens einer Musik hinausgehen? Das Gefühl und die gesellschaftliche Bedeutung einer Subkultur für eine neue Generation zu übersetzen, für die Punk oft nicht mehr als ein schickes Branding einer globalen Bekleidungsmarke oder Löcher in der Designerjeans darstellt; zu zeigen, dass Punk weit mehr war als Bier verschütten und sich beim tanzen rumschuppsen. Bei den meisten Schauspielern erinnert dies jedoch mehr an eine choreographisch inszenierte Reminiszenz an eine vergangene Ära. Da wird hysterisch herumgehüpft, headgebanged und Faust erhoben wo es nur gerade passt; was es jedoch nicht immer getan hat.

Katja Götz welche die weibliche Hauptrolle der Sheena besetzt, gelingt dieser Sprung jedoch überraschend gut. Nicht so aufgezwungen wie die schrille Stefanie Heller (Judy), die bisweilen wie eine gecastete und überambitioniert agierende Popstars Punk Version wirkte (Was auch an der involvierten No Angels Choreografin Regina Weber liegen mag), konnte sie mit ihrer zwar ausgelassenen, jedoch weniger karikierend übertriebenen Darstellung der Sheena glänzen. Götz's Schauspiel wirkte nicht aufgesetzt sondern vielmehr wie eine heutige Interpretation der Jugendkultur der späten siebziger Jahre; irgendwo zwischen einer juvenilen Mia Wallace und einer schnoddrigen Sarah Kuttner. Auch das kann heute irgendwie Punk sein und wirkte durchaus authentischer als so manch aufgesetzter Ramones Fan im Publikum.

Alles in allem überzeugte jedoch Schauspieler Rolf Zacher; ganz gleich ob als spießiger Schuldirektor, schmieriger Nachtclubbesitzer oder dem drogenabhängigen Wrack eines Stiefvaters. Vor allem mit letzterer Rolle charakterisierte er nicht nur farblos eine Figur, sondern transportierte eben diese in unsere Gegenwart; mit abgewetzter NVA Trainingshose und fettiger Frisur nuschelt und spuckt einem Zacher seine Wortfetzen in Gesicht. "Couldn't shut up you're an imbecile / you're an ugly dog there's / nothing to gain / you couldn't shut up got a bad bad brain / mama's boy", beschämte er nicht nur in der Rolle des Alkoholiker Vaters seinen Sohn, sondern geiferte mit obszöner Gestik auch zynisch über die gegenwärtige Jugendkultur. Mit seinem Spiel ist er dicht an Joey Ramones Wörter verschlingendem Slang herangetreten. "Sex, Drugs und Rock 'n' Roll, die heiligen drei Könige der Lower East Side", sinnierte er hingegen später als nachdenklicher Obdachloser, ohne dabei seinen enragierten Habitus einzubüssen. "Haltet die Schnauze", fährt er so auch bissig impulsiv eine Gruppe von lärmenden Zuschauern an und ist somit mehr Punk als alle Beteiligten der Inszenierung zusammen.

Leider lies zumindest an diesem Abend der Ton des öfteren zu wünschen übrig, und vielleicht wirkten auch aus diesem Grund die Backingband Forgotten Idols zunächst wie eine wenig inspirierte Tanzband bei einem ihrer zahllosen Jobs. Dennoch konnten sie als Live Begleitung der Geschichte die von Tommy Ramone geleitete musikalische Gestaltung wacker umsetzen. Überhaupt ist die große Punk Legende Tommy Ramone jedoch eine eher fadenscheinige Prominenz hinter dem Ensemble. Zwar ist er das einzige noch lebende Mitglied der Urbesetzung, doch schied der Schlagzeuger bereits 1977, nur drei Jahre nach Bandgründung wieder aus. Und die übrigen Ramones erklärten sogar, dass Tommy für die Band selbst von keiner Bedeutung war. Vor diesem Hintergrund wirkt auch seine, ob der Popularität des Musicals in Australien gemachte Aussage über seine ehemaligen Bandkollegen etwas fraglich: "Joey würde es lieben, Dee Dee fände es amüsant, und Johnny hätte gesagt: Wenn es mir Geld bringt - klasse!"
Adios Amigos, lang lebe Punk. Oder so ähnlich.
foto: shuntrock promotion



jörg buttgereit
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