Take the money and run.
David Sowka [Schätzchen, Verfälschen Wir Die Geschichte]
"Zynismus ist die Kunst, die Dinge so zu sehen, wie sie sind, und nicht, wie sie sein sollten", konstatierte Oscar Wilde. Der junge Österreicher David Sowka überspitzt diese Betrachtung und macht sie zum Programm in seinem ersten Buch.
(david sowka)
Betrachtet man die vielen Nischen der Popkultur wird schnell klar, dass es besonders schwer für jene Akteure ist, die sich im Bereich der Literatur bewegen wollen. Musikalisch kann man sich dem potentiell begeisterten Hörer als Support Band nähern oder seine Musik zum download im Internet anbieten. Auch visuelle Ideen können über das Internet veröffentlicht, Ausstellungen an den unwahrscheinlichsten Orten veranstaltet oder Werke im Foyer des lokalen Kulturzentrums ausgehangen werden. Bücher hingegen fristen aufgrund ihrer weniger raschen Konsumierbarkeit immer mehr das Dasein einer Randerscheinung, was ihnen weder gut zu Gesicht steht noch würdig erscheint.
Einen solchen Bereich der kreativen Entfaltung hat auch der junge Österreicher David Sowka gewählt, der nach Beiträgen für die Satire Zeitschrift Titanic und als Redakteur des Online Magazins Raketa.at jetzt sein erstes eigenes Buch veröffentlicht. "Schätzchen, Verfälschen Wir Die Geschichte" ist eine Sammlung von skurrilen Kurzgeschichten, Lebensweisheiten, Anekdoten und Anachronismen. Letter-Konglomerate nennt es der Buchrücken und verbindet die Attribute "knallharte Romantik“ und "herzzerreißende Brutalität", den Inhalt treffend widerspiegelnd.
Meist spielen bodenständige Charaktere die Hauptrolle in den Geschichten; Metzger, Polizisten, Bankbeamte, Bauern oder Rentner. Plump wirken sie in ihrem Umfeld und Sowka reduziert sie ganz beliebig auf wesentliche Merkmale. Und auf unterschwellige Triebe. Mordlust, Neid und Habgier werden des Öfteren so arglos beiläufig geschildert, wie der Besuch beim McDrive – an welchem überraschend Helmut Schmidt bedient – oder das Horoskop. Zu keiner Zeit wandelt der Autor aber auf Pfaden der Kriminalliteratur. "Diese vielen Leichen sind wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass einige Geschichten das ganze Leben des Protagonisten beschreiben und da gehört auch der Tod dazu", verdeutlicht Sowka. "Und weil ich beim Schreiben gerne mit dramaturgischen Brüchen arbeite, ist der Tod auch ein gutes Stilmittel."
Die Wortspiele, verdrehten Ansichten und haarsträubenden Argumente sind ein Genuss. "Es gibt keine dummen Fragen, nur dumme Antworten", zitiert er die altbackene Pädagogenweisheit unter der Überschrift "Fragen kostet nichts". "Nach langen Recherchen bin ich zu dem Befund gekommen, dass diese Aussage richtig ist. Nehmen wir als Fallbeispiel Joseph Goebbles. Er fragte 1943 im Berliner Sportpalast, ob die Zuhörer nicht einen totalen Krieg wollten. Die Frage an sich ist nicht dumm. Es war eine Frage. Die Antwort war dann schon eher dumm, aber hinterher weiß man ja immer alles besser." Eine entwaffnende Betrachtung die Sowka mit einfachster Sprache macht und damit oft Dinge ganz naiv auf den Punkt bringt. "Leider ist es so, dass sich die meisten Menschen dumm halten", erläutert er auf die Frage nach dem Bezug seiner proletenhaft skizzierten, tumben Gesellschaft zur real Existierenden. "Ansonsten wäre die hohe Auflage der Bild in Deutschland und der Kronen Zeitung in Österreich nicht verständlich. Wenn sich die Menschen bilden würden gäbe es auch nicht für Paris Hilton 86.300.000 und bei Elfriede Jelinek nur 1.690.000 Treffer bei Google. Sogar so außergewöhnliche und bekannte Persönlichkeiten wie Fidel Castro liefern um 74.100.000 weniger Ergebnisse als Paris Hilton. Ist das nicht schockierend?"
Neben diesen besonderen Betrachtungen der Alltäglichkeiten konfrontiert der 1986 in Wien geborene Sowka in einer seiner stärksten Erzählungen auch Jesus (Christoph) mit den Banalitäten unserer Gegenwart, stellt ihn homosexuellen Priestern gegenüber, zeitgenössischen Haarmoden und auch der Frage, ob man Jesus jetzt duzen oder siezen solle. Gerade zur jetzigen Zeit, in der sich überspitzte religiöse Äußerungen von der Zensur bedrängt sehen, erscheint "Schätzchen, Verfälschen Wir Die Geschichte" die gesamte Diskussion zu einer Farce zu machen. Vielleicht zu Recht? "Theoretisch bin ich katholisch. Ich bin getauft. Aber ich bin aus der Kirche ausgetreten. Wie man an meinen Texten sieht bin ich mit der Politik der katholischen Kirche nicht einverstanden. Gegen das Christentum an sich habe ich aber nichts. Jesus war ein Revolutionär und ein guter Mensch, aber ich finde nicht, dass die Kirche ihn verkörpert", beäugt Sowka kritisch. "Heutzutage wäre Jesus als Linkspopulist verschrien und von der Kirche gehasst."
Dieses satirische Polemisieren gegen Kirche, Staat, Politik und Gesellschaft zieht sich durch weite Teile des Buches. Was zunächst äußerst amüsant und überraschend wirkt, nutzt sich mit der Zeit jedoch ab. Viele der Handlungen verlaufen nach ähnlichen Mustern, der Ausgang der Geschichten lässt sich immer schneller erahnen, wenn auch nicht im Detail, so doch zumindest in seiner Absurdität. Der erfrischend groteske Humor schafft es nicht über das ganze Buch hinweg zu überzeugen, wird hin und wieder von flachen Scherzen knapp ober- oder unterhalb der Gürtellinie verwässert. Rechtschreibfehler als Bewertungskriterium anzuführen sparen wir hier mal aus. Nichtsdestotrotz sind viele der Geschichten besonders bei der ersten Konfrontation erhellend. Zur gelegentlichen Lektüre scheint mir "Schätzchen, Verfälschen Wir Die Geschichte" wunderbar geeignet, zum kurzen Innehalten und um über Dinge zu lachen, über die man sich sonst nur grämt oder dafür in den Keller gehen muss.
foto: david sowka
Broken Social Scene [Broken Social Scene]
Drowned in sounds.
Mit jedem Durchlauf des neuen Albums des vermeintlich dysfunktionalen kanadischen Band Kollektives nährt man sich ein wenig diesem wunderbaren Schwebezustand, den die Broken Social Scene mit ihrem Wall of Sound Wunderwerk heraufbeschwört.
(swimmers)
"Here’s a theory for you to disregard completely. Music, True music, not just Rock 'n' Roll. It chooses you." So weiß der große Rock Kritiker und Berufszyniker Lester Bangs alles zu erklären. Jedenfalls wenn man Cameron Crowe glauben schenken möchte, der ihn diese Worte in seinem Film "Almost Famous" sagen lässt. Aber es ist ein spannender Ansatz, eine Erklärung dafür, weshalb sich manche Menschen bemühen können, aber ihnen dennoch der Zugang zu den wirklich großen Stücken dieser Welt auf ewig verwehrt bleiben wird. (Um es mit Nick Hornby zu sagen: "Ich war schon ein Musiksnob, bevor ich mich damit auskannte".)
Our Faces Spilt The Coast In Half lautet der erste Titel des Albums und ist damit gleichwohl sperrig wie ehrlich. Sie werden die Hörerschaft mit diesem Album teilen. Der, ob der gleichgeschalteten, maroden Medienstruktur desillusionierte Hörer muss sich vielleicht das ein oder andere Mal bemühen, muss dem Album vielleicht einen zweiten, dritten, fünften oder achten Durchgang gewähren, muss sich vielleicht darauf einlassen, sich das Album zu erarbeiten. Und dann beginnt man die Platte ganz unprätentiös zu lieben. Für alle anderen wird sich die Frage wohl nie erklären, was sie hier mit der Broken Social Scene verpasst haben.
"Windsurfing Nation" sollte sie bis kurz vor Veröffentlichung noch heißen. Ein Name der unweigerlich an die stilprägende Sonic Youth Veröffentlichung "Daydream Nation" von 1988 erinnert, mit der man sich jedoch nicht anmaßen möchte verglichen zu werden. Stattdessen ruht man in sich selbst, verleiht dem dritten Album den eigenen Namen und setzt damit zugleich ein Statement.
Das große Name Dropping, was der Supergroup aus Mitgliedern von Do Make Say Think, den Stars, Feist, Apostle Of Hustle, den Weakerthans oder den Dears unschwer möglich wäre, steht im Hintergrund, ist nicht von tatsächlicher Bedeutung. Wenngleich die involvierten Musiker auch verlorene Vokabeln sein könnten, Koordinaten, mit deren Hilfe man die Musik greifbar machen möchte. Auch auf diesem Album erscheint es, wie schon auf dem schier alles ausschöpfenden Vorgänger "You Forget It In People", als hielte man ein wunderschönes Mixtape in den Händen, so wenig homogen erschienen damals zunächst die Stücke. Dennoch ist dieser überbordende, verschwenderische Umgang mit Stilen und Attitüden, vom knisternden LoFi, über symphonische Klangcollagen, von fragilen Popperlen bis zu instrumentalen Postrock Arrangements, allesamt in leuchtenden Klangfarben gemalt, ist die Vielheit der eigentliche rote Faden im Werk der Band. Dieser Zusammenhalt in der Vielheit, diese Momente, in denen alles so erscheint, als würde es gleich auseinander brechen, als hielt ein Kind so viele Glasmurmeln in den Händen wie es zu tragen vermag, sich dann aber doch beugt, um diese eine weitere bunte Kugel aufzunehmen und so unschuldig kindlich alles aufs Spiel setzt; in diesen Momenten ist die Band am stärksten, hadert sie an der Perfektion ohne zu scheitern. Immer wieder wähnt man sich in dem Gefühl zum Mark eines Songs vorgedrungen zu sein, ihn festhalten zu können, nur um kurz darauf wieder verwundert einen Schritt zurück zu machen, und sich ein weiteres Mal überraschen zu lassen.
Die Fäden für diesen sperrigen Meilenstein hielt Produzent David Newfeld in den Händen, obgleich er die Band ein ums andere Mal zum straucheln brachte, erklärt Kevin Drew. Wie ein penibeler Phil Spector arbeitete dieser versessen an den Spuren, bis am Ende diese opulente Großtat zum Vorschein kam. Man habe wenig gemeinsam an den Stücken gearbeitet, viel mehr sei es so gewesen, dass einzelne Mitglieder immer wieder ins Studio kamen, um an ihren eigenen Spuren, ihren Bestandteilen des Panoptikums zu arbeiten. Aus dieser ausschweifenden Fülle an individuellem Teilzeitenthusiasmus entstand jedoch keine vielköpfige Hydra, verdarben viele Köche nicht den Brei, sondern ergänzten sich die Klanggebilde zunehmend zu eben jener kollektiven Vielheit. Wie die Mitspieler eines Exquisite Corpse, dem spielerischen Geschichtenschreiben der intellektuellen Surrealisten, bei welchem jeder die Geschichte des Vorgängers durch seine eigenen Gedanken ergänzt und weiterführt ohne das Gesamtwerk vor Augen zu haben, entfalteten sich die üppigen Kompositionen. Immer wieder kann man beim Hören diese kleinen Spannungen nachempfinden, diese Augenblicke, wenn sich das Stück nicht recht zu entscheiden weiß, in welche Richtung es sich entfalten will. Und immer wieder entdeckt man neue Details die so hingebungsvoll, so ergiebig sind, dass sie immer aufs Neue zu begeistern, zu verwunden wissen. Wenn sich Leslie Feist’s Stimme etwa den Weg durch Gitarrenwände bahnt, wenn sich die Bläsersektion über einem brodelnden Gewitter von burlesken Klangeskapaden erhebt oder wenn einer Geige im Hintergrund fast unbemerkt vereinzelte Töne entlockt werden. Versunken in Klang. Ein leises Knacken im Hintergrund, eine scheppernde Snare Drum, Geräusche, die sich bei der Aufnahme ergaben und die andere Bands peinlichst genau zu retuschieren versuchen, werden hier zu Charaktermerkmalen, zu Wesenszügen der einzelnen Stücke. Souverän bewegen sich Broken Social Scene zwischen exzentrischen Mini Epen und diffusen Soundfragmenten von weniger als einer Minute Dauer. Wie Finish Your Collapse And Stay For Breakfast - wieder einer dieser wunderschön skurrilen Titel – das sich wie sonniges Morgenlicht im Schlafzimmer entfaltet nur um Sekunden später wieder zu verschwinden. Broken Social Scene begnügen sich nicht einfach damit Musik zu machen, sie wollen wahre Musik machen. Musik, die gewaltige Landschaftsbilder vor deinem geistigen Auge abbilden will, die in deinem Auto, in deinen Kopfhörern oder in dir lebt, wenn du allein bist. Sie wollen Musik machen die dich erwählt. Das ist Alles, nur nicht Easy Listening
foto: debra friedman
Jörg Buttgereit [Gabba Gabba Hey. Kassel, 25.10.2005]
One, two, three, four.
Das in Berlin gefeierte Punk Trash Musical um die Musik der Ramones tourt durch das Land. Doch lassen sich straßenkredibile Punk Attitüde und theatralische Musical Arrangements verbinden?
"komm her und ich zeig dir, was die speisekarte des lebens noch zu bieten hat."
(der blinde)
Der deutsche Trash und Slasher Regisseur Jörg Buttgereit zeigt sich für die deutsche Inszenierung des in Australien uraufgeführten Musicals verantwortlich und sorgt mit einer spärlichen Kulisse und einer Videoleinwand mit urbanen New Yorker Impressionen für spröde Atmosphäre. Subterranean Jungle. Dem Thema angemessen ist das Musiktheater nicht bestuhlt. Man befindet sich vielmehr unter einer Menge von Konzertbesuchern, raucht und trinkt und unterhält sich. Die Darbietung selbst weiß natürlich stilgerecht mit expliziter Sprache und bildlicher Umsetzung den geneigten Musical Freund zu entsetzen. (Was nicht schwer sein dürfte.) Zwar sind die Baseballschläger mit denen ein paar Rechtsradikale auf Doug einschlagen nur aufgeblasen, und der Penis, den Doug in der Gosse gelandet oral befriedigt aus Gummi, dennoch ist Buttgereit mit seiner Version von Gabba Gabba Hey eine Aufführung gelungen, die tatsächlich wenig mit Musicals zu tun hat.
Die Relevanz einer solchen Inszenierung ist natürlich fraglich und die angestrebte Zielgruppe, wenn auch im Info für die Sponsoren "Erwachsene, 18 bis 50 Jahre, 'Young Rebels', musik- interessiert, lifestyle-orientiert, werberelevant" steht, schlecht auszumachen. Kann eine Darbietung dieser Art über ihren eigenen Schatten des beliebigen Zelebrierens einer Musik hinausgehen? Das Gefühl und die gesellschaftliche Bedeutung einer Subkultur für eine neue Generation zu übersetzen, für die Punk oft nicht mehr als ein schickes Branding einer globalen Bekleidungsmarke oder Löcher in der Designerjeans darstellt; zu zeigen, dass Punk weit mehr war als Bier verschütten und sich beim tanzen rumschuppsen. Bei den meisten Schauspielern erinnert dies jedoch mehr an eine choreographisch inszenierte Reminiszenz an eine vergangene Ära. Da wird hysterisch herumgehüpft, headgebanged und Faust erhoben wo es nur gerade passt; was es jedoch nicht immer getan hat.
Katja Götz welche die weibliche Hauptrolle der Sheena besetzt, gelingt dieser Sprung jedoch überraschend gut. Nicht so aufgezwungen wie die schrille Stefanie Heller (Judy), die bisweilen wie eine gecastete und überambitioniert agierende Popstars Punk Version wirkte (Was auch an der involvierten No Angels Choreografin Regina Weber liegen mag), konnte sie mit ihrer zwar ausgelassenen, jedoch weniger karikierend übertriebenen Darstellung der Sheena glänzen. Götz's Schauspiel wirkte nicht aufgesetzt sondern vielmehr wie eine heutige Interpretation der Jugendkultur der späten siebziger Jahre; irgendwo zwischen einer juvenilen Mia Wallace und einer schnoddrigen Sarah Kuttner. Auch das kann heute irgendwie Punk sein und wirkte durchaus authentischer als so manch aufgesetzter Ramones Fan im Publikum.
Alles in allem überzeugte jedoch Schauspieler Rolf Zacher; ganz gleich ob als spießiger Schuldirektor, schmieriger Nachtclubbesitzer oder dem drogenabhängigen Wrack eines Stiefvaters. Vor allem mit letzterer Rolle charakterisierte er nicht nur farblos eine Figur, sondern transportierte eben diese in unsere Gegenwart; mit abgewetzter NVA Trainingshose und fettiger Frisur nuschelt und spuckt einem Zacher seine Wortfetzen in Gesicht. "Couldn't shut up you're an imbecile / you're an ugly dog there's / nothing to gain / you couldn't shut up got a bad bad brain / mama's boy", beschämte er nicht nur in der Rolle des Alkoholiker Vaters seinen Sohn, sondern geiferte mit obszöner Gestik auch zynisch über die gegenwärtige Jugendkultur. Mit seinem Spiel ist er dicht an Joey Ramones Wörter verschlingendem Slang herangetreten. "Sex, Drugs und Rock 'n' Roll, die heiligen drei Könige der Lower East Side", sinnierte er hingegen später als nachdenklicher Obdachloser, ohne dabei seinen enragierten Habitus einzubüssen. "Haltet die Schnauze", fährt er so auch bissig impulsiv eine Gruppe von lärmenden Zuschauern an und ist somit mehr Punk als alle Beteiligten der Inszenierung zusammen.
Leider lies zumindest an diesem Abend der Ton des öfteren zu wünschen übrig, und vielleicht wirkten auch aus diesem Grund die Backingband Forgotten Idols zunächst wie eine wenig inspirierte Tanzband bei einem ihrer zahllosen Jobs. Dennoch konnten sie als Live Begleitung der Geschichte die von Tommy Ramone geleitete musikalische Gestaltung wacker umsetzen. Überhaupt ist die große Punk Legende Tommy Ramone jedoch eine eher fadenscheinige Prominenz hinter dem Ensemble. Zwar ist er das einzige noch lebende Mitglied der Urbesetzung, doch schied der Schlagzeuger bereits 1977, nur drei Jahre nach Bandgründung wieder aus. Und die übrigen Ramones erklärten sogar, dass Tommy für die Band selbst von keiner Bedeutung war. Vor diesem Hintergrund wirkt auch seine, ob der Popularität des Musicals in Australien gemachte Aussage über seine ehemaligen Bandkollegen etwas fraglich: "Joey würde es lieben, Dee Dee fände es amüsant, und Johnny hätte gesagt: Wenn es mir Geld bringt - klasse!"
Adios Amigos, lang lebe Punk. Oder so ähnlich.
foto: shuntrock promotion
jörg buttgereit
"gabba gabba hey"
musiktheater
gabba gabba hey
Hansen Band [Keine Lieder Über Liebe]
"Und erst recht nicht dieses hier".
Die Hamburger Band Hansen, eigentlich dem Film Keine Lieder Über Liebe des Regisseurs Lars Kraume entsprungen, bewegt sich zwischen gekünstelt real und authentisch gespielt.
"na klar hab ich angst. die können mich trotzdem am arsch lecken!"
(markus hansen)
Selbstverständlich ist jedem, der sich mit dem auseinandersetzt, was weitläufig als deutschsprachiger Indie Rock subsumiert wird klar, dass sich hinter dem Namen Hansen keine Geringeren als Tomte’s Thees Uhlmann, Kettcar’s Marcus Wiebusch, Olli Schulzes Hund Max Martin Schröder und Home Of The Lame Singer/Songwriter Felix Gebhard verbergen. Und eben Jürgen Vogel, aka Markus Hansen als Sänger. Somit sind Hansen ein wenig wie die Blues Brothers, eine aus einem Film herausgewachsene Band, die es mit der echten Welt aufzunehmen weiß.
Hansen erscheinen zwar wie ein Allstar Projekt des Hotel Labels, schließlich sind die drei Köpfe des Hauses, Uhlmann, Wiebusch und Reimer Burstorf – letzterer nicht leibhaftig, aber als Liedschreiber anwesend – involviert. Da sich im allgemeinen jedoch die Stimme als überblendendes Charakteristikum durchsetzt, klingen sie auch ein wenig nach einer tomtekettcaraffinen Coverband, einer jener Bands, die es sich auf dem Trittbrett einer populären musikalischen Ausrichtung bequem gemacht haben, um hier und da Aufmerksamkeit und Verträge einfahren zu wollen. Dies dürfte unzweifelhaft daran liegen, dass die Stücke von Thees Uhlmann nun einmal eindeutig nach Tomte klingen, selbst wenn der notorisch mürrisch daherkommende Uhlmann nicht persönlich am Mikrofon steht; Jürgen Vogel hat eindeutig von ihm gelernt, denn diese melancholisch gequälte Stimme intoniert auch dieser in Frankreich einwandfrei. hansen Und Marcus Wiebusch, der als Songschreiber schon Parallelen zwischen seiner alten Band …but Alive und der Jetzigen kaum von der Hand weisen kann, erfindet sich für Hansen ebenfalls nicht neu. Das wäre auch schwer vorzustellen, schließlich fischt man mit der Band in den gleichen Gewässern wie eben erwähnte. (Mit Strand hat man sogar ein Stück im Programm, welches nicht nur wie ein Alternate Take des alten Non-Album Tracks Hippie von Kettcar klingt, sondern tatsächlich bis auf ein paar Detail Veränderungen am Text und einem überarbeiteten musikalischen Arrangement Kettcar ist.) So erinnern Zeilen wie "Und niemand ist gerne alleine / Wenn ein Krieg ausbricht / Und niemand ist gerne zu dritt / wenn eine Träne fließt" (Frankreich) nicht von ungefähr an den kantigen Seelenschmerz von Tomte Songs, oder "Und was man verdient / Ist nicht was man bekommt / Willkommen an der Front" (18. Stock) an die optimistische Midlifecrisis Theatralik von Kettcar Stücken. Lediglich die von Max Martin Schröder geschriebenen Beiträge klingen ein wenig neu, ein wenig nach dem Stil, den man Hansen vielleicht zuschreiben möchte, würden sie denn tatsächlich existieren. Dies liegt aber vermutlich eher daran, dass Schröder mehr als Backgroundmusiker hinter seinem Bandkollegen Olli Schulz steht, und sein persönlicher musikalischer Output weniger geläufig ist.
Das Songwriting ist natürlich nicht alles, und so sticht Jürgen Vogel als Besonderheit ins Auge. Nur vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte der Band, des Films, seiner selbst als Figur des Markus Hansen, kann Vogel tatsächlich überzeugen. Kann damit überraschen, dass man es ihm nicht zugetraut hätte. Dass man die vielen singenden Schauspieler und Schauspielerinnen kaum ernst nehmen möchte, ob der vielen gescheiterten Versuche, auch wenn sich darunter immer wieder unerwartete Überraschungen wie zuletzt Julia Hummer verbergen. Fühlt mit, wenn er hinter der Bühne Salz in Wunden gestreut bekommt und dann doch raus muss. Freut sich über den Enthusiasmus der so authentisch rüberkommt und der Angst die sich lampenfiebrig in seinen Augen spiegelt. Lässt man all dies jedoch beiseite ist Vogel ein mittelmäßiger Sänger, der kaum wirklich zu überzeugen weiß. Das ist aber genau der Aspekt, den es zu betrachten gilt. Während man im Film mit großen Augen die Akteure auf den Clubbühnen unseres Landes verfolgt, verlieren sich diese visuellen Bestandteile des Konzeptes Hansen auf Platte gepresst. Kein zwischenmenschliches Drama hinter der Bühne nachdem Markus Hansen mit Tränen in den Augen trotzig auf die Bühne kommt, ganz der Profi, ein pflichtbewusstes "Ich muss da jetzt raus" auf den Lippen.
Was hier also mit dem Album "Keine Lieder Über Liebe" vorliegt ist mehr eine Zusammenfassung, eine originell arrangierte Best Of Kompilation des Grand Hotel Van Cleefs, als eine eigenständige, innovative Neuerrungenschaft. Und über die Existenzberechtigung von Best Of Platten außerhalb ökonomischer Perspektiven darf man getrost streiten. Dann lieber die Tour besuchen oder gleich auf das neue Tomte Album warten, welches im Frühjahr erscheinen wird.
foto: felix gerhard
"keine lieder über liebe"
grand hotel van cleef 2005 cd
hansen band
Kay Pollak [Wie Im Himmel]
Als bei der Premiere seines letzten Filmes „Love Me“ der schwedische Premierminister auf schockierende Weise ermordet wurde, entschied sich Regisseur Kai Pollak, vorerst keine Filme mehr zu machen. Fast zwanzig Jahre später meldet er sich mit großem Erfolg zurück: „Wie im Himmel“ sahen allein in seinem Herkunftsland Schweden über 2 Millionen Menschen.
(daniel dareus)
Eigentlich wollte Daniel Dareus (Michael Nyqvist) nur eines: Seine Ruhe. Nach einem Herzinfarkt kann der berühmte Dirigent seinen Beruf nicht weiter ausüben und zieht sich in sein schwedisches Heimatdorf zurück, wo er einst eine schwierige Kindheit verbrachte und nun zur Ruhe kommen will. Diese Pläne durchkreuzt jedoch der kleine, aber vor liebenswerten Charakteren strotzende Kirchenchor. Daniel nimmt die Stelle des Kantors an und beginnt, den Chor auf Vordermann zu bringen. Doch während er anfangs nur mit dem Misstrauen der Sänger und der Unruhe während der Proben zu kämpfen hat, wird schnell klar, dass hier jeder seine ganz speziellen Probleme hat.
Da wäre zum Beispiel die zweifache Mutter und begabte Sängerin Gabriella (Helen Sjöholm), die von ihrem trinkenden Mann geschlagen wird. Oder der Pastor Stig, dessen religiöse Ansichten sich allzu sehr von denen seiner Frau Inger unterscheiden, was zu einer schweren Krise führt. Und natürlich die hübsche Lena (Frida Hallgren), die hinter ihrem herzlichen Wesen eine tiefe Traurigkeit verbirgt und so ganz besonders mit Daniel verbunden ist. Die Leistungen des Chors entwickeln sich durch Daniels Wirken und mit ihnen die Gemeinschaft der Menschen, sodass es letztendlich weniger um die Musik als um Toleranz, Miteinander und große Gefühle geht. Diese weckt der Film ohne Zweifel auch beim Zuschauer.
Ein wichtiger Grund dafür ist sicher, dass es sich bei "Wie im Himmel" um einen typisch skandinavischen Film handelt: Er ist grundehrlich und so besonders realitätsnah. Die Protagonisten sind wie die Menschen, denen man auch im wahren Leben begegnet, ungeschminkt, in ganz normalen Klamotten, mit Fehlern und verrückten Macken. Obschon die einzelnen Rollen unterschiedlicher nicht sein könnten, kann der Zuschauer sich doch mit jeder irgendwann identifizieren. Dies ist an erster Stelle sicher den wunderbaren Schauspielern zu verdanken, welche oftmals gar keine großen Erfahrungen und Projekte vorweisen können und vielleicht gerade deshalb so Großartiges leisten. Doch auch die fünf Drehbuchautoren mögen daran teilhaben. Sie geben dem Ganzen durch die dörfliche Ruhe und landschaftliche Weitläufigkeit, in der sich alles abspielt, außerdem einen gemütlichen Schwung.
Man möchte rein in dieses Dorf, wo sich jeder duzt und alle Türen offen stehen, rein in den Chor, der wild tanzt und spielt und sich findet im eigenen Ton, laut und impulsiv und von ganz tief innen drin. Dieser Chor, der sich in seinen Dirigenten verliebt, während der auch noch mit sich selbst fertig werden muss, um endlich sein Herz verschenken zu können. Während er Radfahren lernt. Während er andere rettet und umwirft und alles verändert.
Und trotz der vielen Facetten von "Wie im Himmel", trotz der vielen Geschichten, die er erzählt, trotz der zahlreichen Lehren und Weisheiten, die er enthält, wirkt er doch niemals überladen, sondern vielmehr reich. Regisseur Kay Pollak schenkt dem Publikum ein kleines Meisterwerk voller natürlicher Dialoge und wunderbar beobachteten Charakterzügen. Dafür heimste er zurecht eine Oscar-Nominierung für den besten ausländischen Film ein.
foto: paramount
Franz Ferdinand [You Could Have It So Much Better]
"Ist es nicht superärgerlich, dass viele Bands bereits vor eurer Gründung eure Songs nachgespielt haben?", lautete eine der Fragen treffsicher, als das Intro seine Community an einem Franz Ferdinand Interview partizipieren lies.
(do you want to)
"Oh, natürlich kann ich Menschen verstehen, die Popmusik (und wenn ich dieses Wort benutze, beziehe ich Soul, Reggae, Country und Rock mit ein – eben alles, was man als Schund bezeichnen könnte) verachten. Ich weiß, dass sie oft, beinahe immer, billig, einfallslos, schlecht geschrieben, aalglatt produziert, hirnverbrannt, repetitiv und pubertär ist (obwohl man mindestens vier dieser Adjektive anführen könnte, um die unablässige Mäkelei an Pop zu beschreiben, die man immer noch im Feuilleton findet)." Mit diesen Worten weiß der britische Schriftsteller Nick Hornby in seinem Buch "31 Songs" treffend das ambivalente Verhältnis gegenüber den bittersüßen Begehren der Popmusik zu beschreiben. Selbstverständlich kommt er dennoch zu dem Schluss – und eben jenem kann ich mich nur anschließen – dass es eben trotz alledem Songs gibt, die einen nicht mehr loslassen; auch wenn der Verstand sie schnell entlarvt, ihre in gut drei Minuten komprimierte Magie entzaubert, aber das Herz anhält für sie zu schlagen, die Begeisterung nicht abklingt.
Analog der alles erdrutschartig verändernden Veröffentlichung der Strokes im Jahr 2001 - der Rettung und des auf dem Fuße folgenden Untergangs des Rock - drehten sich die Medien letztes Jahr immer wieder im Kreis um diese eine britische Band mit dem verwegenen Namen. Typisch Britisch mag man gedacht haben, als man das erste Mal mit dem Namen konfrontiert wurde. Kaum ein anderes Volk kommt mit dieser gelassenen Selbstverständlichkeit daher und wagt solche Bezügen, nur um sie dann auch noch als geschickten Kunstgriff vermarkten zu können.
Nur ein einziges Jahr ist vergangen seit dem sensationell gefeierten Debüt Album; nur ein Jahr, in welchem die Band pausenlos tourte, um zu der vorausschauenden Überlegung zu gelangen, das unentwegte Touren überraschend abzubrechen und sich direkt an den so gefürchteten Nachfolger zu begeben. "You Could Have It So Much Better", der Titel schon zwiespältig genug um ihn in die Eine – warum hast du nicht mehr dafür getan – oder die Andere Richtung – warum gibst du dich damit zufrieden – zu interpretieren. Wo sich die angesprochenen Strokes bei ihrem zweiten Album in Beliebigkeit verloren, machen Franz Ferdinand bei ihrem neuen Werk alles so erwartungsgemäß richtig, dass es überrascht. Zwischen Stagnation und Entwicklungsdrang gelingt es ihnen ihren Wiedererkennungswert enorm zu steigern, und dennoch dem Hörer kein zweites "Franz Ferdinand" zu präsentieren.
So ruppig wie die ersten Gitarren Klänge auf der Platte beginnen, hat die Band noch nie geklungen. Dennoch kann man sich selbst schon kurze Zeit später beobachten, wie der Fuß wippt und der Kopf nickt, wenn sich die gewohnten Four-To-The-Floor Rhythmen ausbreiten und Kapranos lakonisch die Melodie mit einem Lalala Gesang weiterführt. Auf wabernden Bass und minimalistisches Schlagzeug reduziert, wähnt man sich für Momente in einem dreckigen White Stripes Stück (Evil And A Heathen), nur um kurze Zeit später verspielte, pianobegleitete, mehrstimmige Popmelodien auf den Spuren von Lennon/McCartney zu entdecken (Eleanor Put Your Boots On) und ohne Ankündigung von Spaghettiwestern Anleihen überrascht zu werden. Der Glamour der späten Queen blitzt kurz auf (Fade Together) und eine spacige Bowie Orgel schmiegt sich kantig ins Ohr (Outsiders). Aber dies sind Alles nur Spitzen, nur kleine Verfeinerungen, welche die Musik der Band auffrischen und ihr Gespür für eingängige Popmelodien detailverliebt bereichern. Auf gewiefte Art bezieht man unzählige Querverweise in den schon jetzt typischen Franz Ferdinand Sound ein, verändert ad hoc Tempo und Rhythmus und gaukelt dem geneigten Zuhörer ein bequemes Gefühl der Gewohnheit vor; als würde man ein nie betretenes Haus besuchen, sich aber doch in jedem Raum zurechtfinden, weil es der gleiche Architekt plante, der auch für die eigenen vier Wände verantwortlich war. Besonders die von Piano und Akustikgitarre getragenen Stücke wie erwähntes Eleanor Put Your Boots On überraschen mit einer neuen Spielweise, die man von ihrem Debüt ausgehend nicht erwartet hatte, die musikalische Vielfältigkeit der Band jedoch unterstreichen: auch wenn sie für die erste Single Do You Want To - inklusive Anspielung auf Kylie Minouges I Sould Be So Lucky - fast gänzlich auf Strophen verzichten und mit refrainlastigen Songstrukturen im oberflächlichen Dancefloor zu wildern scheinen.
Die von Kollege Simon Traut auf dem diesjährigen Haldern Pop entlarvte limitierte Musikalität der alten Stücke auf der Bühne scheint zumindest auf Platte erneut einem frischen Enthusiasmus gewichen. Nach zahllosen Klatsch und Tratsch Nachrichten und dem Einzug in die Feuilletons der Tageszeitungen kehren die vier Briten mit ihrem zweiten Studioalbum zurück, nur um klarzustellen, dass sie selbst die Grand Seniors eines Genres sind, dass sich seit letztem Jahr mit fadenscheinigen Kopien und halbherzigen Trittbrettfahrern füllt. Mit "You Could Have It So Much Better" spielen Franz Ferdinand erneut bisweilen kantigen PopRock in Konzert mit respektloser Nonchalance und einem ironischen Umgang mit der Kurzlebigkeit der Popmusik. Und sie stellen klar, dass es erneut ihr angestrebtes Ziel ist, Musik zu machen, "zu der Mädchen tanzen sollen".
Hornby erwägt nur wenige Seiten nach den anfangs zitierten Sätzen den Gedanken, dass "der Wegwerfcharakter von Popmusik ein Zeichen für ihre Reife, für das Wissen um die eigene Begrenztheit, und nicht umgekehrt" ist. Mit diesem Ansatz möchte man auskommen.
foto: marius hansen
Saint Etienne [Tales From Turnpike House]
Geschichten vom Turnpike Haus.
Die Briten mit dem glamourösen französischen Namen Saint Etienne konzeptionalisieren ein Album mit Geschichten einer Wohnhausgemeinschaft mit sommerlicher Leichtigkeit.
"let's have some fun tonight."
(stars above us)
Seltsam abgeschmackt erscheint diese Schublade, in die alles gesteckt wird, was entweder zur besten Reisezeit des Jahres im Ballermann 6 das größte Mitsingpotential entfaltet oder das andererseits an Sommertagen das eigene Herz in die richtige Stimmung für einen Tag im Park versetzt.
Dennoch oder gerade deshalb ist "Tales from Turnpike House", die aktuelle Veröffentlichung der Briten von Saint Etienne, ein Album für den Sommer, ein unbestimmter Artikel statt Totalität, ein Ausschnitt statt allumfassend. Ein Konzeptalbum mit einem inhaltlichen Grundgerüst, das ebenso schlicht wie ungewöhnlich erscheint: Ein einzelner Tag in einem Wohnblock namens Turnpike House wird beschrieben, dessen Bewohner in einem gemeinsamen sozialen Interaktionsprozess stehen. Bereits das wunderschön gezeichnete Cover von Laura Finley führt in den Mikrokosmos Turnpike House ein, eine aufgeschnittene Seite des Wohnblocks offenbart die Menschen in ihrer privaten Alltagsexistenz der eigenen vier Wände. Saint Etienne vertonen Alltagserlebnisse im Tagesablauf, die mit Sun In My Morning beginnen und mit Goodnight enden, sie werden in einem großen Bogen gespannt und zusammengefasst. Dabei werden einzelne Charaktere wie Doris Brown oder Gary Stead geformt, die immer wieder im Verlaufe des Albums respektive des Tages aufgegriffen werden.
Solch ein Konzept birgt die Gefahr, dass die Musik sich dem Diktat der inhaltlichen Ausgestaltung unterwerfen muss, doch Saint Etienne gelingt eine herrliche Symbiose beider Aspekte. Herausragendes Verbindungsglied ist dabei die Stimme von Sarah Cracknell, die den Klang von Saint Etienne entscheidend prägt. Sanft, unaufdringlich und dennoch einzigartig einnehmend gibt sie der Musik von Bob Stanley und Pete Wiggs Charakter und hebt sie aus der gleichgültigen Beliebigkeit von durchschnittlicher Loungemusik heraus.
Dabei ist ihr Sound sehr glatt, manchmal etwas zu sehr, es gibt keine Ecken und Kanten an denen man sich stoßen könnte. Bei Songs wie Milk Bottle Symphony oder Teenage Winter wird Pop groß geschrieben, der Klang ist von intensivster Reinheit. Das Songwriting klingt streckenweise Sixties-inspiriert und die Gitarren entfalten sich zurückhaltend, eingebettet in sanfte elektronischen Beats. Die dezente glamouröse Note, die dem typischen Saint Etienne-Sound innewohnt, erhält in Relocate eine besondere Betonung durch das Duett mit David Essex, der ein wenig an vergangene Zeiten erinnert. Saint Etienne aber inszenieren ihre Musik zeitlos schön. Zu zeitlos, um sie einem bestimmten Sommer zuzuordnen. Es ist elegischer Pop, der sich subtil im Bewusstsein festsetzt und dort seine ganze Kraft entfaltet ohne aufdringlich zu sein oder gar in Hektik zu verfallen. Es ist Musik, welche die Sonne aufgehen lassen kann. Und wenn die Sonne untergeht, bleibt zumindest ein klarer Sternenhimmel zurück.
foto: saintetienne.com
saint etienne
"tales from turnpike house"
sanctuary records 2005 cd / lp
saint etienne
Ani DiFranco [Knuckle Down]
Strewn with half written songs.
Ani DiFranco findet den Weg aus ihrer Einigelung und präsentiert uns ein Album, dass wärmer und zugänglicher nicht hätte sein können.
"we took each other higher, we set each other free."
(modulation)
"vehement romantic / frantic for forever right now"
Die Vorfreude auf ihr neues Werk war schon lange da, und so ist es umso schöner, das neues Album endlich in den Händen zu halten. Schön, denkt man sich auch schon, bevor überhaupt ein Ton erklungen ist. Gleich lässt das liebevolle Design des gewohnten Pappcovers das Herz höher schlagen. Zum Lächeln bringt einen sofort das wunderschöne Foto auf dem Cover, und lächeln lässt einen auch das hübsche kleine Booklet in der Innenseite. Doch eigentlich liegt der Hauptaugenmerk ja nicht auf dem Cover, sie sind nur die hübschen Augen hinter denen man in die Tiefe blickt.
Gespannt lausche ich den ersten Tönen und bin entzückt; vertraut und mitreißend klingt das, was meine Ohren zu hören bekommen, typisch Ani und doch wieder so neu. Knuckle Down, Titellied und Opener der Platte hätte besser nicht sein können.
Im Kontrast zum Vorgängeralbum "Educated Guess", welches ausschließlich von Ani DiFranco selbst eingespielt und produziert wurde, weist "Knuckle Down" eine Vielzahl von Mitmusikern auf, über den Kontrabassisten Todd Sickafoose, den man schon neben Ani auf der kürzlich erschienener Dvd "Trust" bewundern durfte, zu Gastmusikern wie etwa Tony Scherr an der E-Gitarre und Andrew Bird, bei dem man neben Violine und Glockenspiel überrascht über das Wörtchen Pfeifen stolpert. Und auch zum Produzieren hat sich Ani diesmal Hilfe geholt und den Singer/Songwriter Joe Henry eingeladen.
Einigen Liebhabern Ani Difrancos mag dieses Vorgehen als ein Rückschritt erscheinen; es ist weniger die "pure Ani", wie man sie auf dem Vorgänger kannte, den sie allein mit sich selbst eingespielt und produziert hatte. Doch "she’s trying to evolve": Ani steht nie still und versucht beharrlich, sich weiterzuentwickeln. Der Rückschritt liegt wohl im Stehenbleiben, und das tut sie mit "Knuckle Down" nicht. Vielmehr ergänzen sich Ani und ihre Gäste in einer angenehmen Symbiose. So sind es gerade solche Kleinigkeiten wie das Pfeifen als Soloinstrument in Manhole, welche den besonderen Charakter der Platte ausmachen. Und die wunderschöne Sologitarre in Sunday Morning hätte vermutlich auch die Meisterin an der Gitarre selbst nicht besser einspielen können.
"course, you're the kind of guy who doesn't lie / he just doctors everything"
Wie bereits so oft singt Ani in ihren neuen Songs von Zwischenmenschlichkeit und den Problemen, die diese aufwirft, von Liebe und dem Abhandenkommen selbiger, von Familie und Alltag. Meist sind es Beobachtungen und Erlebnisse, welche sie geschickt und treffend in einfühlsame Texte umwandelt.
"you cried and you cried an you cried wolf / so it took me a minute to understand / that you really were hurt bad"
Anis Songs so authentisch und so persönlich,dass man mit der Zeit das Gefühl bekommt, sie ein Stück weit zu kennen, als hätte sie uns einen Teil ihrerselbst geschenkt. Und das tut sie sicherlich auch mit ihrer Musik. In Sunday Morning folgen wir in eine ganz persönliche, traurig-schöne Welt eines Sonntagmorgens und lernen, dass nicht alles immer so rosig ist, wie es vielleicht erscheint. Doch auch ihre politische Ader lässt Ani nicht ruhen und besingt in Paradigm auf ihre inidividuelle Art und Weise ihre Erfahrungen mit der Demokratie.
"if you should happen to see my light / you can stop and ring my bell / i'm just sittin here in this sty / strewn with half written songs / taking one breath at a time / nothin much going on"
Mit dem wunderschönen Recoil offenbart sich abschließend ein fühlbares Bild, welches man sich von der Künstlerin machen kann. Ani ist eben auch nur ein Mensch, und zu gerne würde man in diesem Moment bei ihr vorbeischauen und sie von ihrer Einsamkeit befreien.
Stattdessen wünscht man sich, dass die "half written songs" doch bald ganze würden und wartet bedächtig darauf, dass Ani sich bald erneut in diese hinein kniet.
foto: chris strong
ani difranco
"knuckle down"
righteous babe records 2005 cd
ani difranco
Lada [Invitation]
Lada wollen Menschen zu sich einladen.
Einladen, damit sie ihre Musik hören und teilen können. Damit sie tanzen und schlafen können. Damit sie hören und zufrieden sind, mit den 3 Zutaten, die sie für am wichtigsten befinden.
(ghost of summer)
"3 Rocker, eine Kiste Bier und ein kurzer Studioaufenthalt." So werden auf der Lada Homepage die drei nötigsten Zutaten für ihr Album "Invitaion" beschrieben. Hinzu kommen wohl ein paar Tee-, nein, Esslöffel zuviel Allerweltsstimme und Image-Getue, gemischt mit einem Schuss zuviel Wiederholung in den Texten.
Den drei Musikherren, die schon seit fünf Jahren gemeinsam ihr Kind Lada schaukeln, möchte man am liebsten eine Schüssel voll mit Worten vor die Haustüre stellen, klingeln und weglaufen. In der Hoffnung, dass sie das nächste mal mehr Herz hineingießen. Denn es erinnern einige Zeilen an Lieder und Texte, die man schon mal gehört und gelesen hat. Sie sind beinahe ohne jegliches Gewürz, dass für die Geschmacksnerven stimulierend wirkt. Mit mehr Abwechselung und ohne Sätze, wie "You are here, I am there" aus dem Lied Invitation. Das tut einem beinahe im Herzen, im Auge und in den Ohren weh. Fast so wie mir manchmal die Stimme des Sängers Christian Opitz im Ohr schmerzt. Seine Stimme klingt zu aufdringlich. Sie erinnert an eine Schulband, die einfach irgendeinen Sänger brauchte, damit ein wenig Gesang in die Bande hineinfließt. Opitz’ Gesang wirkt noch so unbeholfen, wie die eines kleinen Jungen, der in den Stimmbruch gerät und nicht weiß, ob er nun tief oder hell sprechen soll.
Anders gefällt mir die Gitarre von ihm sehr gut. Die Melodien sind einfach fantastisch und zerren einen beinahe zu Boden. Ebenso wie die Schlagzeugrhythmen von Harald Pötschke und das Bassgezupfe von Michael Wagner. Besonders bei Velveteen. Da liege ich schon auf dem rauen Asphalt in einer dunklen Gasse und kann einfach nicht mehr aufstehen. Die Beine schlottern, die Knie zittern. Das Herz schlägt und die Stimme verstummt. Das Ohr kann einfach nicht mehr aufhören zuzuhören und lässt die Melodie und den Refrain einfach nicht gehen. Ähnlich wie bei Lullaby. Der Titel trifft es wohl am Besten.
Es ist ruhiger als alle anderen Lieder, die kaum in Abwechselung getaucht sind. Die Melodie schmeckt lecker, wenn nicht sogar köstlich. Doch leider nicht so schmackhaft sind die teilweise stumpfen und lahmen Textzeilen, wie "[…] the smiles you fake […]". Es klingt wie eine dämliche Rache an einem Mädchen, das sich plötzlich entliebt oder ihn betrogen hat. Anstatt ihr klug und interessant zu vermitteln, dass sie eine von vielen Mädchen ist, die es gibt, und dass sein Herzgeschäft noch nicht einmal einen Kratzer von ihr abbekommen hat. Doch im Gegensatz zu alle dem, machen es Worte wie "I softly comfort you, I slowly slip into" wieder gut. Sie können Herzwunden aufreißen und schließen, weil sie einfach so schön klingen. Es hört und fühlt sich so wunderbar an. Im Ganzen gesehen und gehört, habe ich ein wenig das Gefühl, dass sie noch ein wenig unbeholfen durch die Musiklandschaft laufen. Taps, taps, taps. Sie haben Talent. Keine Frage. Mindestens 10 Kilo und mehr. Und sie haben auch jede Menge Erfahrung durch Festivals und Konzerte, auf denen sie immer wieder ihre Melodien für Millionen preisgeben. Aber wenn sie doch einfach mal ab und zu etwas Neues hineinpacken würden, in ihren Einladungs-Kuchen "Invitation", dann würden sicherlich mehr Gäste kommen und davon probieren wollen. Sie würden es lieben oder hassen. Doch solche Melodien, solche Gitarrenzüge, solche Schlagzeugklänge und solch eine hin- und her reißende Band kann man nicht hassen. Vielleicht liegen sie einem anfangs nicht so sehr im Ohr wie andere, aber dafür bleiben sie einem ab einem bestimmten Zeitpunkt darin hängen, an Fäden und Seilen aufgehängt, schwingen sie sich von Ohrmuschel zu Ohrmuschel.
Auch wenn mir dieses Image von Lada nicht so ganz ans Herz wachsen will. Denn ihre Musik wird ständig als "dreckig", "verschwitzt" und "verraucht" beschrieben. Da wird das Bild von drei Männern, die Abend für Abend in einer verrauchten und abgerissenen Bar auftreten, ihre Gage einsacken und sich danach betrinken, wenn sie nicht schon auf der Bühne volltrunken herumstolpern, heraufbeschworen. Hab ich ein Klisché übersehen? Nein. Aber das ist wohl Geschmackssache, wie eben alles in diesem kleinen Kasten, namens Leben. Also schön weiter Melodien basteln, die Finger zupfen lassen und bitte Sprechen lernen. Guten Appetit.
foto: waggle daggle
Sigur Rós [Takk...]
Eighteen Seconds Before Sunrise.
Mit ihrem beeindruckenden Gespür für das Schöne, tragen die Isländer auch mit dem vierten Album Farbe für Farbe auf ihre Klangleinwand, um dem Zuhörer eine außergewöhnliche Collage voll epischer Kleinode und unzähliger Höhepunkte zu präsentieren.
"lächelnd. im kreis drehend. hände haltend. die welt verschwimmt, außer du bleibst stehen."
(hoppipola)
Nach ihrem letzten Ausflug in die Sprachspiele einer dadaistischen, fabelhaften Welt, welche durch Worte beschrieben wurde, deren ursprünglichste Bestimmung ihnen entwendet wurde, kehren Sigur Rós zurück zu ihrem Land. Zu ihrer Muttersprache, die auf gleiche, einvernehmlichste Weise diesem elfengleichen Gesang zu ähneln scheint, den sie als "Hopelandish" betitelten. "Takk…", was auf Isländisch soviel wie danke bedeutet, lautet der Name dieses vierten regulären Albums der Perfektionisten, welches Sänger Jón Birgisson dem britischen NME vor einiger Zeit als "a bit more happy, with a bit more hope in it" treffend beschrieb.
Und tatsächlich scheint die Schwermut, das melancholische Moment, welches im Vorgänger "()" noch allgegenwärtig schien, einer neuen Glückseeligkeit, einer neuen Hoffnung gewichen zu sein, ohne dabei auf die so prägnanten Stilmittel der Band zu verzichten. Immer noch entfalten sich geräuschintensive Stücke langsam, um sich dann über Minuten hinweg mäandernd zu entwickeln. Gleich das zweite Stück macht deutlich, dass Sigur Rós ihren Stil nicht nur weiterentwickelt haben, sondern ihre Klangbilder in noch reicheren Farben malen als zuvor. Ohne die fragile Schönheit ihrer oft schmerzlichen Stücke zu brechen, bereichern sie eben diese mit ungewohnt lauten und überraschend krachenden Gitarrenwänden, in einer Manier, wie sie kaum eine Band vollkommener beherrscht wie die fünf Schotten von Mogwai.
Das profunde Pathos, die esoterische Verquertheit und den zeitweise überbordenden Bombast darf man ihnen gern vorhalten und die beträchtlichen, fast orchestralen Klänge herabreden, dennoch gelingt ihnen mit dem Stück Glósóli ("glühende Sonne") ein kleines Meisterwerk ihrer oft so introvertierten und mit sphärischem Klang durchsetzten Nische der populär Musik. Das Stück erzählt fast naiv von einem kleinen Jungen, der in der Dunkelheit aufwacht und sich auf die Suche nach der Sonne macht. Und eben diese Bilder spielen sich auch im Kopf ab, wenn der charismatische, schlaksige Jón Birgisson mit dem angedeuteten Irokesenschnitt, feenhaft mit seinem Falsett Gesang diese Geschichte voller Euphorie erzählt, und seine Melodie zum Ende hin gegen die donnernde Gitarrenwand ankämpft nur um selbst von einer Gitarre getragen zu werden.
Dieses bildhafte, sich von Beschreibungen abhebende Gefühl, welches in den Stücken von Sigur Rós seit nun mehr elf Jahren verortet und transportiert wird, erlangt auf "Takk…" neue Konturen, eine neue Transparenz und Zugänglichkeit, welche die Stücke in einem noch farbenfroheren Licht erstrahlen lassen. Alles um einen herum scheint für Augenblicke stehen zu bleiben, und vielleicht haben die vier Isländer recht, wenn sie über sich selbst behaupten, dass sie keine Band, sondern vielmehr Musik sind. Mehr Klang als klassischer Song, sind ihre Kompositionen, wozu neben den gewöhnlich verwandten Instrumenten vornehmlich Piano, Glockenspiel, Vibraphon, das involvierte isländische Streichquartett Amiina sowie die orchestralen Aufnahmen in einer Kirche beitragen. Auch mit dem überraschend fröhlichen Einsatz verschiedenster Blechblasinstrumente in Sé Lest ("Ich sehe einen Zug"), das ein wenig an die Stimmung der für New Orleans bekannten Jazzspielweisen der Trauermärsche erinnert, überrascht die Band mit neuen Klängen.
Die isländische Musik wird oft als Spielwiese der skurrilen bisweilen spinnerten Ästhetik und Interpretation betrachtet und von manch einem belächelt, und ganz gewiss läuft sie auch die Gefahr, sich in ihren eigenen Strickmustern zu verfangen. Dennoch geht von diesem mythischen Charakter, welcher sich nicht nur um Sigur Rós rankt, eine unwirkliche Faszination aus, eine scheinbar zauberhafte Parallelwelt zu der unseren. Nicht zuletzt die Sprache, die sich aus dem Altnordischen entwickelte, in den letzten tausend Jahren jedoch kaum veränderte, provoziert eine märchenhafte, friedliche Atmosphäre und führt dazu, dass sich allein um den Band Namen hundert Vermutungen ranken, wie er denn tatsächlich ausgesprochen wird ['sɪɣuʀ 'roʊs].
So ursprünglich schön und majestätisch wie die Landschaft ihrer Heimat, und wie sie von den Satellitenbildern von Google Earth für den Ortsfremden angedeutet werden, gestalten die vier Endzwanziger auch dieses Album, welches vielleicht die perfekte Umsetzung all ihrer bisherigen Spielweisen in sich zu vereinen weiß.
foto: yoshika horita
sigur rós
"takk..."
capitol 2005 cd / lp
sigur rós
Jim Jarmusch [Broken Flowers]
Vielleicht ist es der eingängigste all seiner Werke, doch mit Broken Flowers nähert sich Jim Jarmusch nur oberflächlich einer romantisch turbulenten Komödie an und bietet zusätzlich eine vielschichtige Betrachtung zwischen spätem Trost und der Ruhe des Zens während man begreift, vielleicht doch alles verpasst zu haben.
(paul auster, stadt aus glas)
Die Handlung ist schnell zusammengefasst; Der Privatier und Altdandy Don Johnston (Bill Murray) erhält eines Tages einen Brief, in welchem die anonyme Schreiberin ihm eröffnet, dass nach ihrer Trennung vor rund zwanzig Jahren ein Sohn geboren wurde, der sich jetzt auf die Suche nach seinem Ursprung aufgemacht hat und seinen Vater womöglich ausfindig machen wolle. Nicht mehr nicht weniger. Ungewissheit breitet sich bei dem Alleinstehenden aus, eine Verwirrung in seinem ansonsten so klaren Alltag, dessen Aufkommen sich höchstens durch die verschiedenen Farben seiner Fred Perry Trainingsanzüge unterscheiden. Sein Nachbar und Hobbydetektiv Winston (Jeffrey Wright) ist sofort interessiert an der Auflösung dieses ihm in die Hände gespielten Falles und schickt Johnston auf eine Reise durch die Zeit, Emotionen und Beziehungen.
Es interessiere ihn nicht, so Jim Jarmusch, wie seine Figur dahin kommen konnte, wo sie sich zu Beginn des Films befindet, und er wisse auch nicht, was nach dem Ende mit ihr geschehen wird. Er wolle sie lediglich in der kurzen Zeitspanne ihrer Suche begleiten.
Trotz der romantischen Verstrickungen, denen die Darsteller in "Broken Flowers" ausgesetzt sind, Johnstons episodenhafte Begegnungen mit seinen ehemaligen Affären (großartig: Sharon Stone, Tilda Swinton und Jessica Lange), ist der Film weit von einer romantischen Komödie oder Tragödie im Sinne Hollywoods entfernt. Kaum mehr als ein Motiv, einen erzählerischen Rahmen, stellt das Leben von Don Johnston dar, mit welchem Jim Jarmusch sich einem ganz anderen Bereich anzunähren scheint. In dem 1995 von Regisseur Kollegen Wayne Wang gedrehten Film "Smoke" traf er bereits auf den amerikanischen Schriftsteller Paul Auster, der zu besagtem Film das Drehbuch geliefert hatte. Und ähnlich dessen 1987 erschienen Roman "New York Trilogie" bedient sich Jarmusch in seinem aktuellen Werk dem Moment des Zufalls als alles verbindendes Element. Zwar schenkt Winston im Laufe der Geschichte jedem noch so kleinen Indiz seine Aufmerksamkeit, versucht, wie in seinen begehrten Krimis allen Spuren zu folgen und die Zusammenhänge herauszustellen, doch verliert er immer wieder die mögliche Belanglosigkeit eines profanen Zufalls aus den Augen. Und auch wenn Johnston ihm immer wieder mit einer realistischen Auffassung entgegentritt, so sieht er sich selbst zum Ende hin dem Spiel mit der Ungewissheit ausgeliefert, blickt er in der letzten Einstellung gedankenverloren in die Kamera. Jarmusch gelingt es so auch den Zuschauer aus seiner sicheren Distanz heraus in ein Spiel mit seinen eigenen Erwartungen zu verstricken.
Der am 21. September 1950 in Illinois geborene ironische Anarchist William James Murray sollte schnell im medialen Hype der amerikanischen Comedywelle Saturday Night Live an seiner eigenen Courrage straucheln, um dann später durch frühe Blockbuster Erfolge wie Cadyshack und Ghostbusters vom Hollywoodkino gleichgeschaltet zu werden. Doch viele Jahre später überdauert Murrays minimalistische Coolness alle Versuche Hollywoods ihn umgänglicher zu machen. Kaum ein anderer zeitgenössischer Schauspieler in den USA scheint derzeit in der Lage zu sein diesen charakteristischen Humor mit einer solchen Ernsthaftigkeit darzubieten, wie es Murray in seinen letzten Filmen gelang. Es ist die Kunst, alles auf sich wirken zu lassen. Murray scheint keine Rollen in Filmen zu spielen, sondern die Rollen und Filme scheinen sich an seiner selbst zu spiegeln. Es ist eine in letzter Konsequenz wohlwollende Akzeptanz einer unaufhaltsamen Niederlage, das Wissen des Scheiterns im Leben, welches seine Figuren und nicht zuletzt die Person Murray selbst in einer selten erreichten Klasse erstrahlen lässt. Nicht umsonst weiß Jim Jarmusch über seinen Hauptdarsteller zu behaupten, er sei "very fucking smart".
"Broken Flowers" stellt mehr Fragen als er beantwortet, und genau darin könnte die Kunst des Filmes liegen. In unserer von Statistiken und Rückblicken geordneten Welt, geben wir uns pragmatischen Betrachtungen hin. Wir haben verlernt uns mit dem Diskurs zu begnügen, wenn er nicht zielstrebig und ergebnisorientiert geführt wird. Die Gegenwart verliert zunehmend an Bedeutung und verkommt immer mehr zu dem Zweck einer Pause vor dem Eintritt des nächsten großen Dings. "The past is gone. The future isn’t here yet, whatever it’s going to be. So until then, there’s the present", philosophiert Don Johnston im Film und erkennt darin das Dilemma.
foto: tobis
600 Wörter [Die Ersatzbank]
"Da haben Spieler auf dem Spielfeld gestanden; gestandene Spieler."
(Günter Netzer)
"Auf der Ersatzbank meines Lebens", irgendwie zieht es an mir vorbei. Das Leben, das Spiel, orientalische Schnellgerichte, Bundesliga Frontberichte und vor allem und nicht zuletzt, diese scheiß Rockmusik. Und immer wieder werden Spieler eingewechselt, bekommen eine Chance, schießen ihr Tor und werden gefeiert. Dann geh ich zum Trainer, sag ihm "Du, wechsel mal Thomas ein, der kann Flanken. Große Klasse. Ach ja, wann darf ich denn..." Aber da schießt Dirk schon einen Pass, der gleich in ein Tor verwandelt wird. Ausgerechnet Dirk, der sich nicht mal die Schuhe alleine zubinden kann, dem ich noch seinen Turnbeutel hinterher trug. Einmal, tumb wie er ist, steht er an der richtigen Stelle, betrachtet die Grasflecken auf seiner Schuhspitze und in just diesem Moment stoppt er mit dem leicht angehobenen Fuß den Ball. Passt ihn weiter und wird umjubelt. Zur rechten Zeit, am rechten Ort.
Dort bin ich auch, stets. Bei der Championsleague war ich dabei, DFB Pokal, jedem verschissenen Mannschaftsspiel. Aber eben nur dabei.
Und dann, dann wechselt mich der Trainer ein. Ich gebe mein Bestes. Euphorisiert wie ein junger Hund, voller Elan, unter Strom, aber aufgeregt, unsicher, ängstlich. Ich kaschiere das mit großen Worten. Kleiner Fingerzeig auf das Leder, dann auf das Tor. Meine Chance. Die Abwehr ist überrascht, der Torwart weit draußen. Ich hole aus, treffe den Ball, aber auch die Bande rechts neben dem Tor.
Chance vertan. So ist das Spiel. Noch 15 Minuten, zwei in der Nachspielzeit und aus. Die Fans schauen auf mich runter, zumindest kommt es mir so vor. Wie sollte es auch anders sein, die Tribüne ist stets über dem Spielfeld, zu jemandem raufschauen ist da nicht. Die Mitspieler schütteln den Kopf. Hier zu versagen, das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Und ich machte es dennoch möglich.
Ich dusche, nasse Handtücher schnappen auf meinen Po. "War doch nur Spaß", sagen die Mitspieler, die sich als Gegenspieler entpuppen. Welch Freude und Überlegenheit, die dort ausgespielt wird. Charlie kommt zu mir rüber, drückt mich und sagt, dass das jedem passieren kann. Wie nett, welch Trost. Später entdecke ich das Loser-Schildchen, das er mir anpappte, und ärgere mich über seine verlogene Feigheit.
Und dann sitze ich wieder auf der Ersatzbank. Sehe, wie es an mir vorbeizieht, das Spiel und vor allem diese scheiß Rockmusik. Ärgere mich über meinen Einsatz, dass ich zu aufgeregt war und wie ich zwanghaft versuche mitzuspielen, mich dem Pack anpasse. Okay, ich ziehe mir keine Lines rein, um noch mehr zu Powern. Aber das sehe ich nicht als Fehler.
Charlie sitzt neben mir und zieht die Nase wieder hoch und macht einen auf Kumpel:
"Auch was?"
"Nee, echt nicht."
"Ich hab da 'nen neuen Sponsorenvertrag. Außerdem 'ne gute Geldquelle. Das richtige für Dich, so wie du spielst, müsstest Du Dich nicht mal anstrengen. Du kennst doch den Robert, den Schiri. Wenn wir dafür sorgen, dass wir das Spiel hier verlieren, dann bekommen wir 'n paar Euros extra."
Ich verneine noch viel zu höflich. Charlie wird eingewechselt, schießt daneben und es ist allen egal. Er freut sich, hat ordentlich was verdient. Ich weiß das und die anderen scheinen es auch zu wissen. Und ich sitze auf der Ersatzbank meines Lebens. Sie ziehen an mir vorbei mit ihrem Erfolg, ihrem Geld, ihren Frauen, ihren Männern, ihren Jobs, ihrem Status, ihren Plattenverträgen, ihren Konzerten, Fans, ihren guten Liedern, Anerkennung, ihren Leben. Und ich merke, dass ich wohl nur darauf warte, in ihr Leben eingewechselt zu werden. Warten, dass ein anderer Spieler Dirk, Thomas, Charlie oder die anderen mit einer Blutgrätsche aus ihrem Spiel befördert, um ihren Platz einzunehmen. "I'm waiting for my real life to begin..."Ende
Anfang
Text: Daniel Decker
illustration: heiko windisch
Richard Hawley [Coles Corner]
In einer Hand die Blumen, in der anderen ein Päckchen voll Hoffnung und im Schoß liegt das Herz. Mit Coles Corner bietet Richard Hawley elf opulent instrumentierte Songs mit zeitlupenhafter Romantik und schwelgender Melancholie.
"when i was younger, i was worried about being cool.
but music is one of the few things, where tradition is not such a bad thing."
(richard hawley)
Es sind nicht nur die Lieder, die einen in eine so herrliche Stimmung von Traurigkeit, Lebensfreude und Zuversicht versetzen. Wenn man sich allein das Booklet anschaut, von innen nach außen, von oben bis unten, von rechts nach links. Da möchte man gar nicht anders, als sich das Album durch und durch anhören. Jede Minute voller Klänge und Töne in sich aufzusaugen und sich vorzustellen, wie der eigene Herzbube oder die eigene Herzdame einem Zettel in sein Lieblingsbuch legt, auf dem Worte wie "Maybe there’s someone waiting for me. With a smile and a flower in your hand" stehen.
Das Innenleben des Covers erzählt einem so etwas wie eine kleine Geschichte, wie auch Richard Hawley in Tonight eher etwas erzählt, als zu singen. Mitten auf dem Cover, welches einem sofort ins Auge springt, sieht man ihn allein, mit einem eingepackten Strauß Blumen in der Hand vor einem Theater. Er scheint auf Jemanden zu warten. Weiter geht es mit Bildern, auf denen er sich im Spiegel betrachtet oder sich alles richtet. Dann sieht man Hawley in einem wunderschönen, englischen Taxi, das ihn zu dem Theater fährt. Sein Strauß Blumen bildet einen wunderbaren Kontrast zu dem gesamt Bild, in das man so gerne hineinschlüpfen würde, weil er auf jedem Foto so verdammt traurig aussieht. Auf einer Doppelseite die ihn abbildet und dem Cover ähnelt, schaut er auf seine Armbanduhr und kurze Zeit später steht er in einer rot lackierten Telefonzelle und ruft Jemanden an. Coles Corner ist die Ecke an dem ein verschwundenes Kaufhaus verliebte zu einem nächtlichen tête - à - tête einlud. Das Bild ist traurig. Das Bild macht traurig. Richard Hawley macht traurig.
Seine Lieder variieren zwischen jazzigen Musikstücken, cowboybehafteten Klängen und einfach nur wunderbaren Melodien von Geigen, Klavier, leisen Drums und genialer Stimme. Hört man Lieder wie Just Like The Rain, entstehen nicht nur wohltuende Gefühle und Stimmungen, sondern auch automatisch gewisse Bilder, die das Unterbewusstsein in unsere wachen Köpfe schießen lässt. Wenn Richard Hawley "but you’re still in my mind" singt, kommt bei mir persönlich das Bild von einem alten, graubärtigen Mann auf, der in einer Westernbar auf einem Hocker auf der Bühne sitzt und diese junge Stimme annimmt.
Leider hat er für meinen Geschmack zu viele Wiederholungen in seinen Texten, aber alleine die Tatsache, dass sich so viele Zeilen bei ihm reimen, ist charmant. Überaus charmant.
Auch hören sich Worte wie "You are here in my arms" nur bei Richard Hawley schön an. Nur bei ihm. Er singt so verdammt einnehmend und schön. Man kann mit den Liedern und seinen Takten mitwippen, aber gleichzeitig ein Kleinkind in den Schlaf wiegen. Man könnte diese ganzen gegensätzlichen Gefühle, die Minute für Minute, Takt für Takt und Ton für Ton neu entstehen, fast schon über den Ozean hören. Über die höchsten Berge und bis tief drinnen in unseren Köpfen. Puff, peng, peng. Melodien für Millionen.
foto: gareth james
"coles corner"
mute 2005 cd
richard hawley